Die Tschikarma

Trotz der Sinnlichkeit dieser Vorstellung mußte ich bemerken, daß Muhammed aus der christlichen Anschauung geschöpft und dieselbe für seine Nomadenhorden umgemodelt hat. Halef blickte mich jetzt mit einem Gesichte an, in welchem sehr deutlich die Erwartung zu lesen war, daß mich seine Beschreibung des Paradieses überwältigt haben werde.

„Nun, was meinst Du jetzt?“ frug er, als ich schwieg.


„Ich will Dir aufrichtig sagen, daß ich nicht sechzig Ellen lang werden mag; auch mag ich von den Houris nichts wissen, denn ich bin ein Feind aller Frauen und Mädchen.“

„Warum?“ frug er ganz erstaunt.

„Weil der Prophet sagt: ‚Des Weibes Stimme ist wie der Gesang des Bülbül 1) aber ihre Zunge ist voll Gift wie die Zunge der Natter.‘ Hast Du das noch nicht gelesen?“

„Ich habe es gelesen.“

Er senkte den Kopf; ich hatte ihn mit den Worten seines eigenen Propheten geschlagen. Dann frug er mit etwas weniger Zuversichtlichkeit:

„Ist nicht trotzdem unsere Seligkeit schön? Du brauchst ja keine Houri anzusehen!“

„Ich bleibe ein Christ!“

„Aber es ist ja nicht schwer, zu sagen: La Illa illa Allah, we Muhammed Resul Allah!“

„Ist es schwerer, zu beten: Ja abana 'Iledsi, fi 's – semavati, jata – haddeso 'smoka?“

Er blickte mich zornig an.

„Ich weiß es wohl, daß Isa Ben Marryam, den Ihr Jesus nennt, Euch dieses Gebet gelehrt hat; Ihr nennt es das Vaterunser. Du willst mich stets zu Deinem Glauben bekehren, aber denke nur nicht daran, daß Du mich zu einem Abtrünnigen vom Tauhid, dem Glauben an Allah, machen wirst!“

Ich hatte schon mehrmals versucht, seinem Bekehrungsversuche den meinigen entgegen zu stellen. Zwar war ich von der Fruchtlosigkeit desselben vollständig überzeugt, aber es war das einzige Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen. Das bewährte sich auch jetzt wieder.

„So laß mir meinen Glauben, wie ich Dir den Deinigen lasse!“

Er knurrte auf diese meine Worte etwas vor sich hin und brummte dann:

„Aber ich werde Dich dennoch bekehren, Du magst wollen oder nicht. Und das muß mir gelingen, denn Du hast ja auch ein Tesbih, einen Rosenkranz, umhängen. Was ich einmal will, das will ich, denn ich bin der Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah!“

„So bist Du also der Sohn Abul Abbas', des Sohnes Dawud al Gossarah?“

„Ja.“

„Und beide waren Pilger?“

„Ja.“

„Auch Du bist ein Hadschi?“

„Ja.“

„So waret Ihr alle Drei in Mekka und habt die heilige Kaaba gesehen?“

„Dawud al Gossarah nicht.“

„Ah! Und dennoch nennst Du ihn einen Hadschi?“

„Ja, denn er war einer. Er wohnte am Dschebel Schur–Schum und machte sich als Jüngling auf die Pilgerreise. Er kam glücklich über el Dschuf, das man den Leib der Wüste nennt; dann aber wurde er krank und mußte am Brunnen Trasah zurückbleiben. Dort nahm er ein Weib und starb, nachdem er seinen Sohn Abul Abbas gesehen hatte. Ist er nicht ein Hadschi, ein Pilger, zu nennen?“

„Hm! Aber Abul Abbas war in Mekka?“

„Nein.“

„Und auch er ist ein Hadschi?“

„Ja. Er trat die Pilgerfahrt an und kam bis in die Ebene Admar, wo er zurückbleiben mußte.“

„Warum?“

„Er erblickte da Amareh, die Perle von Dschuneth, und liebte sie. Amareh wurde sein Weib und gebar ihm Halef Omar, den Du hier neben Dir siehst. Dann starb er. War er nicht ein Hadschi?“

