Pempelfort, November 1792.

Es war schon finster, als ich in Düsseldorf landete und mich daher mit Laternen nach Pempelfort bringen ließ, wo ich nach augenblicklicher Überraschung die freundlichste Aufnahme fand; vielfaches Hin- und Hersprechen, wie ein solches wieder Sehen aufregt, nahm einen Teil der Nacht hinweg.

Den nächsten Tag war ich durch Fragen, Antworten und Erzählen bald eingewohnt: der unglückliche Feldzug gab leider genugsame Unterhaltung, niemand hatte sich den Ausgang so traurig gedacht. Aber auch aussprechen konnte niemand die tiefe Wirkung eines beinahe vierwöchentlichen furchtbaren Schweigens, die sich immer steigernde Ungewissheit bei dem Mangel aller Nachrichten. Eben als wäre das alliierte Heer von der Erde verschlungen worden, so wenig verlautete von demselben; jedermann, in eine grässliche Leere hineinblickend, war von Furcht und Ängsten gepeinigt, und nun erwartete man mit Entsetzen die Kriegsläufe schon wieder in den Niederlanden, man sah das linke Rheinufer und zugleich das rechte bedroht.


Von solchen Betrachtungen zerstreuten uns moralische und literarische Verhandlungen, wobei mein Realismus, zum Vorschein kommend, die Freunde nicht sonderlich erbaute.

Ich hatte seit der Revolution, mich von dem wilden Wesen einigermaßen zu zerstreuen, ein wunderbares Werk begonnen, eine Reise von sieben Brüdern verschiedener Art, jeder nach seiner Weise dem Bund dienend, durchaus abenteuerlich und märchenhaft, verworren, Aussicht und Absicht verbergend, ein Gleichnis unseres eigenen Zustandes. Man verlangte eine Vorlesung, ich ließ mich nicht viel bitten und rückte mit meinen Heften hervor; aber ich bedurfte auch nur wenig Zeit, um zu bemerken, dass niemand davon erbaut sei. Ich ließ daher meine wandernde Familie in irgendeinem Hafen und mein weiteres Manuskript auf sich selbst beruhen.

Meine Freunde jedoch, die sich in so veränderte Gesinnung nicht gleich ergeben wollten, versuchten mancherlei, um frühere Gefühle durch ältere Arbeiten wieder hervorzurufen, und gaben mir „Iphigenie“ zur abendlichen Vorlesung in die Hand; das wollte mir aber gar nicht munden, dem zarten Sinn fühlt’ ich mich entfremdet; auch von andern vorgetragen, war mir ein solcher Anklang lästig. Indem aber das Stück gar blad zurückgelegt ward, schien es, als wenn man mich durch einen höheren Grad von Folter zu prüfen gedenke. Man brachte „Ödipus auf Kolonos,“ dessen erhabene Heiligkeit meinem gegen Kunst, Natur und Welt gewendeten, durch eine schreckliche Kampagne verhärteten Sinn ganz unerträglich schien; nicht hundert Zeilen hielt ich aus. Da ergab man sich denn wohl in die Gesinnung des veränderten Freundes: fehlte es doch nicht an so mancherlei Anhaltepunkten des Gesprächs.

Aus den früheren Zeiten deutscher Literatur ward manches einzelne erfreulich hervorgerufen, niemals aber drang die Unterhaltung in einen tieferen Zusammenhang, weil man Merkmale ungleicher Gesinnung vermeiden wollte.

Soll ich irgendetwas Allgemeines hier einschalten, so war es schon seit zwanzig Jahren wirklich eine merkwürdige Zeit, wo bedeutende Existenzen zusammentrafen und Menschen von einer Seite sich aneinander schlossen, obgleich von der andern höchst verschieden: jeder brachte einen hohen Begriff von sich selbst zur Gesellschaft, und man ließ sich eine wechselseitige Verehrung und Schonung gern gefallen.

