Geschichte der Juden in Sachsen - 14

Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland
Autor: Levy, Alphonse (1838-1917) deutsch-jüdischer Publizist, trat für die jüdische Gleichberechtigung ein und bekämpfte den Antisemitismus, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Juden, Judentum, Sachsen, Judenverfolgung, Mittelalter, Deutsche, Menschenrechte, Bürgerrechte, Staatsbürger, Religion, Glaubensgenossen, Heimat, Antisemitismus
Während der kriegerischen Zeit, welche eine genaue Kontrole unmöglich machte, vermehrte sich die israelitische Bevölkerung in Leipzig und Dresden nicht unwesentlich. In letzterer Stadt erfolgte 1750 die Begründung der Israelitischen Kranken-Verpflegung-Gesellschaft, deren Satzungen und Rechnungen die ältesten Urkunden der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden bildeten.**) Wie in der aus Anlass des am 10. Januar 1900 gefeierten 150jährigen Bestehens dieser wohltätigen Gesellschaft von Albert Wolf verfassten Festschrift mitgeteilt wird, ist aber leider das früheste Protokollbuch der Gesellschaft, das gelegentlich der Feier des 100jährigen Bestehens derselben (1850) dem damaligen Festredner Dr. Bernhard Beer sicher noch vorgelegen, und allem Anschein nach auch noch 1875 bei der 125. Jahresfeier von Emil Lehmann bei Abfassung seiner damals gehaltenen Festrede (Ges. Schriften, S. 39. ff.) noch eingesehen werden konnte, nicht mehr aufzufinden. Nur ein Jahresbericht der Gesellschaft vom Jahre 1823 und die vollständige Reihe derselben vom Jahre 1844 bis heute liegen neben den Originalstatuten vom Jahre 1798 und dem 2. Protokollbuch aus demselben Jahre außerdem als Quellen vor. Dieses Protokollbuch — größtenteils in hebräischer Sprache abgefasst — rekapituliert aber glücklicherweise in der Einleitung den Vorgang bei der Gründung der Gesellschaft. ,,Das Gebot des Krankenbesuchs ist“, — so hebt das Buch in wörtlicher Übersetzung an, — „eins von den Dingen (Handlungen), von welchen der Mensch die Früchte in dieser Welt genießt, und dessen Hauptgut für die zukünftige Welt bleibt. Es ist ein Gebot der Vernunft, welches in „Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst", enthalten ist, nicht nur nach unserer heiligen Lehre, sondern auch nach Vorschrift aller Völker und Nationen, welche sich nach redlichen Grundsätzen richten. Es erstreckt sich auf Körper und Seele, auf Arme und Reiche. Darum findet dieses Gebot auch Gunst in den Augen Gottes und der Menschen, so dass in jeder Stadt, wo Israeliten wohnen, es mögen wenige oder viele sein, heilige Vereine zur Erfüllung dieses Gebots errichtet wurden." Nach einem unliebsamen Prozess, den die Gesellschaft in den Jahren 1799 bis 1801 mit einem jüngeren jüdischen Krankenverein führte, sind im Januar 1800 neue Statuten beschlossen worden, deren Genehmigung von den Mitgliedern der Gesellschaft freudig begrüßt wurde. Von dieser herzlichen Freude wie von der frommen und patriotischen Gesinnung der Mitglieder zeugen die Worte die dem Fascikel unmittelbar angefügt sind; „Kommt her und schauet die Werke des Herrn, unseres Schöpfers, der beständig mit barmherzigen Augen auf uns herabsieht und unser stetes Wohl will. In diesem Jahre, da gerade unsere Kranken-Verpflegungs-Gesellschaft das 50ste Jahr ihrer Existenz feiert, ist ein gnädigstes Rescript von unserm teuersten Landes-Vater eingegangen, nach welcher die Ältesten und Deputierten der allhiesigen Judenschaft, im unserm Artikeln, alles zum Besten der Kranken zweckmäßig verbessern und um deren Bestätigung nachsuchen sollen, damit sie in der Zukunft befestigt sein und davon nicht abgewichen werde. Wir haben dahero unsere Artikel genau durchgegangen, dabei auf vollkommenen Beistand der Bedrängten unser Augenmerk hauptsächlich gerichtet, und in vorstehenden 54 Punkten, Alles nach unseren Wunsch befunden, es haben auch die Ältesten und Deputierten sothane Artikel, nach denen jetzigen Zeitläuften, für zweckmäßig und gut gehalten und sind selbigen allenthalben beigetreten. Wie nun dieses alles erfüllet, so können wir von dem Arzt aller Ärzte mit Zuversicht hoffen, dass er von uns alle Krankheiten abwenden und keine bösen Seuchen uns auflegen werde. Und nun Brüder, kommt, wir wollen knien und niederfallen vor dem Herrn, unserm Schöpfer, der uns nie seine Gnade entzogen und uns Kräfte verliehen hat, diese Gesellschaft 50 Jahre hindurch aufrecht zu erhalten, dass er seine Hand hinfüro von uns nicht abziehe, und unser Wohlergehen, so lange wir daseien, befördere, auch uns fernerhin die huldreichsten Gesinnungen unseres Durchlauchtigsten Landes-Vaters und seiner Räte in der Größe erhalte, als wir solche bishero in vollen Maße genossen haben. Er vergrößere den Ruhm unsers weltgepriesenen Churfürsten, lasse ihn als den Gerechtesten seiner Zeiten ewig blühen, und uns mit unsern Augen ihn jederzeit in seiner Herrlichkeit sehen. Er lasse die sämtlichen treuen Räte, all die Klugen in unseren Zeiten, wie auch alle Obrigkeiten, die uns mit ihrem Schild decken, insgesamt von seiner milden Hand gesegnet sein, und ihnen alles Gute zufließen, auch gebe er ihnen noch fernerhin ein mitleidiges Herz, um die übrig gebliebenen des Volkes Israels zu schützen. Amen. Dresden, den 1. Schebath 5560 (den 27. Januar 1800".)

