Bildende Kunst, Sammlungen

Was in Hamburg für die Pflege der bildenden Kunst geschehen ist, geht in letzter Linie ebenfalls auf die Initiative von Privatleuten zurück.

Fast ein Jahrhundert solcher Bestrebungen liegt nun hinter uns, von Generation zu Generation wurde das Begonnene weitergeführt und Neues geschaffen, denn stetig taten sich neue Ziele auf, deren logische Reihenfolge freilich erst heute dem rückschauenden Blicke sinnfällig wird.


Im ersten Jahrzehnt erschien dem Genius des Ph. O. Runge der Boden günstig für die Entwicklung der neuen Kunst, die er voraussagen konnte, weil er sie in sich trug. Er wollte keine Akademie gründen, sondern eine große Werkstatt, in der alle künstlerischen Aufgaben bis zu Tapeten und Nadelarbeiten ausgeführt werden sollten. Die Kriegszeiten und sein früher Tod — 1810 — verhinderten die Ausführung.

Im Jahre 1818 hatte sich die Stadt so weit erholt, dass Kunstfreunde zu gegenseitiger Anregung und Belehrung unter Harzens Ägide den ersten Kunstverein begründeten.

Von 1822 an trat dieser Kunstverein in eine öffentliche Wirksamkeit ein. Ausstellungen, Verlosungen und die Herstellung von Vereinsblättern bildeten seine ersten Ziele.

Gegen 1840 wurde das Kupferstichkabinett, gegen 1850 die Gemäldegalerie gegründet. Kaum zehn Jahre später geschahen die ersten Schritte zum Bau eines öffentlichen Museums, das die gesammelten Schätze aufnehmen sollte , und wieder zehn Jahre später, 1869, wurde die Kunsthalle eröffnet, zu deren Erbauung nun schon der Staat einen Beitrag gewährt hatte, und deren Verwaltung er übernahm.

Das war ein Ziel, dessen Erreichung den Begründern des Kunstvereins, die doch zu alledem den Grund gelegt hatten, wie ein Märchen erschienen wäre.

Als das neue Gebäude bezogen wurde, gründeten patriotische Männer den Verein von Kunstfreunden von 1870, eine Fortsetzung des seit mehr als einem Jahrzehnt vorher tätigen Privatvereins von Kunstfreunden, der es sich zur Aufgabe gestellt hat, die Mittel für die Stiftung hervorragender Gemälde und Skulpturen zum Geschenk an das Museum zu sammeln. Erst fünfundzwanzig Jahre später wurde in Berlin ein ähnlicher Verein zur Förderung der Ziele des Museums alter Kunst gegründet, und es gehörte dort die Autorität eines Mannes wie Bode dazu, dies Resultat zu erreichen.

So war in Hamburg von weitsichtigen Privatleuten das Museum der Stadt begründet und entwickelt. Wie immer, wenn ein Ziel erreicht ist, trat eine Verlangsamung des Fortschrittes ein. Aber diesmal nur für kurze Zeit. Was nach den zehnjährigen Etappen um 1870 zu erwarten gewesen wäre, trat 1886 ein, die Reorganisation des neuen Institutes.

Es wurde von der Verwaltung eng an den heimischen Boden angeschlossen. Eine Sammlung älterer Hamburgischer Meister wurde begründet und zu ansehnlicher Bedeutung entwickelt, eine Sammlung Hamburgischer Meister des neunzehnten Jahrhunderts, die jetzt mehr als hundertfünfzig Bilder umfasst, erschloss einen Blick in eine von der Kunstgeschichte bisher gänzlich vernachlässigte Provinz der deutschen Kunst; eine dritte Galerie, die Sammlung von Bildern aus Hamburg, ebenfalls zu stattlichem Umfange herangewachsen, umfasst die Werke hervorragender Künstler, die nach Hamburg eingeladen waren, um Land und Leben zu malen.

