Naivitäten

Närrisches Volk das! Bin ich in Rotterdam, laufe umher, sehe den Tag über, was zu sehen ist, den Erasmus auf dem Markt, der in Erz gegossen, obgleich er nur ein pappener Kerl war, der Hafen, der von Schiffen wimmelt, die breiten schönen Canäle, die hohen festen Häuser, die Straßen, die hoch liegen, weil sie über Canälen erbaut sind, die Kaffeehäuser, wo die Holländer an kleinen Tischen herumsitzen und sich mit Dampf beschießen, die geschmackvolle Börse mit ihrer transparenten Uhr – der Weiser leuchtete auf halbelf, als ich aus der Stadt am Ufer der Maas entlang ging, um mich von der Hitze des Tages in kühler Nachtluft zu erfrischen. Das Wasser ladet mich ein zum Baden, der Mond flimmert über die Wellen und ich monde mich wie ein Fisch, indem ich ruhig ausgestreckt im Wasser liege, die Augen zumache, die Füße ein wenig heraushalte und nur leise unter mir mit den Händen wiegle. Auf einmal höre ich Fußtritte herankommen. Eine Weiberstimme ruft mir zu: „guden Avend mijn Heer.“ – Ich antworte nicht und sehe nicht hin – „Guden Avend mijn Heer, het Waater is seekerlijk lekker.“ – Ih rühre mich nicht und antworte nicht. – „Mijn Heer, hu laat is het wel?“ – Ich sage nichts. – „Muder,“ flüsterte eine ängstliche Kinder stimme, „mijn Heer is dood.“ „Bin je dood, mijn Heer?“ rief das Weib mir zu, indem sie näher an das Ufer trat; „mijn Heer, as ü belieft, bin je dood? bin je dood, mijn Heer, as ü belieft?“ Ich mußte laut auflachen. Hat der Gugguk je so etwas gesehn, einen Menschen, den man für todt hält, zu fragen, ob er todt ist, wenn’s gefällig.

Ein andermal wanderte ich arglos in den Straßen von Amsterdam. Ich ging eben über eine Brücke, als mir ein tückischer Stiefelwichser hinterrücks mit der Bürste in die Stiefel fuhr, mein Bein festhielt und schrie, „as ü belieft mijn Heer ü Laarsen s’ choon te maken,“ was so viel sagen will, als: beliebt es, mein Herr, daß ich Ihre Stiefeln blank mache. Stiefelwichser und Gurkenverkäufer sieht man in Amsterdam auf Schritt und Tritt, sie machen nebst den Juden einen Haupttheil der Amsterdamer Bevölkerung aus. Ich habe hinterher jeden Stiefelwichser als meinen persönlichen Feind aufs Korn genommen, und alle erdenkliche Vorsicht angewandt, um den Nachstellungen dieser Leute zu entgehen. Dennoch erwischte mich ein Teufelskerl bei meinem zweiten Besuch in Amsterdam, als ich ahnungslos das thun wollte, was Rubens seinen Ganymedes in der Luft verrichten läßt.


In naturalibus gerirt man sich in Holland äußerst zwanglos, ja es gibt in diesem Punct in allen holländischen Städten musterhafte öffentliche Anstalten, deren man sich mit privilegirter Unverschämtheit bedient. Die Freiheit ist eine der ältesten Privilegien der Niederlande, im Norden sowohl, wie im Süden. Die Brüsseler haben dieselbe sogar personificirt in der Person ihres berühmten Mannekepis. Dieser ist ein kleines Puppenkerlchen, vor Aller Augen auf der Straße in der Nische eines Bürgerhauses aufgestellt, besitzt verschiedene Klaidungsstücke, welche ihm die Weiber aus dem Volk an solchen Tagen anziehen, wo er fungirt, das heißt, wo er, nicht wie der heilige Januarius in Neapel Blut, sondern Wasser, mitunter sogar Wein laufen läßt.

Das sind unschuldige Sachen. Weniger unschuldig, obgleich nicht weniger niederländisch naiv ist der Umgang beider Geschlechter. Ein Fremder, der davon hört, begreift kaum, daß die holländischen Städte nicht mehr uneheliche Kinder auf die Geburtsliste bringen. Von den Waffelmädchen spreche ich gar nicht, obgleich, wer den Holländer nicht in der Waffelbude gesehen hat, eine Hauptscene aus der Gallerie des holländischen Volkslebens nicht kennt. Ich spreche auch nicht von den Kirmissen und überhaupt nicht von der untersten Volksclasse, sondern vom Mittelstande und den ehrbaren Leuten, die einen eigenen Stuhl in der Kirche haben und einen blankgebonerten Klingelzug vor ihrer Hausthür. Ich befand mich freilich niemals in ihren Gesellschaften und kann daher nicht als Augenzeuge berichten, allein ein deutscher in Holland ansässiger Kaufmann, von dem ich weiß, daß er nie ein Wort zu wenig oder zu viel sagte, hat mir ein Bild von denselben entworfen, das ich nicht in jedem Zuge genau wiedergeben kann, da er seine eigene Frau damit wegjagte. Anfangs – das ist das Wesentliche – geht es ziemlich langweilig und ehrbar unter den Gästen her. Dann setzt man sich zu Tisch, es kommen die Weinbouteillen oder der Punschnapf, die Gäste erheitern sich, es laufen derbe Scherze herum (hier fehlen die Citate), die jungen Mädchen setzen sich den jungen Männern auf den Schooß oder sträuben sich nicht lange, wenn sie herbeigezogen werden, Mund und Hände sind nicht faul, das trinkt, scherzt, küßt, wagt, preßt so frei, derb und unbefangen in Gegenwart der Mütter und kleinen Schwesterchen, als säße es Paar für Paar in einsamem Mondschein oder im luftigen Stübchen einer Waffelbude hinter zugezogenen Gardinen.

„Sie begreifen, mein Herr,“ sagte der Kaufmann, „dies sind Freiheiten, die in jedem andern Lande sehr ernsthafte Folgen haben würden. Allein zum Glück für die Ruhe der Mädchen bleiben die Männer zuletzt noch vernünftiger, als sie selbst. Es sind gesetzte Schäker, die Holländer, sie greifen das Capital nicht an, sie leben von den Interessen. Die Mädchen beklagen sich sogar nicht selten über ihre Kälte, ihr steifes Wesen, vor Allem, wenn sie Clauren und andere deutsche oder französische Romanenschriftsteller gelesen. Sie wollen dann auch ein wenig à la Mimili geliebt sein, allein ihre Schäfer verstehn sich nicht weder dazu noch darauf. Nur ein einziges Mal habe ich die Carricatur eines schmachtenden holländischen Jünglings gesehen.“

Die Erzählung des Kaufmanns ergötzte mich, ich machte einige scherzhafte Bemerkungen und mir muß auf der Straße noch der Scherz aus den Augen gesehen haben, denn ein niedliches Waffelmädchen, das mir begegnete und Waffeln auf dem Teller trug, fragte mich mit schelmischem Blick, ob mir etwas besonders an ihr gefiele. Von einem holländischen Mädchen auf der Straße freundlich angelacht und im Vorbeigehen mit einem Scherzwort begrüßt zu werden, das begegnet jungen Leuten so gewöhnlich, daß es mir nur in den ersten Tagen, aber nicht späterhin auffiel. Das gehört zu den liebenswürdigen Naivetäten dieser schlittschuhlaufenden Kinder.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Erster Theil