Portraits der königlichen Familie

• Der König
• Der Prinz von Oranien
• Der Prinz Friedrich der Niederlande
• Die Königin
• Die Prinzessin von Oranien

Der König.


Nicht liebenswürdiger habe ich den alten würdigen König gesehen, als an dem Tage, wo seine Söhne, der Prinz von Oranien und der Prinz Friedrich nach Beendigung des kurzen und glücklichen Feldzuges, unter dem Jubel einer Volksmenge, die vor Enthusiasmus außer sich war, in den Haag ihren Einzug hielten. Ich stand vor dem Thor, wo man die Prinzen erwartete, mitten in einem Volksgedränge, das sich wimmelnd durch alle Straßen, welche der Zug berühren sollte, nach dem königlichen Schlosse hinzog. Da reitet der König, rief ein Mädchen neben mir, das ist der König, wo ist der König, wiederholten mehrere Stimmen in der Nachbarschaft; jedoch, die Erscheinung des Monarchen ward nur von sehr Wenigen, wie es schien, bemerkt und er ritt, nachdem er sich umhergeschaut, bald wieder weg. Aber welche Freude glänzte aus seinen Augen, als er umherschaute und die gespannte und fröhliche Unruhe einer Menge wahrnahm, die vor Ungeduld brannte, seine Söhne und vornämlich den Aeltesten zu begrüßen, ihn, der ihm bisher so viel Kummer gemacht, der noch vor einem Monat außer aller Volksgunst war und nun, mit Lorbeeren gekrönt, als Liebling eben dieses Volkes, als „Rächer von Hollands Nationalehre“ triumphirend in seine Arme zurückkehrte. Sein an sich gutmüthiges aber ernstes Gesicht drückte die Freude selbst aus, kein Zug von königischem oder väterlichem Stolz, nicht die kleinste Falte als Zeichen der Bemerkung, daß man in diesem Jubel gar nicht auf ihn achte, noch weniger die geheimste Spur von der Verlegenheit eines Monarchen, der eine Kränkung persönlichen Ehrgeizes zu verbergen sucht, wenn er über einen andern – und Ehrgeitzigen ist selbst der Sohn ein Anderer – sich für den Augenblick in Schatten gestellt sieht, nichts von alledem, nur die reinste Freude, die froheste Selbstvergessenheit, deren das väterliche Herz in solchem Augenblicke fähig. Niemals, wie gesagt, ist mir der würdige Greis liebenswürdiger erschienen.

Er war schon als Prinz ein sehr liebenswürdiger Mann, gefällig von Aeußerm, gutmüthig, heiter und in gesellschaftlicher Unterhaltung so natürlich, frisch und belebt, als sein Vater, der letzte Statthalter, schüchtern, steif und wunderlich gewesen sein soll. Auch hat sein Gesicht wenig Aehnlichkeit mit dem seines Papa’s, das so ziemlich einem ausgestopften Käfer ähnelte. Mit den Jahren ist freilich auch Wilhelm der Erste sehr beleibt geworden, und mir fällt dabei ein, daß dies der Fall war bei allen nassauischen Statthaltern aus der frisischen Linie, aus wel cher der König stammt; wogegen die vier Oranier von Wilhelm dem Ersten bis auf Wilhelm den Zweiten, diese beiden hauptsächlich, nur dünn und mager waren. Fett und Gemüthsruhe pflanzen sich oft in der Familie fort, wie das Gegentheil; vielleicht aber trug auch der Umstand zu dieser Erscheinung bei, daß die ersten Oranier ehrgeizig Strebende, die Letzten gemächlich Besitzende waren.

