Die selbständige Ukraine

Menschen- und Völkerleben Juni/Juli 1916
Autor: Alexander Skoropyß v. Joltuchowskyj 1880-1946, Erscheinungsjahr: 1916

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Ukraine, Ukrainer, Russland, Russen, Stammesgenossen, Europa, Volksgenossen, Schwarzes Meer, Frankreich, Kornkammer, Zucker, Steinkohle, Rohstoffe, Großmacht, Volk, Mittelmächte, Übermacht, Reichtümer, Freiheit, Krieg, Frieden, Freundschaft, Großrussen, Kleinrussen, Unterdrückung, Friedenszeiten, Weltanschauung, Kulturleben, Geschichtsschreibung, Völkerwanderung, Kulturstaaten
      Das ukrainische Volk gleicht an Zahl seiner Stammesgenossen den Italienern, so dass nur in Europa die Deutschen, Russen, Franzosen und die Engländer eine größere Zahl von Volksgenossen aufweisen, als die Ukrainer.
      Wenn man das Territorium betrachtet, welches von Ukrainern bewohnt ist und sich zwischen Russland und dem Schwarzen Meer erstreckt, so erkennt man, dass (der Flächenraum fast anderthalbmal so groß ist, wie das Deutsche Reich. Dieser Raum ist bewohnt von einer Bevölkerung (zerstreute fremdsprachige Inseln eingerechnet), die an Zahl einer Großmacht wie Frankreich gleichkommt. Wenn wir berücksichtigen, dass die Ukraine die Kornkammer Russlands ist, die ein Drittel der gesamten russischen Ernte liefert — da der Boden des Landes zu dem fruchtbarsten der ganzen Welt zählt —, dass beiläufig siebzig Prozent des in ganz Russland gewonnenen Eisens und achtzig Prozent der Steinkohlen in der Ukraine gefördert werden, und dass achtzig Prozent des in Russland erzeugten Zuckers aus der Ukraine stammt, so erfassen wir deutlich den ungeheuren wirtschaftlichen Wert dieses Landes.
Inhaltsverzeichnis
  1. Erste Fortsetzung
      Wenn man weiter in Erwägung zieht, dass die Söhne dieses Volkes (von dem ein Achtel in Österreich-Ungarn lebt) russische Gelüste tapfer abwehren, dass die Vertreter der Ukrainer feierlich erklärt haben, an der Seite der Mittelmächte stehen zu wollen, und dass Tausende von freiwilligen Schützen, indem sie ihr Blut in den Reihen der österreichisch-ungarischen Armee hinopfern, hinlänglich bekunden, wohin ihr Volk sich hinwenden möchte, wenn es frei in seinen Entschlüssen wäre, — dann kommt man zum Verständnis der politischen Bedeutung der Ukraine.
      Wäre es für die Entente-Mächte möglich, die Pläne der Aushungerung Deutschlands zu vollbringen, wenn die Reichtümer der Ukraine den Zentralmächten in dem gegenwärtigen Krieg zugutekämen? Könnten die Entente-Mächte in jenem Falle an einen Krieg überhaupt gedacht haben, welcher von ihnen entfesselt wurde, nur weil sie zuversichtlich darauf rechneten, dass die absolute Übermacht auf ihrer Seite sei? Nein! Ohne den Besitz der Ukraine und der Reichtümer dieses Landes und ohne Zugang zum Schwarzen Meere müsse für die Entente eine solche Übermacht als ausgeschlossen gelten!
      Wenn wir all das bedenken, wird es uns nicht als ein wunderliches und böses Märchen anmuten, dass die Deutschen bis zum Kriegsausbruch keine Ahnung von diesem Problem hatten; dass fast niemand von den deutschen Gelehrten auf die Idee kam, sich in das Studium des Problems zu vertiefen?
      Der moskowitische Staat trachtete, die speziellen Umstände ausnützend, in welchen sich die Entwicklung der slawischen Völker abspielte, nicht bloß, alle Äußerungen des nationalen Lebens der unterdrückten Völker planmäßig hintanzuhalten, unter Anwendung der europäisch organisierten Armee und Polizei, sondern auch unsere alten Kulturerrungenschaften systematisch zu vernichten.

