Der Hansische Geschichtsverein. Wilhelm Mantels
Am 24. Mai 1870 veranstaltete die Stadt Stralsund eine einfach bürgerliche Gedächtnisfeier des vor 500 Jahren in ihren Mauern geschlossenen denkwürdigen Friedens, der den Sieg der Hansestädte über König Waldemar IV. von Dänemark bestätigte und ein Ausgangspunkt für die unbestrittene Herrschaft der Hanse in den nordischen Meeren ward. Auf die Einladung der rügisch-pommerschen Abteilung der Gesellschaft für pommersche Geschichte hatten sich zu dem städtischen Feste auch Vertreter der Geschichtsvereine der noch bestehenden drei Hansestädte Lübeck, Hamburg und Bremen eingefunden. Gemeinsam veröffentlichten die vier Vereine ein Preisausschreiben für die beste historische Bearbeitung der großen dänischen Kriege, welche zum Stralsunder Frieden führten. Aber man beließ es nicht bei dieser lockeren Verbindung, vielmehr beschloss man, einen dauernden Verein zu gründen, der die Bestimmung in sich trage, die vereinzelten Quellen hansischer Lokalforschung in ein gemeinsames Bett zu leiten und so diese nicht nur zu verbreitern und zu vertiefen, sondern ihr auch ein würdiges Ziel vor Augen zu stellen, den steten Anschluss an die allgemeine deutsche Geschichtswissenschaft: Lübeck, das alte Haupt der Hanse, ward für das nächste Jahr zu einer konstituierenden Versammlung bestimmt und der dortige Geschichtsverein mit den vorbereitenden Maßnahmen beauftragt.
Die Versammlung ward in der Pfingstwoche des verflossenen Jahres unter dem Eindruck der so eben durch-lebten Reichsumgestaltung Deutschlands abgehalten. Wenn sich in Folge davon die Zahl der Teilnehmer, wie natürlich, geringer erwies, so war dagegen der Einfluss auf die einheitliche Gesinnung der Versammelten um so ersichtlicher. Nicht partikularistische Bestrebungen, nicht einseitiges Wiederaufwecken selbstischer hansischer Gelüste wollte man ja auch anbahnen, sondern die reichen Schätze städtischer Geschichte, die fruchtbringenden Erfahrungen der Entstehung und Fortentwickelung kommunaler Selbständigkeit für die Benutzung der Gegenwart und einer vielverheißenden Zukunft Deutschlands ausbeuten. Dass diese Stimmung auch in verwandten Kreisen einen ähnlichen Ausdruck fände, durfte die Versammlung aus den eingelaufenen Beitrittserklärungen befreundeter Geschichtskenner und den beifälligen Zuschriften einzelner Ver-eine entnehmen. Von den Ostseeprovinzen aus, speziell von der gelehrten esthnischen Gesellschaft zu Reval, ward die Stiftung eines hansischen Geschichtsvereins als fördersamstes Mittel wissenschaftlicher Belebung der alten Beziehungen dieser deutsch-redenden Länder zum Reiche begrüßt. Der Harzverein, welcher seit einigen Jahren die historischen Arbeiten eines von Natur zusammengehörigen Gebiets mit Erfolg konzentriert hat, erklärte mit Freuden seinen Anschluss an eine Einigung, die in noch größerem Umfange die Ansammlung und Verwertung des Geschichtsmaterials norddeutscher Städte sich zum Ziel gesteckt hat. Wenn endlich die Vereine für die Geschichte der Städte Berlin und Potsdam die einzigen waren, welche ihre Deputierten zur Lübecker Versammlung abordneten, so konnte man darin nicht nur eine Erinnerung an die einstige Zugehörigkeit der Mark zur Hanse erblicken, sondern auch eine Anerkennung der Bedeutsamkeit mittelalterlicher Stadtgeschichte sogar für das am reichsten entwickelte städtische Gemeinwesen der Jetztzeit. Und gewiss hatte die Versammlung Recht, es als ein gutes Wahrzeichen zu bewillkommnen, dass der Vorsitzende der gedachten Vereine ihr einen persönlichen Gruß Sr. Majestät des Deutschen Kaisers entgegenbrachte zugleich mit einem wertvollen Anfang für eine hansische Vereinsbibliothek.
