Der Haag und seine Merkwürdigkeiten

Man stellt sich den Haag gemeiniglich vor als einen Verein prächtiger Landsitze des Hofes, der Diplomaten und holländischen Großen; allein der Haag ist eine ordentliche Stadt und Hofstadt, nur von holländischem Aussehen. Was ihn von andern Städten im Lande unterscheidet, sind die Paläste des Königs und der beiden Prinzen, das alte Schloß der Grafen von Holland, späterhin von den Statthaltern bewohnt, und drei schöne Baumgänge, die auf der Seite mit schönen Häusern bepflanzt, in rechten Winkeln zusammenstoßen. Im Uebrigen der gewöhnliche Anblick, ein Graben rings um die Stadt, Canäle, verschlossene Häuser, klein und groß, gut und schlecht, wunderliche Schornsteine, hohe Unterfenster und Hausfluren, Winkelspiegel und herabgelassene Vorhänge vom Keller bis unter das Dach. Dabei ist es eine offene Stadt, in so fern der Haag keine Thore hat und zum Theil über den Stadtgraben hinaus erweitert ist, über welchen Brücken führen.

Erst in diesem Jahrhunderte hat der Haag den Namen einer Stadt erhalten, bis dahin war es ein Dorf, das aber Guiccardini schon im sechzehnten Jahrhundert das größte und schönste Dorf von Europa nannte. Der älteste Theil des Ortes ist ohne Frage der Raum, der das alte Schloß umgibt und vornämlich dieses selbst. In frühester Zeit hauseten die Grafen von Holland im benachbarten Dorfe Gravesand, das in den Dünen liegt und noch einige Ruinen aus jener Zeit aufzuweisen hat. Der Haag, holländisch s’Gravenhage, der Grafen Hag oder Gehäge, diente ihnen Anfangs als Jagdschloß, etwas später aber, als beständiger Wohnsitz, den sie von Zeit zu Zeit durch neue Gebäude erweiterten und für ihren Hofhalt bequemer und wohnlicher machten, wobei sie weder auf Pracht ausgingen, noch auf die Simmetrie der verschiedenen Theile große Rücksicht nahmen. Wie diese Gebäude jetzt dem Beschauer vorliegen, gewähren sie, besonders in mondlicher Beleuchtung, einen ehrwürdigen und alterthümlichen Anblick, der in einem Lande, wie Holland, um so mehr auffällt, als die gothischen Ueberbleibsel der Baukunst hier so selten sind, wie in Deutschland häufig. An einer Seite spiegelt sich das Schloß in einem Bassin oder Teich, in dem Schwäne rudern und in dessen Mitte eine kleine Insel mit Acazien und andern Gesträuchen sich erhebt. Eigentlich ist dieser Teich ein zum Bassin erweiterter kleiner Fluß, der einige Stunden weit aus den Dünen herquillt und nur an dieser Stelle sichtbar wird; er hat das Merkwürdige, daß er durch Kunst unter der Stadt weggeführt ist und bei seinem Eintritt sogar unter einem Canal durchläuft, eine Seltsamkeit, die man chem Ausländer, der sich Jahre lang im Haag aufhält, selbst manchem Einwohner der Stadt nicht bekannt wird. In einem Theile des Schlosses halten die Generalstaaten ihre Sitzungen, ein geräumiger, neuausgebauter Saal, mit auf beiden Seiten in die Höhe führenden Stufen, worauf die Mijnheers Deputirte sich niederlassen; in entgegengesetzter Richtung der grüne Tisch des Präsidenten auf der einen, und der Thron des Königs auf der andern Seite. Ich habe den Sitzungen mehrmals beigewohnt, was mich beim ersten Eintritt in Erstaunen setzte, war der kleine Raum, den der Baumeister für die Zuschauer ausgesetzt hat, zwei Gallerien, in deren einer kaum zehn Menschen Platz finden, ohne sich die Arme wund zu reiben. Der Hof hingegen und das