Einleitung

Was jeder Mensch ist und sein kann, ist und muss auch Zweck des menschlichen Geschlechts, wie der Wissenschaft sein, beide vereint tragen in ihrem Schoße alle köstlichen Gaben, alle Größe und Kraft, alles Licht und Heil. Auf Wissenschaft begründete Gesetze sind auch immer menschliche Gesetze in edlerem Sinne; dahingegen zeigen sich auf Meinungen begründete meist als unmenschliche und höchst gefährliche.

Durch die eigentlichen individuellen Anlagen, Wertigkeiten, Kräfte, Neigungen, Naturbestimmungen wirkt das Schicksal; an diese sind die menschlichen Fäden aller wichtigen Ereignisse und Begebenheiten der Menschheit geknüpft, und darum ist und bleibt das Studium des Menschen und der Menschheit immer das Erste und Wichtigste und die Beziehungen aller anderen treffen in ihm, wie in einem Brennpunkte zusammen. Natur und Geschichte sind die große Schule der Menschenkinder.


Die Geschichte straft die Sünden wider die Natur ? und die Natur die Sünden wider die Geschichte.

Man muss für jede Wahrheit, wo ihr Gefahr droht kämpfen, und man muss sie im Garten Gottes pflegen, weil sonst an ihrer Stelle notwendig Wahn und Lügen, des Teufels Saat, und die Geißeln des Menschengeschlechts treten.

Die Wahrheit muss man durch Gründe mühsam erforschen und erwerben; aber Wahn steckt plötzlich und gleichsam epidemisch an. Nationalwahn ist ein furchtbarer Name. Er ist das Panier der Verführer und Mörder der Menschheit und des Menschlichen. Er wandelt nicht nur des Menschen Denken, nein auch seine innersten Menschen-Gefühle völlig um! So sehen wir durch Wahn und Aberglauben verführte Menschen fast möchte man sagen jubelnd ihre Mitmenschen durch eingeweihte Henker auf die überall geheiligten Mordplätze führen!

Ein Wahnwort im Munde der Kirche hat diese Scheiterhaufen, von denen ich reden will, angezündet! Ein Wahnwort hat diese Verheerungen angerichtet, diese Morde als Heil verkündet, diesen Fluch als Segen gepredigt und diese Hunderttausende Mitmenschen verschlungen!

In den Zeiten des Wahns heißt der Nichtmitwähnende stets ein Gewissenloser, und dieses immer um so mehr, als er ein Gewissenhafter ist. Ein Frecher und ein Freigeist heißt er ? und das feindselige, abergläubige, boshafte und zu aller Unmenschlichkeit verführte und abgeirrte Gemüt darf nur seine Rechnung, seine niedrigen Interessen, seine boshafte Freude im Verderben unschuldiger, ihm aber unangenehmer Mitmenschen finden, sie in den Verdacht des Verbrechens, der Hexerei, des Verkehrs mit dem Teufel, ritueller Kindermorde und wie dergleichen Wahnworte sonst heißen mögen, bringen ? und der Unglücklichen Ansehen, Ehre, Achtung, Wohlstand ist untergraben. Ihre Ruhe, Freiheit, Eigentum, Vaterland, alles, alles ist auf das fürchterlichste Spiel gesetzt!

Ganze Staaten, Provinzen und einzelne Städte feierten und feiern noch - mit Recht und Nutzen, zur Ermunterung, Belehrung und Erhebung der Volker Erinnerungsfeste an Edles und Nützliches, an Großtaten, die einst in ihrer Mitte geschahen oder sich begründeten; und gleich wohltätig ist es dem einzelnen Menschen, sich eigener reiner Handlungen von Zeit zu Zeit erinnern zu können, aber noch wohltätiger, noch heilsamer ist ihm das bittere, beschämende Gefühl der Erinnerung an unwiderruflich geschehene Gräueltaten und an Verirrungen des menschlichen Geistes, wie sie die vergangenen Jahrhunderte gezeitigt haben.

Und da denke ich, wenn ich die Menschen meiner eigenen Zeit mit ihren verschiedenen Wahnideen sich brüsten und auf ihren Mitmenschen herumtreten sehe, wie so gut und heilsam es wäre, wenn die Volker gemeinsame, öffentliche Völkertage hätten, an denen die Verirrungen, die Schmach- und Gräueltaten und die Wahnideen ihrer Väter ihnen lebendig vorgetragen würden.

Auf den schimpflichen Trümmern gestürzten Wahns und enthüllter Volkergräuel Feste der Menschlichkeit und Feste eines wissenschaftlichen Glaubens in wehmütig heiligem Ernste zu feiern ? das wäre erhaben.

In diesem Sinne ist das folgende entstanden, mag es nun auch in solch hehrem Sinne Früchte zeitigen!!
Der Verfasser.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hexenprozess und Glauben, Pfaffen und Teufel