Vorwort

Das Jahr 1852 raubte dem kleinen Lande der Finnen zwei Männer der Wissenschaft, deren Namen wie in der Heimath so in dem Auslande mit besonderer Auszeichnung genannt werden. Am 11. bis 23. October endete plötzlich der durch seine siebenjährigen Reisen unter den Beduinen rühmlichst bekannte Professor Georg August Wallin, weniger als sechs Monate vor ihm, den 25. April (7. Mai), der unermüdliche Forscher auf dem Gebiet der nordasiatischen Sprachen, Professor Matthias Alexander Castrén. Beiden war es nur kurze Zeit nach der Heimkehr von den mühevollen Reisen vergönnt an der Hochschule ihrer Heimath zu wirken, beide hatten sich gleichzeitig bereit erklärt die von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften beabsichtigte linguistische und ethnographische Expedition nach dem Norden Asiens zu unternehmen. Wenn die Akademie sich für Gastrén entschied, so hatte diess hauptsächlich seinen Grund darin, dass Gastrén sich schon eine Reihe von Jahren mit vorbereitenden Studien beschäftigt und einige vielversprechende Früchte seiner Thätigkeit veröffentlicht hatte.

Für solche Leser, die mit den näheren Lebensverhältnissen Castrén's unbekannt sind, theilen wir folgende kurze Nachricht mit: Gastrén wurde am 20. November (2. December) 1813 in Ostbottnien geboren, wo sein Vater Christian anfangs Kapellan auf Terwola und dann Pfarrer zu Rowaniemi war. Nach dem Tode dieses letzteren im Jahre 1825 nahm der als Mensch, Seelsorger und Gelehrter gleich hochgestellte Pfarrer zu Kemi, Dr. Matthias Castrén sich seines jungen Brudersohnes an, der in seinem Umgange die erste Liebe zu den Wissenschaften einsog. Zwölf Jahre alt kam unser Gastrén in die Schule zu Uleåborg, wo er sich seinen Unterhalt durch den Unterricht kleinerer Knaben verdienen musste. In einem Alter von 16 Jahren bezog er die Universität Helsingfors. Er hatte die Absicht sich dem geistlichen Stande zu widmen und studirte drei Jahre lang neben der Griechischen Sprache mit besonderer Vorliebe die Sprachen des Orients. Ueber diese gewann die Liebe zur Heimath nach und nach die Oberhand und führte ihn auf ein immer umfassenderes Studium wie der Finnischen Sprache insbesondere, so des ganzen sogenannten Uralischen Stammes. Auf die Wichtigkeit dieser Studien scheint ihn zuerst das von dem berühmten Dänen Rask Geleistete aufmerksam gemacht zu haben. Zur genaueren Erforschung der einzelnen Sprachen des grossen Stammes war es unumgänglich sie aus dem Munde des Volks an Ort und Stelle kennen zu lernen. In dieser Absicht unternahm Castrén schon im Jahre 1838 seine erste Reise nach Lappland, an die sich 1839 die Reise in das Russische Karelien anschloss. In dem letztgenannten Jahre wurde er bereits zum Docenten der Finnischen und Altnordischen Sprache an der Universität zu Helsingfors ernannt, in welcher Eigenschaft er sich durch seine Abhandlung: De affinitate declinationum in lingua Fennica, Esthonica et Lapponica habilitirte. Im Jahre 1841 liess er seine Schwedische Uebersetzung des Finnischen Nationalepos Kalewala erscheinen, welche bei aller Treue nicht so sehr den Eindruck einer Uebertragung als vielmehr einer selbstständigen poetischen Schöpfung macht. In demselben Jahre vereinigte er sich mit dem berühmten Sammler und Herausgeber der epischen Lieder der Finnen, Dr. Elias Lönnrot zu einer neuen Reise nach Lappmarken, die sich über Kola bis nach Archangel erstreckte. Hier kehrte Lönnrot um, Castrén aber wurde durch eine ausserordentliche Unterstützung aus der Finnischen Staatskasse in Stand gesetzt seine Forschungen auf die zunächst wohnenden Samojeden auszudehnen. Das Studium ihrer Sprache betrieb er auf einer überaus mühevollen Reise, die sich über den Ural hinaus bis nach Obdorsk erstreckte, wo er den 9. November 1843 anlangte. Von