Ein Bild Rostocker Theaterlebens von 1787 bis 1791

Aus: Zur Geschichte des Rostocker Theaters (1756-1791)
Autor: Schacht, Wilhelm Dr. (1878- ?), Erscheinungsjahr: 1908
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Theater, Theaterleben
Hostovsky und Fendler waren Ende Januar 1788 wieder in Rostock und spielten bis Mitte Februar; der Fastenzeit wegen verließen sie die Stadt; von Ende April spielen sie wieder bis in den Juli. Der Pfingstmarkt wäre in diesem Jahre schlecht besucht, nach der Messe sei das Theater leer gewesen, die Anwesenheit der Herzogin habe beträchtliche Kosten gefordert: so klagen die Komödianten über ihre Geldnot, die durch die fünf Taler täglichen Legegeldes während des Marktes noch vergrößert sei. Mehr als die anderen Truppen hielten Hostovsky und Pendler auf äußern Glanz; Fischer aus Güstrow musste Vorspiele schreiben (so den Einsiedler an der Warnow); dafür lobte er die Direktoren eifrig im Theaterkalender; die Herzogin Witwe wurde geehrt durch Festvorstellungen, prunkhafte Theaterzettel (auf rote Seide gedruckt von übergroßem Formate) ihr überreicht; ein Hamburger Gast, Herr Klingmann, trat an sechs Abenden auf, als der junge Bramin (in Plümickes Lanassa) und als Anton (in Ifflands Jäger) auf „höchsten Befehl“. Das Repertoir der Hostovskyschen Truppe bringt für Rostock Iffland und Schröder zur Herrschaft, Brandes hält sich, Weiße aber auch Schüler und Lessing sind abgesetzt.

In Schwerin hatte indessen ein Graf Bassewitz mit dem Bürgermeister und Justizrat Wachenhusen die Leitung des Theaters übernommen; man wollte Rostock und Güstrow zu weiteren Stützpunkten des Unternehmens machen, Hostovsky und Fendler sollten Regisseure im neuen Verband werden und für Rostock das Privileg sichern. Der Rostocker Rat, so günstig er anfangs diesen Plan aufnahm, wollte er die neue Prinzipalschaft doch schon für eine zweite Spielzeit verpflichten, gab dem Wunsche der auf Schwerin eifersüchtigen Herzoginwitwe nach und verhinderte so die aussichtsvolle Gründung eines Städtebundtheaters. „Diese gute Stadt“ (so lässt die Herzogin ihren Kammerherrn Christian von Mecklenburg schreiben) „wird doch nur als das Filial angesehen werden, und nach der Regel: Wenn zwei Substantiva zusammenkommen wird Rostock im genetivo stehen müssen . . . Der schlechte Geschmack, der in Schwerin beinahe allgemein ist, die Kabalen, die bei der dortigen Gesellschaft schon eingerissen sind, die unfreundliche Art, womit der Herr Graf hierbei verfährt, und andere Dinge mehr lassen nicht vermuten, dass das sogenannte Nationalschauspiel an innerer Güte gewinnen wird . . . meiner Meinung nach kann Rostock allein, wenn alle Klassen treu beitragen wollen, 7 bis 8 Monate lang eine Truppe unterhalten und in Verbindung mit Stralsund kann sie sehr leicht das werden, was die Schweriner in ihrem hochmütigen Sinne zu erhalten hoffen.“

Rostock war ohne Theater. Das muss ein herumziehender Gaukler — Erdmann hieß er — gehört haben; er fühlte sich zum Theaterprinzipal befähigt und kündigte in argem Deutsch sein Spiel an. Der arme Teufel findet keinen Spaß, die Studenten werfen schon am ersten Abend mit Pflaumen und Kuchen; flugs verlässt er die Stadt; aus seiner Frau und seinem unerwachsenen Sohn bestand sein Personal. Koppe schleudert ihm von der Warte seiner neuen Monatsschrift den Bannstrahl nach.