diplomatische Corps haben elegante und hinlänglich geräumige Seitenlogen, die mit rothen Vorhängen versehen sind. Ich habe Donker Kurtius und mehrere Deputirte der zweiten Kammer gehört; die Meisten lasen ab, die aber einen freien Vortrag hielten, sprachen ohne Anstoß, ohne Zeichen der Verlegenheit, laut und bündig, obgleich für das Gehör nichts weniger als anmuthig, da sie, wie auch die holländischen Kanzelredner und tragischen Schauspieler thun, ihre ohnehin mißtönende, dumpfe Gurgelsprache durch schleppende Betonung und heiseres Organ noch unangenehmer machen. Was sie sagen, ist aber meistens wohlbedacht, redlich ernst gemeint, lichtvoll geordnet und in landüblichen Phrasen ehrenfest und verständlich ausgedrückt. Eine Bemerkung: der holländische Deputirte hat den großen Vortheil, daß er lange sprechen kann, ohne zu langweilen, und eben so lange zuhören, ohne daß ihm langweilig zu Muthe wird. Langeweile ist nämlich eine Pein, die der Holländer selten aussteht, gerade nicht, weil er beschäftigter ist, als andere Leute; es gibt im Gegentheil in keinem Lande so viele Nichtsthuer, Leute, die von ihren Renten leben u.s.w.; sondern weil es gar nicht in seiner Natur liegt, sich zu langweilen, weil er eher die Leere im Magen, als die Leere im Kopfe fühlt, und keine Phantasie hat, die eine laufende Beschäftigung verlangt. Von eigentlicher Beredtsamkeit der Tribüne kann nun wohl in Holland kaum die Rede sein, besonders nachdem die belgischen Deputirten abgetreten sind, welche durch ihre größere Lebhaftigkeit, ihre Opposition, ihre politischen Intriguen den Verhandlungen der Kammer einigen Sauerteig beisetzten und rednerisches Interesse gaben, vor allem, wenn, wie dies abwechselnd geschah, die Redner sich der französischen Sprache bedienten. Donker Kurtius, dieser Deputirte, der beim Ausbruch der Unruhen in Brüssel zuerst den langgenährten Haß seiner Landsleute gegen die Belgier zu hellen Flammen anblies und die Maßregeln gegen Brüssel, die so schmählig verunglückten, hauptsächlich mit betrieben hat, ist der beste Redner der Kammer; sein leidenschaftlicher Haß gegen die südlichen Provinzen hat ihm manche feurige Rede eingegeben, worüber die Wände des Saals, wenn sie Ohren gehabt, sicherlich ihr Erstaunen gezeigt hätten. Gegenwärtig aber ist der Saal leerer und ruhiger geworden und der Zuhörer mag sich stundenlang von der Gallerie herabbücken, ohne eine Blume der Beredtsamkeit zu erhaschen, oder nur einen Geistfunken in der Luft fliegen zu sehen. Man sieht auch nicht ein, wozu den holländischen Deputirten die Beredtsamkeit gegenwärtig nutz ist. Da nämlich die Mijnheers eins sind, da die Opposition ein-und untergegangen ist in die Meinung des Ministeriums, da die Kammer immer Geld hat, wenn der Minister etwas verlangt und nie die Hand zumacht, wenn der Minister die seine ausstreckt, kurz, da die Kammer sich fest entschlossen hat, durchaus keine disharmonische Saite im Innern anzuschlagen, so lange die Harmonie nach außen nicht hergestellt ist, so würde die Beredtsamkeit, diese Stimmgabel der Köpfe und Herzen auf der holländische Tribüne eine ganz überflüssige Rolle spielen. Sie braucht sogar nicht einmal so viele Worte zu machen, wie sie wirklich thut, denn, wie Tacitus in seinem Dialog von den Rednern sagt: quid opus est longis in senatu sententiis, cum optimi (optimates) cito consentiant.