Das Talent befestigte seinen erworbenen Besitz einer allgemeinen Achtung, durch gesellige Verbindungen wusste man sich zu hegen und zu fördern, die errungenen Vorteile wurden nicht mehr durch einzelne, sondern durch die übereinstimmende Mehrheit erhalten. Dass hierbei eine Art Absichtlichkeit durchwalten musste, lag in der Sache; so gut wie andere Weltkinder verstanden sie, eine gewisse Kunst in ihre Verhältnisse zu legen: man verzieh sich die Eigenheiten, eine Empfindlichkeit heilt der andern die Wage, und die wechselseitigen Missverständnisse blieben lange verborgen.

Zwischen diesem allen hatte ich einen wunderlichen Stand: mein Talent gab mir einen ehrenvollen Platz in der Gesellschaft, aber meine heftige Leidenschaft für das, was ich als wahr und naturgemäß erkannte, erlaubte sich manche gehässige Ungezogenheit gegen irgendein scheinbar falsches Streben; weswegen ich mich auch mit den Gliedern jenes Kreises zu Zeiten überwarf, ganz oder halb versöhnte, immer aber im Dünkel des Rechthabens auf meinem Weg fortging. Dabei behielt ich etwas von der Ingenuität des Voltaireschen Huronen noch im späteren Alter, so dass ich zugleich unerträglich und liebenswürdig sein konnte.

Ein Feld jedoch, in welchem man sich mit mehr Freiheit und Übereinstimmung erging, war die westliche, um nicht zu sagen französische Literatur. Jacobi, indem er seinen eigenen Weg wandelte, nahm doch Kenntnis von allem Bedeutenden, und die Nachbarschaft der Niederlande trug viel dazu bei, ihn nicht allein literarisch, sondern auch persönlich in jenen Kreis zu ziehen. Er war ein sehr wohlgestalteter Mann, von den vorteilhaftesten Gesichtszügen, von einem zwar gemessenen, aber doch höchst gefälligen Betragen, bestimmt, in jedem gebildeten Kreis zu glänzen.

Wundersam war jene Zeit, die man sich kaum wieder vergegenwärtigen könnte. Voltaire hatte wirklich die alten Bande der Menschheit aufgelöst; daher entstand in guten Köpfen eine Zweifelsucht an dem, was man sonst für würdig gehalten hatte. Wenn der Philosoph von Ferney seine ganze Bemühung dahin richtete, den Einfluss der Geistlichkeit zu midnern und zu schwächen, und hauptsächlich Europa im Auge behielt, so erstreckte de Pauw seinen Eroberungsgeist über fernere Weltteile; er wollte weder Chinesen noch Ägyptern die Ehre gönnen, die ein vieljähriges Vorurteil auf sie gehäuft hatte. Als Kanonikus von Xanten Nachbar von Düsseldorf, unterhielt er ein freundschaftliches Verhältnis mit Jacobi. Und wie mancher andere wäre nicht hier zu nennen!

Und so wollen wir doch noch Hemsterhuis einführen, welcher, der Fürstin Gallitzin ergeben, in dem benachbarten Münster viel verweilte. Dieser ging nun von seiner Seite mit Geistesverwandten auf zartere Beruhigung, auf ideelle Befriedigung aus und neigte sich, mit platonischen Gesinnungen, der Religion zu.

Bei diesen fragmentarischen Erinnerungen muss ich auch noch Diderots gedenken, des heftigen Dialektikers, der sich auch eine Zeitlang in Pempelfort als Gast sehr wohl gefiel und mit großer Freimütigkeit seine Paradoxen behauptete.

Auch waren Rousseaus und Naturzustände gerichtete Aussichten diesem Kreis nicht fremd, welcher nichts ausschloss, also auch mich nicht, ob er mich gleich eigentlich nur duldete.

Denn wie die äußere Literatur auf mich in jüngeren Jahren gewirkt, ist an mehreren Orten schon angedeutet. Fremdes konnt’ ich wohl in meinem Nutzen verwenden, aber nicht aufnehmen; deshalb ich mich denn über das Fremde mit andern ebenso wenig zu verständigen vermochte. Ebenso wunderlich sah es mit der Produktion aus: diese heilt immer gleichen Schritt mit meinem Lebensgang, und da dieser selbst für meine nächsten Freunde meist ein Geheimnis blieb, so wusste man selten mit einem meiner neuen Produkte sich zu befreunden, weil man denn doch etwas Ähnliches zu dem schon Bekannten erwartete.