Von nicht minder guter Vorbedeutung für eine erfolgreiche Tätigkeit des neuen Vereins ist die Förderung, welche das Unternehmen von vorn herein bei namhaften Vertretern unserer deutschen Geschichtswissenschaft gefunden hat. Unter ihnen gebührt der besondere Dank des Vereins dem Herrn Professor Waitz. Er hat sich nicht nur persönlich an der Konstituierung desselben beteiligt, er hat durch Umgestaltung der Statuten die materielle Grundlage für größere wissenschaftliche Arbeiten auf dem Felde hansischer Geschichtsforschung geschaffen und die Schranken sofort eingerissen welche über kurz oder lang den Verein einzuengen und seine Existenz in Frage zu stellen drohten!
Zwar war es schon bei der ersten Aufstellung eines Statuten Entwurfs Niemandem zweifelhaft, dass es nicht genüge, ein Zusammenwirken der verschiedenen Lokalvereine für Stadtgeschichte, einen Austausch gegenseitiger Forschungen anzubahnen, dass man nicht dabei stehen bleiben dürfe, das Interesse für hansische Geschichte durch eine gemeinsame Zeitschrift und jährlich wiederholte Wanderwersammlungen in möglichst weiten Kreisen zu verbreiten, dass vielmehr die außerhalb der Zwecke der Einzelvereine liegende Gesamtgeschichte der Hanse und deren Bearbeitung mit der Zeit die Lebensaufgabe des Vereins bilden müsse. Aber wie eine solche lösen mit den spärlichen Mitteln eines auch noch so zahlreichen Hansischen Vereins, der kaum hoffen durfte, dass Lokalvereine große Aufwendungen für ihn zu machen geneigt oder im Stande wären! Hier trat nun Waitz mit seiner vollen Autorität im glücklichen Augenblicke ein. Er, der allbekannte Repräsentant norddeutscher Geschichtsforschung, seit Lappenbergs Tode Hüter des von jenem gesammelten Hansischen Materials. Er konnte und durfte das entschieden aussprechen, was manchem An-gehörigen einer Hansestadt schon die Besorgnis vor Missdeutung zu sagen verbot: dass es nicht einmal geziemend sei, dass die reichen hansischen Gemeinwesen die Sorge für die Erkundung ihrer Geschichte, fürstlicher Munificenz, und gar, wie es jetzt geschehe, der Munificenz eines süddeutschen Fürsten überlies-sen, dass sie vielmehr in erster Linie selbst dafür einzustehen hätten. So kam es zu dem Beschluss des Ver-eins, die jetzigen und früheren Mitglieder der Hanse um tätige Beihilfe für das neue Unternehmen anzugeben, ein Beschluss, welcher durch das nicht genug anzuerkennende Entgegenkommen der in Lübeck anwesenden Ratsmitglieder von Bremen, Stralsund und Lübeck sofort seine praktische Grundlage erhielt.
Eine allgemeine Aufforderung an sämtliche weiland hansische Bundesglieder hat schon jetzt zu dem Ergebniss einer Jahresrente von nahezu 2.000 Thalern auf fünf Jahre geführt und die Inangriffnahme eines hansischen Urkundenbuches, so wie die Weiterführung der bis 1430 durch königlich bairische Subvention gesicherten Hanserecesse ermöglicht; Zusagen für eine zu beginnende Herausgabe der wichtigsten städtischen Quellen liegen vor, so dass in einigen Jahren auf Grund des gesammelten und kritisch gesichteten urkundlichen Materials die hansische Geschichte einer völligen Umgestaltung entgegenreifen wird.