Ueberdies besteht die zweite Kammer dem größten Theil nach aus dem aristokratischen Element reicher Mijnheers, auf deren Wahl, nach den bestehenden Wahlgesetzen, die Regierung bedeutenden Einfluß übt. So lange die jetzigen Wahlgesetze fortbestehen, wird nicht leicht irgend eine Absicht des Ministeriums in den Kammern scheitern und die Constitution wird hier, wie anderswo, nur das geduldige Saiteninstrument sein, worauf die souveraine Gewalt ihre Volkslieder setzt und spielt. Selbst die Staaten-General des vorigen Jahrhunderts, unter den letzten Statthaltern, gewährten kein freieres und stolzeres Bild, sie hatten den starren unabhängigen Selbstwillen der alten Aristokratie der Laune des Hofes zum Opfer gebracht, waren Thon in der Hand des Töpfers, oder mit einem holländischen Bilde zu sprechen, fetter Käse, worauf die Sonne scheint. Nur bis zum Utrechter Frieden sind sie die wahrhaft hochmögenden Herren, und nur bis zu dieser Zeit trugen die Sitzungen, die sie in diesem Schlosse hielten, das Gepräge der Erhabenheit, das die repräsentirte Machtfülle eines starken und unternehmenden Volks auszeichnet. Das sind die Erinnerungen, die das alte Schloß für die Geschichte denkwürdig machen, angerechnet von jenem Augenblicke, als aus dessen Mauern der Fehdehandschuh dem König von Spanien und beider Indien hingeworfen und von Seiten der vereinigten nördlichen Provinzen die Unabhängigkeitserklärung erlas sen wurde, ein volles Jahrhundert hindurch, in welchem der hohe steinerne Audienzsaal, ringsumher behangen und verziert mit eroberten spanischen Fahnen und Standarten, die Gesandten aller europäischen Mächte, türkische selbst und persische, feierlich aufnahm und der Senat der Mijnheers-Könige über Krieg und Frieden, Bündnisse und Hülfsleistungen entschied. Tempi passati. Wie erstaunt und ungläubig würden die alten Herren mit Ringelkragen, Degen und goldener Kette in den Versammlungssaal der heutigen Lieben Getreuen hineinstarren, unter die besternten Wilhelmsritter, die unterthänig ehrfürchtige Blicke nach dem Baldachin seiner Majestät, souverainen Königs der Niederlande, richten.

Wenden wir uns also, wie die Zeit und die Macht, von diesem abgestandenen alten Schlosse nach dem neuen, nach der Königsburg. Machen wir den Weg dahin in Gesellschaft. Wir wandern zunächst über den inneren, mit düstern Arcaden umgebenen Schloßhof, eilig der Treppe am Thurm vorüber, auf welchem das Glücksrad der Lotterie sich dreht und unter welchem Oldenbarnevelds blutiges Haupt sich kreiselte. In der Schloßcapelle murmelt ein katholischer Priester eine Seelenmesse, die Dortrechter Synode würde sich noch im Grabe umkehren, wenn sie es hörte. Wir gehen durch ein Thor, darüber das holländische Wappen in Stein; mit ein paar Schritten sind wir der Brücke ent lang und gewahren zur Linken einen Palast, den die Leute Prinz-Moritz-Haus nennen, weil derselbe für jenen abenteuerlichen Helden von Brasilien erbaut und eingerichtet ward. Gegenwärtig befindet sich darin die Gemäldegallerie und das Kunstmuseum des Königs, erstere im obern, letzteres im untern Stock. Von der Gemäldegallerie wird noch öfter die Rede sein. Das Kunst- und Seltsamkeiten-Cabinet ist angefüllt mit den auserlesenen und kostbaren Gegenständen aus China und Japan, den Inseln der Südsee und des indischen Meers, Persien, Indien, Afrika und Amerika. Den Schluß macht eine Sammlung holländischer Alterthümlichkeiten, die manche historisch bekannte Person durch eine symbolische Reliquie lebhaft ins Gedächtniß rufen. Altbatavische indeß sind keine, oder doch nur zweifelhafte darunter. Die großartigste Erinnerung ruht ohne Zweifel auf dem Commandostab des großen de Ruyter, er hat den Namen der sieben vereinigten Provinzen auf der Themse, wie auf dem Tajo, im Gebraus der Wogen und Donner der Kanonen zuerst in Achtung gesetzt und mehr als alle Commandostäbe der Prinzen von Nassau zusammengenommen die batavische Republik geschützt und auferbaut. Nicht weit von ihm liegt der blutige durchlöcherte Wams, das der Stifter der Republik am 10. Juli 1584 trug, als er durch Balthasar Gerards im Prinzenhof zu Delft meuchlings erschossen ward. Da neben liegen die großen rostigen Pistolen und das elende Stückchen Blei, das den größten Mann seiner Zeit in der Mitte seiner Laufbahn und hochliegenden Pläne hinwegraffte. – Setzen wir uns aber nicht auf jenen Armstuhl, so sehr uns auch die Gegenwart solcher Erinnerungen erschüttern mag, der gefangene Oldenbarneveld saß darauf und erhob sich nur von ihm, um aus dem Gefängniß nach jenem Platz zu wanken, wo des ermordeten Wilhelms leiblicher Bruder ihn durch den Scharfrichter ermorden ließ. Balthasar Gerards ward von Pferden jämmerlich zerrissen – er wollte nicht auseinander – er war eben so zäh an Leib, wie an Seele – den Prinzen Moritz zerriß das Volk beinah vor Liebe und Enthusiasmus, das niederträchtige Volk, das in allen Ländern sich ähnlich sieht, wie ein faules Ei dem andern.

