Bei Schwedt hat man die Oder erreicht, lässt sie aber auf dem ganzen Wege nach Stettin rechts liegen ...
Bei Schwedt hat man die Oder erreicht, lässt sie aber auf dem ganzen Wege nach Stettin rechts liegen; der Charakter ihrer Ufer ist gegen Schlesien wenig gesteigert, wenn auch ein Wenig verändert, es bleibt ein armer Taglöhnerfluss, der es nie zu einer glänzenden Umgebung bringt; statt des Weiden- und Waldufers, das er oben in seiner Jugend sieht, hat er hier in der nördlichen Mark und in Pommern einen mit Schilfgras bewachsenen Strand, der eigentlich gar kein Ufer, sondern nur eine Begrenzung ist. Er gleicht in diesem Mangel scharf geschnittener Abgrenzung den traurigen, kriechenden Binnenseen der Mark, die ohne Muth daliegen wie dunkles Wassergewürm. Dieser triste Charakter, welchen die Berliner bei Trextow so emphatisch übersehen, verleidet die Wassermassen, welche ein Hauptreiz dieses östlichen Nordens von unserm Vaterlande sein könnten.
Die Post fliegt am Markgrafenschlosse von Schwedt vorüber, und durch eine breite Lindenallee, die Berliner Linden von Schwedt, dahin. Das könnte hier recht hübsch sein, wenn hübsche Menschen darunter spazieren gingen, so in der Morgendämmerung und wahrscheinlich auch sonst bei einer kleinen Provinzialstadt, neben einem verlassenen Fürstenschlosse hat das Ganze ein öd historisches Ansehn. Als die vielen hundert kleinen Souverainetäten noch bestanden haben, da müssen die Länder allerdings viel interessanter, charakteristisch gefärbter und belebter gewesen sein – wo man jetzt auf solche Rester stößt, da haben sie so etwas von alten Bibliotheken oder Bücherschränken, in denen Chroniken stehn.
Ewig jung und blühend ist nur der Tabak; dies moderne Gewächs, vaterländisch Blatt, gedeiht hier bei Schwedt in fetter, grüner Ueppigkeit, durch eine stolze Allee führt der Weg nach dem tabakklassischen Vierraden, berühmt durch seine Blätter wie Arabien durch seinen Weihrauch; der Vierradener stinkt nur ein Wenig. Ueppige Aussicht links und rechts für einen Schmaucher, und in Vierraden trocknen aus allen Bodenlucken heraus die langen Blätter dem Genusse oder Genossenwerden entgegen. Vierraden, das duftende, soll früher kriegerisch gewesen sein. Ein miserabel zerfallenes Gemäuer um einen kleinen brutalen Thurm am Ende des Oertchens ist Sitz der Kampfeslustigen von Vierraden gewesen, und sie haben mit denen von Schwedt in vielen Fehden gelegen. Von allem Ruhm ist jetzt nichts übrig als Tabak. Aber in unsrer Zeit der großen Reiche, der Allgemeinheit, der gleichen Militairpflichtigkeit sind mir die Erinnerungen an die Selbständigkeit der vielen einzelnen von Soundso immer sehr interessant, und wenn man ein Edelmann ist, so mag es von ganz angenehmen Reize sein, just einen Namen zu haben, der in Chroniken und Sagen also selbstständig genannt wird; es ist so etwas homerisch Episches darin im Gegensatze zu denen von Müller, von Schmidt, von Hoffmann. Es wäre schade, wenn der Schriftsteller Maltitz keine Nachkommen hätte, weil die Erinnerung an jene römische Antwort verloren gehen könnte, die er einst gegeben hat, als er wegen eines Schauspiels mit der Berliner Polizei brouillirt gewesen ist. »Wenn die von Maltitz«, hat er gesprochen, »dreimal hunderttausend Mann kommandirten, so würden sie den von Zollern eine andre Antwort geben.« Dieses phantasiestarke Ignoriren einiger Jahrhunderte, diese unabhängige, von allen Möglichkeiten unabhängige Kombination ist mir viel interessanter gewesen, als alle Schriftstellerei des Herrn von Maltitz, welchem Eindrucke unbeschadet dessen »Pfefferkörner« und Sonstiges sehr schön und lehrreich sein können. Bei den Tabakspflanzungen und denen von Vierraden kam ich auf solche Abwege.
