Madame Roland.

Im Gefängnis von Saint-Pélagie am 9. August 1793. „Tochter eines Künstlers, Frau eines Gelehrten, der Minister geworden und ein rechtschaffener Ehrenmann geblieben ist, heute Gefangene, vielleicht zu einem gewaltsamen Tode bestimmt, habe ich das Glück und die Trübsal kennen gelernt, ich habe den Ruhm von der Nähe gesehen und Ungerechtigkeit erduldet.

Aus niedrigem Stande, aber von ehrenwerten Eltern geboren, habe ich meine Jugend inmitten der schönen Künste verbracht, erfüllt vom Zauber des Studierens, ohne anderes Vorrecht als das des Verdienstes, noch andere Größe als die der Tugend zu kennen.


Im Alter, wo man sich zum Ehestand entschließt, habe ich die Aussichten auf ein Vermögen verloren, welches mir eine meiner Erziehung entsprechende Partie hätte verschaffen können. Die Verbindung mit einem ehrenwerten Manne schien diesen Schicksalsschlag wieder gut zu machen, sie bereitete mir neue.

Ein sanfter Charakter, eine starke Seele, ein tüchtiger Verstand, ein sehr zärtliches Herz, ein Äußeres, das all das ankündigte, haben mich bei denen beliebt gemacht, die mich kennen. Die Stellung, in der ich mich befunden habe, hat mir Feinde gemacht, ich als Person habe keine; diejenigen, die das Schlechteste über mich sagen, haben mich nie gesehen.

Es ist wahr, dass die Dinge selten das sind, was sie zu sein scheinen, dass die Abschnitte meines Lebens, in denen ich die meiste Wonne genossen oder den meisten Kummer empfunden habe, ihrem Wesen nach oft dem völlig entgegengesetzt sind, was andere darüber urteilen könnten. Weil das Glück mehr von den Gefühlen als von den Begebenheiten abhängt.

Ich nehme mir vor, die Muße meiner Gefangenschaft zu benützen, um mir alles, was mich persönlich betrifft, von meiner zartesten Kindheit bis zu diesem Augenblick, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es heißt ein zweites Mal leben, wenn man sich auf diese Weise zu allen Spuren seiner Lebensbahn zurückversetzt. Und was kann man im Gefängnis besseres tun, als sein Dasein durch eine glückliche Täuschung, oder durch interessante Erinnerungen, anderswohin zu verlegen? Wenn sich die Erfahrung weniger durch die Macht des Handelns als durch die des Nachdenkens über das, was man sieht und das was man tut, erwerben lässt, so kann sich die meinige durch das Unternehmen, das ich beginne, sehr steigern.

Die öffentlichen Angelegenheiten, meine persönlichen Empfindungen boten mir seit den zwei Monaten meiner Haft genug Stoff zu denken und zu schreiben, ohne dass ich es nötig hätte, auf so weit fernliegende Zeiten zurückzugreifen. Die fünf ersten Wochen waren der Aufzeichnung historischer Notizen gewidmet, deren Sammlung vielleicht nicht ohne Wert war. Sie sind eben vernichtet worden.*)

*) Dies war ein Irrtum. Ein Fragment wurde gerettet, das im Beginn des I. Bandes ihrer Memoiren aufgenommen ist. (Anm. d. V.)

Ich habe die ganze Bitterkeit dieses Verlustes gefühlt, den ich nicht mehr werde gut machen können; aber ich würde mich gegen mich selbst empören, wenn ich mich, durch was immer es auch sei, niederschlagen ließe. In allen Leiden, die ich erduldet habe, ist der lebhafteste Eindruck des Schmerzes fast gleichzeitig von dem Streben begleitet, meine Kräfte dem Schmerz, dessen Gegenstand ich bin, entgegen zu stellen und ihn zu überwinden, weder durch das Gute, das ich andern tue, oder durch die Steigerung meines eigenen Mutes. Auf diese Art kann mich das Unglück verfolgen, aber nicht zu Boden drücken. Die Tyrannen können mich quälen, aber erniedrigen niemals: Meine Notizen sind verloren, so werde ich Memoiren verfassen, und indem ich mich mit Klugheit meiner eigenen Schwäche in einem Augenblick anpasse, in dem ich auf das schmerzlichste betrübt bin, werde ich mich mit mir beschäftigen, um mich besser von mir abzulenken. Ich werde mich im Guten und Bösen mit gleicher Freimütigkeit vorstellen. Derjenige, der es nicht wagt, sich selbst ein gutes Zeugnis auszustellen, ist beinahe immer ein Feigling, der das Böse kennt und fürchtet, das man über seine Person sagen könnte. Und derjenige, der zögert, sein Unrecht einzugestehen, hat nicht die Kraft, es zu verteidigen, noch die Macht, sich davon loszumachen. Dieselbe Aufrichtigkeit, die ich mir gegenüber habe, werde ich mir auch anderen gegenüber auferlegen. Vater, Mutter, Freunde, Gatten, alle werde ich so zeichnen, wie sie sind, oder wie ich sie gesehen habe.

So lange ich in dem Zustande des Friedens, der Zurückgezogenheit verharrte, hat meine natürliche Empfindsamkeit alle meine anderen Eigenschaften derart eingehüllt, dass sich diese allein nur bemerkbar machte oder alle anderen beherrschte. Mein erstes Bedürfnis war zu gefallen und Gutes zu tun. Ich war ein wenig wie der gute Herr de Gourville, von dem Madame Sévigné sagt, dass die Nächstenliebe ihn bei der Aussprache halbe Worte verschlucken lies. Und ich würde verdienen, dass Sainte Lette von mir sagte: „dass ich mit der Fähigkeit seine Epigramme zuzuspitzen, mir dennoch niemals eines habe entschlüpfen lassen.“

Seitdem die Umstände, die politischen und die anderen Stürme die Tatkraft meines Charakters entwickelt haben, bin ich vor allem offen, ohne auf die leichten Verwundungen, die im Fluge entstehen können, allzugenau zu achten. Ich mache keine Epigramme mehr, denn sie lassen das Vergnügen vermuten, durch die Kritik zu verletzen, und ich verstehe mich nicht darauf, mich mit dem Töten von Fliegen zu unterhalten. Aber ich liebe es, Gerechtigkeit durch die Macht der Wahrheit widerfahren zu lassen; ich sage die furchtbarsten Dinge den Beteiligten ins Gesicht, ohne zu erschrecken, ohne mich aufzuregen, noch mich zu erzürnen, welchen Eindruck sie auf sie machen mögen.*)“

Dies die Einleitung zu dem dritten Bande ihrer herrlichen Memoiren, in denen sich Madame Roland ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Der Vater Madame Rolands hieß Gatien Phlipon, Kupferstecher von Beruf, nebstbei auch Maler. Er wollte sich ganz der Emailmalerei widmen, weniger aus Neigung als aus Geschäftssinn. Aber seine Augen zwangen ihn, dieses Gebiet aufzugeben, er beschränkte sich dann bloß auf das Kupferstechen. Trotzdem er sehr fleißig war und die Mode gerade diese Kunstart bevorzugte und er überdies eine große Anzahl Arbeiter beschäftigen konnte, so trieb ihn der Wunsch, Reichtum zu erwerben, zum Handel. Er kaufte Schmuck, Diamanten oder nahm solche als Zahlung für seine Arbeiten an, um sie bei günstiger Gelegenheit wieder zu verkaufen. Dieses Streben, Reichtum auf unbekannten Gebieten zu erwerben, scheint den meisten verderblich zu werden. In den seltensten Fällen kommt ein Einzelner auf Umwegen zu fabelhaftem Reichtum und verführt durch sein Beispiel eine Menge anderer, die dann durch diese Nachahmung schmählich zugrunde gehen. Seine Kunst hätte genügt, ihm eine auskömmliche Existenz zu bieten, er aber wollte reich werden und endigte damit, sich zu ruinieren.

*) Als Goethe Im Jahre 1820 Madame Rolands Memoiren gelesen, hatte, schrieb er in den „Tag- und Jahresheften“ folgendes darüber „Die Werke der Madame Roland erregten bewunderndes Erstaunen. Dass solche Charaktere und Talente zum Vorschein kommen, wird wohl der Hauptvorteil bleiben, welche unselige Zellen der Nachwelt überliefern. Sie sind es denn auch, welche den abscheulichsten Tagen der Weltgeschichte in unsern Augenblicken so hohen Wert geben.“

Herr Phlipon war ein gesunder, kräftiger, tätiger und großsprecherischer Mensch und hatte eine Neigung für allen Luxus und Zierrat. Trotzdem er ohne Bildung war, halte er sich einen gewissen Grad von Geschmack und Kenntnisse erworben, die die Beschäftigung mit den schönen Künsten, wenn auch nur oberflächlich, verschafft. So sehr er auch auf den Reichtum und alles, was ihn verschaffen könnte, Wert legte, so verkehrte er doch mit den Kaufleuten nur geschäftlich, Freundschaftsverhältnisse hatte er nur mit Künstlern, Malern, Bildhauern. Er lebte in sehr geordneten Verhältnissen, so lange sein Ehrgeiz Grenzen kannte und er kein Missgeschick zu erdulden hatte. Man kann nicht gerade behaupten, dass er ein tugendhafter Mensch war, aber er hatte viel von dem, was man Ehre nennt. Er lies sich wohl hie und da eine Sache wesentlich teuerer bezahlen, als sie wert war, aber er hätte sich eher das Leben genommen, als den Preis des von ihm gekauften Gegenstandes nicht zu bezahlen.

Seine Frau Marguerite Bimont hatte ihm als Mitgift sehr wenig Geld, aber eine himmlische Seele und ein reizendes Gesicht mitgebracht. Sie war die älteste von sechs Geschwistern, bei denen sie Mutterstelle vertrat, und deshalb entschloss sie sich erst mit 26 Jahren zur Heirat, Ihr empfindsames Herz, ihr liebenswürdiger Charakter hätte sie mit jemand Aufgeklärten, Zartfühlenden verbinden sollen. Aber ihr Vater stellte ihr einen ehrbaren Mann vor, dessen Talent ihr Auskommen sicherte, und ihre Vernunft willigte in diese Wahl!

In Ermanglung des Glückes, das sie nicht erhoffen konnte, wollte sie den Frieden walten lassen, der es teilweise zu ersetzen vermag. Es ist weise, sich in sein Schicksal zu ergeben. Die Freuden sind seltener als man denkt, aber der Trost fehlt der Tugend nie.