Die Unruhen von Belgien und der Abfall dieses Landes haben das Gemüth des Königs um so mehr gegen die Belgier erbittert, je weniger er sich anfangs überzeugen konnte, daß er persönlich von der belgischen Nation nicht geliebt, geschweige daß er gehaßt werde. In der That herrscht nur eine Stimme darüber, daß der König gleich von Anfang seiner Regierung den Handel, die Künste und Fabriken Belgiens mit besonderer Vorliebe begünstigte und zu keiner Zeit sich populairer, freundlicher und freigebiger zeigte, als wenn er seinen Hofsitz zu Brüssel aufgeschlagen hatte. So gab er z.B., wenn ich nicht irre, 80,000 Gulden für das französische Theater in Brüssel her und nur zehn oder funfzehntausend für das französische im Haag. Man hat eine Gallerie von Scenen in Steindruck, in welcher seine fast täglichen jovialen oder wohlthätigen Begegnisse mit Bürgersleuten auf den Straßen und Spatziergängen in Brüssel dargestellt sind. Ludwig der Achtzehnte war sehr ärgerlich über diese Zuthulichkeit mit der Canaille; mein Bruder, der König von Holland, wirft sich weg, sagte er. Großen Dank freilich hat der König nicht geerntet. Allein erstens muß man die Menschen und zweitens die Belgier nehmen wie sie sind, und dann außerdem die Frage aufwerfen, hat der König nicht mit dem besten Willen Mißgriffe gemacht, die seine Feinde, die Pfaffen, benutzen konnten, um das Andenken seiner Wohlthaten und seiner Gunstbeweise in den Gemüthern des Volks damit auszulöschen. Die königlichsten Gunstbeweise ersetzen nicht die Klugheit, Vorsicht und strenge Gesetzlichkeit, womit ein Mann auf solchem Posten vor allen Dingen handeln muß. Auch Ludwig der Sechzehnte und Karl der Zehnte (den Gott für die Sünden der Könige um seinen Thron decimiren ließ) waren gute freundliche und bis zu der Zeit, wo die beiden Revolutionen ausbrachen, persönlich unter den Parisern beliebte Monarchen. Der Leser wird verstehen, daß mir das Aergerniß vor Augen schwebt, das van Maanen den Brüsselern und der reformirte König der katholischen Geistlichkeit von Belgien gab. Der König legte das philosophische Collegium an, und beging damit denselben Regentenfehler, der den Kaiser Joseph um die Niederlande zu bringen drohte. Der König und seine Räthe und Minister, sie hätten zunächst bedenken sollen, daß eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, daß aber zur Sommers zeit Schwalben genug anziehen, oder, mit andern Worten und ohne Bild, daß einer und der andere junge katholische Priester, im philosophischen Seminar gebildet, den religiösen und sittlichen Zustand der ganzen Nation noch nicht umzugestalten fähig gewesen, daß aber nach vorsichtiger Lichtentfaltung auf den Schulen und Universitäten, in Schriften und öffentlichen Blättern und mehr als Alles das auf jenen tausend unsichtbaren Wegen, auf welchen der Zeitgeist in die niedrigste Strohhütte und die dümmste Bauernseele sich wundersam verbreitet, daß die bessere und aufgeklärtere Zeit auch aufgeklärtere Männer in den Beichtstuhl und auf die Kanzel gebracht hätte. Außerdem aber bedachte Wilhelm zu wenig, daß schon der Name philosophisches Collegium den stock-katholischen Belgiern klingt, wie Teufelscollegium, da ihnen Philosophie nichts Aergeres bedeutet, als Freigeisterei und Gottlosigkeit. Das philosophische Collegium ist aber nicht der einzige Mißgriff in geistlichen Sachen, den der König sich zu Schulden kommen ließ, er zeigte überhaupt in dieser Rücksicht zu wenig Schonung, zu wenig Zartsinn, zu wenig Vorsicht. Er und seine Holländer thaten zu protestantisch bedauerlich mit den „armen – in katholischer Finsterniß liegenden Belgiern.“ Es schien, sie konnten vor Ungeduld im Aufklären kaum die Zeit und den Tag erwarten, an dem der düstre Schatten, der in der That die Stirn des Brabanters faustdick zu bedecken scheint, von ihm wich. Es ist wahr, der Belgier ist ungeachtet der Julitage von 1830, in die er sich durch einen Sprung versetzen zu wollen schien, so unglücklich, drei Jahrhunderte in der Geschichte zurück zu sein. Ihre Leiber sind stark und gewandt, ihre Schultern breit, ihre Stirn wie von Eisen, aber hinter dieser Stirn liegt die Verdumpfung eines Geistes, den so lange Zeit hindurch kein neuer Wind der Lehre aufgerüttelt hat, und in ihrer Brust ängstigt sich ein Herz; das in eben so langer Zeit durch kein hohes Gefühl, keine frische That mit Mannesmuth und kecker Lebenslust erfüllt wurde. Ihre Vorfahren, die gegen Spanien unterlagen, haben durch das, was sie thaten und litten, sich in der Geschichte selbst über diesen Unfall vor Gott und Menschen verantwortet. Sie tragen die Schuld nicht, daß ihre Nachkommen so sind, wie sie sind; eben so wenig aber diese, daß ihre Väter freiere, herzhaftere und glücklichere Menschen waren. Es ist wahr, der Freund der Freiheit muß sich gegenwärtig ihrer schämen, wie der Freund der Humanität es bedauern muß, daß in so gesegnetem Lande so viel Unsegen, bei so von der Natur begünstigten Menschen so viel Geistes-und Genußunfähigkeit sich eingeschlichen hat. Es ist wahr, der Belgier Verstand ist bedeckt und finster, aber, und das hätte sich der König bedenken sollen, eben deswegen ist er auch argwöhnischer, kleinlicher und empfindlicher, wenn es ihm scheint, daß Jemand ihn für das hält, was er ist und zu sein dunkel ahnt. Es müßte ihm aber nicht blos scheinen und schimmern, daß der Holländer, ihm sonst in so vielen Stücken und selbst in der äußeren Erscheinung untergeordnet, ihn in Betreff der Religion und Aufklärung vom hohen Pferd betrachtete, sondern er konnte es verblümt und offen in Zeitungen und Blättern, die von der Regierung besonders begünstigt waren, täglich lesen, daß Mönche und Pfaffen seinen Verstand im Meßsacke hätten.

