Der Corso und ein Luftballon in der Arena

In den ersten Tagen unseres Aufenthaltes in Mailand war der Corso unsere gewohnte Abendpromenade gewesen. Es gibt drei Straßen, welche diesen Namen führen, der Corso Francese, der Corso della Porta Romana und der Corso della Porta Orientale, welcher letztere der eigentliche Corso ist.

Der Corso Orientale beginnt in der Nähe des Domes, wo die Straße zwar schon breit und stattlich ist, sich aber doch erst später in ihrer ganzen Schönheit entfaltet. Zwei Reihen Quadern als Wagengleise inmitten derselben vermindern bei den Lustfahrten den Lärm, der in anderen Städten so lästig wird. Gegen das Ende der Straße, nach dem Tore hin, liegen zur Linken die öffentlichen Gärten, welche jede größere Stadt Italiens besitzt. Sie sind nur für Fußgänger geöffnet; schöne, schattige Alleen, Grasplätze und Blumenbosketts, zwischen denen die Kinder aller Stände sicher vor Wagen und Pferden ihre fröhlichen Spiele treiben. Außerhalb des Tores fängt eine dreifache mächtige Allee an, welche sich von der Porta Orientale nach der Porta Nuova zieht und in der die Mailänder schöne Welt in den reichsten Equipagen ihre Abendfahrten macht.


Alle Verhältnisse der Gesellschaft in Italien sind aus dem Bedürfnis eines Volkes hervorgegangen, das ursprünglich gesellig ist und sich seit Jahrhunderten einer feinen ausgebildeten Geselligkeit erfreut. Die Engländer, welche ihren Mittag einsam in einem verschlossenen Closet zu verzehren lieben, hätten nie aus ihren Opernhäusern einen Salon gemacht wie die Italiener und nie die Corsofahrten erfunden in der Weise, in welcher sie in Italien üblich sind. Auch bei ihren Spazierfahrten verlangen die Italiener die Freuden der Geselligkeit mehr als den Genuß der Natur. Jeder Corso hat einen Punkt, wo die Wagen halten, die Reiter herankommen und wo man eine Weile plaudert, ehe man wieder eine Tour hin- und herfährt, um die Unterhaltung auf dem Ruheplatze nach kurzer Zeit aufs neue zu beginnen. An diesen Stellen finden sich die Blumenverkäuferinnen ein, und durch die Galanterie der Männer wandert der reizende Inhalt der Blumenkörbe in die Hände der Damen. Fast alle, Männer und Frauen, tragen kleinere und größere Sträuße im Knopfloch oder in den Händen, und nirgend habe ich eine reichere Blumenpracht entfaltet gesehen als in den Cascinen vor dem Tore in Florenz, wo die Corsofahrten stattfinden.

Die Aussicht zwischen der Porta Orientale und der Porta Nuova in Mailand ist überraschend schön. Zur Linken die Stadt mit ihren Kirchen und Türmen und aus ihnen hervorragend, wie eine schlanke, gelbliche Aloe aus niederem Gesträuch, der Dom in seiner hellen, zierlichen und doch so imposanten Schönheit; zur Rechten in sanften, bläulichen Wellenlinien die fernen Gebirge. Wenn wir stundenlang dem Auf- und Niederfahren der vierfachen Wagenreihe zwischen den beiden Toren zugesehen hatten, wenn diese endlich in die Stadt zurückkehrten, um noch ein paarmal innerhalb derselben den Corso Orientale entlangzufahren, dann ward es still und erquickend in dem Schatten der schönen Alleen. Einzelne Fußgänger zogen dann an uns vorüber, die Lichter in den Häusern der Stadt fingen zu schimmern an, und oben am Himmel breiteten sich die Tausende von Lichtern aus, zu denen die Seele sehnsüchtig emporblickt, wenn ihrem Erdenleben keine Sterne leuchten.

