Geschichte der Stadt Greifswald - Zweiter Anhang. - Zur Geschichte der Nicolaikirche.

Aus der Landesgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns
Autor: Hahn, J. C. (? - ?) Gymnasiallehrer, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Pommern, Sitten und Gebräuche,
Von dem vormaligen Archidiakonus Dr. Biederstädt besitzen wir vom Jahre 1808 eine Geschichte der Nicolaikirche, aus welcher über deren Ursprung nichts weiter erhellt, als was oben in der Geschichte der Stadt aufgeführt ist. Derselbe nimmt ein zweimaliges Herabstürzen der Turmspitze an und sagt: „Am 11. März des Jahres 1515 sah die Einwohnerschaft die in ganz Norddeutschland berühmte Spitze des Nicolaiturms zum letzten Male. Ein Orkan schleuderte dieselbe hinab; ein Teil des Kirchengewölbes stürzte ein, doch war kein Menschenleben zu beklagen."

Bis zum Jahre 1531 war wenigstens die Kirche selbst wieder hergestellt und konnte dem Gottesdienste wieder gegeben werden, der Aufbau des Turmes verzögerte sich aber wahrscheinlich. Es wird nämlich behauptet, dass die neue, nach dem Muster der vorigen aufgerichtete Spitze nicht viel über 40 Jahre gestanden habe. Ihre Vollendung wird in das Jahr 1608 gesetzt.

Am 13. Februar 1650 wehte aus Westen wieder ein Orkan und schleuderte die Spitze nochmal herab. Das Kirchengewölbe wurde zum zweiten Male zertrümmert, das Mauerwerk des Turmes mit den Glocken aber erhalten, so wie das Kreuzgewölbe über der Orgel. Eine halbe Stunde lang wankte auch der östliche Giebel, und als er endlich einstürzte, hatten die Einwohner der benachbarten Häuser Zeit gehabt, ihr Leben in Sicherheit zu bringen.

Nicht so glücklich erging es unserer Schwesterstadt Stralsund. Im Jahre 1624 war ihre geräumige Johanniskirche abgebrannt, und 1647 am 10. August stand um 5 Uhr Nachmittags die hohe berühmte Spitze des Marienturms in Flammen. Die schöne Kreuzkirche sank in Asche, bloß das äußere Mauerwerk und die Pfeiler des Inneren blieben stehen. Im Jahre 1662 erfolgte ein neuer Schlag. Am 15. April brannte vom Blitz getroffen der eine der beiden Haupttürme der Nicolaikirche und der Jacobiturm ab, und als am folgenden Tage sich die Gemeinde in der Nicolaikirche versammelt hatte, stürzte ein Teil des Gewölbes herab und begrub eine Menge der Andächtigen unter seinen Trümmern.

Zum Aufbau unserer Nicolaikirche gingen reichliche Beiträge von nah und ferne ein, welche uns der damalige Provisor Bertram Thering handschriftlich hinterlassen hat. Die Sammlung in Greifswald selbst und der Umgegend brachte über 18.600 Thlr. ein, eine ungemein große Summe, wenn man erwägt, dass sich das Unglück gleich nach dem schrecklichen 30jährigen Kriege zutrug, und liefert ein ehrenvolles Zeugnis von der Sparsamkeit und Genügsamkeit der damaligen Zeit, die selbst bei dürftigen Einnahmen immer noch etwas für gemeinnützige und mildtätige Zwecke übrig hatte.

Die Königin Christine schenkte unserem Rat 717 Thlr. 19 ßl. bar, 10 Schiffpfund Kupfer zum Wert von 403 Thlr. 36 ßl. und 40 Schiffpfund Eisen, 313 Thlr.20 ßl. an Wert. Die Kollekte von Stralsund betrug 1.338 Thlr. 10 ßl., von Stettin 388 Thlr. 13 ßl., von Anklam 119 Thlr., von Wolgast 25 Thlr., von Rügen 1.113 Thlr. 26 ßl. usw.

Nicht minder reichlich waren die Beiträge aus der Ferne.
Holland sandte 109 Thlr. 20 ßl.
Dänemark 78 Thlr. 42 ßl.
Bergen in Norwegen 141 Thlr.
Der Niedersächsische Kreis 328 Thlr. 11 ßl.
Mecklenburg 78 Thlr.
Hinterpommern und Preußen 497 Thlr. 23 ßl.

Auch an Baumaterialien gingen Unterstützungen ein. Von Stralsund 18.000 Mauersteine und 50 Lasten Kalk. Die Stralsunder Etatsräte schenkten 40 eichene Hölzer, Nicodemus Richter daselbst 12 Stück. Die Stadt Anklam gab 100 Bäume zu Sparren, Loitz 10 Eichen, und aus ersterer Stadt noch 151 gotlandische Balken. Graf Hans Küssow schickte 20 Stück eichenen Bauholz, die Gebrüder Owstin 20 große Fichten.

Bei solchem Wetteifer im Wohltun musste der Kirchenbau wohl rasch fortschreiten. Den 9. März 1650 hatte der Bau angefangen und am Ende des Jahres 1652 war selbst der Turm wieder vollendet. Derselbe ist nach neueren Vermessungen 306 Fuß hoch, während man den alten Turm
gegen 4.00 Fuß schätzte. Am 13. Februar 1653, also gerade drei Jahre nach dem Unglück, wurde die Kirche wieder eingeweiht.

Die Baumeister der Kirche waren Stralsunder. Der Erbauer des Turmes hieß Carsten Gerdtz, der Maurermeister Christoph Thummel, der Turmdecker Michael Meyer. Im Jahre 1652 setzte Hans Adam an Thummels Statt die Arbeit fort. Die Turmuhr verfertigte Barthold Liebold aus Wismar.
Noch dreimal war der neue Turm in Gefahr, wieder zerstört zu werden. Bei der Belagerung von 1678 hatte er, so wie das Kirchendach sehr gelitten, und erst 1705 schenkte Karl XII. die Mittel, diesen Schaden auszubessern. Das andere Mal wurde der Turm im Jahre 1768 vom Blitz getroffen und uns durch die Herzhaftigkeit des Christian Rühs aus Kemnitz erhalten. Eben denselben Dienst leistete ein Biedermann 1785 der Kirche, den Biederstedt als eines noch Lebenden nicht nennen will. Es kann aber wohl kein anderer gewesen sein, als der Großvater des jetzigen Kaufmanns Biel, welcher von 1777 bis 1809 Provisor an St. Nicolai gewesen ist. Ein Vorfahr von ihm, Gerd Biel, hatte die zweite Spitze aufgerichtet. Jetzt ist der Turm durch einen Blitzableiter geschützt.

Greifswald Stadtansicht

Greifswald Stadtansicht

Greifswald

Greifswald

Greifswald, Nikolaikirche von Südwesten

Greifswald, Nikolaikirche von Südwesten

Greifswald, Giebelhaus Markt 13, 1920

Greifswald, Giebelhaus Markt 13, 1920

Greifswald, Universität, Hauptgebäude 1920

Greifswald, Universität, Hauptgebäude 1920