Madame Roland war das zweite Kind, das dieser Ehe entspross. Im ganzen hatte das Ehepaar sieben Kinder, von denen jedoch sechs zum Teil gleich nach der Geburt, zum Teil in früher Kindheit starben. Auch sie wurde zu fremden Leuten aufs Land zum Aufziehen gegeben, wie das in Frankreich bis zu dem heutigen Tage Sitte ist.

Als das kleine Mädchen zwei Jahre alt war, kam es zu den ihr ganz entfremdeten Eltern zurück und weinte nach seiner vermeintlichen Mutter. Es bedurfte des ganzen Verstandes und der Güte Frau Phlipons, um das Kind im Elternhause heimisch zu machen. Bald gewann sie über den sanften, weichen Charakter des Kindes den Einfluss, den sie immer nur zum Vorteil ihrer Tochter gebrauchte. Er war so mächtig, dass in den kleinen, unausweichlichen Ärgernissen, die zwischen der Vernunft, die das Kind leiten soll und dem Widerstand, den es ihr entgegensetzt, entstehen, die Mutter nur nötig hatte, das Kind kalt „Fräulein“ zu nennen und es strenge anzusehen, um Folgsamkeit zu erzielen. Immer fühlte Madame Roland selbst in späteren Jahren einen gewissen Schauer, wenn sie an dieses Wort „Fräulein“ und an den strengen Blick aus den sonst so zärtlich blickenden Augen ihrer Mutter dachte.

Madame Roland hieß Manon Jeanne. Sie sagt selbst in ihren Memoiren folgendes über diesen Namen: „Ja, Manon, so nennt man mich, ich bedauere das selbst für die Liebhaber von Romanen; es ist kein vornehmer Name, er steht einer Heldin höheren Grades gar nicht an. Aber schließlich ist er der meine und meine Geschichte ist’s, die ich schreibe. Übrigens hätten sich die Empfindsamsten mit dem Namen ausgesöhnt, wenn sie ihn von meiner Mutter ausgesprochen gehört hätten, und die gesehen haben würden, die ihn trug!“

Manon war lebhaft ohne lärmend zu sein; von Natur sinnend veranlagt, forderte sie nichts weiter, als nur immer beschäftigt zu sein. Sie fasste alles rasch. Diese Begabung war so groß, dass sie mit einem male lesen konnte, ohne sich erinnern zu können, es jemals gelernt zu haben. Als sie vier Jahre alt war, las sie schon leidenschaftlich gerne. Gleich nach den Büchern kam ihre Liebhaberei für Blumen.

Wenn sie an ihre Kindheit zurück denkt, so findet sie sie beglückt, weil sie sie inmitten von Büchern und Blumen verbringen durfte. Und selbst im Gefängnis, kurz vor ihrem Tode, konnte der Anblick einiger Blumen, die ihr Kerkergitter verdeckten, sie die Ungerechtigkeit der Menschen vergessen machen, und ihre Bücher trösteten sie auch dort in ihren Leiden. Sie war so wissbegierig, dass sie selbst den Koran studiert hätte, wenn sich ihr dazu eine Gelegenheit geboten hätte.

Die Künstler, die im Elternhaus der kleinen Manon verkehrten, beschäftigten sich gerne mit dem schönen, muntern Kinde und erzählten ihm manch schönes Märchen.

Mit sieben Jahren schickte man sie jeden Sonntag in die Pfarrschule, um sie zur Konfirmation vorbereiten zu lassen. Ein Bruder ihrer Mutter war Geistlicher und unterrichtete sie in der Sonntagsschule. Er war von der Leichtigkeit ihrer Auffassung und ihrer Lernbegierde so begeistert, dass er auf den Gedanken verfiel, sie im Lateinischen zu unterrichten. Das kleine Mädchen war entzückt, es war ein Fest für sie, einen neuen Lehrgegenstand gefunden zu haben. Sie hatte daheim die verschiedensten Lehrer für Kalligraphie, Geographie, Musik und Tanz. Ihr Vater erteilte ihr Unterricht im Zeichnen. Aber all das war ihr nicht genug. Sie stand um 5 Uhr früh auf, als noch alle im Hause schliefen, sie schlüpfte leise, nur mit einem Jäckchen bekleidet, ohne daran zu denken Strümpfe und Schuhe anzulegen, zu einem Tisch im Winkel des Zimmers ihrer Mutter, worauf ihre Arbeiten lagen, und begann abzuschreiben, ihre Übungsbeispiele mit derartigem Eifer zu wiederholen, dass sie riesige Fortschritte machte. Die Lehrer wurden ihr alle gewogen und gaben ihr aus Vergnügen längere Lektionen; dieses Interesse erhöhte noch den Eifer der kleinen Manon. Alle schienen sich geschmeichelt zu fühlen, das begabte Kind unterrichten zu dürfen und dieses selbst war ihnen andererseits sehr dankbar, unterrichte zu werden. Es gab keinen Lehrer, der nicht nach einigen Jahren des Unterrichtes erklärt hätte, dass Manon nun der Anleitung nicht weiter bedürfe, dass aber die Eltern gestatten mögen, dass er ihr Haus besuchen und mit ihrer Tochter im Verkehr bleiben dürfe. Der Vater nahm fast keinen Einfluss auf ihre Erziehung. Ihre kluge, und vorsichtige Mutter fand bald heraus, dass man sie nur durch Vernunftsgründe beherrschen, oder durch Gefühl gewinnen könne. Sie stieß bei ihrer Tochter nie auf Widerstand, während der Vater als Herr befahl und nie oder spät Folgsamkeit durchsetzte. Wenn er nun gar als Despot auftrat und sein Kind bestrafte, da verwandelte sich das sonst sanfte Geschöpf in eine kleine Löwin. Sie schlug um sich, protestierte und bäumte sich gegen seinen Willen auf.

Als Manon eines Tages krank war, wollte der Vater ihr mit Gewalt die verordnete Medizin beibringen. Ihre Mutter hatte sich schon vorher in aller Güte und Geduld bemüht, sie dazu zu bewegen, vergebens. Der Vater fuhr dazwischen, erklärte den Ekel der Kranken für Trotz und begann tüchtig auf sie loszuhauen. Dann reichte er wieder die Medizin hin, und als sie Miene machte sie auszuschütten, wurden die Prügel zweimal wiederholt. Erst schrie sie laut, dann aber, als die Schmerzen schier unerträglich wurden, beruhigte sie sich mit einem male, sie hörte zu weinen auf, eine jähe Ruhe kam über sie und vereinigte alle ihre Kräfte zu einem Entschluss. Sie stieg aus dem Bette, wendete sich gegen die Mauer, lehnte den geneigten Kopf gegen sie und bot selbst ihren entblößten Körper den Streichen dar, Sie erzählt selbst, dass ihr kein weiterer Seufzer entfuhr und dass man sie auf der Stelle hätte totschlagen können, ohne ihr einen Seufzer zu entlocken! Der Mutter gelang es endlich den Vater aus dem Zimmer zu entfernen. Sie legte das misshandelte Kind ins Bett und ließ es zwei Stunden unbehelligt. Nach Verlauf dieser Zeit trat die Mutter ins Zimmer. Sie weinte und beschwor Manon, die Medizin zu nehmen und ihr nicht weiter Schmerz zu bereiten. Das Kind blickte sie unbeweglich an, nahm das Glas und leerte es auf einen Zug.

Madame Roland sagt in ihren Memoiren bei Erinnerung an diese ungerechte Züchtigung: „Alle Einzelheiten dieser Szene sind mir so gegenwärtig, als hätten sie sich erst kürzlich zugetragen. Alle Eindrücke, die ich empfunden habe, sind mir noch so deutlich, es ist dieselbe Steifheit, die ich seither auch in den feierlichen Augenblicken eintreten fühle, und ich brauche heute nicht mehr zu tun, um stolz auf das Schafott zu steigen, als ich damals tat, mich der barbarischen Behandlung zu überlassen, die mich wohl hätte töten aber nicht bezwingen können.“

Seit jenen Schlägen hatte der Vater sie nicht mehr gezüchtigt, er gab ihr auch nicht den geringsten Verweis. Er liebkoste sie häufiger als früher, unterwies sie im Zeichnen, führte sie auf die Promenade, und dies alles mit einer Güte, die ihn in den Augen Manons wieder ehrwürdiger erscheinen ließ und ihm von ihrer Seite völligen Gehorsam sicherte.

Ihr siebenter Geburtstag wurde wie der Eintritt in das Alter der Vernunft feierlich begangen. Ihr Dasein verlief sanft im häuslichen Frieden und einer großen geistigen Tätigkeit. Die Mutter war fast unausgesetzt zu Hause und verkehrte nur mit sehr wenigen Leuten. Zweimal die Woche gingen sie zu den Großeltern väterlicher Seite. Auch die Großmutter Bimont wurde häufig besucht; sie war eine große, schöne Frau, die in früheren Jahren vom Schlage gerührt worden war. Ihr Geist blieb zeitlebens getrübt; sie war völlig stumpfsinnig. Die kleine Manon langweilte sich dort über alle Massen, sie begriff die traurige Krankheit nicht und wurde ärgerlich, wenn sie sah, dass die Großmutter laut auflachen konnte, wenn sie niederfiel oder sich sonst weh tat, und dann weinte, wenn sie heiter war und sich freute. Wenn man sie aufklärte, es sei dies infolge ihrer Krankheit, so fühlte sie sich dadurch nicht weniger traurig. Das Schluchzen und sinnlose Schreien verletzten ihr Gefühl und erfüllten sie mit Entsetzen. Das war eine harte Geduldsprobe, auf die Manon gestellt wurde. Als sie einmal durchaus nicht hingehen wollte, genügte es, dass ihre Mutter ihr Vorstellungen machte, dass es eine strenge und rühmliche Pflicht sei, die sie ihrer Mutter gegenüber erfülle, und dass es ehrenvoll sei, wenn sie sie mit ihr teile. Madame Phlipon verstand es, die Dinge so darzustellen, dass das Herz des Kindes diese Lehre mit Rührung aufnahm und darnach zu handeln bereit war.

