Den 2. Oktober.

Wenn man sich auch mit einigem Essen und Trinken gestärkt und den Geist durch sittliche Trostgründe beschwichtigt hatte, so wechselten doch immer Hoffnung und Sorge, Verdruss und Scham in der schwankenden Seele: man freute sich, noch am Leben zu sein; unter solchen Bedingungen zu leben verwünschte man. Nachts um zwei Uhr brachen wir auf, zogen mit Vorsicht an einem Wald vorbei, kamen bei Vaux über die Stelle unseres vor kurzem verlassenen Lagers und bald an die Aisne. Hier fanden wir zwei Brücken geschlagen, die uns aufs rechte Ufer hinüberleiteten. Da verweilten wir nun zwischen beiden, die wir zugleich übersehen konnten, auf einem Sand- Und Weidenwerder, das lebhafteste Küchenfeuer sogleich besorgend. Die zartesten Linsen, die ich jemals genossen, lange, rote, schmackhafte Kartoffeln waren bald bereitet. Als aber zuletzt jene von den österreichischen Fuhrleuten aufgebrachten, bisher streng verheimlichten Schinken gar geworden, konnte man sich genugsam wieder herstellen.

Die Equipage war schon herüber; aber bald eröffnete sich ein so prächtiger als trauriger Anblick. Die Armee zog über die Brücken, Fußvolk und Artillerie, die Reiterei durch einen Furt, alle Gesichter düster, jeder Mund verschlossen, eine grässliche Empfindung mitteilend. Kamen Regimenter heran, unter denen man Bekannte, Befreundete wusste, so eilte man hin, man umarmte, man besprach sich, aber unter welchen Fragen, welchem Jammer, welcher Beschämung, nicht ohne Tränen!


Indessen freuten wir uns, so marketenderhaft eingerichtet zu sein, um Hohe wie Niedere erquicken zu können. Erst war die Trommel eines allda postierten Piketts die Tafel, dann holte man aus benachbarten Orten Stühle, Tische und machte sich’s und den verschiedenartigsten Gästen so bequem als möglich. Der Kronprinz und Prinz Louis ließen sich die Linsen schmecken, mancher General, der von weitem Rauch sah, zog sich darnach. Freilich, wie auch unser Vorrat sein mochte, was solle das unter so viele? Man musste zum zweiten und dritten Mal ansetzen, und unsere Reserve verminderte sich.

Wie nun unser Fürst gern alles mitteilte, so hielten’s auch seine Leute, und es wäre schwer, einzeln zu erzählen, wie viel der unglücklichen vorbeiziehenden Kranken durch Kämmerier und Koch erquickt wurden.

So ging es nun den ganzen Tag, und so ward mir der Rückzug nicht etwa nur durch Beispiel und Gleichnis, nein, in seiner völligen Wirklichkeit dargestellt und der Schmerz durch jede neue Uniform erneuert und vervielfältigt. Ein so grauenvolles Schauspiel sollte denn auch seiner würdig schließen: der König und sein Generalstab ritt von weiten her, hielt an der Brücke eine Zeitlang still, als wenn er sich’s noch einmal übersehen und überdenken wollte, zog dann aber am Ende den Weg aller der Seinen. Eben so erschien der Herzog von Braunschweig an der andern Brücke, zauderte und ritt herüber.

Die Nacht brach ein, windig aber trocken, und ward auf dem traurigen Weidenkreis meist schlaflos zugebracht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kampagne in Frankreich