In frischer Luft verfliegen die fatalen Gedanken. Wir treten in eine dreifache Allee, die Kaiser Karl der Fünfte anlegen ließ. Es ist die Frage – und das ist wieder ein fataler Gedanke – ob Karl in den gesammten Niederlanden nur so viel Bäume gepflanzt, als er Köpfe hat abschlagen lassen. Die Zahl der unter ihm enthaupteten, verbrannten und verjagten Ketzer beläuft sich, wie man sagt, auf hunderttausend. Alba brachte es nur auf achtzehntausend, dennoch haben er und sein Herr, Philipp der Zweite, in den Niederlanden sich weit verhaßter gemacht, als Karl der Fünfte. Warum? Karl der Fünfte, obgleich er den Unterkiefer von einem Haifische hatte, sah menschenfreundlicher aus und betrug sich populärer, als sein Sohn Philipp, der übrigens weit ehrlicher war, und unter andern nicht die Frechheit hatte, junge Bäume in den Niederlanden zu pflanzen. Und doch wollte ich es diesem Karl willig verzeihen, daß er als Spanier auf die Sprache der Menschlichkeit sich eben so schlecht verstand, wie auf die deutsche Sprache, hätte er nur den Schrei der deutschen Bauern besser verstanden und sich ihrer Sensen und Mistgabeln bedient, um die summa papavera im deutschen Lande abzumähen. Zur Zeit des Bauernkrieges fehlte Deutschland nur ein Ludwig XI.

Vorüber ist vorüber. Besehen wir jenen Palast, der uns auf dem Wege liegt, ein Hercules mit der Keule steht über dem Portal und contrastirt ein wenig mit der goldenen Inschrift: königliche Bibliothek. Ich kann derselben nicht erwähnen, ohne zugleich die Artigkeit der angestellten Beamten zu rühmen. Als einen der Bibliothekare lernte ich zu Anfang meines Aufenthaltes im Haag den bekannten Professor Ernst Münch kennen, er hat sehr viel geschrieben und wird noch sehr viel schreiben. Eigentlich war er vom König in die Niederlande berufen, um an der Universität Löwen geschichtliche Vorträge zu halten und in Verbindung mit den Lehrern des philosophischen Colle giums die Fackel protestantischer Aufklärung in die belgisch-katholische Finsterniß zu werfen, woran ihn auch nichts verhinderte, als der Widerwille der Studenten, die ihn nicht hören wollten und bald darauf der belgische Aufstand. Sein College, der Oberbibliothekar, ist ein alter Mann mit geistlich würdigem Gesicht und Anstand, wirklich auch Priester und regelmäßig die Messe lesend. Seine gelehrte Bildung verdankt er einem Jesuiten-Collegium in Frankreich, von wo er zur Zeit der Revolution nach Holland flüchtete. Als alter Franzose hat er keine Idee von deutscher Literatur, als katholischer Geistlicher keine Idee von protestantischer, als perennirender Emigrant keine Idee von neuer Literatur überhaupt. Ich konnte bemerken, daß er und Münch nicht besonders gut mit einander malten. Der alte silberhaarige Jesuitenzögling schien dem protestantischen Professor seine politisch-liberale Schriftstellerei, dieser ihm unwissende Verachtung der neuen Geschichte vorzuwerfen. Münch fühlte sich daher in dieser Stellung eben nicht sehr behaglich und nahm in der Folge gern den Ruf nach Stuttgart an. Und so sieht man aus diesem Beispiel, daß selbst in der stillen Halle einer Bibliothek, im weltentlegenen einsamen Heiligthum der Wissenschaft bis zwieträchtige Zeit einherwandelt und Collegen, Bibliothekaren, Gelehrten, denen die Welt in früherer Zeit nur einen großen Unterschied zu betrach ten darbot, den von gebundenen und ungebundenen Büchern, das tägliche Zusammenleben mit einander widerwärtig, ja unerträglich macht.