Diese Sammlung wurde 1889 von einem Komitee von Kunstfreunden begründet, das nacheinander Max Liebermann, Gotthard Kühl, Skarbina, Hans Herrmann, Leopold Graf von Kalckreuth d. J., Hans Olde, Ludwig Dettmann, Momme Nissen, Schönleber, Zügel u. a., sowie die Hamburgischen Künstler Thomas Herbst, Ascan Lutteroth, Carl Rodeck, Valentin Ruths zum Studium Hamburgs und seiner Umgebung eingeladen hat. Als höchstes Ziel hat sich dieses Komitee die Pflege des monumentalen Bildnisses gestellt.

Die Sammlung hat bereits in der kurzen Zeit ihrer Existenz unverkennbare Wirkungen auf die ältere und die heranwachsende Künstlergeneration Hamburgs ausgeübt und fängt auch an, in der Stimmung des Publikums, das bis dahin den Motiven aus der Heimat nicht denselben Geschmack abgewinnen konnte wie der Romantik der deutschen Berge und der Sonne Italiens , einen Umschwung zu Gunsten der Heimat hervorgerufen.

Was zuerst mit ungläubigem Lächeln angehört wurde, ist die Überzeugung der Jugend geworden: dass das Leben des Volkes und der Gesellschaft, dass der Reichtum und die Mannigfaltigkeit der Landschaft in Hamburg und seiner nächsten Umgebung, die Eigenart und malerische Kraft der Luft- und Lichtstimmungen, die abwechselnd den tonigen Charakter der Nordsee- und den koloristischen der Ostseeatmosphäre tragen, der Malerei das köstlichste Studienfeld bieten.

Seit die Sammlung von Bildern aus Hamburg besteht, hat sich im Anschluss daran eine Schule junger Künstler entwickelt, die entschlossen ist, den heimischen Boden nicht zu verlassen und ihre Kraft der Darstellung Hamburgs zu widmen. Damit ist ein Programm aufgenommen, das in den dreißiger Jahren der neugegründete Künstlerverein zuerst aufgestellt hat: Hamburgs Wesen durch die Kunst auszudrücken.

Es will scheinen, als ob sie für ihre Bestrebungen ein tieferes Verständnis finden als ihre Vorfahren. Die Oberschulbehörde hat ihnen eine Aktklasse eingerichtet, die Kunsthalle hat eine Kupferdruckpresse für sie aufgestellt, um ihnen das Drucken ihrer Radierungen zu ermöglichen, die Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde erwirbt ihre Platten und gibt die Abdrucke an Hamburgische Sammler ab, und es hat sich bereits eine Gruppe von Sammlern gebildet, die ihre Bilder kauft. Ohne diese Teilnahme würden ihre Bestrebungen in der Luft stehen. Dass sie auch Opposition finden, ist natürlich. Aber der Widerstand macht gesund. Er wird sie eher zum Einsetzen ihrer ganzen Kraft zwingen, als wenn alles auf Königswegen ginge, und wird sie vor Überhebung bewahren.

Auch die Sammlung von modernen, namentlich französischen Plaketten und Medaillen, die von Freunden des Institutes ausdrücklich als Anregung zur Reform des Hamburgischen Medaillenwesens gestiftet wurde, hat ähnliche Wirkung gehabt, denn der Staat hat beschlossen, seine Medaillen auf Grundlage der neuen Ideen umzugestalten, und es sind in diesem Sinne bereits eine Anzahl Medaillen hergestellt, die in ihrer Art zu den besten in Deutschland gehören, und für den neuen Zentralfriedhof scheint sich die Bronzeplakette als neuer Typus des Gräberschmuckes einzubürgern.

Ähnliche Anregung dürfte die von Kunstfreunden begründete Sammlung von Bildwerken in Marmor und Bronze ausüben.

So weit sind diese modernen Kunstsammlungen durch die Teilnahme vieler einzelner Kunstfreunde, Vereine und Stiftungen entwickelt. Die Sammlung moderner Meister nimmt unter den deutschen Galerien eine der ersten und eine ganz eigenartige Stellung ein. Die Aufgabe des Staates wird es nun sein, durch Erwerbung von Kunstwerken höchsten Ranges dem Werke die Weihe zu geben.

