049. Mangelhaftigkeit älter autistischer Quellen

Bei der Mangelhaftigkeit älterer authentischer Quellen enthält Molitors Philosophie der Geschichte für diesen Gegenstand die interessantesten Daten.



Eine authentische, unmittelbare Quelle über den Mythos und die Mysterien der ältesten Völker besitzen wir freilich nicht; und doch muß das Studium der Mystik weiter zurückgehen, als es geschieht, wie etwa bis zu den Kirchenvätern und den Gnostikern, oder bis zum Platon. Bei den Ägyptern und Orientalen finden wir gleichfalls nur Bruchstücke, aber doch so viel, daß wir die ersten Spuren und den eigentlichen Ursprung sicher im Orient aufzusuchen haben. Wir werden in der Folge diesen Satz näher beweisen. Die ältesten Urkunden enthalten nach neueren Forschungen unstreitig die Zendbücher, Manus Gesetze und die jüdischen Traditionen in der Kabbalah. Indem ich jene orientalischen Urkunden später insbesondere noch näher zu berücksichtigen habe, so wollen wir uns vorerst in der Kabbalah etwas umsehen und einige Hauptlehren derselben durchsehen, welche nicht blos für die Religionsphilosophie, sondern für die Philosophie überhaupt und für die Magie insbesondere höchst wichtig sind.


Lassen wir die Behauptung, daß schon die ältesten Philosophen, wie Pythagoras und Platon, wenn auch nur mittelbar aus derselben geschöpft haben, auf sich beruhen: so haben neuere Forschungen gezeigt, daß die Traditionen des Judentums jedenfalls zu den ältesten Quellen der Mysterien gehören. So sagt Schilling (über die Gottheiten von Samothrace): „wie, wenn sich schon in der griechischen Götterlehre Trümmer einer Erkenntnis, ja eines wissenschaftlichen Systems zeigten, das weit über den Umkreis hinausginge, den die älteste durch schriftliche Denkmäler bekannte Offenbarung gezogen hat?“ Auch stellt er dort die Vermutung auf, daß dieses System wenigstens teilweise in der jüdischen Philosophie oder der sogenannten Kabbalah möchte zu finden sein. Franz von Baader sagt sogar: „Nicht blos das Heil, sondern auch die Wissenschaft kommt von den Juden.“ Jedenfalls haben aber die Kirchenväter, die Alexandriner und Gnostiker ihre allegorischen Auslegungen von der Kabbalah, wie es z. B. Origenes selbst sagt, und Hilarius behauptet: „obwohl Moses den Inhalt des alten Bundes schriftlich aufgezeichnet, so habe er doch einige wichtige Geheimnisse aus den verborgenen Tiefen des Gesetzes den siebenzig Ältesten besonders anvertraut und sie für die Zukunft zu immerwährenden Lehrern bestellt.“ Hieronymus wandte sich an die Juden aus Tiberias und Lydda, insonderheit an einen gewissen Barrabas, um die hebräische Sprache nicht nur, sondern die mystische Erklärungsweise zu lernen. Den Schriften des Dionysius Areopagita hat die jüdische Kabbalah offenbar zu Grunde gelegen.