Nach solcher Stille und Naturfeier hat es dann fast etwas Schmerzliches, in das Geräusch und das Treiben einer großen Stadt zurückzukehren. Der Natur, Gott gegenüber hat jeder das Bewußtsein des eigenen, selbständigen, in sich berechtigten Wesens, das sich selbst und seinen Leiden und Freuden eine Wichtigkeit zugesteht, wie die zur Gesellschaft vereinte Menschheit sich nicht gelten läßt. Man fühlt sich eingeengt, gehemmt, gestört durch die andern; man müßte sie fürchten und fliehen, wenn es uns nicht zu ihnen zöge, sie zu lieben. Ihr Frohsinn würde verletzen, wenn man egoistisch genug wäre, ihnen die Freude am Leben zu mißgönnen, und so stumpf, nicht selbst von ihr ergriffen zu werden.

Und allerdings ist die heimkehrende Wagenreihe auf dem Corso ein heiteres Bild. Vor den hellerleuchteten Kaffeehäusern sitzen unter Zelttüchern Männer und Frauen, ihr Eis zu verzehren, während die vornehme Welt in ihren Equipagen davor hält und sich das Eis in die Wagen reichen läßt. Hier nun beginnt die Unterhaltung aufs neue. Die Männer treten an die Wagen heran, und manches Bukett, das aus männlicher Hand auf der Spazierfahrt in eine weibliche überging, wanderte jetzt, wenn auch nicht immer, in dieselbe Männerhand zurück.

Am buntesten aber und am fröhlichsten sieht es in der Galerie Cristoforo aus. Das ist eine lange, mit Glas verdeckte Galerie zur linken Seite des Corso Orientale, in der sich zu ebener Erde Laden an Laden, Café an Café befindet. Über denselben sitzen hübsche Ladenmädchen und Putzarbeiterinnen an den kleinen Fenstern des Entresol und sehen denn doch bisweilen von ihrer Arbeit hinab auf die Menschenmenge, welche da unten sich bewegt. Man nimmt sowohl in den Zimmern, welche an die Galerie stoßen, als in dieser selbst seinen Kaffee, seine Schokolade, sein Eis ein. Nur wenig Personen habe ich im ganzen mit Zeitungen und Journalen beschäftigt gesehen. Die Mehrzahl der Männer rauchte und schwatzte, es war eben das süße Nichtstun, das dolce far niente der Italiener.

Mir war der Corso lieb geworden, und nur auf Zureden meiner Freunde entschloß ich mich, ihn an einem Sonntag zu versäumen, um das Steigen eines Luftballons in der Arena zu sehen.

Durch das Netz der kleinen, sich unregelmäßig durchkreuzenden Straßen im Mittelpunkte der Stadt, die in sonntäglicher Stille von den Einwohnern verlassen dalagen, gelangten wir in das Freie und durch Gartenanlagen an das alte Kastell. Es liegt mit seinen mittelalterlichen Mauern und Türmen auf der der Stadt zugewendeten Seite der Piazza d'Armi. Am anderen Ende dieses großen, viereckigen Exerzierplatzes befindet sich das prächtige Triumphtor, der Arco della Pace, den, wie schon gesagt, Napoleon zu bauen anfing, als er die Simplonstraße vollendet sah; indes ward es erst zur Krönung des jetzigen Kaisers von Österreich beendet und eingeweiht.

Eine dichtgedrängte Menschenmasse hatte den Platz eingenommen, und man fühlte, obgleich alles um uns her italienisch sprach, dennoch, daß man Deutschland noch nicht allzufern sei, wenn man die Bier- und Bratwürstelverkäufer zwischen den Trauben und Pfirsich ausrufenden Leuten erblickte. Auffallend groß war selbst für uns Preußen die Anzahl des Militärs, das hier zum Vergnügen umherwanderte. Die Garnison der Stadt muß sehr bedeutend sein.

Die Arena ist auf der linken Seite der Piazza d'Armi. Ein schönes, mit roten Granitsäulen geschmücktes Haus bildet den Eingang. Wie im Theater muß man auch hier zwei Billette lösen, und es gibt außerdem Plätze, welche sich das Governo zu verteilen vorbehält. Fremden wird der Zutritt zu diesen mit Leichtigkeit gewährt. Ich habe aber, obgleich wir sie innehatten, nicht begreifen können, worin ihr Vorzug eigentlich besteht, da in einer ovalen Arena man notwendig überall gut sehen muß. Das einzige Angenehme kann man darin finden, daß sie der Eingangstüre in die Säle des Hauses zunächst liegen und den Eintritt in diese möglich machen, der wohl dem übrigen Publikum nicht gestattet sein mag.

