Impfung auf der Straße in Paris

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1894
Autor: O. M., Erscheinungsjahr: 1894

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Impfen, Impfzwang, Schutzpockenimpfung, Impflokale, Impfstoff, Schulen, Krankenhäuser, Kasernen, Pockenepidemie, Medizinalbehörden, Gesellschaft, Straßenimpfung, Sanitätswagen,
In Frankreich gibt es keinen Impfzwang, wie bei uns, und so sind die Ärzte darauf angewiesen, durch mündliche und schriftliche Agitation die Leute für die Vornahme der Schutzpockenimpfung zu gewinnen. Bei den Gebildeten geht das leicht, besonders in Paris, aber der Mittelstand und die unteren Klassen kümmern sich aus Bequemlichkeit und Nachlässigkeit nicht um die Impfung, obwohl es genug durch Zeitungsanzeigen und Zettel an den betreffenden Häusern kenntlich gemachte Impflokale in Paris gibt.

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In Schulen, Krankenhäusern, Kasernen wird unentgeltlich zu verschiedenen Tagesstunden geimpft. Aber es ist dem leichtlebigen Pariser Volke schon zu umständlich, solch ein Lokal aufzusuchen, und ein großer Teil der Pariser bleibt daher ungeimpft.

In den Jahren 1870—1871, dann 1880—1881 brachen in Paris ernstliche Pockenepidemien aus, die viele Opfer forderten. Diese Ereignisse riefen die Aufmerksamkeit der Medizinalbehörden wach und wirkten als ernste Mahnung auf die Bevölkerung.

Um nun das Impfen für Jeden so leicht und bequem wie möglich zu machen, verfiel die Pariser Gesellschaft für öffentliche Hilfeleistung auf den Gedanken, Straßenimpfungen einzurichten, und heute steht dieses Unternehmen in voller Blüte. Tausende werden durch dies Institut sozusagen im Vorübergehen geimpft. Zu gewissen Zeiten sieht man in Paris eigentümlich eingerichtete, halb offene Sanitätswagen, an die hinten eine junge Kuh angebunden ist, langsam durch die Straßen fahren; diesen Wagen entsteigen einige würdig aussehende Männer, stellen sich an irgendeinem belebten Straßenpunkt auf, holen ihre Impfbestecke mit der Lanzette hervor, entnehmen direkt von der Kuh die Lymphe, und das Impfgeschäft beginnt.

Alsbald sieht man Mütter, welche die Arme ihrer Kinder entblößen, Männer und Frauen, die ihre Hemdärmel abstreifen und herantreten. Alle werden sofort auf der Straße geimpft. Niemand geniert sich, die Einrichtung ist allbekannt und populär geworden. Viele Hunderte bieten im Laufe des Tages ihre Arme der leichten Operation dar, in zwei Minuten kann man wieder in den Ärmelschlüpfen und geht geimpft seines Weges weiter.

Das ist eine echt Pariser Einrichtung, ein so recht charakteristischer Zug ungenierten Pariser Straßenlebens, und unser Bild auf S. 224 nach einer an Ort und Stelle aufgenommenen Photographie veranschaulicht uns in lebendiger Weise einen solchen Vorgang.

Impfung auf der Straße in Paris

Impfung auf der Straße in Paris

Impfung auf der Straße in Paris_

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Impfung auf der Straße in Paris__

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