Hinter Vierraden ging die Sonne tönend auf, das Land dampfte, aus der Tiefe neben einem erhöhten Städtchen blinkte silbern hie und da die Oder auf, wir waren an der Grenze von Pommern, das vor uns liegende erste pommersche Städtchen heißt Garz. Hügelzüge nach mehreren Seiten geben der Aussicht Abwechselndes. So denkt man sich Pommern gar nicht. Freilich muß man überhaupt dreierlei Pommern unterscheiden: dasjenige, in welches wir eben hineinfahren, ist Vorpommern, ein fruchtbares, wohlhabendes Land mit der lebhaften, thätigen Haupt- und Handelsstadt Stettin; nordwestlich davon das sogenannte schwedische Pommern, jetzt Neuvorpommern, mit der stipendienreichen, studentenarmen Universitätsstadt Greifswald und dem durch Wallensteins Renommage berühmtem Stralsund. Dieser Strich Landes hat noch heute von seiner früheren schwedischen Zeit eine abstechend fremdartige Färbung; nordöstlich das betrübte Hinterpommern, das eigentlich arme, traurige Land, was man mit dem Ausdrucke meint: er ist ein armer Pommer. Hinter Stargard, einer artigen, rührigen Stadt, dem Gemüsegarten Pommerns, beginnt Hinterpommern. Die Stargarder mögen durchaus nicht zu Hinterpommern gerechnet werden, und gehören immer zur lebhaftesten Opposition, wenn das melancholische, tiefsinnige Volkslied gesungen wird:
»Maikäfer flieg!
Mein Vater ist im Krieg,
Meine Mutter ist im Pommerland
Und 's Pommerland ist abgebrannt,
Maikäfer flieg!«
Nein! schrieen sie in Passendorf, dem mons sacer der neuen Römer, nein, 's ist nicht wahr, Pommerland ist nicht abgebrannt! – Das Ding mag wohl aus dem dreißigjährigen Kriege stammen, wo in Pommern oft Nachtquartier gemacht wurde.
Wenn man von Garz aus noch einige Male die Hügel hinauf und herunter gefahren ist, sieht man Stettin mit einem breiten Thurme auf einem der höchsten liegen. Da die Stadt sich mehr nach der Ostseite zur Oder hinabzieht, so zeigt sie dem von Berlin Kommenden mehr eine feste Burgspitze; wie bei allen Festungen und spröden Jungfern muß man lange und durch mancherlei Biegungen sich wenden, eh' man ihm Aug' in Auge gegenüber kommt.
Die Post fliegt am Markgrafenschlosse von Schwedt vorüber, und durch eine breite Lindenallee, die Berliner Linden von Schwedt, dahin. Das könnte hier recht hübsch sein, wenn hübsche Menschen darunter spazieren gingen, so in der Morgendämmerung und wahrscheinlich auch sonst bei einer kleinen Provinzialstadt, neben einem verlassenen Fürstenschlosse hat das Ganze ein öd historisches Ansehn. Als die vielen hundert kleinen Souverainetäten noch bestanden haben, da müssen die Länder allerdings viel interessanter, charakteristisch gefärbter und belebter gewesen sein – wo man jetzt auf solche Rester stößt, da haben sie so etwas von alten Bibliotheken oder Bücherschränken, in denen Chroniken stehn.