Dass die wissenschaftliche Bearbeitung derselben, verglichen mit der Behandlung anderer Partien unserer vaterländischen Geschichte, verhältnismäßig zurückgeblieben ist, weiß ein jeder Kenner. Erst vor 70 Jahren trat das Werk an die Öffentlichkeit, welches trotz mangelhaften und durch die damals herkömmliche eifersüchtige Überwachung archivalischer Schätze wesentlich gekürzten Stoffes, noch immer die einzige Fundgrube für jede allgemeine Kenntnisnahme hansischer Historien ausmacht.
Die Geschichte des Hanseatischen Bundes von Georg Sartorius
3 Thle. Göttingen 1802/8.
Vor dieser von vollkommener Beherrschung der einschläglichen Literatur und sorglicher Benutzung alles irgend zugänglichen Materials zeugenden, die vorhandene Überlieferung mit gründlichem Urteil und einsichtsvollem historischen Blick durchdringenden Arbeit schwinden die früheren kritiklosen Kompilationen eines Werdenhagen und Willebrandt in ihr Nichts zurück. Es genügt, auf das glänzende Lob zu verweisen, welches der damals genannteste deutsche Geschichtsforscher, Johannes von Müller, diesem Epochemachenden Buche zollt. Aber Niemand verkannte weniger die Mängel desselben, als der Verfasser selbst, und so arbeitete er alsbald, gestützt auf einen ergiebigeren und zuverlässigeren Urkundenvorrat, zunächst die erste Entwickelung der Hanse um in seiner bis zum Jahre 1370 reichenden
Urkundlichen Geschichte des Ursprunges der deutschen Hanse
2 Bde. Hamburg 1830
Das Erscheinen des Buches, das, so zu sagen, die zweite Periode der hansischen Geschichtsforschung, die urkundliche, eröffnet, sollte der Verfasser nicht mehr erleben. Es ward nach seinem Tode von demjenigen herausgegeben, welcher in seiner einflussreichen Stellung als Archivar Hamburgs Sartorius zuerst die Wege zu den vollen hansischen Tresekammern geebnet hatte, von Johann Martin Lappenberg.
Die Herausgabe hätte keinem Kundigeren anvertraut werden können, das ergibt ein Blick auf das Werk selbst. Überall steht zwischen den Zeilen zu lesen, was es unter Lappenbergs sichtender und fördernder Hand gewonnen hat. Niemand hat seitdem auch nur den kleinsten Abschnitt hansischer Ereignisse einer erneuten Besprechung unterziehen können, ohne sich an die von Lappenberg in seiner Vorrede dargelegten leitenden Grundsätze anzuschließen, welche ein so durchdringendes Verständnis sämtlicher betreffenden Verhältnisse zeigen, dass hier die Hauptgesichtspunkte für die Behandlung hansischer Geschichte auf alle Zeit festgestellt sind. Bei der gerechtesten Würdigung des großen Fortschritts in hansischer Geschichtsforschung, den Sartorius’ letzte Arbeit bezeichnet, eröffnet Lappenberg den Blick auf das, was zum Abschluss solcher Forschung noch erforderlich sei, und weist die Fundstätten für neues Material nach.
Wem wäre nicht bekannt, dass er in dieser Richtung sein ganzes übriges Leben hindurch unablässig tätig gewesen ist, dass der unausgesetzten Beschäftigung mit hansischer Geschichte seine vielen hamburgischen Spezialarbeiten ihren universalen Charakter, seine in die allgemeine deutsche, in die ausländische politische und Literaturgeschichte gehörigen quellenmäßigen Werke ihren belebenden Lokalanhalt verdanken, dass er zu diesem Zentralpunkt seiner Studien immer wieder zurückkehrt? Eine persönliche Hinneigung zur Polyhistorie, wenn man will, ohne Frage aber auch die Ungunst der Verhältnisse, die mangelnde Unterstützung von außen her haben Lappenberg gehindert, selbst den Ausbau der hansischen Geschichte zu vollen-den. Wie er aber für die letzten vierzig Jahre der Hauptförderer aller dahin zielenden Bestrebungen gewesen ist, wie sich alles, was an städtischen Urkundenbüchern, Stadtgeschichten u. s. f. seitdem erschien, an ihn anlehnt, so hat er den Hauptzweck nie aus den Augen verloren, ja er ist unmittelbar der Vater unseres hansischen Geschichtsvereins zu nennen.