Da tritt Jean Tilly auf den Plan! 1786 hatte er nicht wiederkommen wollen, um Lorenz nicht zu verdrängen, für Pfingsten 1787 wurde er nicht zugelassen und Hostovsky konnte spielen. Der Rat nahm ihn wieder auf; er kam drei Jahre hindurch, bis auch dieser unverdrossene, praktische Mann an Rostock verzweifeln lernte. Schon das erste Jahr kämpft er um Herabsetzung des Legegeldes, das er in der alten Höhe nicht mehr bezahlen kann. Maskeraden und der Markt helfen ihm auf, er will jedes Jahr spielen, von Weihnachten bis zur Faste und dann während der Messe; und nur zwischen Lübeck, Rostock und Stralsund wechseln. Das Privileg wird ihm erteilt mit der Aufmunterung, in den Zwischenzeiten wolle man andere Truppen engagieren. Der Wunsch der Herzogin hatte ihm in diesem Jahr die Fastenzeit geöffnet; in der Schlussrede dankt Madame Tilly dem „guten Rostock“, der täglich anwesenden Fürstin und der Prinzessin Ulrike Sophie, der ältesten Schwester des verstorbenen Herzogs, deren starkes Interesse an ernsthaften Dingen und Schriften Nugent berichtet und von der man eine Übersetzung des Undankbaren von Destouches kannte; die Wiederkehr Tillys aber feierte der Korrektor der Großen Stadtschule, Magister Georg Ludwig Plagemann als die Rückkehr der Musen mit einem hochgestelzten Gruß.

Nach Weihnachten 1790 macht Tilly seine Bühne auf und bleibt ununterbrochen spielend bis in den September hinein, trotz einer schwachen Einnahme. Doch diesmal hat der Rat mit dem klagenden Komödianten Mitleid, stundet ihm die Miete, erlässt sie auch oder setzt sie wenigstens herab. Aber mit den Studenten kommt er in Händel, er wird ausgepocht — die anwesende Herzogin nimmt es ungnädig auf — und die Wache im Theater wird verstärkt.

Tilly kann den dritten Rostocker Termin nicht einhalten, denn auch in Lübeck hat ihn sein Glück verlassen, drückende Schulden verwehren ihm die Abreise. In Rostock, wo er im Februar beginnt und schon Ende Juni 1791 schließt, kommt zur Geldnot neuer Ärger, denn er wird für den Umgang der Studenten mit den Komödianten und Komödiantinnen verantwortlich gemacht. Doch er gab Rostock noch nicht auf, sicherte sich die neue Konzession für Neujahr 1792, die er aber nicht mehr nutzte, so häufig er auch in den nächsten Jahren nach Lübeck kam. Ostern 1791 hatte er noch in einem anonymen Druck den oft ausgesprochenen Wunsch der Schauspieler verteidigt — man möge ihnen das Haus, die Geselligkeit der Gebildeten öffnen; wo sollten sie anders die Sitten und das Benehmen der feinen Gesellschaft studieren? Das war Tillys Abschied von der Stadt, in der er so hoffnungsvoll begann, der er Treue nicht bewahren konnte.

Die Repertoire seiner letzten drei Jahre haben durch ihre großen Lücken nur relativen Wert. Es ist natürlich, dass Kotzebue wirksam geworden ist, aber wir rechnen es Tilly zum Lob, dass er trotz seiner gesteigerten Vorliebe für das Lustspiel und Singspiel — die Balletts fehlten bei ihm selten, gingen einige doch unter seinem Namen, — dass er Shakespeare, Lessing und Schiller nicht vergaß.

Das Jahr, in dem Jean Tilly zum letzten Mal in Rostock war, galt uns als das Ziel unseres Weges durch die Niederung der Schicksale deutscher Wandertruppen in einer kleinen Stadt.