Geschichte der Juden in Sachsen - 01

Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland
Autor: Levy, Alphonse (1838-1917) deutsch-jüdischer Publizist, trat für die jüdische Gleichberechtigung ein und bekämpfte den Antisemitismus, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Juden, Judentum, Sachsen, Judenverfolgung, Mittelalter, Deutsche, Menschenrechte, Bürgerrechte, Staatsbürger, Religion, Glaubensgenossen, Heimat, Antisemitismus
Der Eintritt der Juden in die Geschichte Europas fällt fast unmittelbar mit der Zerstreuung des jüdischen Volkes zusammen*) und zeigt die Juden in einer erträglichen Lage. In Deutschland frühzeitig angesiedelt, drangen die jüdischen Kaufleute und Handwerker mit den Deutschen in die den Slaven entrissenen Gebiete ein und erfreuten sich voller Duldung, bis der Beginn der Kreuzzüge den Religionshass entfesselte.**) Im heutigen Sachsen scheinen bereits im 10. Jahrhundert Juden Vermittler des damals schon bedeutenden Elbhandels gewesen zu sein. Otto der Große verordnete im Jahre 965, dass die Juden und die übrigen Kaufleute in Magdeburg nur der Gewalt des Erzbischofs unterstehen sollten. Er bestimmte ferner in den Jahren 973 und 979, dass der Vogt des Erzbischofs von Magdeburg die Gerichtsbarkeit über die in der Stadt oder Vorstadt wohnenden Kaufleute oder Juden und die übrigen Einwohner ausüben solle.***) Die Merseburger Juden wurden vom Kaiser im Jahre 973 dem Bischof Giseler unterstellt. Bereits damals galten also die Juden als Eigentum der Kaiser, deshalb aber auch als deren unmittelbare Schützlinge. Wann und in welcher Weise sich später das förmliche Verhältnis der sogenannten „Kammerknechtschaft" ausbildete, darüber schwanken die Angaben, ist aber ohne grosse Bedeutung, da es sich bei diesem Streite nicht um die Sache, sondern nur um den Namen handeln kann. Jedenfalls war die Lage der Juden dabei anfangs eine gesicherte und ehrenvolle. 1012 wurden sie in Magdeburg bei dem Tode des Erzbischofs Baldhart den Leidtragenden beigezählt.

*) Döllinger ,,Die Juden in Europa" im 1. Band der akademischen Vorträge. Cassel „Gesch. der Juden" in Ersch und Grubers Enzyklopädie.
**) Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden im fränkischen und deutschen Reiche.
***) Wiener, Regesten zur Gesch. der Juden in Deutschland während des Mittelalters.


Der Dresdener Chronist M. B. Lindau nimmt an, dass die Juden schon, als sie mit den übrigen Kaufleuten, den sogenannten „Lombarden", zuerst in das Meißener Land kamen und in den vom Kaiser besonders begnadigten Orten Merseburg, Naumburg, Torgau und Meißen Handel trieben, als „Kammerknechte“ des Kaisers hochbesteuert, aber auch mit manchen Vorrechten ausgestattet waren.*) Als ein bemerkenswertes Zeugnis für das frühzeitige Vorhandensein der Juden in Meißen bezeichnet Lindau die von Dilmar und Aronius erwähnte Tatsache, dass der verräterisehe Bruder des Grafen Eckard I., Markgraf Gunzelin, als ihn Kaiser Heinrich im Jahre 1009 auf der Fürstenversammlung zu Merseburg der Markgrafenschaft verlustig erklärte, u. A. auch beschuldigt war, seinen Feinden abgenommene christliche Leibeigene an Juden verkauft zu haben. **) Ein Beweis für diese sonderbare Behauptung scheint auf dem Fürstentage zu Merseburg, auf welchem Gunzelin und sein Neffe Hermann ihre Sache persönlich vertraten, nicht erbracht worden zu sein. Die Verurteilung Gunzelins erfolgte einfach: „wegen Verrats an Kaiser und Reich."

*) M. B. Lindau, Gesch. der Residenzstadt Dresden, S. 44.
**) M. B. Lindau, Gesch. der Residenzstadt Dresden, S. 33.


Alle Chronisten stimmen aber darin überein, da sich zu jener Zeit bereits zahlreiche Juden in den sächsischen Ländern aufgehalten und wesentlich zur Ausbreitung des Handels in denselben beigetragen haben. So schrieb der Leipziger Chronist F. G. Leonhardi: „Der Handel nach und durch Thüringen war sehr häufig durch die im Lande befindlichen Juden, die man bereits seit dem Jahre 1000 in hiesiger Gegend findet, betrieben und benutzt worden, so dass die christlichen Kaufleute jetzt nur diesen ihren Handelslehrern folgen durften. Überdies suchte man des Handels wegen seit 1267 die Juden mehr zu begünstigen, gab ihnen in den Städten eigene Rechte und verlegte ihnen zu Gefallen einen Markttag von Sonnabend auf den Freitag. Mit einem Worte: Leipzigs Handel und Wohlstand erhob sich von dieser Zeit an mit schnellen Schritten.“ *) In der Schlözer'schen Chronik wird darüber gesagt: „Wann und wie die Juden ins Land gekommen, weiß ich nicht, Wichtige Leute waren sie jetzo schon, (1265) Handel und Wandel war in ihren Händen, ihre durch die Not erzwungene Emsigkeit, (da sie keine Grundstücke besitzen durften) machte vielleicht in der Folge auch die Christen wirksamer.“ **) Ähnlich lautet der Bericht des Magisters Dolz: „Im Jahre 1265 finden sich die Juden schon unter den Bewohnern Leipzigs. Und wo diese sich im Mittelalter ansiedelten, da lässt sich mit Sicherheit auf dort getriebenen Handel schließen, weil dieser damals größtenteils in ihren Händen war.“ ***) Nach diesen drei gewiss unverdächtigen Zeugnissen dürften die Juden das Verdienst beanspruchen, zu dem ersten Aufschwung der Handelsstadt Leipzig wesentlich beigetragen zu haben. Dies wurde im Jahre 1843 einem Leipziger Mitgliede der II. Kammer von dem jüdischen Verfasser einer Flugschrift mit den Worten vorgehalten: „Leipzig verdankt einen großen Teil seines Wohlstandes den Juden, so undankbar dies auch Herr Poppe — den löblichen liberalen Grundsätzen des von Nebenrücksichten nicht bestochenen Herrn Brockhaus entgegen — zu ignorieren und seiner besseren Überzeugung Gewalt anzutun scheint."****)