Auch das Museum für Kunst und Gewerbe ist aus der Initiative opferwilliger Bürger hervorgegangen.

Nachdem schon von den dreißiger Jahren ab Mitglieder des Kunstvereins, dem ja auch — was nicht vergessen werden darf — Semper angehört hatte, in öffentlichen Vorträgen und dann nach dem großen Brande durch die künstlerische Tat eine Wiederbelebung der dekorativen Künste auf der Basis des Studiums der heimischen Produktion älterer Epochen angestrebt hatten, waren um 1860 von der Patriotischen Gesellschaft verschiedene Anläufe gemacht, ein historisch-technologisches Museum für das Gewerbe zu gründen. Aber erst als zu Ende der sechziger Jahre Justus Brinckmann auftrat, fanden die aus einander gehenden Wünsche die einigende Hand. Das Museum für Kunst und Gewerbe wurde begründet — zunächst als Privatunternehmen, wie in Hamburg herkömmlich, und dann als Staatsinstitut, aber unter stetig sich steigerndem Interesse und opferwilliger Beihilfe der ganzen Bevölkerung zu dem großartigen Institut ausgebildet, das in mehr als einer Beziehung vorbildlich geworden ist, und dessen Ansehen weit über Deutschlands Grenzen hinausgeht.

Von allen Hamburgischen Museen ist dies das bekannteste. Es lässt sich nicht abschätzen, was die Stadt ihm dankt. Für die japanische Kunst ist es das bedeutendste Museum des Festlandes, und in allen seinen zahlreichen Abteilungen trägt es den Charakter einer sehr gewählten Privatsammlung. Das ist das höchste Lob, das einem öffentlichen Museum gespendet werden kann. — Wie sein Name sagt, hat es in allem das künstlerische Element vorangestellt. Es konnte deshalb als erstes unter den deutschen Gewerbemuseen den Schritt zur Erwerbung von Erzeugnissen der dekorativen Kunst unserer Zeit machen, so wie sie begann, die Nachahmung des Alten aufzugeben und neu zu schaffen im Anschluss an die lebende hohe Kunst. Es war z. B. das erste Museum, das der neu entstandenen Plakatkunst Aufnahme gewährte.

Im Zusammenhang dieser Betrachtungen muss hervorgehoben werden, dass es von der ersten Stunde an bedacht war, die Reste heimischer Kunst zu sammeln, und dass vergessene Zweige der einheimischen, zeitweise hoch entwickelten dekorativen Künste durch das Museum für Kunst und Gewerbe erst wieder zu Ehren gebracht sind.

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Seit 1890 ist im künstlerischen Leben der Hamburger Gesellschaft eine neue Wendung eingetreten.

Die vorhergehenden Generationen hatten begründet und ausgebildet, was zur öffentlichen Kunstpflege gehört, und im Privatbesitz hatten sich große Sammlungen von Gemälden gebildet, die zum Teil, wie die von Amsinck, Behrens und Ed. Weber, zu den hervorragendsten in Deutschland gehören.

Von etwa 1880 ab lässt sich in Hamburg wie überall ein mächtiges Anwachsen des Dilettantismus beobachten. Als der Kunstverein in den zwanziger Jahren seine ersten Schritte tat, war der Dilettantismus noch eine anerkannte Macht. Harzen und Rumohr konnten der jüngeren Künstlergeneration in der Ausübung der Kunst noch die Wege weisen. Dilettanten stellten auf den ersten Kunstausstellungen neben den Künstlern aus. Dann trat, nachdem der Künstlerstand als solcher sich entwickelt hatte, eine schroffe Scheidung ein, die mit dem Zurückweichen des Dilettantismus endigte. Dass es immer noch einzelne Dilettanten gab, dass Zeichnen und wohl auch Malen in der Erziehung einen Platz hatten, war mehr ein belangloses Beiwerk.

