Ein Bild Rostocker Theaterlebens von 1768 bis 1781

Aus: Zur Geschichte des Rostocker Theaters (1756-1791)
Autor: Schacht, Wilhelm Dr. (1878- ?), Erscheinungsjahr: 1908
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Theater, Theaterleben
Im Winter 1768 hat ein Komödiant Neumarck gespielt; für dasselbe Jahr hatte sich Yilly mit seinen Opern und Balletts angesagt; ob er gespielt hat, ist nicht gesichert. Dagegen hat auf ihrer Reise von Stralsund her die „Gesellschaft Italienischer und Deutscher Operisten“ im Herbst 1768 hier haltgemacht, gab erst Konzerte, bis das Theater gebaut und die Dekorationen fertig waren. Westlich des Ballhauses lag, eng am Wall, der Bürger-Schieß-Stand mit einem Gasthof. Dort hatte die Oper und Pantomime ihr Heim aufgeschlagen, — italienischer Herkunft blieb diese Gesellschaft die einzige, die ausschließlich ein musikalisches Repertoir führte.

1769 waren Porsch und Heinrici, unbekannte Leute, im Besitz der Spielerlaubnis; es steht nicht fest, ob sie hier gewesen sind. Dieses Jahr kam aber zu Pfingsten, von Stralsund nach Lübeck wandernd — Johann Christian Wäser nach Rostock. Kochs Rivale in Leipzig, war Wäser durch seine großen Reisen sehr bekannt. Er konnte das neuerbaute Ballhaus als erster beziehen und hat dort in einem Saal von 100 Fuß Länge und 35 Fuß Breite seine Bühne errichtet. Nur zwei Stücke seines Spielplans sind überliefert, Cronegks Alexandriner-Stück Codrus und Goldonis Pamela. Das Stralsunder Repertoir vom März und April 1769 lässt erwarten, dass auch Miss Sara Sampson, Schlegels Kanut und Weißes Romeo und Julie damals in Rostock dargestellt wurden. Wäser erkrankte hier, musste die Hälfte seiner Schauspieler entlassen und zog mit dem Rest nach Wismar.

Neues Komödienspiel melden erst wieder die Quellen der Jahre 1772 und 1773. Da hat Paolo Barzanti seinen Spielplan vorgeführt, den wir genau kennen, da ein Rostocker jener Tage, der Protonotarius Beselin ist es wohl gewesen, die Theater-Zettel gesammelt hat und eine pietätvolle Hand sie bis heute bewahrte. Barzanti kam aus Pommern und hatte vor, das ganze nächste Jahr auf eine Kunstreise nach Rostock, Schwerin, Güstrow und Wismar aufzuteilen. Die Erfahrung zwang ihn, Mecklenburg zu meiden. Er ging nach Hamburg, wo er schon 1767 beim Nationaltheater als Tänzer in den Hanswurstpantomimen Beifall gefunden hatte. In Rostock spielte er im November 1772, auf besondere Erlaubnis sogar noch in der ersten Adventswoche. Nach Dreikönige hebt er wieder an und spielt den ganzen Januar hindurch. Im Sommer 1773 ist im Juni und Juli seine Bühne geöffnet. Der Freesische Saal — das Lokal seiner ersten Spielzeit genügt ihm nicht, er will das Ballhaus umbauen, wenn ihm der Rat das Holz dazu schenkt; vorher hatte er den kühnen Plan, das ehemalige Kloster der Brüder vom gemeinsamen Leben, damals das „Zeughaus“ und heute noch das „Woll-Magazin“, in ein Theater zu verwandeln und im Sommer 1773 noch schaut er sich nach andern Bauplätzen um; denn auch das Ballhaus, in dem er seine zweite Spielzeit hindurch agierte, reicht nicht aus. Das sind alles Zeichen eines äußern Erfolges, aber am Ende seines Spieles versuchte er durch Feuerwerke seinen Schulden beizukommen und trotzdem er sich für den künftigen Winter Spielerlaubnis geben lässt, vergisst er Rostock. Die Theater- Zettel missbraucht Barzanti — alter Gepflogenheit treu — durch reklamehafte Anpreisungen. Minna von Barnhelm stellt er den Rostockern als ein Meisterwerk vor, hilft zum Verständnis manchen Stückes, indem er die Personen charakterisiert; lockt fühlsame Herzen durch die Ankündigung, den Herzog Michel (von Krüger) durch seine drei kleinen Kinder spielen zu lassen. Vor Lessings dem Jüngern Lotteriespieler wünscht er jedem Zuschauer Leanders Glück, den Gewinn einer Quaterne. In den Zetteln des Sommers mäßigt er sich, an die Stelle des Schauspiels oder der Operette tritt aber zuweilen zirzensische Lust: der Komödiant balanciert auf dem Degen seine junge Tochter; auf Ballett folgt Feuerwerk. Der Theater-Zettel jener Tage nennt nicht immer den Tag der Aufführung, den Autor und selbst den Schauspieler; die szenischen Anweisungen sind der einfachen Bühne entsprechend sparsam, nur die Szene im Ausland wird nicht vergessen; der Refrain: „Wegen Enge des Platzes kann kein Bedienter ohne Entgelt eingelassen werden, auch wird das Tabakrauchen in dem Schauplatz nicht geduldet werden“ meldet von den Ansprüchen eines verschiedenen Publikums. Die Stücke der nächsten Abende werden nicht im voraus angekündigt; das geschah von offener Bühne herab. Barzantis Repertoir, das der Mode folgend an jedem Abend zum Schluss ein Ballett oder mindestens ein komisches Nachspiel brachte, zeigt im Winter 1772/73 die Herrschaft des deutschen Lustspiels und der komischen Oper, im Januar 1773 wurden unter 16 Vorstellungen fünf mal Weiße- Hillers Jagd und dreimal Goldonis Schlaue Witwe gegeben; der Sommer 1773 lässt Lessing, Brandes, Krüger gegen Weißes Lust- und Trauerspiele zurücktreten; in der Operette herrscht Weiße-Hiller; die Franzosen ragen nicht vor, häufiger ist Goldoni; in Lillos Kaufmann von London hatte man ein altes Zugstück. Von Barzantis Schauspielern ist Unzelmann der bekannteste geworden. Ein Rollenfach war nicht wie heute die Domäne eines Darstellers; zumal als Anfänger spielte Unzelmann alles. Bei Döbbelin in Berlin, dann bei Großmann, kehrte er nach Berlin zurück und war lange Jahre ein vielbelachter Komiker am K. Nationaltheater unter Iffland. Barzantis Komiker Reinwald wurde auch am Nationaltheater in Berlin engagiert und Mitglieder der Familie Keilholz, die damals in Rostock vollzählig war, später zum teil hier wieder auftauchte, wurden schließlich am Mannheimer Theater als namhafte Talente geschätzt.