Ewig jung und blühend ist nur der Tabak; dies moderne Gewächs, vaterländisch Blatt, gedeiht hier bei Schwedt in fetter, grüner Ueppigkeit, durch eine stolze Allee führt der Weg nach dem tabakklassischen Vierraden, berühmt durch seine Blätter wie Arabien durch seinen Weihrauch; der Vierradener stinkt nur ein Wenig. Ueppige Aussicht links und rechts für einen Schmaucher, und in Vierraden trocknen aus allen Bodenlucken heraus die langen Blätter dem Genusse oder Genossenwerden entgegen. Vierraden, das duftende, soll früher kriegerisch gewesen sein. Ein miserabel zerfallenes Gemäuer um einen kleinen brutalen Thurm am Ende des Oertchens ist Sitz der Kampfeslustigen von Vierraden gewesen, und sie haben mit denen von Schwedt in vielen Fehden gelegen. Von allem Ruhm ist jetzt nichts übrig als Tabak. Aber in unsrer Zeit der großen Reiche, der Allgemeinheit, der gleichen Militairpflichtigkeit sind mir die Erinnerungen an die Selbständigkeit der vielen einzelnen von Soundso immer sehr interessant, und wenn man ein Edelmann ist, so mag es von ganz angenehmen Reize sein, just einen Namen zu haben, der in Chroniken und Sagen also selbstständig genannt wird; es ist so etwas homerisch Episches darin im Gegensatze zu denen von Müller, von Schmidt, von Hoffmann. Es wäre schade, wenn der Schriftsteller Maltitz keine Nachkommen hätte, weil die Erinnerung an jene römische Antwort verloren gehen könnte, die er einst gegeben hat, als er wegen eines Schauspiels mit der Berliner Polizei brouillirt gewesen ist. »Wenn die von Maltitz«, hat er gesprochen, »dreimal hunderttausend Mann kommandirten, so würden sie den von Zollern eine andre Antwort geben.« Dieses phantasiestarke Ignoriren einiger Jahrhunderte, diese unabhängige, von allen Möglichkeiten unabhängige Kombination ist mir viel interessanter gewesen, als alle Schriftstellerei des Herrn von Maltitz, welchem Eindrucke unbeschadet dessen »Pfefferkörner« und Sonstiges sehr schön und lehrreich sein können. Bei den Tabakspflanzungen und denen von Vierraden kam ich auf solche Abwege.
Hinter Vierraden ging die Sonne tönend auf, das Land dampfte, aus der Tiefe neben einem erhöhten Städtchen blinkte silbern hie und da die Oder auf, wir waren an der Grenze von Pommern, das vor uns liegende erste pommersche Städtchen heißt Garz. Hügelzüge nach mehreren Seiten geben der Aussicht Abwechselndes. So denkt man sich Pommern gar nicht. Freilich muß man überhaupt dreierlei Pommern unterscheiden: dasjenige, in welches wir eben hineinfahren, ist Vorpommern, ein fruchtbares, wohlhabendes Land mit der lebhaften, thätigen Haupt- und Handelsstadt Stettin; nordwestlich davon das sogenannte schwedische Pommern, jetzt Neuvorpommern, mit der stipendienreichen, studentenarmen Universitätsstadt Greifswald und dem durch Wallensteins Renommage berühmtem Stralsund. Dieser Strich Landes hat noch heute von seiner früheren schwedischen Zeit eine abstechend fremdartige Färbung; nordöstlich das betrübte Hinterpommern, das eigentlich arme, traurige Land, was man mit dem Ausdrucke meint: er ist ein armer Pommer. Hinter Stargard, einer artigen, rührigen Stadt, dem Gemüsegarten Pommerns, beginnt Hinterpommern. Die Stargarder mögen durchaus nicht zu Hinterpommern gerechnet werden, und gehören immer zur lebhaftesten Opposition, wenn das melancholische, tiefsinnige Volkslied gesungen wird:
»Maikäfer flieg!
Mein Vater ist im Krieg,
Meine Mutter ist im Pommerland
Und 's Pommerland ist abgebrannt,
Maikäfer flieg!«
Nein! schrieen sie in Passendorf, dem mons sacer der neuen Römer, nein, 's ist nicht wahr, Pommerland ist nicht abgebrannt! – Das Ding mag wohl aus dem dreißigjährigen Kriege stammen, wo in Pommern oft Nachtquartier gemacht wurde.
Wenn man von Garz aus noch einige Male die Hügel hinauf und herunter gefahren ist, sieht man Stettin mit einem breiten Thurme auf einem der höchsten liegen. Da die Stadt sich mehr nach der Ostseite zur Oder hinabzieht, so zeigt sie dem von Berlin Kommenden mehr eine feste Burgspitze; wie bei allen Festungen und spröden Jungfern muß man lange und durch mancherlei Biegungen sich wenden, eh' man ihm Aug' in Auge gegenüber kommt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Fahrt nach Pommern und der Insel Rügen