Am Anfange der neunziger Jahre begann sich der neuaufgelebte Dilettantismus, der das Studium ernst nahm, zu organisieren. Nachdem der Kunstverein und der Verein von Kunstfreunden den öffentlichen Betrieb der Kunstpflege begründet hatten, suchte der Dilettantismus nunmehr das künstlerische Bedürfnis des Individuums und des Hauses zu verfeinern. Welche Massnahmen die beiden neuen Gesellschaften ergriffen, habe ich in der Schrift „Vom Arbeitsfelde des Dilettantismus" darzulegen versucht. Ihre Bestrebungen sind eine folgerichtige Weiterentwicklung der Absichten der vorhergehenden Geschlechter.

Neben der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde und der Gesellschaft zur Förderung der Amateurphotographie wirkt sodann seit 1896 die Vereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung in der Schule. Es ist ein Kreis von Lehrern und Lehrerinnen, der sich — ebenfalls im Anschluss an die Kunsthalle — praktisch erreichbare Zwecke gesteckt hat. Bildende Kunst, Literatur, Musik und das künstlerische Element in der Gymnastik werden von den einzelnen Sektionen bearbeitet. Die Oberschulbehörde gewährt ihnen innerhalb der sachlich gebotenen Grenzen freien Spielraum.

Auf dem Gebiete der bildenden Kunst wird eine Weiterbildung des Zeichenunterrichtes in künstlerischem Sinne angestrebt. Die zu Hamburg erscheinende Jugendschriftenwarte versucht dem Unwesen der künstlerisch und literarisch gleichgültigen Spekulation auf dem Gebiete der Jugendschrift kritisch gegenüber zu treten. Eine große Ausstellung in der Kunsthalle, von den Lehrern für den Deutschen Lehrertag 1894 veranstaltet, führte an einem außerordentlich umfangreichen Material die historische Entwicklung der Jugendschrift und die gegenwärtigen Leistungen der Kulturvölker vor Augen. Verzeichnisse empfehlenswerter Jugendschriften werden zu Weihnachten den Eltern zugestellt. Die hervorragendsten Kunstwerke in den öffentlichen Sammlungen werden mit den Kindern betrachtet.

In den Volksschulen soll der Versuch gemacht werden, auf der Basis der Kunst etwas wie eine Schulgemeinde zu gründen. Die Kinder der oberen Klassen und ihre Eltern werden zu Unterhaltungsabenden eingeladen, an denen Vorlesungen aus den Werken älterer und neuerer Schriftsteller mit Quartettmusik und Chorgesang wechseln. Es wird Nachdruck darauf gelegt, dass bei sorgfältiger Auswahl des zum Vortrag Gelangenden der lehrhafte Anstrich vermieden wird. Nach den ersten Versuchen zu urteilen, erscheint diese Einrichtung in hohem Grade entwicklungsfähig.

Die Seele dieser Bestrebungen bilden die Lehrer an den Volksschulen, die überhaupt im geistigen Leben Hamburgs eine Rolle spielen. Die Gründung der Literarischen Gesellschaft ist von ihnen ausgegangen, einige der namhaftesten Hamburgischen Schriftsteller gehören ihnen an oder stehen ihrem Kreise nahe. Es wirft ein scharfes Licht auf die Isolierung der Hamburger Gesellschaft, dass die Volksschullehrer den persönlichen Verkehr mit den hervorragenden Schriftstellern des Inlandes vermitteln.

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Aus der vornehmen Gesellschaft heraus hat sich in den letzten Jahren eine Vereinigung gebildet, die auch den weniger bemittelten Schichten die edelsten musikalischen Genüsse zugänglich zu machen bestrebt ist. Für ein Eintrittsgeld von fünfzig Pfennig, das Garderobengeld und Programm einschließt, wird im Winterhalbjahr eine Reihe von Konzerten ersten Ranges abgehalten. Der Staat zahlt diesem Verein von Musikfreunden einen Jahreszuschuss von 20.000 Mark.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Hamburg Niedersachsen – Städtestudien