Abschnitt 1

Drei Königskinder


Es war einst ein König, der hatte Befehl gegeben, daß in seinem Reiche abends nach zehn Uhr keiner mehr arbeiten sollte, und wer das doch thäte, der sollte schwerer Strafe gewärtig sein. Nun saßen noch spät abends bei Licht drei arme Mädchen und arbeiteten. Da sprach die erste: „ich wollte, ich kriegte des Königs Koch zum Mann,“ die zweite: „ich wollte, ich kriegte dem König seinen Minister,“ die dritte und jüngste aber sprach: „ich wollte, daß ich den König selber zum Mann kriegte“. Das hatte der König alles mit angehört, denn er stand hinter dem Fenster und horchte, und kam ihm so drollig vor, daß er beschloß, den drei Mädchen ihre Wünsche zu erfüllen.


Den Tag darauf ließ er die älteste zu sich rufen, die sich den Koch zum Manne gewünscht hatte und sprach zu ihr: „ich habe gestern deinen Wunsch vernommen und

weil du den Koch begehrt,
so bist des Koches werth“

und gab ihr den Koch zum Manne. Darauf ließ er die zweite vor sich kommen und sagte: „ich habe gestern deinen Wunsch vernommen und

weil du den Minister begehrt,
so bist du seiner auch werth“

und gab ihr seinen Minister zum Manne. Nachdem so mußte die dritte und jüngste Schwester vor ihn kommen, die ihn selber zum Manne gewünscht hatte, zu der sprach er auch: „ich habe gestern deinen Wunsch vernommen und

weil du meiner begehrt,
so bist du meiner auch werth“

und heirathete sie und machte sie zur Königin.

Über eine Zeit, so wurde die Königin schwanger; da fragte sie der König, wen sie denn am liebsten zu ihrer Pflege bei sich haben wollte. Da verlangte sie nach ihrer ältesten Schwester, die des Königs Koch zum Manne hatte. Die Königin brachte aber einen hübschen Knaben zur Welt, der trug an seiner Stirn einen goldenen Stern. Weil nun die älteste Schwester neidisch war, daß die jüngste den König zum Mann gekriegt hatte, sie selber aber nur des Königs Koch, so legte sie der Königin einen jungen Hund ins Bett, nahm das Kind, klebte ihm ein Pechpflaster auf die Stirn, daß der goldene Stern nicht zu sehen war und that es in einen Kasten; den Kasten mit dem Kinde setzte sie heimlich auf den Strom, 1) der dicht an des Königs Schloß vorbeifloß, und da trieben ihn die Wellen immer weiter hinab in das Land hinein. Der König, da er vernahm, daß seine Frau einen Hund geboren hätte, ward erst ganz zornig, aber doch, aus großer Liebe zu ihr, gab er sich zufrieden und war freundlich und gut mit ihr wie zuvor.

Zu derselben Zeit wohnte weiter den Strom hinab ein Gärtner, der hatte drei Kinder und dicht an dem Strom einen schönen Garten. Da nun einst die Kinder, wie sie immer thaten, in dem Garten dicht am Wasser ihre Spiele trieben, so kam ein Kästchen den Strom herabgeschwommen, und wie es die drei Gärtnerskinder auffischten und ans Ufer zogen, so lag ein kleiner hübscher Knabe darin, dem saß auf der Stirn ein Pechpflaster. Da liefen die Gärtnerskinder mit dem Kästchen und dem Kinde darin voller Freuden zu ihrem Vater und zeigten es ihm, und der Gärtner, da er das arme hülflose Kind sah, erbarmte sich seiner und behielt es bei sich und behandelte es, als ob es sein eigenes Kind gewesen wäre, und die drei Gärtnerskinder warteten es und spielten damit.

Über ein Jahr kriegte die Königin wieder ein kleines Kind und das war wieder ein Knabe und trug vor seiner Stirn auch so einen goldenen Stern, genau wie das erste Kind. Die neidische Schwester aber, welche die Königin wieder zur Pflege bei sich hatte, nahm das Kind, sobald es geboren war, heimlich weg, legte ein Pechpflaster auf seine Stirn und setzte es in einem Kästchen auf den Strom, daß es die Wellen hinuntertrieben. An seiner Statt legte sie der Königin einen jungen Hund ins Bett und ging hin und sagte dem Könige, seine Gemahlin hätte diesmal wieder einen Hund zur Welt gebracht. Darüber gerieth der König in heftigen Zorn, versammelte seine Räthe und fragte sie, was sie meinten, daß er in der Sache thun solle? Da hielten sie einen Rath und sprachen; diesmal sollte der König noch verzeihen; wenn aber so was noch einmal wieder vorkäme, so hätte die Königin verdient, daß sie in einem Thurme lebendig vermauert würde und kein Essen und kein Trinken kriegte und so des Todes stürbe. Damit war der König zufrieden.

Es begab sich aber, daß zu derselben Zeit des Gärtners drei Kinder wieder in dem Garten waren und an dem Wasser spielten, da kam das Kästchen mit des Königs zweitem Kinde auf dem Strome dahergeschwommen, das zogen die drei Kinder auch ans Ufer und brachten es voller Freuden zu ihrem Vater, und weil der ein mitleidiger Mann war, so behielt er das arme hülflose Ding bei sich, und die drei Gärtnerskinder warteten es und spielten damit.

Nachdem, da ein Jahr vergangen war, wurde die Königin zum dritten Male schwanger und hatte wieder ihre Schwester bei sich, und als sie nun ein kleines Mädchen kriegte, da legte ihr das boshafte Weib eine Katze ins Bett und setzte das Kind in einem Kasten auf den Strom, daß es die Wellen hinaustrugen in das weite Land hinein. Aber die drei Gärtnerskinder fingen es auf und brachten es ihrem Vater, der erbarmte sich seiner und behielt es bei sich.




1) Eine Art Nilstrom, wie die Erzählerin bemerkte. W.B.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Drei Königskinder