Lübeck – Das Schonenfahrerkollegium

Heringsfang und Heringshandel im Mittelalter
Autor: anonym aus: Morgenblatt für gebildete Leser, Erscheinungsjahr: 1853
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hansestadt, Lübeck, Heringsfang, Heringshandel, Lübeck, Schonenfahrerkollegium, Städtebund
Das Morgenblatt für gebildete Leser (seit 1837, vorher: Morgenblatt für gebildete Stände) ist der bedeutendste Vertreter eines neuen Zeitschriftentypus, zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Mit seiner Auflage von 2.500 Exemplaren, davon etwa 1.400 Abonnements, war es das führende literarische Unterhaltungsorgan in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von 1807 bis 1865 erschien es in Stuttgart und Tübingen im Verlag der Cotta'schen Verlagsbuchhandlung, einem der einflussreichsten deutschen Verlage seiner Zeit.

Idee und Konzept zu der vier- bis sechsseitigen und bis zu sechsmal wöchentlich erscheinenden, im Zeitungsstil aufgemachten Zeitschrift stammten von dem Verleger Johann Friedrich Cotta*). Der Inhalt war eine vielfältige Mischung aus Reiseberichten, Gedichten, Lebenserinnerungen, Aufsätzen zu Literatur, Geschichte, Kunst und Naturkunde, sowie Rezensionen. Die Zeitschrift hatte aufgrund der Vielzahl bedeutender Mitarbeiter schnell großen Erfolg; kaum ein wichtiger Autor der Zeit fehlte auf der Mitarbeiterliste. Die Prominenz der Mitarbeiter führte dazu, dass von dem ursprünglichen Prinzip, die Beiträge der Zeitschrift anonym erscheinen zu lassen, zusehends abgewichen wurde. Quelle: Wikipedia

*) Cotta, Johann Friedrich Freiherr von Cottendorf (1764-1832) deutscher Verleger, Industriepionier und Politiker
Gerade gegenüber der schlecht gepflasterten Straße, welche den wunderlich klingenden Namen „Schüsselbuden“ führt, bildet die Ecke von Meegstraße und Fünfhausen das jetzige Stadtpostamt. An dem Hause ist nichts zu bewundern. Es ist eben ein Haus wie andere mehr in Lübeck, d. h. nicht sehr breit, dafür aber desto tiefer, mit unermesslich großer Flur oder Diele, im übrigen aber, was die innere Einrichtung betrifft, unzweckmäßig gebaut und nichts weniger als komfortabel. Eines nur am Äußern dieses Gebäudes muss jedem beim ersten Anblick in die Augen fallen. Dies ist das am Giebel befindliche Wappen, worauf man drei goldene Fische sieht. Diese Fische stellen Heringe vor und bezeichnen uns genanntes Haus als das ehemalige Kollegium derjenigen kaufmännischen Compagnie, welche sich den Namen der Schonerfahrer beilegte.

Es ist durchaus nicht uninteressant, die Entstehung, das Emporwachsen und die Machtgewinnung zu verfolgen, welche den alten Hansen durch die Handelskollegien erwuchs, in welche sie sich teilten. Die Geschichte dieser verschiedenen Kollegien ist eigentlich auch die Geschichte der politischen Bedeutung, die der Hansebund und in diesem sein Haupt Lübeck sich im Norden eroberte, zu einer Zeit, von der man wahrhaftig nicht behaupten kann, daß im übrigen Deutschland irgendwo vielversprechende Keime einer dereinstigen Einheit aufsprossten. Das Deutschland von damals war ganz so zersetzt und sah ganz so lumpig aus als Reich wie das Deutschland von heute, um so mehr Achtung müssen uns die unternehmenden Kaufherrn jener längst vergessenen Jahrhunderte einflößen, dass ihrem festen Zusammenhalten, ihrer Energie, ihrer Konsequenz es gelang, mitten im Jammer deutscher Uneinigkeit den Namen der Deutschen im Auslande zu hohen Ehren zu bringen.