Von ähnlichen Gesinnungen waren aber auch die Männer beseelt, welche fast zu derselben Zeit, in welcher die Krankenverpflegungs-Gesellschaft entstand, sich in Dresden vor 150 Jahren zu einer Beerdigungs-Bruderschaft vereinigten. Es gelang nämlich damals den auf erhaltene Konzessionen in Dresden wohnenden Juden, einen besonderen Platz zur Bestattung ihrer Toten zu erhalten, welche sie bis dahin mit großen Kosten nach Teplitz hatten schaffen müssen. Der König Friedrich August II. wies ihnen hierzu durch Rescript vom 24. April 1750 einen „auf dem Sande" vor Neustadt gelegenen Platz an, auf welchem ein Gebäude zu setzen ihnen jedoch nicht gestattet sein sollte. Für den überlassenen Raum sollten sie sofort ein Angeld von 1.000 Thalern (statt der offerierten 300 Thaler) und künftig für jedes Begräbnis ein gewisses Quantum, nämlich 15 Thaler für jeden Erwachsenen und 7 Thaler für jedes Kind unter 12 Jahren, an die Rentkammer entrichten. Die Juden erboten sich, 600 Thaler in Terminen und 30 Thaler überhaupt für die Begräbnisse zu zahlen. Es blieb aber nach einem anderweitigen Rescripte bei der ersten Bestimmung hinsichtlich des Angeldes; nur die Begräbniskosten wurden auf 12 und 5 Thaler ermäßigt. Auch wurde die Erbauung einer Wohnung für den Totengräber gestattet, der aber christlichen Glaubens sein, von dem Amte besonders verpflichtet und strenge angewiesen werden sollte, kein Begräbnis zu gestatten, wenn nicht hierzu vom Justizamte zum Beleg, dass die Kosten entrichtet, Verordnung geschehen sei. Am 10. März 1751 hatten die Israeliten die Hauptsumme bezahlt und am 25. April wurde der Platz durch das Begräbnis der Witwe des Münzjuden Isaak Meyer und eines jüdischen Baugefangenen eingeweiht.*) Der Minister Graf Brühl, welcher die Juden in dieser Sache unterstützt und ihnen sogar (trotz der erwähnten Ordnung vom Jahre 1746) Hoffnung auf die Erlaubnis der Erbauung einer Synagoge gemacht hatte, soll dafür ein Geschenk von 1.000 Thalern erhalten haben. Diese von dem Chronisten M. B. Lindau aufgestellte Behauptung dürfte aber nur auf ein von judenfeindlicher Seite ausgestreutes Gerücht zurückzuführen sein. Tatsächlich haben die Leipziger Juden die gleiche Errungenschaft erst im Jahre 1815 erreicht und bis dahin ihre Toten nach Dessau schaffen müssen.**) Unter den Dresdener Juden entstand übrigens 1794 ein Streit darüber, ob sämtliche Gemeindemitglieder Anteil an dem Begräbnisplatz hätten, was sowohl die Ältesten als auch die Nachkommen derjenigen Familien, welche denselben im Jahre 1751 erkauft hatten, entschieden in Abrede stellten. Immerhin bildete der Besitz eines eigenen Begräbnisplatzes von der Mitte des 18. Jahrhunderts an ein Bindemittel für die Dresdener Juden, deren Zahl sich während des siebenjährigen Krieges trotz der schweren Kriegslasten stark vermehrte, weil in jenen unruhigen Zeiten Verstöße gegen bestehende Verbote unbeachtet blieben. Nach dem Friedensschlüsse aber wurde ein großer Teil der Juden, die sich während des Krieges in Dresden aufgehalten hatten, nach dem Wortlaut der Landtagsakten von 1764 „ausgeschafft."

*) Hasches Dresdener Merkwürdigkeiten, 4. Teil. 1751.
**) Schriften des Vereins f. d. Gesch. Leipzigs I. Leipzig 1872. S. 36.