hier musste er sich seiner zerrütteten Gesundheit halber nach Beresow und von dort nach Tobolsk begeben, von wo er im März 1844 auf dem kürzesten Wege seiner Heimath zueilte, um seinen geschwächten Kräften wiederaufzuhelfen. Hier besorgte er selbst den Druck seiner Syrjänischen Sprachlehre (Elementa grammatices Syrjaenae), der im nächsten Jahre die zu Kuopio gedruckte Tscheremissische Sprachlehre (Elementa grammatices Tscheremissae) folgte. Bereits im November 1844 übersandte er der Akademie seine Abhandlung «Vom Einflusse des Accents in der Lappländischen Sprache,» die in den Mémoires des savants étrangers, Bd. VI, S. 1 – 44 abgedruckt ist. Schon im Frühjahr 1845 war Castrén durch eine geschickte ärztliche Behandlung so weit hergestellt, dass er seine grosse wissenschaftliche Reise im Auftrage der Akademie antreten konnte. Von Ende Mai dieses Jahres, wo er in Tobolsk anlangte, bis zum Sommer 1848, wo er von Nertschinsk aus seine Rückreise antrat, war er trotz der häufig wiederkehrenden Krankheitsanfälle unter den anstrengendsten Mühseligkeiten unverdrossen mit der Erforschung der linguistischen und ethnographischen Verhältnisse der verschiedenen Sibirischen Samojedenstämme, der Ostjaken, Tataren, Tungusen und Burjäten beschäftigt. Während dieser Reise sandte er eine ganze Reihe der interessantesten Berichte an die Akademie und so manchen trotz der grössten Widerwärtigkeiten mit dem besten Humor verfassten Brief an den warmen Vertreter seiner Studien an der Akademie so wie auch an die Freunde in der Heimath. Eine beträchtliche Anzahl dieser Berichte und Briefe sind im Bulletin histor. philol. der Akademie und in den Zeitschriften Finnlands von 1845 – 1848 erschienen. Der 6te Band des genannten Bulletins giebt in No. 10 einen Generalbericht über die von ihm im Dienste der Akademie unternommenen Reisen. Gastrén verfasste ihn nach seiner im Januar 1849 glücklich erfolgten Ankunft in St. Petersburg, wo bereits im nächstfolgenden Herbst als erste Frucht der Sibirischen Reise sein von der Akademie herausgegebener «Versuch einer Ostjakischen Sprachlehre» erschien. Der Februar des Jahres 1850 führte den unermüdlichen Forscher zum letzten Male nach St. Petersburg, wo er den daselbst eingetroffenen Samojeden noch so manches Material zur Vervollständigung seiner Samojedischen Grammatik abzugewinnen bemüht war. Im Spätherbst desselben Jahres liess er seine Abhandlung über die Pronominalaffixe in den Altaischen Sprachen (De affixis personalibus linguarum Altaicarum) erscheinen, durch welche er sich um die neuerrichtete Professur der Finnischen Sprache und Litteratur bewarb. In den ersten Tagen des März 1851 hatte er das hohe Glück das Diplom seiner Ernennung aus den Händen Seiner Kaiserlichen Hoheit des Thronfolgers, als Kanzlers der Universität, entgegen zu nehmen. Seit dem Antritt der Professur vielfach durch Amtsgeschäfte in Anspruch genommen, arbeitete er dennoch fleissig an seiner Samojedischen Grammatik, die er mit Ausnahme der Lautlehre wenige Wochen vor seinem Tode beendigte. Diese Arbeit, welche Gastrén als das Hauptwerk seines Lebens ansah, hatte er noch bei Lebzeiten als das Eigenthum der Akademie bezeichnet. Die Akademie konnte jedoch nicht umhin auch wegen des sonstigen linguistischen Nachlasses des ausgezeichneten Forschers mit dessen Hinterbliebenen und Freunden in Unterhandlung zu treten. In Folge dessen wird die Akademie der Wissenschaften ausser der Samojedischen Sprachlehre, deren Herausgabe zunächst erfolgen wird, auch Castrén’s Sammlungen für das Jenissei-Ostjakische, für das Tatarische, Tungusische und Burjätische veröffentlichen. Diese Sammlungen enthalten mehr oder minder ausgearbeitete Grammatiken und Wörterverzeichnisse der genannten Sprachen nach ihren verschiedenen Dialekten.


