Ein Wort über die Judenemanzipation

Aus der Zeitgeschichte
Autor: Rochau, August Ludwig von (1810-1873) deutscher Journalist und Politiker, Erscheinungsjahr: 1852
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Judenemanzipation, Zeitgeschichte, Gleichstellung, Judentum,
Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Robert Prutz, Hermann Rost. Zweiter Jahrgang 1852. Juli – Dezember. Von A. L. von Rochau.
Bei aller Bereitwilligkeit die Erscheinungen der Zeit und insbesondere die Handlungen der herrschenden Politik aus der Natur der Dinge heraus zu erklären und zu rechtfertigen, stoßt man gleichwohl auf manche schwer zu lösende Rätsel und auf Verkehrtheiten, für welche sich mit dem besten Willen keine Entschuldigung finden lässt. Dahin gehört der neuerdings von den Kabinetten aus wieder eröffnete Krieg gegen das Judentum. Die bürgerlichen und politischen Rechte, welche das Jahr 1848 den Juden gegeben hat, sind den Regierungen ein wahrer Dorn im Auge, und man versucht aller Orten und auf jede Weise, diese verhasste Neuerung wieder rückgängig zu machen. Und zwar ohne allen vernünftigen Grund und ohne allen politischen Zweck, lediglich aus Antipathie. Nun soll freilich auch der Antipathie das Recht sich geltend zu machen nicht abgesprochen werden, eine Politik aber, welche ihre unzweifelhaften Interessen einer Gemütsstimmung unterordnet und aufopfert, eine solche Politik stellt die Ruhe des Urteils auf eine schwere Probe.

Das unzweifelhafte Interesse der erhaltenden Staatskunst ist es, mit dem Judentum auf einem friedlichen, wenn nicht freundschaftlichen Fuße zu leben. Sind doch das Judentum und der Konservativismus im heutigen Sinne des Worts die nächsten Blutsverwandten. Der Konservativismus ist das politische Judentum, das Judentum ist der religiöse Konservativismus — ein Zwillingspaar, welchem man schon auf die große Ähnlichkeit hin das innigste Einverständnis zuschreiben möchte, und dessen Feindschaft jedenfalls eine Versündigung gegen die Natur ist.

Die Verantwortlichkeit für diese Feindschaft trägt ausschließlich der Konservativismus. Er scheint das Judentum als einen Doppelgänger zu hassen, der ihn an der Liebenswürdigkeit seiner eigenen Person irre macht; er ist es, von welchem die Angriffe ausgehen, die das Judentum nur mit sichtlicher Selbstüberwindung erwidert.

In der Tat gibt es auf der ganzen Erde keine konservativere Macht als das Judentum, welches durch eine lange blutige Geschichte des ununterbrochenen Unglücks hindurch seit nunmehr dreitausend Jahren sich selbst zu konservieren gewusst hat. Jede Faser des Judentums ist aus uralter Überlieferung gewoben, und also eine Verkörperung des konservativen Prinzips. Wie aber der Neuerungssucht, so ist das Judentum auch jeder kriegerischen Gesinnung völlig fremd: und so musste es denn seiner Natur doppelt Gewalt antun, ehe es sich zur endlichen Auflehnung gegen den Druck der konservativen Politik entschloss.

Durch beharrliche Rechtsverweigerung, durch grundsätzliche Herabwürdigung, durch tausend kleine Verfolgungen und Hudeleien hat die konservative Politik einen Theil des Judentums seinem eigensten Wesen entfremdet, in die Opposition geworfen, revolutionär gemacht. Tausende von Menschen, welche ihrer Naturanlage und ihrer Entwickelungsgeschichte nach berufen waren, Freunde der Regierung und Stützen der bestehenden Einrichtungen zu sein, wurden förmlich gezwungen, Feinde der Machthaber und der öffentlichen Ordnung zu werden. Die konservative Politik hetzte das Judentum so lange gegen sich selbst, bis die friedliche Natur desselben in die Wut der Verzweiflung umschlug.

Wäre der Jude des neunzehnten Jahrhunderts noch das hilflose Wesen des Mittelalters, so hätte man die Freundschaft wie die Feindschaft desselben zwar nicht verständiger Weise, aber doch ungestraft verachten können. Aber der Jude ist inzwischen gewachsen und erstarkt, und er hat der konservativen Politik hinlänglich bewiesen, dass man ihn nicht geringschätzen darf. Der Geldsack und die Feder sind zwei mächtige Waffen in unseren Tagen, und man weiß, in welchem Maße diese Waffen dem Juden zu Gebote stehen und wie viel er damit ausgerichtet.

Was allein Heine und Börne dem Konservativismus geschadet, das könnte selbst Ein hoher Bundestag zu Frankfurt durch hundert Beschlüsse nicht wieder gut machen, und wenn jeder derselben eine Verfassung abschaffte oder ein Wahlgesetz aufhöbe.