War ich nun schon mit meinen sieben Brüdern übel angekommen, weil sie Schwester Iphigenie nicht im mindesten glichen, so merkt’ ich wohl, dass ich die Freunde durch meinen Groß-Cophta, der längst gedruckt war, sogar verletzt hatte; es war die Rede nicht davon, und ich hütete mich, sie darauf zu bringen. Indessen wird man mir gestehen, dass ein Autor, der in der Lage ist, seine neuesten Werke nicht vortragen oder darüber reden zu dürfen, sich so peinlich fühlen muss wie ein Komponist, der seine neusten Melodien zu wiederholen sich gehindert fühlte.

Mit meinen Naturbetrachtungen wollte es mir kaum besser glücken: die ernstliche Leidenschaft, womit ich diesem Geschäft nachhing, konnte niemand begreifen, niemand sah, wie sie aus meinem Innersten entsprang; sie hielten dieses löbliche Bestreben für einen grillenhaften Irrtum, ihrer Meinung nach konnt’ ich was Besseres tun und meinem Talent die alte Richtung lassen und geben. Sie glaubten sich hierzu um desto mehr berechtigt, als meine Denkweise sich an die ihrige nicht anschloss, vielmehr in den meisten Punkten gerade das Gegenteil aussprach. Man kann sich keinen isolierteren Menschen denken, als ich damals war und lange Zeit blieb. Der Hylozoismus, oder wie man es nennen will, dem ich anhing und dessen tiefen Grund ich in seiner Würde und Heiligkeit unberührt ließ, machte mich unempfänglich, ja unleidsam gegen jene Denkweise, die eine tote, auf welche Art es auch sei, auf- und angeregte Materie als Glaubensbekenntnis aufstellte. Ich hatte mir aus Kants Naturwissenschaft nicht entgehen lassen, dass Anziehungs- und Zurückstoßungskraft zum Wesen der Materie getrennt werden könne; daraus ging mir die Urpolarität aller Wesen getrennt werden könne; daraus ging mir die Urpolarität der Erscheinungen durchdringt und belebt.

Schon bei dem früheren Besuch der Fürstin Gallitzin mit Fürstenberg und Hemsterhuis in Weimar hatte ich dergleichen vorgebracht, ward aber, als wie mit gotteslästerlichen Reden, beiseite und zur Ruhe gewiesen.

Man kann es keinem Kreis verdenken, wenn er sich ins ich selbst abschließt, und das taten meine Freunde zu Pempelfort redlich. Von der schon ein Jahr gedruckten „Metamorphose der Pflanzen“ hatten sie wenig Kenntnis genommen, und wenn ich meine morphologischen Gedanken, so geläufig sie mir auch waren, in bester Ordnung und, wie es mir schien, bis zur kräftigsten Überzeugung vortrug, so musste ich doch leider bemerken, dass die starre Vorstellungsart, nichts könne werden, als was schon sei, sich aller Geister bemächtigt habe. In Gefolg dessen musst’ ich denn auch wieder hören, dass alles Lebendige aus dem Ei komme, worauf ich denn mit bitterem Scherz die alte Frage hervorhob: ob denn die Henne oder das Ei zuerst gewesen? Die Einschachtelungslehre schien so plausibel und, die Natur mit Bonnet zu kontemplieren, höchst erbaulich.

Von meinen „Beiträgen zur Optik“ hatte auch etwas verlautet, und ich ließ mich nicht lange bitten, die Gesellschaft mit einigen Phänomenen und Versuchen zu unterhalten, wo mir denn ganz Neues vorzubringen nicht schwer fiel: denn alle Personen, so gebildet sie auch waren, hatten das gespaltene Licht eingelernt und wollten leider das lebendige, woran sie sich erfreuten, auf jene tote Hypothese zurückgeführt wissen.

Doch ließ ich mir dergleichen eine Zeitlang gern gefallen, denn ich heilt niemals einen Vortrag, ohne dass ich dabei gewonnen hätte; gewöhnlich gingen mir unterm Sprechen neue Lichter auf, und ich erfand im Fluss der Rede am gewissesten.