Den von diesem nunmehr vertretenen Plan einer umfassenden Sammlung aller hansischen Geschichtsquellen legte Lappenberg bereits vor zwölf Jahren (1859) in der ersten Sitzung der neugebildeten historischen Kommission an der Akademie zu München vor. Die schon begonnene Ausführung desselben geriet erst durch Junghans’, dann durch Lappenbergs eigenen Tod ins Stocken, ward aber seit 1870 durch die Herausgabe der Hanserecesse teilweise wiederaufgenommen.
Die schon jetzt dem hansischen Verein bewilligten Geldmittel, die Aussicht auf geeignete Mitarbeiter versprechen endlich einen glücklichen Abschluss des Unternehmens, falls es gelingt, die Teilnahme der hansischen Gemeinwesen, der Vereine und der Gelehrten zu erhalten und zu mehren. Das Interesse am Verein zu fördern und zu heben, ist einerseits Aufgabe der jährlich wiederkehrenden Versammlungen, zumeist aber die Bestellung der gegenwärtigen Zeitschrift. Sie ist weit entfernt, den bestehenden Vereinszeitschriften Konkurrenz zu machen, im Gegenteil, richtig unterstützt, wird sie eine wünschenswerte Einigung zwischen diesen herstellen. Aus den über die Zwecke des Vereins gegebenen Andeutungen bedingt sich der Inhalt seiner Zeitschrift. Sie wird zunächst das Organ der eigenen Angelegenheiten sein, vom Stande der wissenschaftlichen Arbeiten des Vereins berichten, über alles in die hansische Literatur Einschlagende eine regel-mäßige Umschau halten und in dieser Beziehung auch von den Publikationen anderer Vereine Kenntnis nehmen. In ihren selbständigen Aufsätzen aber wird sie das rein Lokale so gut wie die Details der gelehrten Untersuchung ausschließen, um nicht nach jener Seite hin die Tätigkeit der Einzelvereine zu lähmen, nach dieser einem Ziele nachzustreben, das die bestehenden geschichtlichen Zeitschriften besser, als sie, zu er-reichen im Stande sind, zumal ihr Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein muss, die Teilnahme für hansische Geschichte bei den Gebildeten der Hansestädte und ganz Deutschlands zu wecken.