Das Jahr 1848 tat im echt konservativen Geist Alles, um den Gegensatz zwischen der bestehenden Staatsordnung und dem Judentum zu vermitteln.

Die gegenwärtige Reaktion dagegen ist bemüht, auch diese Quelle der Revolution wieder zu öffnen. Die Juden sollen von Neuem aus ihrer staatsbürgerlichen Stellung verdrängt werden, man will ihnen von Neuem eine Erobererrolle aufdringen — alle Erfahrungen der Vergangenheit sind vergessen, alle Warnungen der Klugheit müssen verstummen vor dem instinktartigen Widerwillen, welcher sich durch die Zurücksetzung der Juden eine Genugtuung verschaffen will.

Was auch die Politik zur Beschönigung ihres Verfahrens gegen die Juden beibringen mag, dass sie nach rein leidenschaftlichen Motiven handelt, ist Jedermann klar. Die judenfeindliche Politik hat sich am Besten selbst charakterisiert durch jene preußische Verordnung, welche den Juden am Ende der dreißiger Jahre die Führung christlicher Taufnamen verbot. Alle Maßregeln, welche man von Staats wegen gegen das Judentum ergreifen mag, sind nicht im Stande, demselben einen ernstlichen Abbruch zu tun, seinen Einfluss zu schwächen, seine gesellschaftliche Bedeutung zu verringern; sie vermögen im Wesentlichen nichts Anderes als zu kränken, zu demütigen und zu reizen. Man kann die Juden weder vertreiben noch vertilgen noch ausplündern, noch verhindern sich ferner zu bereichern, noch zum Schweigen verurteilen, und wenn man sie vom Staatsdienst ausschließt, so ist der sichere Erfolg, dass sie sich der einträglicheren Quellen des Erwerbs in desto weiterem Umfange bemächtigen. Die von religiösen Rücksichten hergenommenen Einwände gegen die bürgerliche Gleichberechtigung der Juden halten nicht die oberflächlichste Probe aus. Der heutige Staat muss Tausende und aber Tausende von vollberechtigten Bürgern dulden, welche vom Christen kaum etwas Anderes haben als den Namen, er muss die wichtigsten Beamtenstellen mit solchen Scheinchristen besetzen, er würde vergebens versuchen sie aus den Ständesälen zu verdrängen. Wenn der Staat nun ungeachtet dieser Notwendigkeit an dem Beiworte des „christlichen“ festhalten zu können glaubt, so wird wohl auch keine große Gefahr für dieses Beiwort damit verbunden sein, dass und wenn man die Bekenner des mosaischen Glaubens als Bürger mitzählen lässt und ihnen den Zutritt zu dem öffentlichen Dienste nicht grundsätzlich verschließt. Dass das Prinzip der Gleichberechtigung die Natur der Dinge und deren Konsequenzen nicht aufhebt, versteht sich unter ehrlichen Leuten von selbst. Kraft jenes Prinzips werden wir sicherlich niemals einen Kapuziner an der Spitze des preußischen Heeres oder einen Milchbart auf dem Präsidentenstuhle des Obertribunals sehen, und ebensowenig einen Juden an der Spitze des Kultusministeriums, wie Herr V. Gerlach fürchtet.

Die bürgerliche Absperrung des Judentums ist überdies das sicherste Mittel, dasselbe zu verewigen. Je schwerer der Druck von außen, desto fester bleibt überall und immer der jüdische Kern. Die Milde der Gesetze und der Sitten hat in neuerer Zeit diesen harten Stoff erweicht, und die zur vollen Wahrheit gewordene Emanzipation wird ihn allmählich auflösen. Die echten Anhänger des Talmud wollen deshalb von Emanzipation nicht reden hören, und sie segnen die blinde Feindschaft des Stockkonservativismus, welche den Verfall des Judentums aufhält.

Blind ist jene Feindschaft aber nicht bloß insofern, als sie den Freund zum Gegner stempelt und dem Gegner dann doch wieder eigenhändig unter die Anne greift, sondern auch insofern, als sie einen völlig verlornen Posten einnimmt und zu behaupten versucht. Allerdings, man hat heute Macht, die Juden aus der bürgerlichen Stellung, die ihnen die Märzrevolution gegeben, wieder hinauszuwerfen. Bei kaltem Blut aber wird der entschiedenste Reaktionär eingestehen müssen, dass in diesem Punkte wenigstens das Jahr 1848 doch schließlich Recht behalten wird. Und zwar ganz abgesehen von erneuter Anwendung gewaltsamer Mittel. Die Judenemanzipation ist in den Köpfen und in den Verhältnissen dergestalt vorbereitet, dass die geistigen Kräfte der Zeit zur Durchführung derselben vollkommen hinreichen, und Alles, was die Reaktion dagegen vermag, gehört in das Fach der halb armseligen, halb gehässigen Chikane, der es nur darauf ankommt, den Sieg des Gegners zu verzögern und zu verbittern.