Kleiden und Wohnen im Bauernhaus - Von den Trachten

Schriftenreihe „Die praktische Bäuerin
Autor: Dr. Ernst Laur, Schweizer Heimatwerk, Zürich, Erscheinungsjahr: 1951

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Bauern, Bauernhaus, Trachten, Tradition, Frauen, Sonntagstracht, Arbeitstracht, Kleider, Stoffe, Lebensfreude, Heimat, Lebensraum, Schweiz, Landfrauen, Dörfer, Bauernfrauen, zu Hause, Familie, Freunde, Folklore, Trachtenfrau, Sitten, Brauch, Stadtröcke
Inhaltsverzeichnis
    008 Appenzell-Innerrhoden Tracht
    009 Neuenburger Tracht
    010 Deutsch-Freiburger Tracht
    011 Appenzell-Ausserrhoden Tracht
    012 Baselland Tracht
    013 Kanton Bern Tracht
    014 Nidwalden Tracht
    015 Waadt Tracht (Sonntagstracht)
    016 Uri. Schächentaler Berglertracht
    017 Schaffhauser Bauernpaar
    018 Oberwallis Sonn- und Festtagstracht
    019 Genfer Tracht
Die Tracht ist das schönste Kleid der Bauernfrau, sie ist ihr Standeskleid, ihr Stolz und ihre Freude.

In der Tracht steht die Landfrau ebenbürtig neben der Stadtfrau. Im Stadtkleid ist sie die bescheidene Maus vom Lande, ein altbachenes Zöpfli neben den knusperigen Gugelhöpfchen in Frau Modes Zuckerbäckerei. Eine wahrhaft städtisch aufgeputzte Landfrau aber gleicht einem Papagei, den man früher wenigstens mit Recht ins Käfig sperrte.

Hingegen hat man noch keine Bauernfrau gefunden, die in der Tracht nicht hübscher, flotter und gewinnender ausgesehen hätte als im Stadtrock. Das weiß auch jeder Bauersmann, ob er's zugibt oder nicht. Im Herzen ist er stolz auf seine Trachtenfrau.

Wenn dem so ist und wer könnte es bezweifeln warum sind denn die Trachten jahrzehntelang beinahe in Vergessenheit geraten? Warum haben die Schaben und der Zahn der Zeit gefressen, was einst die schönste Zierde der Frauen auf dem Lande war? Wandern wir miteinander in die Vergangenheit zurück!

Vor hundert Jahren war jede Schweizer Bäuerin eine Trachtenfrau. Die Tracht war ihr so selbstverständlich wie dem Vogel seine bunten Federn. Wäre es ihr eingefallen, „städtisch" durchs Dorf hinaufzuwandeln, so hätte man aus jedem Fenster mit Fingern auf sie gezeigt.

Nie kamen die Schweizer Landfrauen so schön einher wie damals. Alle Welt anerkannte es. Aber nicht nur die Jungfern und Frauen, auch die Männer gingen „püürsch", und wo man einem Paar vom Lande begegnete, passte es so schön zusammen, als käme es eben hervor aus dem . . . bemalten Trögli. Doch wenn es der Geiß zu wohl ist, scharret sie, und auch das Schöne vergeht, wenn man es nicht zu schätzen weiß.

Gegen die Mitte des letzten Jahrhunderts fing ein neuer Wind über das Land zu wehen an. Es begann die Zeit des „Fortschritts", der Stadtgeist hob seinen Siegeszug an. Er hat der Landfrau eingeblasen, dass die Tracht altmodisch sei, sie sei auch teuer, unbequem und stets dieselbe. Darum fort mit ihr in den Estrichkasten!

Zuerst waren es wenige, die sich verlocken ließen, dann schwankte die Waage eine Zeitlang auf und ab. Bald aber saßen auf der Trachtenseite nur noch die alten Frauen, und auf der andern lachten die Jungfern in den neuen Stadtröcken. In mancher Landesgegend ist es mehr als ein halbes Jahrhundert her, seit man die letzte Trachtenfrau zu Grabe trug. In andern blieb man treuer. Der reiche Kanton Bern ist dafür weit bekannt, aber auch das arme Wallis. Nicht das Geld gab den Ausschlag, sondern die Art des Denkens. Doch in den meisten Schweizer Dörfern sah es aus, wie wenn die bunten Blumen in den Gärten verdorret wären.