Die Versammlung ward in der Pfingstwoche des verflossenen Jahres unter dem Eindruck der so eben durch-lebten Reichsumgestaltung Deutschlands abgehalten. Wenn sich in Folge davon die Zahl der Teilnehmer, wie natürlich, geringer erwies, so war dagegen der Einfluss auf die einheitliche Gesinnung der Versammelten um so ersichtlicher. Nicht partikularistische Bestrebungen, nicht einseitiges Wiederaufwecken selbstischer hansischer Gelüste wollte man ja auch anbahnen, sondern die reichen Schätze städtischer Geschichte, die fruchtbringenden Erfahrungen der Entstehung und Fortentwickelung kommunaler Selbständigkeit für die Benutzung der Gegenwart und einer vielverheißenden Zukunft Deutschlands ausbeuten. Dass diese Stimmung auch in verwandten Kreisen einen ähnlichen Ausdruck fände, durfte die Versammlung aus den eingelaufenen Beitrittserklärungen befreundeter Geschichtskenner und den beifälligen Zuschriften einzelner Ver-eine entnehmen. Von den Ostseeprovinzen aus, speziell von der gelehrten esthnischen Gesellschaft zu Reval, ward die Stiftung eines hansischen Geschichtsvereins als fördersamstes Mittel wissenschaftlicher Belebung der alten Beziehungen dieser deutsch-redenden Länder zum Reiche begrüßt. Der Harzverein, welcher seit einigen Jahren die historischen Arbeiten eines von Natur zusammengehörigen Gebiets mit Erfolg konzentriert hat, erklärte mit Freuden seinen Anschluss an eine Einigung, die in noch größerem Umfange die Ansammlung und Verwertung des Geschichtsmaterials norddeutscher Städte sich zum Ziel gesteckt hat. Wenn endlich die Vereine für die Geschichte der Städte Berlin und Potsdam die einzigen waren, welche ihre Deputierten zur Lübecker Versammlung abordneten, so konnte man darin nicht nur eine Erinnerung an die einstige Zugehörigkeit der Mark zur Hanse erblicken, sondern auch eine Anerkennung der Bedeutsamkeit mittelalterlicher Stadtgeschichte sogar für das am reichsten entwickelte städtische Gemeinwesen der Jetztzeit. Und gewiss hatte die Versammlung Recht, es als ein gutes Wahrzeichen zu bewillkommnen, dass der Vorsitzende der gedachten Vereine ihr einen persönlichen Gruß Sr. Majestät des Deutschen Kaisers entgegenbrachte zugleich mit einem wertvollen Anfang für eine hansische Vereinsbibliothek.
Von nicht minder guter Vorbedeutung für eine erfolgreiche Tätigkeit des neuen Vereins ist die Förderung, welche das Unternehmen von vorn herein bei namhaften Vertretern unserer deutschen Geschichtswissenschaft gefunden hat. Unter ihnen gebührt der besondere Dank des Vereins dem Herrn Professor Waitz. Er hat sich nicht nur persönlich an der Konstituierung desselben beteiligt, er hat durch Umgestaltung der Statuten die materielle Grundlage für größere wissenschaftliche Arbeiten auf dem Felde hansischer Geschichtsforschung geschaffen und die Schranken sofort eingerissen welche über kurz oder lang den Verein einzuengen und seine Existenz in Frage zu stellen drohten!
Zwar war es schon bei der ersten Aufstellung eines Statuten Entwurfs Niemandem zweifelhaft, dass es nicht genüge, ein Zusammenwirken der verschiedenen Lokalvereine für Stadtgeschichte, einen Austausch gegenseitiger Forschungen anzubahnen, dass man nicht dabei stehen bleiben dürfe, das Interesse für hansische Geschichte durch eine gemeinsame Zeitschrift und jährlich wiederholte Wanderwersammlungen in möglichst weiten Kreisen zu verbreiten, dass vielmehr die außerhalb der Zwecke der Einzelvereine liegende Gesamtgeschichte der Hanse und deren Bearbeitung mit der Zeit die Lebensaufgabe des Vereins bilden müsse. Aber wie eine solche lösen mit den spärlichen Mitteln eines auch noch so zahlreichen Hansischen Vereins, der kaum hoffen durfte, dass Lokalvereine große Aufwendungen für ihn zu machen geneigt oder im Stande wären! Hier trat nun Waitz mit seiner vollen Autorität im glücklichen Augenblicke ein. Er, der allbekannte Repräsentant norddeutscher Geschichtsforschung, seit Lappenbergs Tode Hüter des von jenem gesammelten Hansischen Materials. Er konnte und durfte das entschieden aussprechen, was manchem An-gehörigen einer Hansestadt schon die Besorgnis vor Missdeutung zu sagen verbot: dass es nicht einmal geziemend sei, dass die reichen hansischen Gemeinwesen die Sorge für die Erkundung ihrer Geschichte, fürstlicher Munificenz, und gar, wie es jetzt geschehe, der Munificenz eines süddeutschen Fürsten überlies-sen, dass sie vielmehr in erster Linie selbst dafür einzustehen hätten. So kam es zu dem Beschluss des Ver-eins, die jetzigen und früheren Mitglieder der Hanse um tätige Beihilfe für das neue Unternehmen anzugeben, ein Beschluss, welcher durch das nicht genug anzuerkennende Entgegenkommen der in Lübeck anwesenden Ratsmitglieder von Bremen, Stralsund und Lübeck sofort seine praktische Grundlage erhielt.
