Die Berliner Trinkwasserfrage und die Kanalisation der Gemeinde Reinickendorf

Die Gemeinde Reinickendorf hat Anfang des vorigen Jahres eine Kanalisationsanlage herstellen lassen, welche im Oktober in Betrieb genommen werden sollte. Reinickendorf will aber die gereinigten Abwässer nach dem Tegeler See leiten, aus welchem das Berliner Trinkwasser entnommen wird. Gegen dieses Vorhaben hat der Berliner Magistrat Einspruch erhoben und so wird demnächst das Ministerium des Innern über die Frage, ob Reinickendorf seine Abwässer nach dem Tegeler See abführen darf, zu entscheiden haben. (Inzwischen geschehen. D. Red.) Der Landrat v. Treskow hat dem Ministerium ein Schriftstück zu dieser, für die Reichshauptstadt so wichtigen Streitfrage unterbreitet, welches aus dem Jahre 1700 stammt und den Gemeinden Dalidorf und Reinickendorf das Recht zusichert, den Tegeler See zur Abführung von Wasser zu benutzen. Es ist jedoch fraglich, ob dieser Urkunde eine Bedeutung beigemessen wird.

Der Berliner Magistrat ist der Ansicht, dass Reinickendorf die Abwässer nach der Panke leiten muss. Dem wird aber von Reinickendorf entgegen gehalten, dass das natürliche Gefälle nach dem Tegeler See gehe und demzufolge die Kanalisationsanlage entsprechend angelegt worden sei. Jedenfalls kann das Reinickendorfer Kanalisationswerk in Folge des Einspruches von Berlin nicht in Betrieb genommen werden. Der dortige Amtsvorsteher, Herr Wilke, sowie drei Gemeindeverordnete des Orts überreichten im Ministerium des Innern eine Eingabe mit der Bitte, die Angelegenheit doch sofort zu erledigen, weil Reinickendorf mit seinen 14.000 Einwohnern der Kanalisation dringend bedürfe und durch jede Verzögerung große Kalamitäten entstehen würden. Uns will es scheinen, als ob die Stadt Berlin nicht zu rechter Zeit gegen die Pläne der Gemeinde Reinickendorf Front gemacht habe. Es würde sich dann wohl haben ermöglichen lassen, das Kanalisationsprojekt noch umzustoßen und unter entsprechendem Zuschuss der Stadt Berlin die Abwässer der Gemeinde Reinickendorf nach der Panke zu führen, bei welchem Anlass eine gründliche Untersuchung der gesamten Pankeverhältnisse hätte stattfinden sollen, mit dem Vorsatze seitens der Stadt Berlin, eine Regelung und Verbesserung dieser Verhältnisse, allenfalls durch anderweite Kanalisation und Tracierung der Panke, selbst dann in die Hand zu nehmen, wenn es nicht gelungen wäre, andere Gemeinden und Interessenten, welche die Panke als Vorflut benutzen, zu besonderen Leistungen mit heranzuziehen. Solche Opfer dürften sich angesichts des Umstandes erforderlich erweisen, dass Berlin, solange es Trinkwasser dem Tegeler See in der bisherigen Weise entnimmt, doch unter keinen Umständen zugeben darf, dass dem Tegeler See Abwässer, und seien dieselben auch gereinigt, zugeleitet werden. h.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Gesundheit 26. Jahrgang 1901