Den wahren Freunden des Bauernstandes war es trüb ums Herz, als sie solches sahen. Doch gab es andere „Freunde", die sehr zufrieden waren: alle diejenigen, die mit Modekleidern ihr Geschäft machten. Sie hatten einen großen Sieg errungen. Hunderttausende von Landfrauen kauften nun ihre Fabrikstoffe, zusammengezählt für viele Millionen Franken im Jahr. Jetzt endlich wusste man, wohin mit den Stoffballen, die jeden Frühling und Herbst in den städtischen Modegeschäften liegen blieben. Hinaus mit ihnen in die Landlädeli und auf die Jahrmärkte! Es ist noch heutzutage nicht viel anders. Geschlagen und ums Brot gebracht aber waren alle die kunstverständigen Hände in den Dörfern, die mit dem Trachtenmachen bis jetzt ihr redlich Brot verdient hatten.

Als das Jahrhundert sich wendete, musste man annehmen, dass binnen weniger Jahrzehnte in der Schweiz niemand mehr wissen werde, wie die einst so herrlichen Landestrachten beschaffen gewesen waren. Darum begann man diejenigen, deren man noch habhaft werden konnte, in die Museen zu tragen, um sie dort in Glaskästen und in einer Wolke von Kampfergeist für die Nachwelt zu erhalten. Vor allem aber fing die junge Gattin eines Zürcher Gelehrten, Frau Julie Heierli, an, von Dorf zu Dorf zu gehen, Kasten und Tröge zu durchstöbern, mit alten Trachtenfrauen zu reden und auf tausend Zetteln die Geschichte der Trachten unseres Vaterlandes aufzuschreiben. In fünf schweren Büchern mit vielen Bildern hat Frau Heierli ihr Lebenswerk schließlich veröffentlicht und hat damit sich und den Schweizer Landfrauen ein geistiges Denkmal gesetzt, das in seiner Art einzig ist. Aber selbst Frau Dr. Heierli war der Meinung, die „Trachtenzeit" sei in unseren Landen endgültig vorbei und werde nie mehr wiederkommen.

Und doch kehrte sie zurück! Es gibt Leute, die das heute noch nicht begreifen können.

Die langsam älter werdenden Leute erinnern sich noch an die Zeit des Ersten Weltkrieges. Nach Jahrzehnten friedlichen Wohlergehens drohte auch unserer Heimat auf einmal tödliche Gefahr. In solchen Notzeiten rücken die Menschen näher hin zum Vaterland. Auch die jüngeren unter uns haben das im Zweiten Weltkrieg erfahren. Über Nacht ist man wieder stolz, eine Schweizerin zu sein und ist willens, dies öffentlich zu bekennen. Da kam eine Handvoll waadtländischer Frauen auf den Gedanken, die alten Trachten wieder zu Ehren zu ziehen und sie zu tragen als ein sichtbares Sinnbild ihrer Heimat. Bald darauf fand ihr Beispiel in allen Landesgegenden Nachahmung. Auf das Land griff die Bewegung aber nur zögernd über; man wollte zuerst sehen und abwarten. Das ist sehr leicht zu verstehen; denn die Bäuerin, die in Kriegszeiten an Stelle ihres Mannes hinter dem Pflug geht und ihr äußerstes tut, um für sich und ihre Mitschwestern in der Stadt das tägliche Brot zu gewinnen, hat andere Sorgen. Als aber Not und Gefahr sich verzogen hatten und wieder ruhigere Tage kamen, da begann auch der schweizerische Bauernstand sich über den Wandel der Zeit zu besinnen. Die Kriegsjahre hatten ihm zum Bewusstsein gebracht, was er in unserem Land bedeute. Ohne seinen Nährstand hätte das Schweizervolk die Freiheit verloren. Von Hunger getrieben, hätte es sich fremden Herren unterwerfen müssen. Grund genug für unser Landvolk, sich seines Wertes bewusst zu werden. Die Kriegsjahre hatten aber auch ordentlichen Wohlstand in die Dörfer gebracht. Doch wo runde Geldsäckel sind, lassen sich schon die Krämer herzu, und man musste sehen, wie das schöne Milch- und Weingeld sich erst recht in städtischen Hausrat, modische Kleidung und andere unbäuerische Dinge verwandelte. Sollte es mit der alten Bauernkultur unseres Landes endgültig zu Ende gehen? Da standen die führenden Männer und Frauen der Landwirtschaft zusammen und riefen ihre Getreuen auf zur Besinnung. „Schluss mit der Verstädterung! Bauersmann, Bauernfrau, bleibe deinem Stande treu, in deinem Denken, deiner häuslichen Welt und deiner Kleidung!" Damit war das entscheidende Wort gefallen. „Die Tracht soll fortan wieder sein das Standeskleid der Bauernfrau." Ihr Ehrenkleid und schönster Schmuck!

