Lebensmittelpreise aus vergangenen Zeiten

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Margarete Weinberg, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Lebensmittelpreise, Nahrungsbedarf, Teuerung, Haushaltsbuch, Preissteigerung, Geldentwertung, Inflation, Transport, Scheffel, Korn, Kartoffeln, Zucker, Fleisch
Wenn wirklich — wie behauptet worden ist Zahlen entscheiden, so steht fest, dass seit einigen Jahrhunderten jede neue Generation ihren Nahrungsbedarf teurer bezahlen muss als die vorangegangene. Vergleicht man etwa ein Berliner Haushaltungsbuch aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit einem solchen aus der Vorkriegszeit, so ergeben die Eintragungen eine Preissteigerung aller Lebensmittel mit Ausnahme der Kartoffeln, die zwischen fünfunddreißig Prozent für Butter und hundert Prozent für Tauben und Enten sich bewegt. Indessen glaube nur niemand, die Hausfrauen des neubegründeten Kaiserreichs hätten weniger über Teuerung geklagt als ihre Enkelinnen; denn ihnen dienten wiederum die wesentlich niedrigeren Preise der vierziger Jahre als Maßstab für die schlechten Zeiten der Geldentwertung nach dem „Milliardensegen“ mit seinen wohlbekannten wirtschaftlichen Folgen.

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In der Tat hatte sich damals beispielsweise der Hamburger Milchpreis in dreißig Jahren verdoppelt, der vorher ein halbes Jahrhundert hindurch auf gleicher Höhe verharrt war: im Jahre 1795 galt die Kanne Milch zwei Schillinge (etwa vierundzwanzig Pfennig), gegen Ende der vierziger Jahre erhielt man sie noch für den gleichen Preis. Über die Lebensmittelpreise Ostpreußens vor etwa hundert Jahren unterrichtet die Selbstbiographie der Schriftstellerin Fanny Lewald, die im Jahre 1811 zu Königsberg geboren wurde. Hier kostete der Scheffel Kartoffeln in Teuerungszeiten vierzehn, in guten Jahren zehn Silbergroschen, das Pfund Butter fünf Groschen (für Berlin gibt die „Vossische Zeitung“ vom November 1820 den Preis von sechzehn Groschen Münze an), fettes Kalbfleisch zweieindrittel bis zweieinhalb Groschen; ein Huhn galt fünf bis sieben Groschen, eine Gans deren vierzehn. Teuer war nur Zucker, der bekanntlich vor Einführung der einheimischen Rübenzuckergewinnung als seltene Kolonialware nur ein Genussmittel der Reichen war und von der sparsamen Hausfrau in verschlossener Zuckerdose ängstlich behütet wurde.



Beträchtlichen Schwankungen unterlagen in den früheren Zeiten des noch unentwickelten Transportwesens in unmittelbarem Zusammenhänge mit dem Ausfall der Ernte die Getreidepreise; auch wechselte im Einklang mit ihnen das Gewicht des für einen bestimmten Preis erhältlichen Brotes. Nach Aufzeichnungen Friedrichs des Großen durfte unter seiner Regierung der Scheffel Korn nicht über einen Taler steigen, auf dem Lande nicht unter den von der Kammer angesetzten Preis (zwischen zwölf und sechzehn Groschen) sinken. In den sechziger Jahren seines Jahrhunderts mussten aus einem Scheffel Weizenmehl sechzig Pfund ausgebackene Semmel, aus einem Scheffel Roggen sechsunddreißig Pfund „feine Scharren“ und einundvierzig Pfund gut hausbackenes Brot geliefert werden. Bei steigenden Weizen- und Roggenpreisen minderte sich das Gewicht der Semmeln und des Roggenbrotes.