Schonen, dieser südlichste Teil Schwedens, stand damals unter dänischer Herrschaft, wie denn überhaupt die Macht Dänemarks in jenen Jahrhunderten, ungeachtet der Kleinheit des Reichs, die aller andern nordischen Staaten weit überflügelte. Die lübischen Handelsherrn knüpften nun mit allen nordischen Machthabern ursprünglich nur wegen der ihnen daraus erwachsenden merkantilen Vorteile Verbindungen an, schlossen Verträge ab, gründeten Comptoirs usw., aus denen sich im Laufe der Zeit Anhaltspunkte auch für größere handelspolitische Zwecke entwickelten. Das Land Schonen fesselte die Lübecker ganz besonders des reichen Heringfanges wegen, der an den schottischen Küsten getrieben ward. So gab der Hering, dieser an sich so unscheinbare Fisch, die erste Veranlassung zur Entstehung des Lübecker Schonenfahrerkollegiums, das später, weil es durch den ungeheuren Betrieb des Heringshandels enorme Summen verdiente, zu Reichtum und Macht gelangte und lange Zeit hindurch in die Geschicke des Nordens mit gewaltiger Hand eingriff. Zum Zeichen, wie das Kollegium entstanden, nahm es den Hering in sein Wappen auf und heftete es an den Giebel seines Hauses.

Bekanntlich gehört der Hering zu jenen merkwürdigen Fischen, die zu bestimmten Jahreszeiten in zahlloser Menge weite Wanderungen durch die Salzflut des Meeres antreten. Werden sie nicht gestört, so halten diese Züge stets einen und denselben Weg ein; nur sehr auffallende Störungen, vielleicht auch eigentümliche Strömungen des Meeres hoben denselben bisweilen eine andere Richtung zu geben vermocht. — Nach den Berichten aller Chronisten, z. B. Helmolds, pflegte im elften und zwölften Jahrhundert der Hering am zahlreichsten an den Küsten der Insel Rügen und den flachen Gestaden Pommerns zu erscheinen. Später änderte er sein Wanderziel, höchst wahrscheinlich in Folge zu heftiger Beunruhigung durch die Heringsfischer, die von allen Gestaden des baltischen Meeresbeckens mit ihren Barken in den rügen'schen Gewässern erschienen. Er wendete sich der schonenschen Landzunge zu und blieb nun dieser neuen Heimat treu bis gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, wo er andauernd die Küsten Hollands besuchte. Seitdem gelten bis auf den heutigen Tag die holländischen Vollheringe für die delikatesten, während die schwedischen (von Schonen) an Ruf bedeutend verloren haben.

Es lässt sich leicht einsehen, dass der Handel mit einer Fischsorte, die in so unglaublichen Massen gefangen, verkauft und fast durch alle Länder Europas gekauft wird, dem Volke oder der Handelsgesellschaft, welche denselben am schwunghaftesten zu betreiben verstand, große Reichtümer eintragen, mithin auch großen Einfluss sichern musste. — Die alten hansischen Kaufleute, jene Schonenfahrer, die dem Namen nach auch heute noch in Lübeck existieren, auf irgend welche merkantile Bedeutung jedoch durchaus keinen Anspruch mehr machen können, waren klug genug, bei Errichtung ihrer Comptoirs, wie schon früher in Novogrod, Bergen und andern Städten, jetzt auch auf der Südspitze Schwedens mit Dänemark Verträge ganzeigentümlicher Art abzuschließen. Diese Verträge hatten keinen andern Zweck, als ihrem Geschäftsbetrieb möglichst unbegrenzte Freiheit zu sichern, etwa entstehende Streitigkeiten selbst schlichten zu dürfen und, was jedenfalls die Hauptsache war, andere abzuhalten, ebenfalls Teil an dem reichen Gewinn des in Gang gebrachten Geschäfts zu nehmen.