Die Aufgaben füllten die Stunden des Tages derart aus, dass sie ihr für das, was sie unternehmen wollte, immer zu kurz wurden. Aber bald genügten ihr die Lehrbücher allein nicht mehr, sie entnahm der Hausbibliothek ein Buch nach dem andern, das gab eine recht zusammengewürfelte Lektüre: Die Bibel, die sie besonders anzog, das Leben der Heiligen, Geschichtswerke, Theaterstücke, kurz alles Gedruckte, das ihr in die Hände kam. Der Lerneifer beherrschte sie derart, dass sie einmal eine Abhandlung über Heraldik studierte. Aber endlich kannte sie alles, was in ihres Vaters Bibliothek stand, und suchte nach neuer Nahrung für ihren Geist. Durch Zufall entdeckte sie im Atelier ihres Vaters ein Versteck, wo die Schüler ihre Bücher aufbewahrten. Sie nahm immer eines im Geheimen weg und las es, sie gab es immer rechtzeitig zurück, bevor die Schüler kamen, so dass diese nichts bemerkten. Es waren im allgemeinen gute Werke. Eines Tages bemerkte Manon, dass ihre Mutter die gleiche Entdeckung wie sie gemacht habe, indem sie einen der Bände, den sie bereits kannte, in ihrer Hand sah. Darnach genierte sie sich nicht weiter und entnahm die Bücher ganz ungescheut.

Reisebeschreibungen gehörten zu ihrer Lieblingslektüre. Aber allen voran waren die Werke Plutarchs die Geistesnahrung, die ihr entsprach.

Als sie neun Jahre alt war, es waren die Fasten von 1763, trug sie den Plutarch an Stelle des Andachtsbuches in die Kirche! Von dieser Zeiz an datieren die Eindrücke und Gedanken, die sie noch unbewusst zur Republikanerin machten.

Telemach und Tassos „Befreites Jerusalem“ kamen etwas störend zwischen drein in die großen Spuren, auf denen Manon wandelte. Der rührende Fénélon bewegte ihr Herz und Tasso entzündete ihre Phantasie. Hie und da musste sie ihrer Mutter vorlesen, aber sie tat es nicht gerne, da sie dadurch aus ihrer Sammlung gerissen wurde und nicht wie sonst bei den schönen Stellen nach Belieben verweilen konnte. Wenn sie für sich las, versank die wirkliche Welt um sie her, und sie war bald Eucharis von Telemach, bald die Erminia für Tankred! Sie sah nur mehr die Gestalten, und die Dinge um sie verwandelten sich auch in die geschilderte Umgebung. Es war ein Traum ohne Erwachen.

Nach dieser Zeit kam Voltaire an die Reihe. Eines Tages saßen einige alte Damen bei ihrer Mutter und spielten Piquet. Manon saß in einem Winkel des Zimmers und las „Candide“; als ihre Mutter für einige Augenblicke das Zimmer verlassen hatte, rief eine der alten Damen das Kind zu sich heran, und bat es, ihr das Buch zu zeigen, worin es eben las. Dann wandte sie sich an Frau Phlipon, die wieder ins Zimmer trat, und drückte ihr ihr Erstaunen über Manons Lektüre aus. Ohne ihr zu antworten, sagte Frau Phlipon zu ihrer Tochter, sie solle das Buch wieder hinstellen, wo sie es genommen habe. Die kleine, alte, dicke, wichtigtuende Frau bekam seither keinen freundlichen Blick wieder von Manon. Aber die gute, kluge Frau Phlipon änderte gar nichts in ihrer Auffassung und ließ ihre Tochter weiter alles lesen, was ihr in die Hand kam und tat als sähe sie es nicht, trotzdem sie alles sehr genau wusste.

Übrigens gab es gar keine unsittlichen Bücher im Hause, und so kam nichts Verderbliches in die Hände des wissbegierigen Kindes.

Herr Phlipon beschenkte seine Tochter fast ausschließlich mit Büchern. Aber er war in der Wahl nicht immer glücklich, wie sie sagt; er gab ihr zum Beispiel Locke „Über die Erziehung der Kinder“, oder Föénélon „Abhandlung über die Erziehung junger Mädchen“. Bücher, die dazu bestimmt waren die Erzieher zu leiten, gab man dem Zögling! Aber sie war so frühreif, sie liebte nachzudenken und wollte sich selbst bilden, sie studierte die Regungen ihrer Seele und suchte darnach, sich selbst zu kennen, und so kam es, dass der Zufall ihr günstiger war als gewöhnliche Berechnungen es vielleicht gewesen wären. Sie begann zu fühlen, dass sie eine große Bestimmung habe und dass sie sich in den Stand setzen müsse, sie würdig erfüllen zu können. Es waren unklare Ahnungen, und der Weg, den sie ging, war ein sehr merkwürdiger, voller Windungen und Krümmungen.

Sie hatte ein ganz besonderes Talent für Sprachen. Italienisch zum Beispiel lernte sie allein, ohne alle Schwierigkeit. Ihr Vater unterrichtete sie auch im Gravieren; bald hatte sie die ersten Schwierigkeiten überwunden und verstand es, mit dem Grabstichel umzugehen. Sie machte große Fortschritte, der Vater gab ihr die einfachen Arbeiten zur Ausführung und dachte sie dafür zu interessieren, wenn er den Profit mit ihr teilte. Manon sollte ein Buch darüber anlegen und am Ende jeder Woche abrechnen. Aber das langweilte sie und schließlich interessierte sie auch die Arbeit nicht. Sie las lieber ein Buch, als sich für den Erlös der Arbeit Bänder zu kaufen. Sie nahm sich nicht die Mühe, ihre Abneigung zu verbergen und man widersetzte sich ihr nicht. Und so tat sie die Grabstichel, die Flachstichel in die Werkzeugskiste, ohne sie jemals wieder daraus zu entnehmen.

Trotzdem Frau Phlipon für sich gar keinen Wert auf Kleider legte, hielt sie bei ihrer Tochter sehr viel darauf. Mit Schrecken dachte Madame Roland ihrer damaligen Lockenfrisuren, deren Herstellung ihr arge Schmerzen verursachten, bei denen sie aber jede Klage unterdrückte.

Als Kind von acht Jahren also las sie, wie wir gesehen haben, bereits ernste Werke, verstand mit der Grabstichel umzugehen, zeichnete gut, kannte sich in den Gestirnen aus, war in der Gesellschaft älterer Mädchen die beste Tänzerin; oft wurde sie in die Küche gerufen um eine Omelette zu machen, Gemüse zu putzen oder die Suppe abzuschäumen. Frau Phlipons Umsicht war es zu danken, dass Manon sich ebenso mit ernsten Studien, als angenehmen Freiübungen und häuslichen Geschäften befasste. Diese verschiedenartige Ausbildung, die sie zu allem befähigte, schien die Wandelbarkeit ihres Geschickes voraus zu verkünden und half ihr alles zu ertragen. Sie war nirgends am unrechten Platz. Wenn sie kochte oder Holz spaltete und diese Arbeiten auch höchst geschickt und flink zu vollführen verstand, so sah man ihr doch gleichsam an, dass sie für etwas anderes geschaffen war, niemand dachte daran, diese Beschäftigung als die für sie geeignete zu halten.

Frau Phlipon war fromm, ohne deshalb eine Betschwester zu sein, sie glaubte, oder bemühte sich zu glauben. Die ehrfurchtsvolle Art, mit der man Manon die ersten religiösen Begriffe beibrachte, hatten ihre Aufmerksamkeit wachgerufen und machten auf ihre lebhafte Phantasie einen großen Eindruck, und trotz der Unruhe, in die sie ihre aufkeimende Urteilskraft oft warf, sie etwa über die Verwandlung des Teufels in die Schlange erstaunen machte, hinderte sie das nicht, gläubig zu sein und anzubeten.

Sie hatte der Firmung mit jener geistigen Sammlung angewohnt, die sie die Bedeutung ihrer Handlungen erkennen ließ, und sie über ihre Pflichten nachzudenken veranlasste. Als davon die Rede war, sie zur ersten Kommunion vorzubereiten, fühlte sie sich von einem heiligen Schauer durchdrungen; sie las Andachtsbücher, sie fühlte den Drang, sich mit den großen Problemen über ewiges Seelenheil oder ewige Verdammnis zu beschäftigen, und so neigten nach und nach, erst fast unmerklich, ihre Gedanken nach dieser Richtung hin.

Ein bedauernswerter Zwischenfall kam noch hinzu, steigerte ihre Unruhe, und veranlasste sie einen großen Entschluss zu fassen.

Im Atelier ihres Vaters waren verschiedene junge Schüler und Gehilfen. Manon trat wiederholt mit ihnen in Berührung, wenn sie dahin kam, um ihrem Vater ihre Arbeit Vorzulegen, oder wenn sie ihre Grabstichel schärfen musste und dergleichen mehr. Unter diesen Schülern befand sich einer, dessen Eltern fern von Paris lebten. Frau Phlipon hatte Mitleid mit ihm, und da er noch sehr jung war, lud sie ihn meist am Sonntag für den Abend ein, damit er nicht in schlechte Gesellschaft gerate. So kam es, dass Manon viel vertrauter und freundschaftlicher mit ihm verkehrte als mit den andern Schülern ihres Vaters. Ganz harmlos, ohne jede Furcht ging sie ins Atelier, wenn auch ihr Vater nicht zugegen war.

Eines Abends ging sie wieder ins Atelier und fand bloß den einen Schüler anwesend, der bei der Lampe zu Studieren schien. Sie ging an den Tisch und verlangte etwas, was sie gerade benötigte, da fasste er ihre Hand und zog sie in unanständiger Weise an sich. Das erschreckte Kind schrie laut auf und suchte seine Hand loszumachen, aber er lachte, ohne sie freizugeben und sagte ganz leise:

„Aber stille doch! Wovor fürchten Sie sich, welche Dummheit! Kennen Sie mich denn nicht? Ich bin kein Bösewicht, Sie werden durch Ihr Schreien Ihre Frau Mutter zu kommen veranlassen, die mich wegen Ihrer Angst ausschelten wird.“ Sie verstummte, war aber sehr aufgeregt und forderte, dass er ihre Hand freigebe. Aber er hielt sie weiter fest und machte eine Halbdrehung auf seinem Sitz, so dass sie kaum Zeit hatte, den Kopf nach dieser Richtung zu wenden. Sie schrie und rief laut, es sei wirklich schrecklich, was er treibe, sie wehrte sich, um loszukommen und davonzulaufen.

Dann entschuldigte er sich bei ihr und versicherte, er habe durchaus nicht die Absicht gehabt, sie böse zu machen, aber es stehe ihr frei, ihn bestrafen zu lassen. „Ach mein Gott! Ich werde nichts sagen, lassen Sie mich nur gehen,“ antwortete sie ihm. Nun ließ er ihre Hand los und sie entwischte rasch.