Die Bibliothek ist sehr ansehnlich, enthält insbesondere eine fast vollständige Sammlung von Büchern, Broschüren und Handschriften, die zur Landesgeschichte gehören.

Sie enthält zugleich das Cabinet der Medaillen und geschnittenen Steine des Königs. Ich machte dessen Bekanntschaft erst im letzten Winter, wo ich denn bei fast täglichem Besuch nicht selten in Nebel, Regen, Schnee und Schmutz vor der Thür anlangte und schnell, nach Ablegung meines Mantels und einem Druck der Thürklinke mich an die Wärmeregion des Ofens und in den schönern ewigen Frühling der südlichen Kunst himmlisch behaglich hineinwarf. Verstohlene glückliche Stunden, die ich hier unter den Kameen und Intaglios der alten Griechen und R?mer zubrachte. O diese Alten, die nie veralten, wie sie im Kleinsten das Größte, im zehnten, zwanzigsten Theil einer Spanne das Weltgeheimniß der Schönheit zu enthüllen Kunst und Genie besaßen. Solche „mehr als Juwelen und Perlen“ muß man gesehen und mehr als gesehen haben, um zu begreifen, welchen Schatz im Sinne des Alterthums Polykrates, Tyrann von Samos, in die Fluthen warf, als er, um die neidischen Götter mit seinem Glück zu versöhnen, von allen Schätzen, die er besaß, nur seines Siegelrings mit köstlichem Stein sich entäußerte.

Das haager Cabinet ist freilich nicht so reich, wie das pariser, allein, und darauf kommt es an, es besitzt einige Steine von so seltener Schönheit, daß es mir unmöglich scheint, als könnte irgend ein anderes Cabinet dieser Art, auch das reichste in der Welt, einen intensiv höhern Kunstgenuß gewähren. Namentlich fand und bewunderte ich solche in jenem Theil der Sammlung, der eine Zeit lang im Besitz unseres Goethe war, und von ihm, wie man sich erinnern wird, im fünften Theil von „Dichtung und Wahrheit aus meinem Leben“ so anmuthig und geschmackvoll, als umständlich und unterrichtend weiter beschrieben worden. Diese kleine aber kostbare Sammlung hat interessante Schicksale gehabt. Friedrich Hemsterhuis, dem sie ihre Entstehung verdankt, machte der Fürstin Gallitzin, seiner vieljährigen Freundin, damit ein Geschenk, diese stand sie für einige Zeit an Goethe ab, worauf dieselbe, von Goethens Händen geordnet, mit der Tochter der Fürstin Gallitzin, einem kleinen deutschen Fürsten zu Theil ward, der sie zuletzt an den reichen König von Holland verkaufte. Goethe hat diese seine Lieblingssammlung, durch welche er zuerst in das Studium der geschnittenen Steine, dieser verkleinerten Bildsäulen vom Markte zu Rom und Athen, eingeführt wurde, auch späterhin nicht aus den Augen verloren, wie er’s überhaupt nicht machte mit Dingen und Personen, die ihn einmal auf seinem Lebensgange förderlich waren. In „Kunst und Alterthum“ 4r Band. 1s Heft, machte er ihre Vereinigung mit dem Cabinet des Königs von Holland bekannt und als dieser, sein zweiter königlicher Freund und Verehrer in Holland, ihm die Beschreibung des Cabinets (notice sur le cabinet des médailles et des pierres gravées de sa Maj. le roi des Pays-bas, mit späteren Supplementen) zusandte, verfehlte er nicht, dies im selbigen Blatt, 3s Heft, mit Betrachtungen über die Geschichte des königl. Cabinets dankbarlich anzuzeigen.