Der Ruf fand freudigen Widerhall im ganzen Lande. In allen Kantonen trat man zusammen, um zu prüfen, was zu tun sei. Männer und Frauen bürgerlichen Standes leisteten ihre sachverständige Hilfe, gingen selber mit gutem Beispiel voran, und im Jahre 1926 gründete man gemeinsam die „Schweizerische Trachtenvereinigung". Ihr und ihren kantonalen Gliedern ist es zu verdanken, dass es um das Trachtenwesen unseres Landes heute wieder gut bestellt ist.

Wer nicht dabei war, begreift nur schwer, welch große, hundertfältige Arbeit zu leisten war; denn es fehlte nahezu an allem. An den Stoffen, an den Bändern, den Spitzen, dem Schmuck, den Hüten, Strümpfen, Schuhen; es fehlte aber auch an den fachkundigen Frauen, die die Kunst des Trachtenmachens noch verstanden. Mehr! Als man die alten Trachten aus den Truhen hob, erkannte man, dass die meisten zu heutigem Gebrauche nicht mehr dienlich waren. Zu schwer, zu steif, zu atemberaubend! Manche entsprachen aber auch nicht dem heutigen Schönheitsempfinden. Mit anderen Worten: eine Erneuerung von der Haube bis zur Sohle war unumgänglich, wenn die Trachten wirklich ins Leben zurückkehren sollten.

Bald sah man ein weiteres ein: dass der Landfrau mit der Sonntagstracht allein nicht gedient sei, ebenso nötig brauchte sie eine Arbeitstracht. Und nach dem Sommer kommt der Winter, auf die Freude folgt das Leid. Als man die Sache bis zu Ende dachte, sah man, was zu schaffen war: Trachten für alle Lebenslagen.

Heute ist der Kreis im ganzen Land geschlossen. Für jeden Tag und jede Stunde liegt die rechte Tracht bereit. Wir wissen kein anderes Volk, das seinen Trachtenschatz mit solcher Sorgfalt und bis in die feinsten Verästelungen erneuert und dem Leben wieder dienlich gemacht hätte. Wer aus fremden Landen zu uns kommt und solches sieht, ist verwundert und erfreut. Immer wieder kann man hören, dass unser Trachtenwesen andern als ein Vorbild gilt. Trotzdem gibt es immer noch manche Bäuerin, die zögert, sich der Tracht zuzuwenden. Gar viele Einwände kann man hören. Man sei zu alt, zu dick, zu dünn, zu groß, zu klein, vielleicht sogar zu wüst für die Tracht! Als ob sie nur eine Zierat für schöne Jungfern wäre, die zum Tanze gehen wollen! Eine solche Anschauung ist gröblicher Missverstand, die Tracht gehört allen Bauernfrauen, den hübschen wie den andern. Nur wer nicht gut tut, soll die Finger von ihr lassen.

Die Tracht sei teuer! Es kommt darauf an, womit man sie vergleicht und wie man rechnet. Eine Festtracht reicht fürs ganze Leben. Sie kommt nicht aus der Mode, immer ist man damit schön und würdig angezogen. Wir meinen, das zähle auch! Aber die Haus- und Arbeitstrachten sind von ungemeiner Haltbarkeit. Eine handgewobene Tracht hält drei billige Ladenröcke aus; dann aber macht die Rechnung schon ein anderes Gesicht.

Die Tracht sei unbequem! Wer das sagt, hat noch nie in einer Arbeitstracht eine Weile frisch hantiert. Auch die Haus- und schlichten Sonntagstrachten sind so leicht zu tragen wie ein bürgerliches Alltagskleid. Die Staatsund Festtrachten freilich haben oftmals ihre Tücken, doch sind auch sie im Vergleich zu früher sehr gemildert worden. Und überdies: darf eine Frau im Staatskleid nicht auch eine kleine Unbequemlichkeit in Kauf nehmen? Ist denn an der Modekleidung und dem, was sich darunter verbirgt, alles nur aufs Angenehmsein eingerichtet ? Gilt nicht gerade in der Mode das Sprichwort, dass man leiden müsse, um schön zu sein? In der Tracht aber muss niemand leiden, höchstens ein wenig schwitzen an einem heißen Sommertag. Doch welche rechte Bäuerin wird im Ernste sagen, sie halte das nicht aus?