Der Churfürst Friedlich August III. gewährte den sächsischen Juden zunächst nur eine festere Begründung ihres Gemeindelebens. Nach der 1772 erlassenen neuen Judenordnung sollte in Dresden kein Jude ohne besondere Erlaubnis des Landesherrn geduldet und monatlich ein dreifaches Verzeichnis ihrer Familien eingereicht werden, damit ihre Anzahl besser übersehen werden könne. Die Juden durften nur in der Altstadt, nicht aber in den Vorstädten oder in der Neustadt wohnen. Fremde durchreisende Juden wurden von der Schlagwache, wo sie einen Groschen er legen mussten, in das Gouvernement zum Empfang eines Duldungsscheines abgeführt, den sie bei der Abreise am Tore wieder abgeben mussten.*)

Am 9. März 1772 war das die jüdischen Handelsleute betreffende nachstehende Generale eingegangen. „Friedrich August, Herzog z. Sachsen etc. Churfürst etc. Lieber getreuer. Nachdem Wir zur Erleichterung des Messehandels der ausländischen Juden vor diesem befunden, die mit Cammer-frey-Pässen versehenen fremden jüdischen Handelsleute, bey einigem Aufenthalte unter Weges an einem accisbaren Orte, von dem zu den General-Accis-Einnahme zu entrichtenden Nahrungs-Gelde zu befreyen, nicht minder ermeldten ausländischen Juden, so desgleichen Frey-Pässe haben, gleiche Befreyung, wie auf der Reise, von allen jüd. zur Zeit introducierten Abgaben, während ihres Aufenthalts in Leipzig (in Naumburg) zu accordiren; Als ist hierdurch Unser Befehl, Du wollest Dich Deines Orts gehorsamst darnach achten, und demgemäß das diesfalls erforderliche weiter verfügen. Daran etc. Geben zu Dresden, am 9. März 1772. Aus dem General-Accis-Collegio. An sämtliche Accis-Inspektores."

Eine am 16. April 1773 erlassene General-Verordnung betraf „die Exemtion der in hiesigen Landen concessionirten Juden von der für reisende Juden geordneten täglichen Personensteuer" und lautete wörtlich: „Friedrich August, Herzog zu Sachsen, Churfürst etc. etc. Vetter und liebe getreue. Wir sind zwar in Genehmigung desjenigen ohnmaßgeblichen Gutachtens, so uns der Stadt-Rath zu Dresden, auf die durch das Gesuch des Juden Baruch Aaron Levi, zu Leipzig, gegebene Veranlassung, in seinem unterthänigsten Berichte vom 29. August 1772 eröffnet hat in Gnaden zufrieden, dass Juden, welche sich in hiesiger Residenzstadt, oder andern Orten Unserer Lande, auf Unsere diefalls erlegte Concession aufhalten, und daselbst die jährliche Personensteuer, dem Ausschreiben gemäß, abführen, in den Fällen, dass sie, oder die Ihrigen eigener Angelegenheiten halber an andere Orte Unserer Lande reisen, mit Entrichtung der für fremde reisende geordneten täglichen Personen-Steuer, insofern sie die Berichtigung des letzten Personen-Steuer Termins durch behörige Quittung dociren können, verschont werden mögen. Jedoch haben nicht allein dergleichen Juden, wenn sie von ihrem eigentlichen Aufenthalte an andere Orte reisen, sich in letzterem länger, als die Verfassung erlaubet, nicht aufzuhalten, noch daselbst einige Handlung zu treiben, sondern Wir erachten auch für diensam, damit nicht Juden als angebliche Bediente hiesiger concessionirter Hausväter, auf attestate von letzteren, sich allerwärts einschleichen und der Personal-Steuer-Verrechtung entziehen können, hiermit die Einrichtung treffen zu lassen, dass ein Jude, der sich außerhalb hiesiger Residenzstadt, für einen Bedienten eines allhiesigen Hausvaters angibt, zwar von diesem mit einem Attestat, dass er wirklich in seinem Lohn und Brot stehe, auch einer Logey von des Hausvaters eigener Konzession zu verstehen, hiervon aber von der Obrigkeit des Ortes, wo er sich aufhält, Abschrift zu nehmen, und an Unsere Ober-Steuer-Einnehmer einzusenden, damit er derselben, ob der Jüdische Hausvater nicht mehrere in seinem Lohne und Brote nicht stehende Bediente hege, und im Lande herumsende, gnüglich verificiret werden könne. Wir begehren u. s. w. Daran geschiehet Unsere Meinung. Datum Dresden, am 16. April 1773. Christian Wilh. v. Nitschwiz. An sämtliche Creyls-Steuer-Einnahmen, Stift Würzen, auch Grafschaft Stollberg-Roßla und Stollberg Stollberg. Unterm 27. März 1773 ist gleiche Verordnung aus dem geheimen Consilio an die stiftischen Cammer-Collegia zu Merseburg und Zeitz ergangen. Christian August Kunze.“