„Hm! Aber Du selbst warst in Mekka?“

„Nein.“

„Und nennst Dich dennoch einen Pilger!“

„Ja. Als meine Mutter todt war, begab ich mich auch auf die Pilgerschaft. Ich zog gen Aufgang und Niedergang der Sonne; ich ging nach Mittag und nach Mitternacht; ich lernte alle Oasen der Wüste und alle Orte Egypten's kennen; ich war noch nicht in Mekka, aber ich werde noch dorthin kommen. Bin ich also nicht ein Hadschi?“

„Hm! Ich denke, nur wer in Mekka war, darf sich einen Hadschi nennen?“

„Eigentlich, ja. Aber ich bin ja auf der Reise dorthin!“

„Möglich! Doch Du wirst auch irgendwo eine schöne Jungfrau finden und bei ihr bleiben; Deinem Sohne wird es ebenso gehen, denn dies scheint Euer Kismet zu sein, und dann wird nach hundert Jahren Dein Urenkel sagen: ‚Ich bin Hadschi Mustafa Ben Hadschi Ali Assabeth Ibn Hadschi Saïd al Hamza Ben Hadschi Schehab Tofaïl Ibn Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah,‘ und keiner von all diesen sieben Pilgern wird Mekka gesehen haben und ein ächter, wirklicher Hadschi geworden sein. Meinst Du nicht?“

So ernst er sonst war, er mußte dennoch über diese kleine, unschädliche Malice lachen. Es gibt unter den Muhammedanern sehr, sehr Viele, die sich, besonders dem Fremden gegenüber, als Hadschi geberden, ohne die Kaaba gesehen, den Lauf zwischen Ssafa und Merweh vollbracht zu haben, in Arafah gewesen und in Minah geschoren und rasirt worden zu sein. Mein guter Halef fühlte sich geschlagen, aber er nahm es mit guter Miene hin.

„Sihdi,“ frug er kleinlaut, „wirst Du es ausplaudern, daß ich noch nicht in Mekka war?“

„Ich werde nur dann davon sprechen, wenn Du wieder anfängst, mich zum Islam zu bekehren; sonst aber werde ich schweigen. Doch schau, sind das nicht Spuren im Sande?“

Wir waren schon längst in das Wadi Tarfaui eingebogen und jetzt an eine Stelle desselben gekommen, an welcher der Wüstenwind den Flugsand über die hohen Felsenufer hinabgetrieben hatte. In diesem Sande war eine sehr deutliche Fährte zu erkennen.

„Hier sind Leute geritten,“ meinte Halef unbekümmert.

„So werden wir absteigen, um die Spur zu untersuchen.“

Er blickte mich fragend an.

„Sihdi, das ist überflüssig. Es ist genug, zu wissen, daß Leute hier geritten sind. Weßhalb willst Du die Hufspuren untersuchen?“

„Es ist stets gut, zu wissen, welche Leute man vor sich hat.“

„Wenn Du alle Spuren, welche Du findest, untersuchen willst, so wirst Du unter zwei Monden nicht nach Seddala kommen. Was gehen Dich die Männer an, die vor uns sind?“

„Ich bin in fernen Ländern gewesen, in denen es viel Wildniß gibt und wo sehr oft das Leben davon abhängt, daß man alle Darb und Ethar, alle Spuren und Fährten, genau betrachtet, um zu erfahren, ob man einem Freunde oder einem Feinde begegnet.“

„Hier wirst Du keinem Feinde begegnen, Effendi.“

„Das kann man nicht wissen.“

Ich stieg ab. Es waren die Fährten dreier Thiere zu bemerken, eines Kameels und zweier Pferde. Das erstere war jedenfalls ein Reitkameel, wie ich an der Zierlichkeit seiner Hufeindrücke bemerkte. Bei genauer Betrachtung fiel mir eine Eigenthümlichkeit der Spuren auf, welche mich vermuthen ließ, daß das eine der Pferde an dem ‚Hahnentritte‘ leide. Dieses mußte meine Verwunderung erregen, da ich mich in einem Lande befand, dessen Pferdereichtum zur Folge hat, daß man niemals Thiere reitet, welche mit diesem Übel behaftet sind. Der Besitzer des Rosses war entweder kein oder ein sehr armer Araber.



1) Nachtigall.