Kaum hatte sie ganz erregt ihr Zimmer aufgesucht, als sie die Stimme ihrer Mutter vernahm, die sie rief. Sie war verwirrt und hätte Zeit bedurft sich zu fassen, aber es half nichts, sie musste dem Ruf Folge leisten. Ihre Mutter bemerkte die Veränderung ihres Aussehens und fragte besorgt, was ihr geschehen sei, warum sie so bleich aussehe. Sie antwortete ausweichend, sie wisse nicht, sie habe das Bedürfnis ein Glas Wasser zu trinken. Dann wurde sie gefragt, was sie fühle, und sie wusste nichts anderes zu antworten, als dass ihr ein wenig unbehaglich zumute sei. Dabei zitterten ihre Kniee, als sie aber das Wasser getrunken hatte, kam sie wieder zu sich, konnte sich beherrschen, ihre Mutter beruhigen und nach dem Begehr fragen.

Der peinliche Auftritt im Atelier war lange nicht zu verwischen und bereitete ihr doppelte Pein, da sie nicht wagte, ihrer Mutter davon Mitteilung zu machen. Sie hätte gar nicht gewusst, wie beginnen! Eine Zeit lang unterließ es Manon, ins Atelier zu gehen und sah den jungen Mann mit den zwei anderen Burschen bloß in Gegenwart ihrer Eltern am Mittagstisch. Das schien dem Burschen unangenehm und er suchte Manon einmal heimlich auf, als sie in der Küche beschäftigt war. Er stellte sie zur Rede, warum sie nicht mehr ins Atelier komme, entschuldigte sich wieder wegen seines Benehmens und bat sie, doch wieder wie früher hinzukommen. Sie sagte bloß „ja“, und rannte davon.

Nach und nach, fast unmerklich, begann sie ihre Angst und den Auftritt zu vergessen und ging wieder wie früher ins Atelier, um ihren Vater zu sprechen und das Nötige zu holen. Der junge Mensch suchte oft nach einer Gelegenheit, um auf den Auftritt zurückzukommen, darüber zu scherzen und ihn ihr als Kinderei hinzustellen; endlich brachte er es zuwege, auch sie darüber zum Lachen zu bringen. Daraus entstand eine Vertraulichkeit wie dies meist zwischen zwei Menschen ist, die etwas, was immer es auch sei, nur allein wissen und darüber ihre Gedanken ausgetauscht haben.

Eines Tages arbeitete das Kind wieder an der Seite ihres Vaters im Atelier, als dieser hinausgerufen wurde; sie wollte ihm gleich folgen, als sich irgend eine Blechmusik auf der Strasse hören ließ. Sofort eilte sie an das hohe Fenster und stieg auf den daneben stehenden Stuhl, denn sie hatte auf andere Art nicht in die Straße blicken können, da sie noch zu klein war. Der junge Mensch riet ihr, auf den Werktisch zu steigen und half ihr dabei. Die anderen Schüler waren auf die Straße geeilt um zu sehen, was es gäbe. Als Manon wieder hinab steigen wollte, fasste er sie unter den Armen, drückte sie an sich, und auf einmal saß sie auf seinem Schoße, denn er hatte sich, während er sie hinabhob, auf den Sessel sinken lassen.

Als sie losgelassen zu werden verlangte, begann er wieder sein altes Lied, und fragte spöttisch, ob sie denn wieder Angst bekomme: sie wich der Frage aus und sagte nur, sie wolle gehen, er zerdrücke ihr Kleid ... Da wollte er ihr Kleid glätten, wobei sie seine Hände unverschämt berührten. Sie wollte sich ihm mit Gewalt entziehen, schlug um sich, dabei glitt sie zu Boden und sah mit Entsetzen in sein Gesicht. Seine Augen schienen aus den Höhlen zu treten, seine Nasenflügeln waren erweitert, sie war nahe daran in Ohnmacht zu fallen. Als er das sah, veränderte er sein Benehmen, er wurde sanft und tat alles, um sie zu beruhigen, er wollte sie nicht eher gehen lassen, als bis ihm dies gelungen wäre. Endlich konnte sie aufstehen und fortgehen. Von da an sah sie ihn nur mehr mit missbilligenden Blicken an, seine Gegenwart missfiel ihr. Sie wurde traurig und unruhig, sie hielt sich für beleidigt, sie wollte alles ihrer Mutter erzählen, doch war sie ängstlich und verlegen. Frau Phlipon bemerkte, dass Manon angegriffen war, und ihre erste Frage über die Veränderung ihres heiteren Wesens genügte, um sie den Vorgang vom Anfang bis zum Ende erzählen zu machen. Die Gemütsbewegung und das entsetzte Aussehen der Mutter drückten sie voll Schmerz nieder. Die gute Frau war verzweifelt, als sie bemerkte, wie nahe sie daran gewesen war, die Früchte ihrer Sorgfalt zu verlieren: vielleicht überkam sie auch die Angst, dass die Tochter ihr etwas verbarg; sie stellte tausenderlei verhüllte Fragen, um ihr nicht mehr zu sagen als sie bereits wusste, und gleichzeitig um sich zu versichern, dass Manon nicht mehr darüber unterrichtet sei, als es den Anschein hatte.

Frau Phlipon benützte sehr geschickt den Widerwillen und die natürliche Schamhaftigkeit, die ihre Tochter bei diesem traurigen Vorgang empfunden hatte, um die eine und die andere ihrer Empfindungen bis zum höchsten Grade zu steigern, sie stellte es als einen Fehler hin, dass Manon ihr die Sache so lange habe verheimlichen können und diese unerhörte Ausschreitung des jungen Mannes so leicht zu nehmen schien. Sie unterließ es nicht, dieses Benehmen in so fürchterlichen Farben zu schildern, dass sich das Kind für verloren hielt, Religion, Tugend, Ehre, Ruf, alles benützte sie als Mittel, auf sie einzuwirken, mit dem Eifer einer erfüllten Seele und der Zärtlichkeit eines mütterlichen Herzens, eines Herzens wie des ihren. Sie wollte die Gefahr, der ihre Tochter ausgesetzt war, als sicherstes Schutzmittel gegen ähnliche für die Folge ausnützen. Sie brachte es dahin, dass Manon sich für die Schuldbeladenste unter allen Menschen hielt! Sie fand keine Ruhe, bis sie es durchsetzte, dass die Mutter sie zur Beichte führte. Das arme Kind fand es entsetzlich, derartige Dinge erzählen zu müssen, aber der Gedanke, dass dies ein Mittel der Sühne sei, veranlasste sie wohl oder übel es zu benutzen, und der Mut sich dazu zu entschließen, flößte ihr eine beruhigende Stärke ein. Von jenem Augenblick an beherrschten sie die religiösen Ideen. Die Frömmigkeit, in die Manon verfiel, veränderten sie seltsam. Eine tiefe Demut, eine unbeschreibliche Schüchternheit kam über sie.

Sie betrachtete die Männer mit einer Art Entsetzen, das noch wuchs, wenn der Betreffende liebenswürdig war; sie wachte mit außerordentlicher Peinlichkeit über ihre Gedanken und es bedurfte eines Nichts, um in ihr das Gefühl zu erwecken, es sei ein Verbrechen.

Frau Phlipon hatte durch geschickte Vorwände es ermöglicht, dass sie und Manon nicht an dem gemeinsamen Mittagstisch teilnahmen. Das war eine große Erleichterung für das Kind. Auf diese Weise konnte sie dem Burschen völlig aus dem Wege gehen. Denn die Eltern hielten es für klüger, ihn seine Lehrzeit beenden zu lassen, als durch seine plötzliche Entlassung einen Skandal heraufzubeschwören.

Das zurückgezogene Leben, das Manon führte, erschien ihr noch immer zu weltlich, um sich würdig für die Kommunion vorzubereiten. Diese große Angelegenheit, die von solchem Einfluss auf das ewige Seelenheil sein soll, beschäftigte alle ihre Gedanken. Sie fand Geschmack am Gottesdienst, die Feierlichkeit übte einen starken Eindruck auf ihre Sinne aus. Sie las eifrig die Erklärung der kirchlichen Gebräuche und ihre symbolische Bedeutung. Sie las das Leben der Heiligen und beneidete sie um ihre Märtyrerkrone, die sie sich zu den Zeiten des Heidentums durch ihren Glaubenseifer errungen hatten. Eines Abends warf sie sich vor ihren Eltern auf die Knie und beschwor sie zu gestatten, dass sie für eine Zeit ins Kloster gehen dürfe.

Die gute Mutter war gerührt, sie hätte gezittert, wenn sie nicht gewusst hätte, dass ihrer Tochter nichts geschehen sein konnte, da sie sie in der letzten Zeit keine Minute verlassen hatte. Man befragte sie um die Gründe, die ihr diesen Plan wünschenswert erscheinen ließen, und erinnerte sie daran, dass man ihr bisher nichts Vernünftiges abgeschlagen habe. Sie sagte bloß, es geschehe aus dem Wunsch heraus, ihre erste Kommunion mit aller schicklichen Sammlung abzulegen. Der Vater lobte ihren frommen Eifer und beriet sich mit der Mutter über das zu wählende Kloster. Kurze Zeit darnach, am 7. Mai 1765, trat Manon mit 11 Jahren in das Kloster Neuve-Saint-Etienne im Faubourg Saint-Marcel ein.

In Tränen gebadet, nahm sie Abschied von ihrer Mutter; es war die erste längere Trennung von ihr. Aber es schien ihr, als folge sie der Stimme Gottes, wenn sie ihm unter Tränen das größte Opfer, dessen sie fähig war, darbrachte; denn als solches galt ihr diese erste Trennung

Sie verbrachte die erste Nacht sehr aufgeregt. Sie befand sich nun nicht mehr unter dem väterlichen Dache, sie fühlte schmerzlich die Entfernung von ihrer guten Mutter, die sicherlich an sie dachte — überall herrschte tiefste Stille, sie gab sich ihr mit einem gewissen Schauer hin. Große Bäume warfen ihren mächtigen Schatten dahin und dorthin und versprachen einen sicheren Zufluchtsort für die stille Andacht und Betrachtung. Als sie die Augen zum heiteren Himmel erhob, glaubte sie die Gegenwart der Gottheit zu fühlen, die ihr für ihr Opfer zulächelte, und sie fühlte bereits den Lohn dafür in dem trostreichen Frieden eines himmlischen Aufenthaltes. Köstliche Tränen flössen langsam über ihre Wangen und sie wiederholte mit heiligem Schauer ihre Gottergebenheit.