Eine allgemeine Aufforderung an sämtliche weiland hansische Bundesglieder hat schon jetzt zu dem Ergebniss einer Jahresrente von nahezu 2.000 Thalern auf fünf Jahre geführt und die Inangriffnahme eines hansischen Urkundenbuches, so wie die Weiterführung der bis 1430 durch königlich bairische Subvention gesicherten Hanserecesse ermöglicht; Zusagen für eine zu beginnende Herausgabe der wichtigsten städtischen Quellen liegen vor, so dass in einigen Jahren auf Grund des gesammelten und kritisch gesichteten urkundlichen Materials die hansische Geschichte einer völligen Umgestaltung entgegenreifen wird.
Dass die wissenschaftliche Bearbeitung derselben, verglichen mit der Behandlung anderer Partien unserer vaterländischen Geschichte, verhältnismäßig zurückgeblieben ist, weiß ein jeder Kenner. Erst vor 70 Jahren trat das Werk an die Öffentlichkeit, welches trotz mangelhaften und durch die damals herkömmliche eifersüchtige Überwachung archivalischer Schätze wesentlich gekürzten Stoffes, noch immer die einzige Fundgrube für jede allgemeine Kenntnisnahme hansischer Historien ausmacht.
Die Geschichte des Hanseatischen Bundes von Georg Sartorius
3 Thle. Göttingen 1802/8.
Vor dieser von vollkommener Beherrschung der einschläglichen Literatur und sorglicher Benutzung alles irgend zugänglichen Materials zeugenden, die vorhandene Überlieferung mit gründlichem Urteil und einsichtsvollem historischen Blick durchdringenden Arbeit schwinden die früheren kritiklosen Kompilationen eines Werdenhagen und Willebrandt in ihr Nichts zurück. Es genügt, auf das glänzende Lob zu verweisen, welches der damals genannteste deutsche Geschichtsforscher, Johannes von Müller, diesem Epochemachenden Buche zollt. Aber Niemand verkannte weniger die Mängel desselben, als der Verfasser selbst, und so arbeitete er alsbald, gestützt auf einen ergiebigeren und zuverlässigeren Urkundenvorrat, zunächst die erste Entwickelung der Hanse um in seiner bis zum Jahre 1370 reichenden
Urkundlichen Geschichte des Ursprunges der deutschen Hanse
2 Bde. Hamburg 1830
Das Erscheinen des Buches, das, so zu sagen, die zweite Periode der hansischen Geschichtsforschung, die urkundliche, eröffnet, sollte der Verfasser nicht mehr erleben. Es ward nach seinem Tode von demjenigen herausgegeben, welcher in seiner einflussreichen Stellung als Archivar Hamburgs Sartorius zuerst die Wege zu den vollen hansischen Tresekammern geebnet hatte, von Johann Martin Lappenberg.
Die Herausgabe hätte keinem Kundigeren anvertraut werden können, das ergibt ein Blick auf das Werk selbst. Überall steht zwischen den Zeilen zu lesen, was es unter Lappenbergs sichtender und fördernder Hand gewonnen hat. Niemand hat seitdem auch nur den kleinsten Abschnitt hansischer Ereignisse einer erneuten Besprechung unterziehen können, ohne sich an die von Lappenberg in seiner Vorrede dargelegten leitenden Grundsätze anzuschließen, welche ein so durchdringendes Verständnis sämtlicher betreffenden Verhältnisse zeigen, dass hier die Hauptgesichtspunkte für die Behandlung hansischer Geschichte auf alle Zeit festgestellt sind. Bei der gerechtesten Würdigung des großen Fortschritts in hansischer Geschichtsforschung, den Sartorius’ letzte Arbeit bezeichnet, eröffnet Lappenberg den Blick auf das, was zum Abschluss solcher Forschung noch erforderlich sei, und weist die Fundstätten für neues Material nach.