Goethe ist gestorben, ach wär’ er jetzt erst geboren. Goethe, ein Kind unserer Zeit, welche eiserne Hand würde er aus der Wiege strecken.

Ausgeleuchtet hat die Sonne seines Jahrhunderts, das schöne griechische Kunst- und Südlicht, das Winckelmann am deutschen Himmel heraufführte; es ist verflogen, wie sein Widerspiel, das kalte Fouqueische Nordlicht und wie der romantische Mondschein der Schlegelianer und Tieckianer, der, Gott weiß, in welcher alten deutschen Burg- und Klosterruine steckt und verwittert. Wer aber führt uns wie Winckelmann die Sonne des neuen Jahrhunderts am deutschen Himmel herauf, wer ist der Sonnengott des neuen Tages, der, gleich Goethe, im goldenen Sonnenwagen sitzt und die schnaubenden Rosse spielend bändigt? Hähne genug, die den Tag ankrähen, die auf dem faulen Mist des Eigendünkels dem alten Tage und der untergegangenen Sonne spöttisch nachkrähen. Häute genug, die fröstelt und schauert, Nasen genug, die Morgenluft wittern, Spreu genug, die im Morgenwinde, im französischen, umherfliegt. – Und über den greisen Sonnengott des vorigen Jahrhunderts sind sie hergefallen, haben ihm, als er unten am Horizont in die blassen noch im Sterben schönen Abendwolken hinabfuhr, Koth in den Wagen geworfen. Die Elenden! Mißgönnten sie ihm sein behagliches Ende, hatte sie so wenig Achtung vor seinen silbernen Haaren, so wenig Mitleid mit dem, vor dem sie Ehrfurcht fühlen sollten? Oder wie konnten sie dem Greise anmuthen, seine Natur zu verwandeln, sich, sein langes Leben, sein Jahrhundert zu verläugnen, die Jugend gegen das Alter zum Streit zu führen, sich einen neuen Begriff vom Volk und deutschen Philistern zu machen, die schöne einheitliche Kunstform seines Lebens zu zerschlagen und auf ihre Art und Weise aufs neue die Massen zu bearbeiten? Und welche Massen? Wo war, wo ist denn das deutsche Volk, das einen Dichter, wie Goethe, aus der Sphäre der Weltpoesie gegenwärtig und mächtig in seinen Kreis zu bannen vermocht, wo wuchsen die Thaten, die einen Dichter (wie ihn) begeistern, wo grünten die Kränze, die eine Schläfe, wie die seinige zieren sollten? Verdenkt man es ihm, daß er nicht, wie Klopstock, erhabene Bardieten, prahlende Herrmannsschlachten sang, oder keine Gleim’schen Grenadierlieder oder keine Arndt’schen Vater-Blücherlieder dichtete. Glaubt ihr, daß Goethe ein Dichter war, dem erhabene Leere, nüchterner Phantasierausch, negative Begeisterung zusagte. Wähnt ihr, daß er seine Unsterblichkeit an Windeierlegen vergeuden sollte. Und was glaubt ihr, und wäre der alte Goethe 1830 in des alten Lafayette’s Haut gefahren und hätte im Taumel der jungen Freiheit seine unsterbliche Leier am Apoll von Belvedere zerschmettert, und hätte mit vor Alter und Freude zitternder Hand Deutschlands Reichsfahne aufgepflanzt auf die Zinne des großherzoglichen Schlosses zu Weimar, worin er so oft Thee getrunken, und hätte gerufen, herbei, ihr Deutschen, herbei! und hätte gefleht und beschworen, herbei, ihr Enkel Herrmanns, herbei! und hätte mit steigender Angst, wie das wahnsinnige Klärchen in den Gassen von Brüssel, zu den Waffen, ihr Leute, herbei, ihr Bürger! gerufen – was, denkt ihr, was hätten ihm die Spieß- und Pfahlbürger von Hamburg und Frankfurt, von Wien und Berlin dazu gethan und geantwortet, und wie viele glaubt ihr wohl, wie viele Enkel Herrmanns hätten sich unterwegs an den Bajonetten der Preußen und Oestreicher aufgerannt?