Genug davon. Tielemans und de Potter theilten sich bekanntlich in den Inhalt dieses Sackes, und machten mit der Geistlichkeit gemeinschaftliche Sache. Ihr gedruckter Proceß ist bekannt, er wirft ein ziemlich helles Licht in die Umtriebe der Zeit, zugleich aber einen nicht undeutlichen Schatten auf des Königs Benehmen in politischer Hinsicht. Was Tielemans, de Potter und andere belgische Revolutionaire von der Regierung damals verlangten und erwarteten, war billig und wird nach Verlauf einiger Jahre den treugebliebenen Holländern buchstäblich gewährt werden müssen. Daß Tielemans, de Potter und die Andern sich in Intriguen einließen, sogar mit den Pfaffen einen jesuitischen Bund schlossen, bin ich weit entfernt, zu loben. Daß aber die vorsätzliche Halsstarrigkeit der holländischen Deputirten, an der jeder Vorschlag, der aus dem Munde eines Belgiers kam, verabredeter Maßen scheiterte, daß insbesondere die Felsentaubheit der Regierung, von der man mit Bestimmtheit wußte, daß sie alle Bitten und Vorschläge zur Genehmigung einer Constitution gänzlich überhören würde, daß diese beiden Umstände die Verschwörung, wenn man sie damals so nennen konnte, herbeiführten; ja, daß sie in Verbindung mit dem Verhaßtsein des Justizministers, die wahren und nächsten Ursachen des Abfalls der belgischen Provinzen waren, das, glaube ich, wird jeder unbefangene Leser aus dem erwähnten interessanten Briefwechsel mit großen Buchstaben herauslesen.

So wenig also der König, vor seinem Gewissen, alle Schuld ausschließlich auf die Belgier werfen und sie des schwärzesten Undanks und Verraths beschuldigen kann, so wenig ändert dies doch meine Gefühle von Beileid, die ich seinem Alter, seiner moralischen Würde und seiner Gutmüthigkeit beim Verlust seines geliebten Belgiens, eines der beiden Hauptjuwelen aus seiner Krone schuldig zu sein glaube. Möchte ein Tacitus, an meiner Stelle, den König Wilhelm geschildert haben, wie er wollte – und nach der Schulrede eines deutschen Professors, worin derselbe absolut beweisen will, Tacitus habe die Freiheit eben nur darin gesetzt, daß man ruhig unter einem absoluten Fürsten lebe, hätte Tacitus wohl noch einige glänzen dere und breitere Lorbeerblätter um des absoluten Königs von Holland Stirn geflochten – ich habe keinen Ehrentitel für ihn hingeschrieben, den ich ihm nicht für voll gelten lasse. Sein ältester Sohn, denn von der Königin nachher,