Zur Beurteilung von Preissteigerungen, die aus alten Urkunden ersichtlich sind, wäre es nötig, zu ermitteln, ob der Wert der betreffenden Münze der gleiche geblieben oder geändert worden war, wie dies in früheren Zeiten nicht selten geschah. Und nicht nur zeitlich, sondern auch von Gebiet zu Gebiet hatten Münzen gleicher Benennung im Deutschen Reiche verschiedenartige Geltung, so dass sich vermutlich unsere Vorfahren selbst in dem Wirrwarr ihrer Zahlungsmittel nicht ganz leicht zurechtgefunden haben. Noch schwieriger ist es unter solchen Umständen für die Nachwelt, eine zutreffende Vorstellung von der Kaufkraft deutschen Geldes in früheren Zeiten zu gewinnen. Nach Roschers Annahme war diese in dem Zeitraum von zweihundertfünfzig bis zweihundertsiebzig Jahren vor der Gründung des neuen Kaiserreichs auf weniger als die Hälfte gesunken; was nach 1870 zweieinviertel Taler kostete, hätte man somit bei gleicher Münze zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges für einen Taler erstehen können. Eine tatsächliche Verteuerung der Lebensmittel würde dies jedoch nur dann bedeuten, wenn die Entlohnung menschlicher Arbeit sich nicht im gleichen Verhältnis verschoben hätte.



Rechnet man den ehemals geltenden Tagelohn eines erwachsenen Mannes in die Menge der Lebensmittel oder Bedarfswaren um, die er dafür kaufen konnte, so hat man offenbar einen brauchbaren Maßstab für die Beurteilung der Preise früherer Zeiten. Wenn zum Beispiel, wie um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts im Fürstentum Bayreuth, mit dem Tagelohn eines Landarbeiters nicht weniger als neun Pfund besten Rindfleisches bezahlt werden konnten, so war dieses Lebensmittel noch billig zu nennen; im folgenden Jahrhundert hatten sich die Fleischpreise bereits beträchtlich erhöht, und um das Jahr 1600 war nach der gleichen, von Damaschke angewandten Umrechnung das Verhältnis sehr viel späterer Zeiten zwischen Arbeitslohn und dafür erhältlicher Ware bereits erreicht. Es herrschte denn auch damals eine zunehmende Knappheit und Teuerung des Fleisches, die zu allerhand gewaltsamen Versuchen der hohen Obrigkeit Veranlassung gab, die Preise zu senken: Einschränkung des Verbrauchs auf der einen, Anreiz zu vermehrter Viehzüchtung auf der anderen Seite, Preisüberwachung und Marktkontrolle zum Schutze der Verbraucher, lauter Maßnahmen, die aus den Zeiten der Zwangswirtschaft der jetzt lebenden Generation noch in überwiegend unerfreulicher Erinnerung sind, kamen schon damals zur Anwendung, wenn auch ohne wesentlichen Erfolg. Sie beweisen immerhin, dass die Lebensmittelpreise jener Zeit der: Lebenden hoch erschienen und den Trägern der Verantwortung Sorge bereiteten — während uns Nachfahren etwa die Marktordnung des Kurfürsten August von Sachsen aus dem Jahre 1570 beneidenswert billig dünkt, laut welcher eine Ente einen Groschen, eine gemästete Gans sechs Groschen kosten durfte.

Immerhin hatten es die Bürger damals insofern besser, als sie nicht so völlig auf die Marktwaren angewiesen blieben wie in unserer Zeit. Lag doch in ihrer eigenen Viehhaltung, die noch jahrhundertelang beibehalten wurde, jene ausgleichende Wirkung, die wohl sicherer als alle behördlichen Verordnungen einer Überspannung der Fleischpreise Grenzen setzte. Denn die mit Dauerware aus eigenem hauswirtschaftlichem Betrieb stets reichlich versehene Hausfrau konnte im Notfall — ohne die Ernährung ihrer Familienangehörigen irgendwie zu beeinträchtigen — wochenlang daraus verzichten, den Marktleuten ihre Ware abzukaufen, wenn sie deren Forderungen für ungerechtfertigt hielt. Ohnehin aber gehörte in einer zu Zwei Dritteln landwirtschaftlichen Bevölkerung zur Verbraucherschaft feilgehaltener Lebensmittel nur ein Teil der Volksgesamtheit, deren überwiegen größere Hälfte als Selbstversorger sich steter, freilich durch vermehrte Arber erkaufter Unabhängigkeit von den Marktpreisen erfreute.

In der Teuerung der Gegenwart ist es freilich ein billiger und schlechter Trost, die Genugtuung zu haben, dass auch in vergangenen Zeiten dauernd Spannungen bestanden haben zwischen den Lebensmittelpreisen und den schwankenden Münzwert der Leistungsentschädigungen, also zwischen Einnahme und Ausgabe, weil immer und ewig die Dinge im Fluss sind.

Frühlingsahnen. Nach, einem Scherenschnitt

Feinschmecker

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Frühlingsahnen

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