Die Hansen, Lübeck an der Spitze, nahmen in Folge solcher Verträge ganze Städte Schonens in Besitz und erwarben sich außerdem noch das Recht, gewisse ziemlich ausgedehnte Plätze am Meeresstrande zum Behuf der Heringsfischerei abzugrenzen und in denselben ihre eigene, völlig unabhängige Gerichtsbarkeit auszuüben. Man nannte solche Plätze „Vitten“ und den Teil des schonen’schen Landes, auf welchem sie sich befanden, das „Vittengebiet.“ In diesen Vitten trieben nun die Schonenfahrer den Heringsfang und Handel ins Große und hielten alle Nichtberechtigte mit eifersüchtigen Blicken davon ab. — Das Dänenvolk mochte wohl fühlen, dass es den unternehmenden deutschen Kaufleuten etwas gestattet habe, was später ihm selbst zu großem Nachteile gereichen könne. Allein es war einmal geschehen und um so weniger eine Änderung darin zu treffen, als die Schonenfahrer ungemein streng auf Befolgung des Wortlauts ihrer Verträge hielten und bei einem eintretenden Regierungswechsel in Dänemark nie unterließen, sich dieselben sogleich wieder bestätigen und erneuern zu lassen. Dennoch versuchten die Dänen, so oft sie konnten, die den Hansen auf Schonen verliehenen Privilegien zu umgehen, wenn sich nur irgend eine Gelegenheit dazu finden wollte. Besonders war es König Waldemar IV., der 1367 diese von ihm selbst anerkannten Verträge dadurch brach, dass er die Vitten der Deutschen mit neuen Abgaben belegte, ja sogar hanse’sche Schiffe im Sunde und den Velten plündern ließ. — Diese Gewalttat, an einfachen Heringsfischern verübt, führte zu so ernsten Misshelligkeiten, dass endlich nach vergeblichen Verhandlungen zwischen den Hansestädten und dem Reiche Dänemark ein wilder, blutiger Krieg ausbrach.

Das Ende dieses Kriegs der verbundenen Städte gegen Dänemark war des letzteren vollständige Demütigung. Der übermütige Waldemar irrte während des Kriegs im Innern Deutschlands umher, ohne zu wissen, ob er je wieder an die Rückkehr in sein Reich werde denken können, Kopenhagen ward von den Hanseaten, diesen so gering geachteten Heringsfischern, erobert, das Schloss des Königs der Erde gleich gemacht, der Hafen mit Vorbedacht künstlich verstopft. Eben so erging es den dänischen Städten auf der Küste Schonens. Sie wurden samt und sonders mit der Schärfe des Schwerts von den Hansen erobert, geplündert, und nachdem sie sich zu Herren des Landes gemacht, die Vitten in vergrößertem Maßstabe aufs neue daselbst angelegt. Das vollständig besiegte Dänemark mußte endlich um Frieden bitten und alle Bedingungen unterzeichnen, die ihm von dem Städtebund der Hansen diktiert wurden.

Heutigen Tags missen nur Einzelne noch etwas von den Taten jener längst verschollenen Jahrhunderte; diejenigen aber, welche sich um die Vergangenheit bekümmern, lassen mit eigentümlichen Gefühlen ihre Blicke auf dem Wappenschilde des Schonenfahrerkollegiums haften, das jetzt ein ziemlich verschollenes, gewiss aber ein völlig bedeutungsloses Haus sein würde, hätte nicht die Post ihr Regiment darin aufgeschlagen.

Cotta, Johann Friedrich Freiherr von Cottendorf (1764-1832) deutscher Verleger, Industriepionier und Politiker

Cotta, Johann Friedrich Freiherr von Cottendorf (1764-1832) deutscher Verleger, Industriepionier und Politiker

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Holsteintor

Lübeck - Holsteintor

Lübeck - Holstentor

Lübeck - Holstentor

Lübeck - Standtansicht

Lübeck - Standtansicht