Freilich konnte ich auf diese Weise nur didaktisch und dogmatisch verfahren, eine eigentlich dialektische und konversierende Gabe war mir nicht verliehen. Oft aber trat auch eine böse Gewohnheit hervor, deren ich mich anklagen muss: da mir das Gespräch, wie es gewöhnlich geführt wird, höchst langweilig war, indem nichts als beschränkte, individuelle Vorstellungsarten zur Sprache kamen, so pflegte ich den unter Menschen gewöhnlich entspringenden bornierten Streit durch gewaltsame Paradoxe aufzuregen und ans Äußerste zu führen. Dadurch war die Gesellschaft meist verletzt und in mehr als einem Sinn verdrießlich. Denn oft, um meinen Zweck zu erreichen, musst’ ich das böse Prinzip spielen, und da die Menschen gut sein und auch nicht gut haben wollten, so ließen sie es nicht durchgehen: als Ernst konnte man es nicht gelten lassen, weil es nicht gründlich, als Scherz nicht, weil es zu herb war; zuletzt nannten sie mich einen umgekehrten Heuchler und versöhnten sich bald wieder mit mir. Doch kann ich nicht leugnen, dass ich durch diese böse Manier mir manche Person entfremdet, andere zu Feinden gemacht habe.

Wie mit dem Zauberstäbchen jedoch konnte ich sogleich alle bösen Geister vertreiben, wenn ich von Italien zu erzählen anfing. Auch dahin war ich unvorbereitet, unvorsichtig gegangen; Abenteuer fehlten keineswegs, das Land selbst, seine Anmut und Herrlichkeit hatte ich mir völlig eingeprägt, mir war Gestalt, Farbe, Haltung jener vom günstigsten Himmel umschienen Landschaft noch unmittelbar gegenwärtig. Die schwachen Versuche eigenen Nachbildens hatten das Gedächtnis geschärft, ich konnte beschreiben, als wenn ich’s vor mir sähe: von belebender Staffage wimmelte es durch und durch, und so war jedermann von den lebhaft vorbei geführten Bilderzügen zufrieden, manchmal entzückt.

Wünschenswert wäre nunmehr, dass man, um die Anmut des Pempelforter Aufenthalts vollkommen darzustellen, auch die Örtlichkeit, worin dies alles vorging, klar vergegenwärtigen könnte. Ein freistehendes geräumiges Haus, in der Nachbarschaft von weitläufigen wohl gehaltenen Gärten, im Sommer ein Paradies, auch im Winter höchst erfreulich. Jeder Sonnenblick war in reinlicher, freier Umgebung genossen; abends oder bei ungünstigem Wetter zog man sich gern in die schönen großen Zimmer zurück, die, behaglich, ohne Prunk ausgestattet, eine würdige Szene jeder geistreichen Unterhaltung darboten. Ein großes Speisezimmer, zahlreicher Familie und nie fehlenden Gästen geräumig heiter und bequem, lud an eine lange Tafel, wo es nicht an wünschenswerten Speisen fehlte. Hier fand man sich zusammen, der Hauswirt immer munter und aufregend, die Schwestern wohlwollend und einsichtig, der Sohn ernst und hoffnungsvoll, die Tochter wohl gebildet, tüchtig, treuherzig und liebenswürdig, an die leider schon vorübergegangene Mutter und an die früheren Tage erinnernd, die man vor zwanzig Jahren in Frankfurt mit ihr zugebracht hatte. Heinse, mit zur Familie gehörig, verstand, Scherze jeder Art zu erwidern, es gab Abende, wo man nicht aus dem Lachen kam.

Die wenigen einsamen Stunden, die mir in diesem gastfreisten aller Häuser übrig blieben, wendete ich im Stillen an eine wunderliche Arbeit. Ich hatte während der Kampagne neben dem Tagebuch poetische Tagesbefehle, satirische Ordres du jour aufgezeichnet; nun wollte ich sie durchsehen und redigieren, allein ich bemerkte bald, dass ich, mit kurzsichtigem Dünkel, manches falsch gesehen und unrichtig beurteilt habe, und da man gegen nichts strenger ist als gegen erst abgelegte Irrtümer, es auch bedenklich schien, dergleichen Papiere irgendeinem Zufall auszusetzen, so vernichtete ich das ganze Heft in einem lebhaften Steinkohlenfeuer; worüber ich mich nun insofern betrübe, als es mir jetzt viel wert zur Einsicht in den Gang der Vorfälle und die Folge meiner Gedanken darüber sein würde.