Als der Abend wiedergekommen war, hatte sie noch nicht alle ihre Klostergefährtinnen gesehen, es waren deren vierunddreißig in einer einzigen Klasse vereinigt, Schülerinnen vom sechsten bis zum achtzehnten Lebensjahre. Manon wurde bei Tisch unter die Großen gereiht. Die feine Lebensart, mit der sie ihre Mutter vertraut gemacht hatte, die gesetzte Art, die ihr zur Gewohnheit geworden war, die sanfte, richtige Weise sich auszudrücken, ähnelten in nichts dem lärmenden Übermut der übrigen, ausgelassenen Jugend. Die Kinder behandelten sie wie eine Erwachsene, und die Erwachsenen ließen sie den trennenden Altersunterschied nicht fühlen und behandelten sie mit einer gewissen Achtung. Durch ihren Lerneifer war sie unterrichteter als die meisten älteren Mädchen, die sich dort befanden. Die Lehrerinnen waren bald alle von Manons Eifer und Talent entzückt und beschäftigten sich mit ihrem Unterricht auch außerhalb der obligaten Stunden. Sie brachte es dazu, die Erste zu werden, und fand noch immer freie Zeit, weil sie fleißig war und keinen Augenblick verlor. In den Erholungsstunden und auf den Spaziergängen lief sie nicht scherzend mit den andern, sie zog sich meist einsam mit einem Buche unter den Schatten eines Baumes zurück. Sie liebte und bewunderte die Natur, es überkam sie dort, wie in der Kirche, eine heilige Empfindung der Dankbarkeit für den Schöpfer all dieser Herrlichkeiten.

Es waren bereits einige Monate vergangen, seit Manon innerhalb der stillen Klostermauern lebte. Die Eltern besuchten sie bloß des Sonntags und nahmen sie zu einem Spaziergang mit. Beim Abschied gab es regelmäßig Tränen, die sich aber nicht etwa auf ihre Lage bezogen, sondern nur einzig der Zärtlichkeit galten, die sie für ihre Eltern empfand. Wenn sie dann durch die stillen Gänge schritt, hielt sie oft inne, um die Einsamkeit recht zu genießen, oder sie blieb vor dem Grabe irgend einer frommen Nonne stehen und las das Lob, das auf dem Leichenstein eingegraben war. Dann konnte das kleine Mädchen tief aufseufzen, und fand die Todte beneidenswert in ihrer ewigen Glückseligkeit I Diese melancholische Anwandlung entbehrte nicht des Reizes, auch sie hoffte sich diese Seligkeit, nach der sie Verlangen fühlte, zu erringen.

Zwei neue Schülerinnen kamen von Amiens ins Kloster, es waren dies die Schwestern Cannet, mit denen Madame Roland bis zu ihrem Tode in aufrichtiger Freundschaft verbunden blieb. Trotzdem die Eine bereits achtzehn und die andere vierzehn Jahr alt war, hinderte sie dieser Altersunterschied nicht, mit Manon ganz auf gleich und gleich zu verkehren. Darin glichen sich alle Schülerinnen, dass sie Manon gerne ausfragten und sie zum Reden brachten, aber dies wurde nicht allen leicht gemacht. Wirklich mitteilsam konnte sie nur ihren wirklichen Freundinnen gegenüber sein, andere konnten sie nur erraten, und nur ganz Geschickte vermochten den Schleier ein wenig zu lüften, in den sie sich, ohne die Absicht sich zu verbergen, ganz natürlich hüllte.

Beim Eintritt ins Kloster wurde von den Eltern festgesetzt, dass Manon ein Jahr hier zu verbleiben habe, sie hatte es selbst gewünscht, eine Frist bestimmt zu sehen, nach der sie nicht weiter das Opfer zu bringen hatte, von ihrer Mutter getrennt leben zu müssen. Als die Zeit um war und es hieß, sich von der geliebten Einsamkeit, von den guten Freundinnen und teilnehmenden Lehrerinnen für immer zu trennen, da gab es Tränen in Hülle und Fülle von allen Seiten. Man schwor sich ewige Freundschaft, und Manon gab das Versprechen, recht oft ins Kloster zu kommen, um alle die teueren Personen wiederzusehen. Frau Phlipon musste durch die häufige Abwesenheit ihres Mannes viel im Atelier sein, um die Schüler zu beaufsichtigen und gab ihre Tochter deshalb für eine Zeit zu Herrn Phlipons Mutter. Manon willigte ein, da sie dort ihre Mutter doch viel häufiger sehen konnte als im Kloster. Bei dieser Großmutter lebte auch eine Tante Manons, Fräulein Rotisset, die sie Angélique nannte. Sie war asthmatisch und sehr fromm, gut wie ein Engel und harmlos wie ein Kind. Sie betrug sich wie eine demütige Magd vor ihrer älteren Schwester, Manons Großmutter. Die Sorge um den Haushalt ruhte einzig auf ihr, eine Waschfrau kam zweimal des Tages, um die gröbste Arbeit zu verrichten, alles übrige machte Tante Angélique. Sie half ihrer Schwester mit einer gewissen Ehrerbietung sogar beim Ankleiden. Sie wurde auch sogleich Manons Bonne, während die Großmutter Phlipon das Amt der Erzieherin für sich in Anspruch nahm. Das im Kloster gegebene Versprechen wurde gehalten; so oft es nur anging, machte sich Manon in Begleitung ihrer Tante Angélique auf den Weg dahin. Aber der Verkehr mit den Schwestern Cannet war durch das Dazwischentreten der anderen, die auch ins Sprechzimmer kamen, um Manon zu sehen, gestört. Die Mädchen verfielen auf den Gedanken, einander in Briefen das mitzuteilen, woran sie durch die Anwesenheit der andern gehindert waren. Diese Idee wurde zur Tat und wir verdanken ihr zwei Bände sehr interessanter, merkwürdiger Briefe Madame Rolands an die Schwestern Cannet.

Manon hatte ihren zwölften Geburtstag im Hause ihrer Großmutter verbracht. Der Friede in diesem Hause und die Frömmigkeit der Tante Angélique entsprachen ganz besonders ihrem empfindsamen, andächtigen Gemütszustande. Jeden Morgen ging sie mit Tante Angélique in die Kirche, um die Messe zu hören. Sie hatte den geheimen Plan, sich dem Klosterleben zu weihen. François de Sales, einer der liebenswürdigsten Heiligen aus dem Paradiese, hatte es ihr angetan. Da sie aber das einzige Kind ihrer Eltern war, dachte sie, dass sie ihr dazu kaum ihre Einwilligung geben würden. Sie fügte sich in ihr Schicksal und wollte mit der Ausführung dieses Planes bis zu ihrer Großjährigkeit warten.

Der Vater war wieder regelmäßig zu Hause, und Manon konnte endlich zu ihrer Mutter zurückkehren. Auch daheim wurde der fleißige Besuch der Kirche nicht unterlassen. Manon ging jeden Morgen mit ihrer Mutter in die Messe. Nachher wurden meist Besorgungen gemacht, dann kam ein Lehrer nach dem andern. Nach dem Mittagessen zog sie sich in ihre Stube zurück, um zu lesen, zu schreiben und nachzusinnen. Die langen Abende wurden zu Handarbeiten verwendet, wobei Frau Phlipon stundenlang vorlas. Von allem, was ihr vorgelesen wurde, besonders aber von dem, was sie selbst las, machte Manon regelmäßig Auszüge und schrieb die Stellen, die ihr besonders gefielen, nieder. Bei all ihrem Lerneifer und der Begierde sich zu bilden, ging sie ganz und gar nicht planmäßig vor, sie hatte nur ein Ziel, zu wissen und sich zu unterrichten, sie musste den Tätigkeitstrieb ihres Geistes beschäftigen, und ihre ernsten Neigungen fördern, sie bedurfte des Glückes, sie konnte es nur in der völligen Entwicklung ihrer Anlagen finden, es schien ihr, in ihrer Betätigung zu bestehen.

Das Erste, das ihr nach langem Nachdenken und Studieren in der katholischen Religion widerstrebte, war die Lehre von der ewigen Verdammnis und das Dogma der Unfehlbarkeit. Sie zögerte nicht, das eine und das andere zu verwerfen. Was blieb denn Wahres? Dies wurde mehrere Jahre hindurch der Gegenstand des fortgesetzten Suchens, nach dem sie mit einem Eifer, mit einer geistigen Urruhe, die schwer zu schildern ist, forschte. Kritische, philosophische, moralische und metaphysische Schriften waren damals ihre Lieblingslektüre.

Die Zeit verging unmerklich und mit einem Male war Manon in das Alter gekommen, wo die Freude zu gefallen einen großen Raum in der Vorstellung einnimmt.

An der Stelle ihrer Memoiren, wo sie davon spricht, entwirft sie eine Schilderung ihres Äußeren: „Mein Gesicht hatte nichts Auffallendes, als eine große Frische und viel Sanftheit im Ausdruck; wenn man jeden Zug eingehend betrachtet, fragt man sich, wo die Schönheit eigentlich steckt, kein einziger ist regelmäßig, alle zusammen gefallen. Mein Mund ist etwas groß, man sieht tausend schönere, aber keiner von ihnen hat ein sanfteres und verführerischeres Lächeln. Das Auge hingegen ist nicht sehr groß und zeigt eine graublaue Farbe. Die Augen treten etwas hervor, der Blick ist offen, frei, lebhaft und milde; braune Augenbrauen, die in der Farbe den Haaren gleichen und gut gezeichnet sind. Die Augen wechseln in ihrem Ausdruck wie die liebevolle Seele, deren Regungen sie malen; sie setzen manchmal durch den Ernst und den Stolz in Erstaunen, aber sie schmeicheln häufiger und muntern auf. Die Nase verursacht mir einigen Kummer, ich finde sie etwas stark an der Spitze, indessen im Ensemble betrachtet, und besonders im Profil gesehen, verdirbt sie nicht das übrige. Eine breite offene Stirn, stark gewölbte Augenhöhlen, in der Mitte ein deutliches Y, von Adern gebildet, die bei der geringsten Erregung merklich hervortreten; sie ist dadurch von der Unbedeutendheit, die man an vielen anderen findet, verschont.