Die Mess-Zeiten der nächsten zwei Jahre blieben ohne das Spiel einer Wandertruppe; erst zu Pfingsten 1776 hatte Ilgener seine Gesellschaft privilegierter Hofschauspieler von „Chur Cöllen, Anspach, Württemberg, Würzburg und Hildburghausen“ von Neubrandenburg her nach Rostock geführt und eine eigene Bude am Ballhofe errichtet. Er suchte sich Orte aus, wie er selbst schrieb, an denen wenig oder gar keine Kenner sind; er spielte solange die Hauptrollen aller Stücke, bis das Publikum sich an ihn gewöhnt hatte — das war das Geheimnis seiner Wirkung, darüber der „alte echte Komödiant“ genug des Spottes zu hören bekam. In keiner Stadt hat er sich Freunde erworben, in Rostock brachte er den streitlustigen Privatgelehrten, späteren Bibliothekar J. C. Koppe in den Harnisch, der am Ende der ersten Spielzeit in einem offenen Schreiben die ganze Jämmerlichkeit Ilgeners und seiner Truppe, freilich in grober Weise, portraitierte. In Lübeck ließ er es zu einem Theaterskandal kommen, der viel kommentiert wurde. Seine Reklame, in der er seinen Vorgänger Barzanti meisterte, war nicht ohne Erfolg. Drei Jahre lang war er in Rostock zu Gaste, ungeschadet des heftigen Angriffs der Rostocker Kritik, stets um die Zeit des Pfingstmarkts; als er zum dritten mal kommt, macht er in einer wohlgesetzten Rede der „verehrungswerten Schauerzahl“ seine Verbeugung, dankt dem Adel, den Gelehrten, dem Stand der Kaufleute für den unverdienten Beifall und kann zehn Wochen hindurch das Theater halten. Seine Theater-Zettel — auch sie sind in der Beselin’schen Sammlung — übertreffen die Barzantis nicht nur im Format; die Titel der Dramen ändert und erweitert er um einer billigen Sensation willen; damit übertreibt er oft mit Humor eine Sitte der Schauspieldichter, die besonders in Wien und dort von Stephanie d. J. gepflegt wurde. Den Autoren gibt er rühmende Prädikate: Krüger, der geschickten und gelehrten Welt bekannte Autor; Weiße, der berühmte Dichter; von einem reizend verfertigten, sehr rührenden Drama spricht er — betont (auch hier nur den Zeitgeschmack übertreibend), wenn der Handlung eine „wahre Geschichte“ unterliegt. Inhaltsangaben unterstreichen das Schreckensvolle, das bevorsteht im blutigen Königsdrama; die Süßigkeit der zu erwartenden Moral, die Lächerlichkeit einer besonders gut gezeichneten Alten Jungfer oder die Meisterschaft des Direktors als Jude Pinkus werden herausgehängt. Die Zettel der zweiten Saison sind gemäßigter, nur die Titel des üblichen allabendlichen Balletts locken in alter Weise. Ilgeners Repertoire sind ohne Charakteristika. Das deutsche Lustspiel (Weiße, Brandes), die deutsche Tragödie (Weiße, Lessing, Götter) — man erwartet nichts anderes — Ilgener mit Eigenem und das ist die Willkür eines Wander-Repertoirs, das ohne künstlerische Absichten Altes und Neues bringt. Die komische Oper (Operette) herrscht. Sein Personal nennt er nur im ersten Jahr, es war ohne Wert; Goedel, seine erste Kraft, wurde in Berlin ausgepocht. Im zweiten Sommer nimmt er einen Ballettmeister Tilly an, der einige Jahre später als Rostocker Prinzipal bedeutsam wird.