In dem nicht weit entfernten Düsseldorf wurden fleißige Besuche gemacht bei Freunden, die zu dem Pempelforter Zirkel gehörten; auf der Galerie war die gewöhnliche Zusammenkunft. Dort ließ sich eine entschiedene Neigung für die italienische Schule spüren, man zeigte sich höchst ungerecht gegen die niederländische; freilich war der hohe Sinn der ersten anziehend, edle Gemüter hinreißend. Einst hatten wir uns lange in dem Saal des Rubens und der vorzüglichsten Niederländer aufgehalten; als wir heraustraten, hing die Himmelfahrt von Guido gerade gegenüber. Da rief einer begeistert aus: „Ist es einem nicht zumute, als wenn man aus einer Schenke in gute Gesellschaft käme!“ An meinem Teil konnt’ ich mir gefallen lassen, dass die Meister, die mich noch vor kurzem über den Alpen entzückt, sich so herrlich zeigten und leidenschaftliche Bewunderung erweckten; doch sucht’ ich mich auch mit den Niederländern bekannt zu machen, deren Tugenden und Vorzüge im höchsten Grade sich hier den Augen darstellten: ich fand mir Gewinn für ganze Leben.

Was mir aber noch mehr auffiel, war, dass ein gewisser Freiheitssinn, ein Streben nach Demokratie sich in die hohen Stände verbreitet hatte; man schien nicht zu fühlen, was alles erst zu verlieren sei, um zu irgendeiner Art zweideutigen Gewinnes zu gelangen. Lafayettes und Mirabeaus Büste, von Houdon sehr natürlich und ähnlich gebildet, sah ich hier göttlich verehrt, jenen wegen seiner ritterlichen und bürgerlichen Tugenden, diesen wegen Geisteskraft und Rednergewalt. So seltsam schwankte schon die Gesinnung der Deutschen; einige waren selbst in Paris gewesen, hatten die bedeutenden Männer reden hören, handeln sehen und waren, leider nach deutscher Art und Weise, zur Nachahmung aufgeregt worden, und das gerade zu einer Zeit, wo die Sorge für das linke Rheinufer sich in Furcht verwandelte.

Die Not schien dringend: Emigrierte füllten Düsseldorf, selbst die Brüder des Königs kamen an. Man eilte, sie zu sehen; ich traf sie auf der Galerie und erinnerte mich dabei, wie sie durchnässt bei dem Auszug aus Glorieux gesehen worden. Herr von Grimm und Frau von Bueil erschienen gleichfalls. Bei Überfüllung der Stadt hatte sie ein Apotheker aufgenommen: das Naturalienkabinett diente zum Schlafzimmer, Affen, Papageien und andres Getier belauschten den Morgenschlaf der liebenswürdigsten Dame, Muscheln und Korallen hinderten die Toilette, sich gehörig auszubreiten. Und so war das Einquartierungsübel, das wir kaum erst nach Frankreich gebracht hatten, wieder zu uns herübergeführt.

Frau von Coudenhoven, eine schöne, geistreiche Dame, sonst die Zierde des Mainzer Hofes, hatte sich auch hierher geflüchtet. Herr und Frau von Dohm kamen von deutscher Seite heran, um von den Zuständen nähere Kenntnis zu nehmen.

Frankfurt war noch von den Franzosen besetzt, die Kriegsbewegungen hatten sich zwischen die Lahn und das Taunusgebirge gezogen; bei täglich abwechselnden, bald sichern bald unsichern Nachrichten war das Gespräch lebhaft und geistreich; aber wegen streitenden Interesses und Meinungen gewährte es nicht immer eine erfreuliche Unterhaltung. Ich konnte einer so problematischen, durchaus ungewissen, dem Zufall unterworfenen Sache keinen Ernst abgewinnen und war mit meinen paradoxen Späßen mitunter aufheiternd, mitunter lästig.