Das Kinn ist hinaufgestülpt, der Teint mehr lebhaft als weis, mit blendenden Farben. Ein schöner runder Arm, eine angenehme, wenn auch nicht kleine Hand, gesunde, gut gereihte Zähne, eine üppige Gestalt, das sind die Schätze, die mir Mutter Natur zum Geschenke gemacht hat.“

Madame Roland sagt dann weiter, dass sie wiederholt gemalt und gezeichnet worden sei, dass aber kein Bild einen rechten Begriff ihrer Persönlichkeit gebe, sie sei schwer zu treffen, weil sie mehr Seele als Gesicht, mehr Ausdruck als Züge habe. Ihre Züge belebten sich im Verhältnis zu dem Interesse, das man ihr einflößte, sowie auch im Verhältnis zu dem Geist, den man ihr gegenüber aufwandte. So fand sie sich Dummen gegenüber wie vor den Kopf geschlagen, und hinwiederum Gescheiten gegenüber fand sie ihren Geist immer wieder, glaubte aber meist, es sei das Verdienst dieser Gescheiten und nicht das ihre. Nicht allen Leuten war es gegeben, ihren Wert und ihre Veranlagung zu erkennen. Sie sagt selbst, dass manche sie zehn Jahre kannten, ohne eine Ahnung zu haben, dass sie mehr konnte als eine Addition machen und Hemden nähen. Gegen viele war sie schweigsam, kalt, wenn nicht gar abstoßend. Hofmacher mochte sie nicht leiden, sie hasste ebenso die Galanten als sie die Sklaven verachtete, sie verstand es, die Courschneider fein hinauszukomplimentieren.

Vor allem machte sie auf Achtung und Wohlwollen Anspruch, die Bewunderung stand in dritter Linie, sie wollte in erster Linie anerkannt und geliebt sein, das gelang ihr auch bei allen, die das Herz am rechten Fleck hatten.

Auf das Studium der Philosophie, die als die Wissenschaft der Sitten und die Grundlage der Glückseligkeit betrachtet wurde, wendete sie nun allen Fleiß und alle Zeit. Beim Studium der Alten gab sie den Stoikern den Vorzug; sie versuchte, wie diese, den Lehrsatz aufrecht zu halten, dass der Schmerz kein Übel sei und sie bemühte sich hartnäckig, sich nie von ihm besiegen zu lassen. Ihre Versuche überzeugten sie, dass sie große Leiden zu ertragen vermochte, ohne zu schreien.

Eine Zeitlang beschäftigte sie sich auch mit lebhaftem Interesse mit Physik und höherer Mathematik, aber diese Wissenschaften vermochten sie nicht lange zu fesseln, bald kehrte sie wieder zur Literatur zurück.

Im Sommer wurde jeder Sonntag zu Ausflügen in die reizende Umgebung benützt. Meudon liebte sie ganz besonders, dort gab es wild wachsende Wälder, einsame Teiche, Alleen von Fichten, alten Baumriesen. An diese einfachen Freuden in der freien Natur dachte sie immer mit Rührung zurück. Wenn man nach einem frugalen Mittagessen, das die Familie in einer Waldschänke eingenommen hatte, wieder eine einsame Waldlichtung aufsuchte um ein Mittagschläfchen zu halten, da brachte es Manon nicht dazu, die Augen im Angesicht all der sie umgebenden Herrlichkeiten zu schließen, sie träumte mit offenen Augen, oder zog das Buch eines Schriftstellers heraus und versank in die Welt jener Vorstellungen: „Reizendes Meudon, wie oft habe ich in deinem Schatten die liebliche Luft eingeatmet, indem ich den Schöpfer meines Daseins segnete, indem ich dasjenige wünschte, was es eines Tages vollkommen machen konnte, aber mit jenem Zauber eines Wunsches, ohne Ungeduld, der nichts tat, als die Wolken der Zukunft mit den Strahlen der Hoffnung zu vergolden. Wie liebte ich es, mich unter den großen Bäumen auszuruhen! Während die Eltern schliefen, betrachtete ich die Erhabenheit deiner schweigsamen Wälder, ich bewunderte die Natur, ich betete die Vorsehung an, deren Wohltaten ich fühlte. Das Feuer der Empfindung färbte meine feuchten Wangen, und der Reiz des irdischen Paradieses schien für meine Empfindung in diesem ländlichen Aufenthalte verkörpert. Der Bericht über meine Ausflüge und das Glück, das sie mich empfinden ließen, bildete einen Teil der Korrespondenz mit meiner Freundin Sophie Cannet, manchmal in Prosa von Versen durchbrochen, absonderliche, aber leichte, manchmal glücklich geratene Geisteskinder einer Seele, für die alles Leben, Bild, Glückseligkeit war. Sophie fand sich in eine Welt geworfen, in der es keine Annehmlichkeiten gab, die sie mich in meiner Einsamkeit genießen sah. Als ich ihre Familienangehörigen kennen lernte, schätzte ich den Wert meiner Zurückgezogenheit erst recht.

Es ist zweifellos, dass unsere Lage viel unsern Charakter und unsere Meinung beeinflusst, aber man konnte sagen, dass die Erziehung, die mir zuteil wurde, dass die Ideen,, die ich durch Studium und mit Hilfe der Welt erworben habe, dass alles sich vereinigte, mir die republikanische Begeisterung einzuflössen, indem es mich das Lächerliche beurteilen und die Ungerechtigkeit einer Menge von Vorrechten und Standesunterschieden fühlen ließ. In meiner Lektüre begeisterte ich mich ganz besonders für die Reformatoren der Ungleichheit. Wenn ich beim Einzug der Königin oder der Prinzen zugegen war, oder die Danksagungen sah, die bei der Niederkunft der Königin verrichtet wurden, so hielt ich voll Schmerz diesen asiatischen Luxus, diesen unverschämten Pomp mit dem Elend und der Erniedrigung des angesammelten Volkes gegen einander, des Volkes, das ganz verblödet auf den Weg, eilt um die von seiner Hand geschaffenen Götzen zu sehen und dabei das glänzende Gepränge albern beklatscht, dessen Kosten es mit Aufopferung des eigenen Notwendigsten beschaffen muss!“

Die lockeren Sitten, für die der Hof in erster Linie verantwortlich zu machen war, erfüllten sie mit Entrüstung. Sie sah damals noch nicht das geringste Anzeichen einer Revolution und legte sich wiederholt die Frage vor, wie es möglich sei, dass die Dinge in diesem Staate fortbestehen können. In der Geschichte sah sie, dass die Staaten, die in einem ähnlichen Zustande der Entartung sich befanden, ins Wanken gerieten und zusammenstürzten. Jetzt aber hörte sie die Franzosen über ihre eigenen Leiden lachen und spotten; sie fand, dass die Engländer Recht hatten, die Franzosen für Kinder zu halten.

Frau Phlipon sah ein, dass man den Geist ihrer Tochter beschäftigen müsse, und legte ihren Studien keine Hindernisse in den Weg. Geschichte und Philosophie waren nun die zwei Hauptgegenstände, die ihr Interesse wachriefen. Selbst die Gefahr der Ungläubigkeit, die durch diese Studien entstand, hinderte Madame Phlipon nicht, sie gewähren zu lassen. Es war ihr lieber, die Phantasie, als das Herz ihres Kindes mit fortgerissen zu sehen! „Ach mein Gott! Welche vergebliche Mühe, seinem Schicksale auszuweichen!“ Im Augenblick, wo ein junges Mädchen das Alter erreicht, das seine Entwicklung ankündigt, heftet sich der Schwärm der Verehrer an ihre Fersen, gleich dem Bienenschwarm, der um die eben erblühte Rose summt. Manon war in einer sehr puritanischen Weise aufgezogen worden und lebte sehr zurückgezogen. Es stellte sich trotzdem eine Menge von Freiern ein. Sic umgingen die Schwierigkeit, ins Haus eingeführt zu werden, indem sie den schriftlichen Weg betraten. Ihr Vater brachte ihr jedes mal die Briefe dieser Art. Sie verfasste dann regelmäßig selbst die Absagebriefe, die ihr Vater getreulich abschrieb. Die Herren wurden mit Würde, ohne Hoffnung und Beleidigung, abgewiesen. So passierte die ganze junge Herrenwelt der Vorstadt, in der sie lebte, Revue. Ihr Vater legte nur auf Reichtum Gewicht, alle, die nicht ein solides Vermögen oder alte, gutgehende Geschäftshäuser hatten, erlangten nicht seinen Beifall. Kam aber einer, der ihm nach dieser Richtung entsprach, so sah er es mit Schmerz, wenn seine Tochter sich nicht entschließen wollte.

Von jener Zeit an begannen sich die Gegensätze zwischen ihr und ihrem Vater immer mehr zuzuspitzen. Er liebte und achtete den Handel, weil er ihn als die Quelle des Reichtums betrachtete, sie hingegen hasste ihn, weil er in ihren Augen die Quelle des Geizes und der Betrügerei war. Ihr Vater begriff nicht, dass ein eleganter Juwelier, der nur schöne Dinge berührte, ein altes, gutgegründetes Haus hatte, der eine glänzende Zukunft vor sich sah, ihr nicht genügte und nicht gefiel!

Von ihrer frühesten Kindheit von den reinsten Moralgrundsätzen erfüllt, mit den großen Beispielen des Altertums vertraut, sollte sie nur deshalb mit den Helden Plutarchs gelebt haben, um sich mit einem Kaufmann zu verbinden, der nicht wie sie urteilen oder fühlen würde?

Frau Phlipon, die vernünftige Mutter, wollte, dass Manon sich ebenso in der Küche wie im Salon, auf dem Markte wie auf der Promenade, auskenne und nahm sie mit, oder ließ sie die Sachen selbst besorgen. Dabei kamen recht komische Zufälle vor. Der Fleischer hatte seine Frau verloren. Er hatte ein Vermögen von 50.000 Taler und hoffte überdies, es noch zu vergrößern. Manon wusste nichts von all dem. Sie bemerkte nur, dass sie sehr gut bedient wurde und verwunderte sich sehr, dass er ihr am Sonntag immer auf der Promenade, in feiner Toilette, in den Weg kam und sich mit Bücklingen nicht genug tun konnte. Das dauerte den ganzen Sommer. Als Manon einmal unwohl war, schickte der Fleischer jeden Morgen hin, um sich nach dem Befinden und den etwaigen Wünschen der Kranken zu erkundigen, die in sein Fach einschlugen. Diese Teilnahme fiel dem Vater auf, er lächelte darüber und unterhielt sich ausgezeichnet; er versicherte seine Tochter wiederholt, dass er das Prinzip habe, ihren Gefühlen keinen Zwang anzutun. Er erzählte nun von dem Heiratsantrag des Fleischers und fragte sie nach ihrer Entscheidung. Sie ging auf den Ton ein und versicherte ihm in aller Form, dass sie sich in ihrer gegenwärtigen Lage sehr wohl befinde und nicht daran denke, sie vor Ablauf einiger Jahre zu ändern, ihm aber die weiteren Schritte in dieser Angelegenheit überlasse.