Ach! –

Verlassen wir, lieber Leser, einen Ort, der mir theils an sich, theils durch seine Erinnerungen an Goethe theuer geworden. – Wir treten wieder in die Allee, deren Ausgang gegenüber der wohnliche und sehr bescheidene Palast des Prinzen von Oranien steht. Von da gelangen wir durch eine schmale Gasse in eine der neuern Hauptgassen des Haags, die auf die Dünen und den Schevelinger Baumweg führt. Mitten unter gewöhnlichen Bürgerhäusern, mit denen es nach vorn Mauer an Mauer zusammenhängt, ragen die Flügel des königlichen Palastes hervor, gleichsam als wollten sie ihre ältern bürgerlichen Nachbarn aus den Zeiten der Republik durch diese zutrauliche Stellung mit sich aussöhnen. Von der hintern Gartenseite fällt der Palast besser ins Auge. Er mag immer unter den Werken der neuern Baukunst in Holland, nächst dem Stadthause zu Amsterdam, die erste Stelle verlangen; was denn freilich nicht viel bedeutet, da das Baugenie der Holländer zu keiner Zeit eine ästhetische Richtung genommen, sondern sich, zum praktischen Zweck, an Schleußen und Schiffen eher als an Häusern, Kirchen und Palästen dargethan hat. Vergebens wird man sich in den holländischen Städten nach „einem erhabenen Gedanken des Michael Angelo“ oder nach einem schönen Denkmal sogenannter gothischer Baukunst umsehen. Wer das Stadthaus von Amsterdam, auf kurze Zeit für den Aufenthalt des guten Louis Bona parte zur Residenz eingerichtet, und den Dom von Utrecht in Augenschein genommen, dem bleibt in beiderlei Gattung von Gebäuden nichts zu sehen übrig. Kehren wir aber zum königlichen Palast zurück. Ein paar Schütter gehn davor auf und ab. Der König liebt es, sich von seinen Bürgern bewachen zu lassen. Eine hohe und weite Säulenhalle nimmt den untern Raum des Mittelgebäudes ein, Wände und Fußböden von Marmor. Wenigere Lakaiengesichter und goldbetreßte Nichtsthuer sieht man hier auf den Treppen und in den Vorzimmern, als in den Residenzschlössern kleiner deutscher Fürsten. Die Prunkzimmer, vor allen der Salon, sind glänzend, die Wohnzimmer des Königs und der Königin weniger prachtvoll, als gemüthlich, wie es Beider Art und Natur mit sich bringt. Nichts kann einfacher und heimlicher sein, als das Arbeitszimmer der Monarchin. Rings an der Wand hangen die Bildnisse ihrer Kinder. Angefangene Zeichnungen, Stickereien, Bücher liegen hier und da auf den Tischen, und schlägt man eins von denselben auf, so wird man den Goethe oder sonst ein deutsches Buch finden. Eben so anmuthigen Eindruck machen die geschmackvollen Wohnzimmer, in denen die königliche Familie sich vereinigt.

Unter den Gemälden, welche die Wände des großen Familienzimmers bedecken, ist mir über dem Sopha eine raphaclische Madonna von überseliger Schönheit aufgefallen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Holland in den Jahren 1831 und 1832 Erster Theil