Die Arena, 700 Fuß lang und 300 Fuß breit, kann auf den steinernen Sitzreihen, welche sich amphitheatralisch übereinander erheben, 30 000 Zuschauer fassen und für nautische Spiele unter Wasser gesetzt werden. Heute nun war es auf ein Schauspiel in der Luft, auf einen Luftballon abgesehen.

In reichsten und geschmackvollsten Toiletten saßen die Männer und Frauen der vornehmen Gesellschaft auf den mit Polstern belegten Sitzreihen der Arena. Hier fiel mir zuerst die große Menge schöner Männer und Frauen auf; doch scheint mir, als ob in Mailand die Schönheit mehr ein Eigentum der höhere Stände als des Volkes sei, während in Rom das Gegenteil auffallend hervortritt.

Der hellste blaue Himmel war über der Arena ausgebreitet, und Akazien und Zypressen, welche aus der Ferne herüberragten, ließen es keinen Augenblick vergessen, in welchem Lande man sei. Der Luftschiffer in seiner schwanken, an Tauen gehaltenen Gondel, ein hübscher, junger Mann, wurde rund durch die ganze Arena getragen. Er verteilte Buketts und Gedichte, welche er nach allen Seiten hinauswarf, und ward dafür mit donnerndem Händeklatschen, mit lebhaftem, ermutigendem Zuruf begrüßt.

Endlich brachte man ihn nach dem Mittelpunkte zurück, ließ die haltenden Stricke los, und leicht und sicher stieg das Schiff in die Höhe. Man bekam Lust, sich der Fahrt zuzugesellen, denn wie ein stilles, tiefblaues, unendliches Meer sah der Himmel aus, und wie es hinablockt, in kühle Wellen zu tauchen, so zog es fast unwiderstehlich empor, den sonnendurchleuchteten, blauen Äther zu durchschiffen.

Als der Ballon sich über das Eintrittshaus erhoben hatte, begrüßte ihn der Jubel des Volkes auf der Piazza d'Armi, welches kostenfrei dasselbe Schauspiel genoß, für das wir hingekommen waren. Der Ballon bewegte sich vom Winde getragen über die Piazza d'Armi fort, und wir eilten in das Haus, ihn und das Volk zu betrachten, bis der Ballon unserem Auge entschwand und man in die Arena zurückkehrte, das Feuerwerk zu sehen, das am hellen, lichten Tage abgebrannt wurde. Dies hat einen eigentümlichen Reiz.

Zuerst stiegen wohl mehr als zwanzig Ballons empor. Eben nur leere Ballons, ohne Gondel, von Papier oder Zeug gemacht, in denen durch Feuer die Luft so weit verdünnt wird, daß sie rastlos emporschweben, bis sie verbrennen und niederfallen. Diese Ballons fehlen bei keinem größeren Volksfeste in Italien. Sie sehen hübsch aus, wenn sie hoch und höher aufsteigen, wenn die Flamme dann sichtbar wird in der Luft und man, die gewisse Zerstörung des Ballons vor Augen, mit einer wirklichen Spannung es abwartet, wie lange das leichte Gestell der mächtigen Flamme Widerstand leisten werde. Ich habe immer Mitleid gehabt mit den armen Ballons, die die Flamme so hoch hinaufträgt, um sie zu verderben, und nur das hat mich getröstet, daß auch die Flamme erlöschen muß, wenn sie den kleinen Ballon vernichtet hat. Es ist mehr Gerechtigkeit in den Elementen und in der Natur als in den Menschen.

Den Ballons folgten Raketen, Schwärmer und alles das, was eben ein Feuerwerk bildet. Dazu spielten drei Chöre Militärmusik miteinander abwechselnd italienische Opernmelodien, und das Publikum klatschte jedem gelungenen Feuerrade, jeder zerplatzenden Leuchtkugel ein lebhaftes Bravo. Unter dem Beifallsjauchzen, das ein brennender Tempel erregte, verließen wir die Arena, um das Gedränge zu vermeiden, und beschlossen den Abend wie gewöhnlich in der Galerie Cristoforo.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Italienisches Bilderbuch