Unbegreiflicher Weise hatte der Rat zu Pfingsten 1776 noch eine zweite Gesellschaft zum Spiel zugelassen: Reymann, der die Ambergschen Trümmer in Stralsund gesammelt hatte und nach Rostock kam, um Ilgener zu stürzen. Nach mühsamen vierzehn Tagen eigener Existenz ist er mit seiner Frau und dem jüngeren Amberg bei Ilgener eingetreten.

Aus Ilgeners Personal hat J. C. Koppe das Ehepaar Schmidt loben können, sodass Schmidt, als er eine Truppe übernommen hatte, zu seinem ersten Spielort die Stadt macht, wo der ihm günstige Kritiker lebt. Und Koppe nimmt seinen Schützling erfreut auf, berichtet in langen Briefen an das Gothaer Theater-Journal von dieser Gesellschaft, der Barzanti und Ilgener gar nicht zu vergleichen seien. Nur ihr Aufenthalt vom Jahre 1780 lässt sich abgrenzen: kurz nach Ostern, bis über die Messe hinaus, auf dem Hornschen Hofe, den schon Ilgener im zweiten Jahr zu seinem Standort erwählt hatte. Zum Aufenthalt des nächsten Jahres lud ihn der Obrist von Glüer ein, der schon Leppert nach Rostock zog. Koppe ist (im Ganzen) nicht galanter geworden. Das Elend, das bei allen Wandertruppen bestand, dass jeder Akteur und jede Aktrice im Schauspiel, in der Operette und im Ballett aufzutreten hatte, setzte den Schauspieler einem dreifachen Maßstabe der Kritik aus; neben einem hohen Lob — und Koppe lobt oft, wenn auch in blassen Prädikaten und ohne Methode — steht der harte Tadel. Dass aber Macbeth zweimal ein volles Haus brachte, freut ihn; statt einer literarischen Kritik gibt er Erinnerungen: „Mit Vergnügen erinnere ich mich noch der Aufführung (von Engels Edelknaben) in ihrem lieben Gotha, wo der brave Ekhoff den alten Rode und Bök und seine Frau den Rittmeister und die alte Rachel so vortrefflich spielten.“ Das stille ordentliche Leben Schmidts und seiner Frau werde die Vorurteile zerstreuen helfen, die man noch gegen den Stand der Schauspieler habe. So bestimmt bei Koppe die Moral den Wert des Schauspielers. Madame Schmidt musste sich als Gräfin Walltron also besingen lassen:

        Ich sah dich leiden — sah mit Schmerzen
        Dem Manne dich entrissen, der dich liebt.
        Dein göttlichs Spiel — auch Tiegerherzen
        Riss es zum Mittgefühl dahin. — Betrübt
        Sah jeder dich, Sophie Walltron leiden;
        Doch ach ein guter Gott, er schaffte dieses Scheiden
        Auf ewig in die frohsten Szenen um;
        Durchdrungen vom Gefühl der Freuden
        Sah’n wir’s — sahn dich, und priesen deinen Ruhm.