      Die Ukrainer wurden nicht nur ihrer politischen Freiheit, der selbständigen Nationalkirche und Schule beraubt, sondern auch ihrer Muttersprache, selbst ihres hergebrachten Namens, — sie wurden in Kleinrussen umgetauft, um auf diese Weise zu betonen, dass sie doch als Angehörige des russischen Volksstammes anzusehen sind.
      Die Deutschen, welche mit dem großen Russland in Freundschaft lebten, hatten kein Interesse, in Friedenszeiten Näheres über das Innere von Russland zu erfahren; denn was konnte die Deutschen der Streit zwischen den Groß und Kleinrussen angehen?
      Zwar haben die Ukrainer lange an der deutschen Pforte geklopft .... aber, die einzige Monatszeitung in ukrainischer Sprache, „Ukrainische Rundschau“, welche seit achtzehn Jahren von den Ukrainern mit dem Zweck der Information der deutschen Öffentlichkeit herausgegeben wird, hat bis zum Anfang des Krieges nicht einmal so viel Abonnenten sammeln können, dass sie ein selbständiges Unternehmen werden konnte.
      So konnte nun auf dieser Basis der Gleichgültigkeit der deutschen Öffentlichkeit zur ukrainischen Frage die moskowitische Diplomatie das wundersame Trugbild des einheitlichen, unteilbaren, großen Russlands erbauen, in welchem außer einigen kleinen Völkern lauter Russen leben sollten.
      Und wenn ein Deutscher auch in die Ukraine kam, so sah er auf allen Anzeigetafeln und in allen Ämtern das offizielle Russland.
      Und wenn auch manchem klar wurde, dass die Lebensführung der ukrainischen Bauernschaft im Bau der Häuser, in der Kleidung, in der Weltanschauung, in dem Klange der Sprache, ja selbst in dem Charakter des Menschen von der russischen verschieden ist, so befriedigte er sich mit den von den Russen populär gemachten flachen Analogien und Hinweisen auf die Verschiedenheit der deutschen Stämme, nur im grandiosen Maßstabe genommen — denn Russland ist ja auch ein Riesenstaat!
Dem erbarmungslosen Vernichten aller national-ukrainischer Keime im Innern, dem Deportieren der Bauern wegen Besitzes des heiligen Evangeliums in ukrainischer Sprache nach Sibirien, dem Verbot, Kirchen in ukrainischem Stile zu bauen usw., entsprach das Bestreben, Russland nach Außen als brüderliche Einheit darzustellen; Tausende von bezahlten gelehrten Schriften bewiesen auf alle möglichen und unmöglichen Arten, dass ein ukrainisches Volk nie existierte, nicht existiert, und nie existieren wird.
      Die Folge davon war, dass aus den Schulbüchern der ganzen Welt, in erster Reihe selbstverständlich Russlands, die Geschichte des ukrainischen Volkes, ja sein Name verschwand!

Ukraine, Karte, Der ukrainische Staat bis Dnipr-Donetz

Ukraine, Karte, Der ukrainische Staat bis Dnipr-Donetz

Kiew 002 Sophienkathedrale, Ansicht vom Glockenturm nach S-O.

Kiew 002 Sophienkathedrale, Ansicht vom Glockenturm nach S-O.

Kiew 001 Sophienkathedrale , Kuppeln

Kiew 001 Sophienkathedrale , Kuppeln

Kiew 003 Sophienkathedrale , Nördliche Seite

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106 Ländliche Wohnung in der Krim

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107 Zigeunerfamilie in der Krim

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109 Karaiten und Tataren

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108 Kaiser Alexander II. (1818-1881) von Russland

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Kaiser Nicolaus I. (1796-1855)

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09 Russische Staatsgefangene am Ufer der Jana

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13 Gruppe von politischen Gefangenen in Sredne-Kolymsk (1)

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Die Andreaskirche in Kiew

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Aus dem russischen Volksleben

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Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

Zar Peter der Grosse

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