Im christlichen Mittelalter mag wohl das Meiste eine Fortleitung des in jener früheren Zeit aus der Kabbalah Entnommenen gewesen sein; indessen scheinen doch Alcuin; Johannes Scotus Eriugena; Albert Magnus; Raymund Lullus usw. eigene Studien gemacht zu haben. Johann Reuchlin hat aber später, als das Studium der alten Klassiker wieder recht auflebte, auch der Erforschung des Hebräischen aus der Kabbalah mit großem Eifer sich gewidmet und er hat die Resultate derselben in seinen Abhandlungen: de verbo mirifico und de arte cabbalistica niedergelegt. In der Folge bemühten sich noch viele Andere, wie Buxtorf, Schickard, Hottingcr, Athanas. Kircher usw. die Kabbalah aus ihren Quellen zu entwickeln, und das größte Verdienst hat sich Knorr von Rosenroth († 1688) durch seine Kabbala denudata erworben. In sehr genauer Übereinstimmung mit der Geheimlehre der Juden finden wir die Philosophie des Agrippa von Nettesheim, des Paracelsus, des van Helmont usw. und Jakob Böhme, der Schuster von Görlitz besaß das Tiefste und Umfassendste aller christlichen Mystiker und Theosophen, was mit der kabbalistischen Weisheit übereinstimmt, welcher wohl durch seinen in der orientalischen Wissenschaft sehr erfahrenen Freund Balthasar Walter Kunde von der Kabbalah erhalten haben mag. Auch Porläge, Martinez, Paschalis, St. Martin und Henry More waren tiefsinnige Forscher der jüdischen Geheimlehre.

Keiner aber hat durch ein längeres und tieferes Forschen mehr geleistet als der Professor Molitor in seiner Philosophie der Geschichte, oder über die Tradition — (ein besserer Titel wäre, über die Kabbalah) Münster 1839 in 3 Bänden. — Wenngleich die Quellenstudien Molitors vorzüglich auf jene geheimnißvolle Uroffenbarung der Religion und Philosophie überhaupt sich beziehen: so ist in der Kabbalah nichtsdestoweniger auch in naturwissenschaftlicher Hinsicht teilweise sehr Vieles enthalten, was für uns ein besonderes Interesse hat. Wir finden darin die Grundlehren der späteren Magie vorgebildet, und namentlich ist das Hexenwesen ganz in effigie abgebildet, weshalb hierüber eine gewisse Ausführlichkeit nicht an der unrechten Stelle sein wird.

Der Verfasser äußert sich im ersten Bande seiner Schrift S. 222—225 selbst also: „die Zeiten der Flachheit und Inkonsequenz in der Theologie wie in den übrigen Wissenschaften sind vorüber, und nachdem jener revolutionäre Vernunftformalismus alles Positive zerstört und nichts als seine hohle Leerheit übrig behalten hat usw., so scheint es wohl an der Zeit zu sein, den Blick von Neuem auf jene geheimnißvolle Uroffenbarung zu wenden, die der lebendige Quell ist, aus welchem das Heil der Erlösung für uns hervorgegangen. Eine solche im höhern Geiste wieder begonnene Untersuchung der Mysterien des alten Israels, in denen alle Geheimnisse des neuen Israels gleichsam wie in der Knospe verschlossen liegen, wird ganz besonders geeignet sein, die christliche Mystik in ihrem Grundelemente zu erwecken, das Gebäude der Theologie aus ihren tiefsten theosophischen Prinzipien zu begründen und allen idealen Wissenschaften eine feste Basis zu geben; den Weg zur wahren Urgeschichte der Menschheit zu bahnen und als einzig wahrer Leitfaden in dem dunklen Labyrinthe der Mythen, Mysterien und Verfassungen der Völker zu dienen.“ Nach des Verfassers Angabe bestand übrigens der theoretische Teil der Kabbalah aus den alten Patriarchalüberlieferungen und umfasste vorzüglich folgende Gegenstände: das heiligste Geheimnis Gottes und der göttlichen Personen; die primitive geistige Schöpfung und den ersten geistigen Fall; die Entstehung der Finsternis, des Chaos und der erneuerten Ordnung der Welt in den sechs Schöpfungstagen; die Schöpfung des sichtbaren Menschen, seinen Fall und die Anstalten und Führungen Gottes zu seiner Erlösung und zu der Wiederherstellung der gestörten allgemeinen Harmonie und der endlichen Zurückbringung der ganzen Schöpfung zu Gott.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1
Johan Baptista van Helmont (1580-1644) flämischer Universalwissenschftler, Arzt, Naturforscher und Chemiker

Johan Baptista van Helmont (1580-1644) flämischer Universalwissenschftler, Arzt, Naturforscher und Chemiker

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