Wem wäre nicht bekannt, dass er in dieser Richtung sein ganzes übriges Leben hindurch unablässig tätig gewesen ist, dass der unausgesetzten Beschäftigung mit hansischer Geschichte seine vielen hamburgischen Spezialarbeiten ihren universalen Charakter, seine in die allgemeine deutsche, in die ausländische politische und Literaturgeschichte gehörigen quellenmäßigen Werke ihren belebenden Lokalanhalt verdanken, dass er zu diesem Zentralpunkt seiner Studien immer wieder zurückkehrt? Eine persönliche Hinneigung zur Polyhistorie, wenn man will, ohne Frage aber auch die Ungunst der Verhältnisse, die mangelnde Unterstützung von außen her haben Lappenberg gehindert, selbst den Ausbau der hansischen Geschichte zu vollen-den. Wie er aber für die letzten vierzig Jahre der Hauptförderer aller dahin zielenden Bestrebungen gewesen ist, wie sich alles, was an städtischen Urkundenbüchern, Stadtgeschichten u. s. f. seitdem erschien, an ihn anlehnt, so hat er den Hauptzweck nie aus den Augen verloren, ja er ist unmittelbar der Vater unseres hansischen Geschichtsvereins zu nennen.
Den von diesem nunmehr vertretenen Plan einer umfassenden Sammlung aller hansischen Geschichtsquellen legte Lappenberg bereits vor zwölf Jahren (1859) in der ersten Sitzung der neugebildeten historischen Kommission an der Akademie zu München vor. Die schon begonnene Ausführung desselben geriet erst durch Junghans’, dann durch Lappenbergs eigenen Tod ins Stocken, ward aber seit 1870 durch die Herausgabe der Hanserecesse teilweise wiederaufgenommen.
Die schon jetzt dem hansischen Verein bewilligten Geldmittel, die Aussicht auf geeignete Mitarbeiter versprechen endlich einen glücklichen Abschluss des Unternehmens, falls es gelingt, die Teilnahme der hansischen Gemeinwesen, der Vereine und der Gelehrten zu erhalten und zu mehren. Das Interesse am Verein zu fördern und zu heben, ist einerseits Aufgabe der jährlich wiederkehrenden Versammlungen, zumeist aber die Bestellung der gegenwärtigen Zeitschrift. Sie ist weit entfernt, den bestehenden Vereinszeitschriften Konkurrenz zu machen, im Gegenteil, richtig unterstützt, wird sie eine wünschenswerte Einigung zwischen diesen herstellen. Aus den über die Zwecke des Vereins gegebenen Andeutungen bedingt sich der Inhalt seiner Zeitschrift. Sie wird zunächst das Organ der eigenen Angelegenheiten sein, vom Stande der wissenschaftlichen Arbeiten des Vereins berichten, über alles in die hansische Literatur Einschlagende eine regel-mäßige Umschau halten und in dieser Beziehung auch von den Publikationen anderer Vereine Kenntnis nehmen. In ihren selbständigen Aufsätzen aber wird sie das rein Lokale so gut wie die Details der gelehrten Untersuchung ausschließen, um nicht nach jener Seite hin die Tätigkeit der Einzelvereine zu lähmen, nach dieser einem Ziele nachzustreben, das die bestehenden geschichtlichen Zeitschriften besser, als sie, zu er-reichen im Stande sind, zumal ihr Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein muss, die Teilnahme für hansische Geschichte bei den Gebildeten der Hansestädte und ganz Deutschlands zu wecken.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hanseatisches Geschichtsblatt 1871