So bleibt nur noch ein letzter Einwand: wenn man die Tracht anhabe, werde man „gesehen". Das ist wahr. Aber man muss gleich hinzufügen, dass man gern gesehen wird. Und doch gibt es Bauernfrauen, die so scheu und bescheiden sind, dass ihnen dies schon zu viel ist. Wir wissen auch, dass etwa in der Eisenbahn, in der Stadt ein Löli einen dummen Spruch macht. Wer seiner selbst sicher ist, kümmert sich nicht darum. Geht man allein auf Reisen, so trägt man sowieso mit Vorteil die schlichte Ausgehtracht. Daran sind die Leute heute gewöhnt und werden nicht länger fragen, an welches Trachtenfest man fahre.

Zu Hause, im Dorf und in der Nachbarschaft aber kennt man diese Sorgen nicht. Gehört man zu den ersten, die sich zur Tracht entschließen, so wird es freilich auch hier ein kleines Geschnatter geben. Aber das legt sich rasch, und man wird sehen, wie das gute Beispiel wirkt, vor allem dann, wenn man sich die Mühe nimmt, den Leuten den tieferen Sinn der Tracht freundlich zu erklären. Es ist kaum zu glauben, was eine einzige couragierte Trachtenfrau in einem Dorf vermag. Hundert Erfahrungen beweisen es. Auch die Trachtensache hat Stauffacherinnen nötig.

Wer aber das Bedürfnis hat, sich anderen Trachtenleuten anzuschließen, der trete der nächsten Trachtengruppe bei. Er wird dort in heimatlicher Geselligkeit manch frohe Stunde verleben. Durch die Trachtengruppe findet er auch Anschluss an die „Schweizerische Trachten Vereinigung" und erhält ihre Zeitschrift „Heimatleben", die die schönste ihrer Art ist. Völlig verkehrt aber wäre es zu glauben, wer eine Tracht trage, müsse einem Trachtenverein angehören. Die Volkstracht gehört allen wie das Volkslied. Auch dieses darf man frei singen, und nichts tönt lieblicher, als wenn es am Sonntag aus dem Mund eines Schärleins Trachtenleute vom Waldrand ins Dorf hernieder klingt. Sie tragen ihr Heimatkleid, weil sie kein anderes mehr wollen, sie singen ihr Heimatlied, weil keine fremden Töne ihre Herzen trüben. Die Trachtenleute warten auf dich, liebe Bäuerin, die du diese Zeilen liest.

Kleiden und Wohnen, Cover

Kleiden und Wohnen, Cover

Kleiden und Wohnen im Bauernhaus, Titel

Kleiden und Wohnen im Bauernhaus, Titel

000 Berner Werktagstracht

000 Berner Werktagstracht

001 Trachten aus Giornico (Tessin)

001 Trachten aus Giornico (Tessin)

002 Bergtracht von Elm

002 Bergtracht von Elm

003 Fricktaler Tracht

003 Fricktaler Tracht

004 Turgauer Tracht

004 Turgauer Tracht

005 Solothurner Tracht

005 Solothurner Tracht

006 Obwalden Tracht

006 Obwalden Tracht

007 Zuger Tracht

007 Zuger Tracht

008 Appenzell-Innerrhoden Tracht

008 Appenzell-Innerrhoden Tracht

009 Neuenburger Tracht

009 Neuenburger Tracht

010 Deutsch-Freiburg Tracht

010 Deutsch-Freiburg Tracht

011 Appenzell-Ausserrhoden Tracht

011 Appenzell-Ausserrhoden Tracht

012 Baselland Tracht

012 Baselland Tracht

013 Kanton Bern Tracht

013 Kanton Bern Tracht

014 Nidwalden Tracht

014 Nidwalden Tracht

015 Waadt Tracht (Sonntagstracht)

015 Waadt Tracht (Sonntagstracht)

016 Uri. Schächentaler Berglertracht

016 Uri. Schächentaler Berglertracht

017 Schaffhauser Bauernpaar

017 Schaffhauser Bauernpaar

018 Oberwallis Sonn- und Festtagstracht

018 Oberwallis Sonn- und Festtagstracht

019 Genfer Tracht

019 Genfer Tracht