Der Prinz von Oranien

ist, seinem Aeußern nach, ein kleiner, schmächtiger Mann von zierlicher Taille, der aber immer noch Hoffnung hat, wenn er älter wird, gleich seinem Vater und seinen Vorfahren, wohlbeleibt und fett zu werden. Sein Kopf ist schon ziemlich kahl, aber sein Backenbart und vor Allem sein lebhaftes Auge und rothes, frisches, freundliches Gesicht lassen dies, wenn man ihn in Gesellschaften sieht, leicht vergessen und übersehen. Sein Mund ist groß, ich möchte sagen, preußisch, aber er spricht geläufig, rasch und eben so soldatisch ungezwungen, wie er sich benimmt. Er ist ein Freund der Geselligkeit, liebt eine gute Tafel, französische Weine, englische Pferde, die er immer Galopp reitet und die schönen Frauenzimmer aller Nationen. Doch in diesem Punkt scheint er in der neuesten Zeit ernsthafter geworden zu sein; man sagt, daß er gegenwärtig seiner Frau treu ist und mit ihr im besten Verständnisse lebt. Er mag überhaupt nach den letzten Schicksalen, die ihn, seinen Vater und das Kö nigreich betrafen, zu dessen künftigem Herrscher ihn das Loos der Erstgeburt erkoren hat, sinniger, nachdenklicher und zurückgezogener geworden sein, als er es vor Zeiten war. Die Schritte, die er that, um sich an die Spitze der belgischen Revolution zu schwingen, sind so auffallend, als bekannt. Der Bruch mit seinem Vater, mit der holländischen Nation war unvermeidlich. Er verbannte sich, als seine Versuche sich zum König von Belgien zu machen, Versuche, bei welchen er sich mehr erniedrigte, als man hätte von seinem edlen und offenen Charakter erwarten sollen, am wegstoßenden Hohn der Belgier völlig scheiterten, unter diplomatischem Vorwande nach London, wo ihn sein Freund und Beschützer, der Herzog von Wellington, unter dem er in Spanien und bei Quatrebras gefochten, frischen Muth einsprach und ihm mit Freundesrath an die Hand ging. Ob der Feldzugsplan, den er nach seiner Rückkehr so rasch und überraschend gegen die zerstreuten belgischen Truppen ausführte, von Wellington, von ihm, oder einem Dritten herrührt, vermag ich nicht zu entscheiden. Der preußische Oberst Scharnhorst, den ich darüber befragte und der selbst, aber fälschlich, wie er öffentlich versichert hat, für den Verfasser gehalten wurde, wollte mit Bestimmtheit wissen, daß dem Prinzen ausschließlich sowohl Entwurf als Ausführung angehörten. Eben so unentschieden bleibt es mir, ob der Feldzug aus den in dem bekannten Kriegsmanifeste angegebenen Ursachen, oder nur deswegen von der Regierung und dem Könige beschlossen wurde, um dem Prinzen von Oranien Gelegenheit zu geben, sich wiederum mit der holländischen Nation zu versöhnen. Letzteres halte ich freilich für wahrscheinlich. Auf jeden Fall ist ihm dies geglückt. Dieselben Bürger, die sich zur Zeit seiner Rückkehr aus England vorgesetzt hatten, ihn nicht zu grüßen (obgleich sie doch immer den Hut vor ihm abnahmen, nur nicht so tief) sie lieben und bewundern ihn jetzt, nach so wohlfeil gepflückten Lorbeeren, als den Helden von Niederland und würdigen Enkel des großen Nassauers.

Der Prinz Friedrich der Niederlande.

Er sieht seinem Bruder schon im Aeußern wenig ähnlich und ist ihm sonst in Allem entgegengesetzt, nur nicht in persönlichem Muth und gutmüthigem Charakter. Er ist blaß, hager und mager, und zwar von der Art, die wenig Hoffnung läßt. Er sieht ernsthaft nüchtern aus, ist auch von ernsthafter und bedächtiger Natur und weit weniger unternehmend und lebenslustig, als sein Bruder. Glücklicher Gatte, sparsamer Haushalter, fleißiger Arbeiter (er sitzt von Morgens früh bis Abends spät in den Collegien, denen er präsidirt) genießt er die allgemeinste Achtung, obgleich im geringern Grad die Liebe der Nation. Der Prinz von Oranien wäre ein König für die Belgier, der Prinz Friedrich ein König für die Holländer gewesen.

Die Königin.

Die Königin ist lang, blaß, schmal, eine hängende, leidende Gestalt von unendlicher Güte, die den strengen Ausdruck ihrer Gesichtszüge, in den Augen eines Jeden, der sie eine Weile betrachtet, in Milde, Zärtlichkeit und Wehmuth auflöst. Sie ist bekanntlich eine Schwester des Königs von Preußen, und man möchte sagen, sie trägt den Schmerz der preußischen Monarchie nach der Jenaer Schlacht noch immer auf ihrem Gesicht. – Ihre Schwiegertochter

Die Prinzessin von Oranien

ist eine liebenswürdige ernste Gestalt, auf deren schneeweißer Stirn sittliche Ruhe und Heiterkeit thronten. Schlank, üppig und wenn auch nicht schön, doch sehr gefällig und reizend, dabei von blendender Haut stellt sie sich sehr würdig als Großfürstin von Rußland dar. Ihre und des Prinzen Kinder, fünf oder sechs an der Zahl, sind gesund, liebenswürdig, ohne Ausnahme von gutmüthigem Gesicht und schön ge wachsen, wie sie selber.

Die ganze Familie, Großvater, Großmutter, die Prinzen Wilhelm und Friedrich mit ihren Gemahlinnen und Kindern, die Prinzessin Marianne, einzige Tochter, an den Prinzen Albert von Preußen verheirathet, sind auf einem Steindruck versammelt, der ein Familienzimmer darstellt. Ich sah dies Stück oft vor den Fenstern der Buchladen im Haag und Betrachter in Menge, die auf die einzelnen Personen mit Fingern deuteten und ihre Namen nannten. Vom kleinsten Jungen wissen die Haager den Namen, wie sie bei dessen Geburtstag den ganzen Tag mit den Glocken läuten. Die Haager sind dafür bekannt, daß sie immer am lautsten: Oranje boven! schrieen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Erster Theil