Ausser den sprachlichen Werken hat Castrén sehr interessante Vorträge über die ethnographischen Verhältnisse der verschiedenen Völker des grossen Altaischen Stammes, so wie auch über die Finnische Mythologie hinterlassen. Ein Abschnitt aus diesen mythologischen Vorlesungen erschien auf den Wunsch des Verfassers im 9ten Bande des histor. phil. Bulletins der Akademie und behandelte die Bedeutung der Namen Jumala und Ukko in der Finnischen Mythologie. Die Herausgabe dieser Vorträge haben sich die Freunde des Verstorbenen in Helsingfors vorbehalten, jedoch zugleich den Wunsch geäussert, dass neben der Schwedischen Ausgabe die Akademie der Wissenschaften eine Deutsche Bearbeitung in der Sammlung der Nordischen Reisen und Forschungen Castrén’s erscheinen lassen möchte. Diesem Wunsche wird in dem Maasse nachgekommen werden, wie die Schwedische Redaction dieser Vorlesungen ihren Fortgang nimmt.

Bald nach Rückkunft von seiner letzten grossen Reise benutzte Castrén manche Erholungsstunde dazu seine in verschiedenen Zeitschriften Finnlands in den Jahren 1840 – 1844 erschienenen Reiseberichte und Briefe zu sammeln und zum Theil zu überarbeiten. Diese Arbeit beschäftigte ihn noch auf seinem letzten Krankenlager, blieb aber insofern unbeendigt, als er durch den Tod verhindert wurde die letzte Hand an dieselbe zu legen. Die Freunde des Verstorbenen unterzogen sich der Herausgabe dieser Sammlung, ohne etwas in der Handschrift zu ändern. Sie erschien vor wenigen Wochen unter dem Titel: M. M. Castréns Reseminnen från åren 1838 –1844. Fast gleichzeitig wurde vorliegende Deutsche Bearbeitung im Auftrage der Akademie besorgt, welche durch Veröffentlichung dieser lebensvollen Berichte der Ethnographie keinen unbedeutenden Dienst zu erweisen glaubt. Grössere oder kleinere Unrichtigkeiten, die Castrén selbst beseitigt haben würde, werden dem Werthe des Ganzen keinen Eintrag thun. Beispielsweise will ich nur eine Stelle anführen, die Gastrén selbst wahrscheinlich verändert haben würde, nämlich das, was S. 271 über die Art und Weise der Samojeden ihre Todten zu bestatten gesagt ist, womit das in Castrén’s Beurtheilung des ethnographischen Theils der Schrenk’schen Reise über die im Winter und Sommer verschiedene Beerdigungsart Mitgetheilte schwer in Einklang zu bringen ist.

Zum Schluss nur noch ein Wort über die beiden lithographirten Beilagen zu diesem Werke. Beide sind auf Veranstaltung der Freunde des Verstorbenen von dem Lithographen Liewendal in Helsingfors ausgeführt worden, das Bildniss Castrén’s nach einem sehr gelungenen Lichtbilde von Mebius aus dem Jahre 1851, die Abbildungen der beiden Samojedenpaare nach zwei grösseren Lithographien, welche der Akademiker A. von Middendorff hierselbst vor einigen Jahren veranstalten liess, um sie dem vierten Bande seines Reisewerkes beizugeben.

St. Petersburg, den 24. December 1852.