Der Vater stellte ihr dann ganz ernst vor, dass sie zu wählerisch sei, und was sie denn eigentlich für einen Mann erwarte, welchen sie fordere? Darauf machte ihm Manon Vorwürfe, dass er schuld sei, dass er sie gelehrt habe nachzudenken, und er zugegeben habe, dass sie sich Studien hingebe. Sie wisse zwar noch nicht, welchen Mann sie erwählen werde, aber das wisse sie, dass sie nur den nehmen werde, mit dem sie ihre Gedanken werde austauschen können und mit dem sie ihre Gefühle zu teilen imstande sein würde. Der Vater fand, dass auch Kaufleute Bildung und Benehmen haben, Manon bestritt das nicht, fand aber, sie entsprächen nicht ihrer Richtung, ihr Benehmen bestehe in einigen Höflichkeitsphrasen und Verbeugungen, ihr Wissen beziehe sich nur auf die Geldkasse. Sie habe in diesem Stande keinen Menschen nach ihrem Geschmacke gefunden. Auch missfalle es ihr, dass der Reichtum der Kaufleute dadurch entsteht, dass sie dasjenige teuer verkaufen, was sie billig ergattern, dass sie viel lügen und ihre armen Arbeiter ausbeuten. Sie würde sich niemals zu solch einem Tun hergeben können, noch jenen zu achten vermögen, der sich von früh bis spät mit derlei beschäftigte.

Es machte Manon sehr viel Spaß, die Absagebriefe aufzusetzen und zu sehen, wie sie ihr Vater genau abschrieb. Sie gefiel sich darin, den Vater zu spielen, sie behandelte ihre eigenen Interessen mit dem ganzen Ernst, den die Sache verdiente, wie für sich selbst, jedoch im Stile der Weisheit der Vaterschaft!

Es stellten sich auch Schriftsteller und Doktoren ein, aber keiner hatte das Glück, Manon zu gefallen. Einer ihrer Lehrer verliebte sich auch in sie, wurde aber gleich verabschiedet, als es die Eltern bemerkten.

Die Gesundheit Madame Phlipons begann unmerklich angegriffen zu werden. Sie hatte einen leichten Schlaganfall erlitten, sie wollte, dass man die Krankheit Rheumatismus nenne, damit sich ihre Tochter nicht Sorgen hingebe! Sie war ernst und wortkarg, sie verlor mit jedem Tag ihre Lebhaftigkeit, sie liebte es, sich in sich selbst zurückzuziehen, und schickte alle fort, wenn sie ihr Gesellschaft leisten wollten. Sie sprach oft mit Manon über deren Verheiratung und bedauerte, dass sich das Mädchen nicht zu einem der Freier entschließen konnte. Eines Tages drang sie sehr in sie, den Antrag eines ehrlichen Mannes, eines Juwelenhändlers, anzunehmen. Sie lobte seine große Ehrenhaftigkeit, sein Vermögen und sein feines Benehmen. Sie versicherte, er verstehe Manon, er schätze ihre ungewöhnliche Art und würde es sich zur Ehre anrechnen, sich von ihr leiten zu lassen! Eine Ehe sei, wenn sie auch nicht den Idealen ihrer Tochter entspräche, noch immer dem Lose einer alten Jungfer vorzuziehen. Sie stellte ihr die Möglichkeit ihres baldigen Todes vor Augen, wie sie da mit dem Vater allein zurückbleiben würde; er sei noch jung und sie könne sich nicht die Sorgen vorstellen, die ihre zärtliche Liebe für sie fürchte. Wie ruhig würde sie sein, wenn sie sie mit einem ehrenhaften Manne verbunden wüsste, ehe sie diese Welt verlasse. Dieser Gedanke überwältigte Manon vor Schmerz, es schien ihr, als würde die Mutter einen bedrohlichen Schleier von einer düstern, erschreckenden Zukunft wegziehen, die sie nicht einmal vermutet hatte. Sie hatte sich nie vorbestellt, dass sie sie jemals verlieren könnte. Die Erwähnung dieses Verlustes allein, von dem sie sprach, als ob er nah bevorstehend wäre, erfüllte sie mit Entsetzen, ein Schauer lief über ihren Körper, sie sah die Mutter mit ganz verstörten Blicken an, Tränen stürzten ihr aus den Augen, als sie die Mutter lächeln sah: „Wie! Du beunruhigst dich? Als ob man in den zu fassenden Entschlüssen nicht die Möglichkeiten zu erwägen hätte. Ich bin wohl nicht krank, doch befinde ich mich in einer kritischen Zeit, deren Zufälle oft unheilvoll werden können, aber im Zustand der Gesundheit muss man sich mit dem Gegenteil befassen. Die günstige Gelegenheit, die sich bietet, veranlasst mich insbesondere dazu, mit dir darüber zu sprechen. Ein guter und würdiger Mann hält um dich an. Du bist nun über zwanzig Jahre alt, von nun an wirst du nicht weiter so viele Bewerber als in den letzten fünf Jahren, die verflossen sind, sehen. Ich kann sterben . . . weise den Gatten nicht zurück . . . der, es ist wohl wahr, nicht jenes Zartgefühl besitzt, auf das du so großen Wert legst, ein Zartgefühl, das immer sehr selten ist, selbst bei denen, bei welchen man es vermutet: Er wird dich lieben, und du wirst mit ihm glücklich sein.“ „Ja, Mama, ein Glück wie das deine,“ schrie Manon mit einem tiefen Seufzer auf.

Madame Phlipon kam außer Fassung und schwieg. Seither sprach sie nie wieder über Heiraten mit ihrer Tochter, noch versuchte sie es, sie zu irgend einem Entschluss zu drängen. Das Wort war Manon entschlüpft, wie der Ausdruck einer lebhaften Empfindung, über die man nicht nachgedacht hat, einem Menschen entfährt. Der Eindruck, den ihre Bemerkung hervorrief, bewies nur ihre all zu große Richtigkeit. Die Fremden sahen wohl auf den ersten Blick den Unterschied zwischen Mutter und Vater, aber niemand konnte die Vorzüglichkeit der Mutter mehr schätzen als Manon. Was die arme Frau jedoch in der Ehe litt, konnte das junge Mädchen nicht annähernd beurteilen, sie war seit ihrer Kindheit gewohnt, den tiefsten Frieden im Hause herrschen zu sehen, sie vermochte es nicht zu beurteilen, ob es mühselig war, ihn aufrecht zu erhalten. Der Vater hatte seine Frau gerne und liebte seine Tochter zärtlich. Man sah nie ein Zeichen des Vorwurfs oder der Unzufriedenheit auf dem Gesicht von Madame Phlipon; wenn sie nicht der Ansicht ihres Mannes war und diese nicht hatte abändern können, so hätte man meinen können, dass sie sich ohne Schwierigkeit fügte. In den letzten Jahren, wenn die Diskussionen des Vaters heftig wurden, nahm sich Manon heraus einzugreifen, sie hatte einen gewissen Einfluss, meist gab er ihr eher nach, als seiner Frau. In Manons Gegenwart wagte er es nicht, seine Frau zu quälen. Manon hatte viel Takt und erwähnte nie ein Wort über die Vorfälle, wenn der Vater fort war, sie tat, als hätte sie alles vergessen. Sie war imstande, für ihre Mutter deren Gatten zu bekämpfen, aber war dieser Gatte abwesend, so war er nur mehr ihr eigener Vater, über den man schwieg, wenn man nichts Freundliches über ihn zu sagen wusste.

Seit einiger Zeit hatte Manon bemerkt, dass ihr Vater nach und nach seine Arbeitsfreude einbüßte, er ging häufig vom Hause fort. Dazu kam die Leidenschaft des Spieles, er wollte ein Vermögen gewinnen und spielte in der Lotterie; da er in seiner Kunst nicht zu Reichtum gelangen konnte, so versuchte er es mit dem Zufall. So kam es, dass er immer mehr Kunden verlor und sein eigentliches Geschäft zurückging. Madame Phlipon hing sehr ihren Gedanken nach und teilte der Tochter so halb und halb ihre Besorgnisse mit; diese suchte sie zu beruhigen, indem sie auf Mittel sann, die drohenden Gefahren abzuwenden. Sie selbst tat alles, um der Mutter angenehm zu sein. Madame Phlipon ging nicht mehr gerne aus, Manon brachte ihr das Opfer, mit dem Vater zu gehen. Das freute und beruhigte die Kranke. Aber Herr Phlipon ging meist wieder allein fort, wenn er die Tochter heimgebracht hatte. Für einen Augenblick, wie er sagte, doch kam er nicht vor Mitternacht heim. Da weinten Mutter und Tochter gemeinsam in der Stille. Manchmal machte ihm Manon bei seiner Rückkehr Vorwürfe, doch nahm er die sehr leicht, oder scherzte; auch zog er sich manchmal, ohne ein Wort zu sagen, zurück. Das häusliche Glück wurde in diesem düsteren Kummer nach und nach begraben, aber der äußerliche Friede wurde nicht gestört, und gleichgültige Augen hätten die Veränderung gar nicht bemerkt, die sich von Tag zu Tag mehr vollzog.

Die Mutter ging ihrem Ende entgegen, ohne dass ihre zärtliche, wachsame Tochter das Nahen dieses schrecklichen Schlages vorausgesehen hätte I

Eines Tages eilte Manon, statt spazieren zu gehen, rasch heim, sie war von traurigen Ahnungen erfüllt, trotzdem die Mutter sich bei ihrem Weggehen scheinbar wohl gefühlt hatte. Als sie sich ihrem Wohnhause näherte, schrie Ihr das Nachbarmädchen entgegen: „Ach, Fräulein! Ihre Mama hat sich sehr unwohl gefühlt.“ Voll Entsetzen gab sie einige unartikulierte Laute von sich und stürzte ins Haus.

Sie fand die Mutter im Fauteuil, der Kopf hing herab, die Arme waren schlaff, das Auge ohne Ausdruck, der Mund halb geöffnet. Als sie der Tochter ansichtig war, belebte sich der Ausdruck ihres Gesichtes, sie wollte sprechen und konnte nur mühsam einige Worte lallen, aus denen man erraten konnte, dass Frau Phlipon Manon mit Ungeduld erwartet habe. Mit Mühe hob sie einen Arm und wischte die Tränen aus dem Gesichte ihres Kindes, sie streichelte sie, wie um sie zu beruhigen, und versuchte zu sprechen, aber es war eine vergebliche Anstrengung. Der Schlag hatte sie gelähmt. Manon holte den Arzt, lief in die Apotheke, verordnete alles, was zu geschehen habe und tat die Dinge, eh’ sie noch verordnet waren, es schien, als ob sie sich nicht vom Krankenbette fortrühre und doch tat sie fast alles selbst. Um 10 Uhr nachts wurde Madame Phlipon so schlecht, dass man ihr die letzte Ölung reichte. Manon stand am Bett und hielt den Armleuchter, dabei verwandte sie keinen Blick von ihrer sterbenden, geliebten Mutter und war nur von einem Gedanken beherrscht, der alle ihre Kräfte aufhob. Der Armleuchter entglitt ihrer Hand, und sie fiel ohne Besinnung zu Boden.