*) Gesch. Beschr. d. Kreis- und Handelsstadt Leipzig von F. G Leonhardi: (Leipzig 1799) S. 32. — Chronik der Stadt Leipzig ed. Ed Sparfeld S. 42 u. 51.
**) Kl. Chronik von Leipzig I. Teil (Leipzig 1776.) ed. August Ludw. Schlözer S. 62.
***) Versuch u. Geschichte Leipzigs. Von M. Johann Christian Dolz, Leipzig 1818 S. 94.
****) Dr. Wolf Landau. Die Petition des Vorstands der israelitischen Gemeinde zu Dresden. März 1843. S. 21.


Die Mehrzahl der Juden ist wohl erst von Magdeburg aus nach Leipzig gekommen, nachdem Otto der Reiche dort das Weichbild 1166 festgesetzt, die Stadt befestigt, ihr den Lichwald zugesprochen, das Magdeburger Recht eingeführt und ihr das Vorrecht gegeben hatte, jährlich zwei Jahrmärkte abzuhalten, welche sich später zu Oster- und Michaelismessen erweiterten. Schon im 12. Jahrhundert hieß eine Vorstadt Magdeburgs ,,das Judendorf"; dasselbe war in Aschersleben der Fall und in Quedlinburg bewohnten die Juden außer der Judengasse einen Teil der Neustadt.

Das gute Verhältnis, welches bis zum 13. Jahrhundert fast überall in Deutschland zwischen Christen und Juden bestand, wurde leider auch in diesem Teile Deutschlands durch den Fanatismus, den die Kreuzzüge wachriefen, vernichtet. Dass zu dem religiösen Grund noch der wirtschaftliche hinzutrat, verschärfte die Gegensätze ungemein. Roscher*) hält den wirtschaftlichen Grund sogar für den einflussreicheren. Er schreibt, unter Hinweis darauf, „dass gerade die Päpste bei Judenverfolgungen weit mehr gezügelt als gespornt haben" folgendes: „Und nun tritt zu den sonstigen Gründen oder Vorwänden des Hasses gegen die Juden noch der Gegensatz des Schuldners gegen den Gläubiger, des Pauperismus gegen den Kapitalismus hinzu. Viele Judenverfolgungen, wobei es vornehmlich auf Vernichtung ihrer Schuldbriefe ankam, sind als Kreditkrisen barbarischester Art aufzufassen, als eine mittelalterliche Form dessen, was heutzutage soziale Revolution genannt wird." Die erste von den Chroniken mitgeteilte Judenverfolgung hat im Jahre 1205 in Halle stattgefunden; ihr folgte im Jahre 1212 eine in Gotha nach. **) In Erfurt brach am 16 Juni 1221 eine solche aus, bei welcher 26 Juden erschlagen wurden. ***) In Magdeburg wurde das Judendorf 1213 von Kaiser Otto IV. in seinem Kriege gegen Erzbischof Albrecht II. verbrannt, aber schlimmer erging es den Juden unter dem Erzbischof Ruprecht, der am Laubhüttenfest 1261 das Judendorf überfallen und ausplündern ließ, um Mittel zur Bezahlung seiner vielen Schulden zu bekommen. Auch in Halle ließ er die Juden ausplündern. In Leipzig scheint dagegen die Stellung der Juden noch längere Zeit eine ganz angesehene und zufriedenstellende gewesen zu sein. Eine aus dem Jahre 1248 datierte Urkunde Heinrichs des Erlauchten rühmt ihnen nach „dass sie durch Geschäftigkeit und Eifer die Bürgerschaft in Handel unterstützt hatten.“ Diese Unterstützung soll hauptsächlich darin bestanden haben, dass sie die damals infolge der Unsicherheit der Transporte entstandenen Wechselgeschäfte vermittelten. Die Leipziger „Judenburg" befand sich im 13. Jahrhundert am Fleischerplatze außerhalb der inneren Stadt Leipzig. Erst nach dem 15. Jahrhundert siedelten die Juden nach dem Brühl in Leipzig über.

*) Roscher. Die Juden im Mittelalter, beleuchtet vom Standpunkt der allgemeinen Handelspolitik. 1878. (S. 328 und 338).
**) Sidori, Gesch. der Juden in Sachsen S. 12.
***) Dr. C. Polack, Die Landgrafen von Thüringen, Gotha 1865. S. 155 Chronic. Sanpetr., Erfurt, bei Menke 3 S. 252.