So erinnerte ich mich, dass an dem Abendtisch der Frankfurter Bürger mit Ehren gedacht ward: sie sollten sich gegen Custine männlich und gut betragen haben; ihre Aufführung und Gesinnung, hieß es, steche gar sehr ab gegen die unerlaubte Weise, wie sich die Mainzer betragen und noch betrügen. Frau von Coudenhoven, in dem Enthusiasmus, der sie sehr gut kleidete, rief aus: sie gäbe viel darum, eine Frankfurter Bürgerin zu sein. Ich erwiderte: das sei etwas Leichtes; ich wisse ein Mittel, werde es aber als Geheimnis für mich behalten. Da man nun heftig und ehftiger in mich drang, erklärt’ ich zuletzt, die treffliche Dame dürfe mich nur heiraten, wodurch sie augenblicklich zur Frankfurter Bürgerin umgeschaffen werde. Allgemeines Gelächter!

Und was kam nicht alles zur Sprache! Als einst von der unglücklichen Kampagne, besonders von der Kanonade bei Valmy die Rede war, versicherte Herr von Grimm, es sei von meinem wunderlichen Ritt ins Kanonenfeuer an des Königs Tafel die Rede gewesen. Wahrscheinlich hatten die Offiziere, denen ich damals begegnete, davon gesprochen; das Resultat ging darauf hinaus, dass man sich darüber nicht wundern müsse, weil gar nicht zu berechnen sei, was man von einem seltsamen Menschen zu erwarten habe.

Auch ein sehr geschickter, geistreicher Arzt nahm teil an unsern Halbsaturnalien, und ich dachte nicht in meinem Übermut, dass ich seiner so bald bedürfen würde. Er lachte daher zu meinem Ärger laut auf, als er mich im Bett fand, wo ein gewaltiges rheumatisches Übel, das ich mir durch Verkältung zugezogen, mich beinahe unbeweglich festhielt. Er, ein Schüler des Geheimrat Hofmann, dessen tüchtige Wunderlichkeiten von Mainz und dem kurfürstlichen Hof aus bis weit hinunter den Rhein gewirkt, verfuhr sogleich mit Kampfer, welcher fast als Universalmedizin galt. Löschpapier, Kreide darauf gerieben, sodann mit Kampfer bestreut, ward äußerlich, Kampfer gleichfalls, in kleinen Dosen, innerlich angewandt. Dem sei nun, wie ihm wolle, ich war in einigen Tagen hergestellt.

Die Langeweile jedoch des Leidens ließ mich manche Betrachtung anstellen, die Schwäche, die aus einem bettlägrigen Zustand gar leicht erfolgt, ließ mich meine Lage bedenklich finden: das Fortschreiten der Franzosen in den Niederlanden war bedeutend und durch den Ruf vergrößert, man sprach täglich und stündlich von neu angekommenen Ausgewanderten.

Mein Aufenthalt im Pempelfort war schon lang genug, und ohne die herzlichste Gastfreiheit der Familie hätte jeder glauben müssen, dort lästig zu sein. Auch hatte sich mein Bleiben nur zufällig verlängert: ich erwartete täglich und stündlich meine böhmische Chaise, die ich nicht gern zurücklassen wollte; sie war von Trier schon in Koblenz angekommen und sollte von dort bald weiter herab spediert werden; da sie jedoch ausblieb, vermehrte sich die Ungeduld, die mich in den letzten Tagen ergriffen hatte. Jacobi überließ mir einen bequemen, obgleich an Eisen ziemlich schweren Reisewagen. Alles zog, wie man hörte, nach Westfalen hinein, und die Brüder des Königs wollten dort ihren Sitz aufschlagen.

Und so schied ich denn mit dem wunderlichsten Zwiespalt: die Neigung hielt mich in dem freundlichsten Kreis, der sich soeben auch höchst beunruhigt fühlte, und ich sollte die edelsten Menschen in Sorgen und Verwirrung hinter mir lassen, bei schrecklichem Weg und Wetter mich nun wieder in die wilde, wüste Welt hinauswagen, von dem Strom mit fortgezogen der unaufhaltsam eilenden Flüchtlinge, selbst mit Flüchtlingsgefühl.

Und doch hatte ich Aussicht unterwegs auf die angenehmste Einkehr, indem ich so nahe bei Münster die Fürstin Gallitzin nicht umgehen durfte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kampagne in Frankreich