Als Manon aus der Ohnmacht erwachte, befand sie sich im anstoßenden Salon, umgeben von Mitgliedern ihrer Familie. Nach einer Zeit trat der Vater bleich und schweigend ins Zimmer, auf eine leise Anfrage hin nickte er bloß mit dem Kopfe, worauf alle in lautes Seufzen ausbrachen. Manon entschlüpfte ungesehen aus dem Zimmer und eilte zu ihrer Mutter sie war nicht mehr! Sie hob ihren Arm in die Höhe, sie hob und senkte die Lider jener Augen, die sie nie mehr sehen sollten — sie wollte es nicht glauben.

Manon litt entsetzlich, sie konnte den Atem nicht finden und glaubte ersticken zu müssen; es war kein Atmen mehr, es war ein Röcheln, das so laut war, dass man es auf der Straße hörte. Acht volle Tage vergingen, und noch hatte Manon keine Träne zu weinen vermocht.

Der Vater trat im Traueranzug an ihr Bett und suchte sie in seiner Weise zu trösten. Er gab zu, dass der Verlust unersetzlich sei, dass aber das Schicksal doch gnädig gehandelt habe, indem er die Mutter, deren Erziehungswerk vollendet war, abberufen habe und ihr den Vater gelassen hätte, der ihr zu ihrem Glücke eher würde nützlich sein können. Sie war von der trockenen Art jener angeblichen Tröstungen, die so gar nicht nach ihrem Sinne waren, ganz betroffen. Zum ersten male ermaß sie all das, was sie von ihrem Vater trennte, es schien ihr, als ob er selbst den Schleier der Ehrfurcht, unter dem sie ihn betrachtete, zerriss. In jenem Momente fühlte sie sich völlig verwaist; ihre Mutter war nicht mehr, und das sah sie nun ein, dass ihr Vater sie nie werde verstehen können. Eine neue Art von Kummer lastete auf ihrem Herzen, sie fiel wieder in einen Zustand der heftigsten Verzweiflung zurück. Nur der Güte und aufopfernden Pflege guter Verwandter war es zu danken, dass Manon dem nahen Tode entrissen wurde. Sie sagte selbst darüber: „Ach! wenn meine Tage damals zu Ende gegangen wären! Es war mein erster Kummer, von wie vielen Prüfungen war er nicht gefolgt!“

Hier endet die freundliche, hell strahlende Epoche jener ruhigen Jahre, die sie im Frieden und dem Reiz beglückender Zärtlichkeit und geliebter Studien verbrachte, ähnlich jenem schönen Frühlingsmorgen, wo die Heiterkeit des Himmels, die Reinheit der Luft, die Lebhaftigkeit des Laubes, der Duft der Pflanzen, alles was atmet, entzückt, das Dasein entwickelt und beglückt, indem es das Glück in Aussicht stellt.

Als sich Manon nach und nach ein wenig erholt hatte, ließ man Bekannte zu ihr kommen, um sie mit der Außenwelt wieder in Verbindung zu bringen. Sie schien nicht in der wirklichen Welt zu leben, sie beachtete nicht, was um sie herum vorging, sie antwortete nicht, oder sie antwortete eher auf ihre eigenen Gedanken, als dass sie jene der andern auffasste, es schien, als wäre ihr Geist krank. Das Bild ihrer geliebten Mutter stand immer vor ihrem geistigen Auge und rief ihr den furchtbaren Verlust in Erinnerung. Entsetzte Schreie entfuhren ihr, die ausgebreiteten Arme wurden steif und sie verlor die Besinnung.

Nach und nach festigte sich ihre Gesundheit wieder. Sie war einundzwanzig Jahre alt geworden, da kamen ihr die Werke Rousseaus zum erstenmal in die Hand. Sie war hingerissen, und voll Begeisterung verschlang sie alles, was sie von seinen Schriften bekommen konnte; es schien, als wäre dies die richtige Geistesnahrung für sie. Sie hatte die Zeit ihrer Krankheit und Wiedergenesung im Hause gütiger Verwandter zugebracht, nun war sie gesund und nun hieß es zu ihrem Vater zurückkehren. Schmerzlich war das Wiedersehen in den verödeten Räumen. Man glaubte besonders rücksichtsvoll zu handeln, indem man das Bild ihrer Mutter von der Wand entfernte. Sie verlangte es auf der Stelle zurück. Die Sorgen des Haushaltes waren ihr nun allein zugefallen, doch war die Arbeit für drei Personen nicht gar groß.

Die große Angelegenheit ihres Lebens war ihre persönliche Zukunft. Sie wollte der eigene Schmied ihres Glückes sein und liebte es nicht, wenn sich andere in ihre Privatangelegenheiten mischten. Herr Phlipon versuchte in der ersten Zeit seiner Witwerschaft mit aufrichtigem Bestreben, sich mehr daheim aufzuhalten. Aber er langweilte sich bald. Manon wollte mit ihm reden, doch sie hatten wenig gemeinsame Gedanken, und überdies neigte er damals zu solchen, in denen er seine Tochter nicht bewandert zu sehen wünschte. Er wusste, dass seine Tochter Kartenspielen hasste und es nur ihm zuliebe tat. Umso langweiliger war es Herrn Phlipon, mit seiner Tochter zu spielen. Der Kreis, in dem sich der Vater mit Vorliebe bewegte, schien ihm für die Tochter dennoch nicht schicklich genug.

Die Mutter hatte die Einsamkeit immer vorgezogen, und so kam es, dass Manon nun allein stand: „In einer Ehe, wo die Ehegatten nicht zusammenpassen, kann die Tugend des einen von beiden den Schein und den Frieden aufrechterhalten, aber der Mangel an Glück macht sich früher oder später geltend und führt mehr oder minder ernste Übelstände herbei. Das Gerüst dieser Verbindungen ähnelt unserem politischen Staatssystem, es fehlt an der Grundlage, es muss eines Tages zusammenbrechen, trotz der in der Konstruktion angewandten Kunst.“

Alles ging gut in der Ehe von Manons Eltern, so lange die Frau jung war und Herr Phlipon in seinem Hause die Arbeit und die Freuden fand, die ihm entsprachen. Er war jedoch ein Jahr jünger als seine Frau und überdies begann sie frühzeitig zu kränkeln; er selbst verlor durch allerlei Ideen und Ablenkungen die Freude an seinem Berufe. Bald nach dem Trauerjahr nahm er sich eine Maitresse, um seiner Tochter keine Stiefmutter zu geben. Er begann zu spielen, um seine Verluste wieder wett zu machen. So kam es, dass er sich sachte zugrunde richtete. Manon sah, wie ihr von der Mutter vermachtes Erbe in der Hand des Vaters zerrann, aber sie hätte es unschicklich gefunden, ein Aufhebens davon zu machen, sie schwieg und fügte sich.

Nun war sie meist allein in ihrer Behausung, zwischen den kleinen häuslichen Arbeiten und ihren Studien eingeschlossen, aber von beiden Beschäftigungen wurde sie häufig abberufen, um in Abwesenheit des Vaters Auskünfte zu erteilen.

Ihre Studien wurden ihr teurer denn je, sie bildeten ihren Trost. Noch mehr als zuvor auf sich selbst angewiesen und häufig melancholisch gestimmt, fühlte sie das Bedürfnis zu schreiben. Sie liebte es, sich von ihren Gedanken Rechenschaft zu geben, ihre Feder half ihr, sich Klarheit zu verschaffen. Diese Aufsätze häuften sich immer mehr, sie gab ihnen einen Titel: „Werke der Muße und vermischte Betrachtungen“. Niemals hatte sie auch nur den entferntesten Wunsch, Schriftstellerin zu werden; sie fand, dass eine Frau, die diesen Titel sich erwarb, viel mehr verliere als gewinne. Die Männer lieben eine solche Frau nicht, und das eigene Geschlecht kritisiert sie. Sind ihre Arbeiten schlecht, so spottet man über sie, und man tut gut daran, sind sie gut, so spricht man sie ihr ab.

Einer ihrer Bekannten, Saint-Lette, mit dem sie gerne verkehrte, da er weit gereist war, viel gesehen hatte, und interessant zu erzählen verstand, sagte ihr eines Tages: „Fräulein, Sie können sich wehren wie Sie wollen, Sie werden dahin kommen, ein Werk zu verfassen!“ „Das wird aber unter fremdem Namen erscheinen,“ antwortete Manon, „denn ich würde mir eher die Finger abbeißen, als Schriftstellerin zu werden.“

Im Dezember des Jahres 1775 war Manon noch in Trauer um die verstorbene Mutter, sie befand sich in jener mild-melanchoIischen Stimmung, die auf heftigen Kummer folgt. Ein Herr überbrachte einen Empfehlungsbrief von Sophie Cannet; wer immer auch von dieser Seite kam, konnte eines freundlichen Empfanges sicher sein, die Freundin schrieb: „Dieser Brief wird dir durch den Philosophen Herrn Roland de la Platière, von dem ich dir oft erzählte, überreicht werden. Er ist ein aufgeklärter Mann von reinen Sitten, dem man bloß seine zu große Bewunderung der Alten auf Kosten der Modernen, die er unterschätzt, vorwerfen kann, und überdies die Schwäche, gerne von sich selbst zu reden.“

Manon fand, dass dieses Bild weniger als eine Skizze war, aber die Züge waren richtig und gut aufgefasst. Herr Roland war damals im Beginn der Vierziger, er war groß von Wuchs, etwas vernachlässigt in seinem Äußern, und von einer gewissen Steifheit, die man sich in der Studierstube angewöhnt. Sein Benehmen war einfach und ungezwungen, ohne den Schliff der Welt zu haben, es war die Höflichkeit des Wohlerzogenen, verbunden mit dem Ernst des Philosophen. Er war mager, die Hautfarbe gelblich und die Stirne bereits sehr durch fehlendes Haar vergrößert, was zwar seinen regelmäßigen Zügen nicht schadete, ihn aber mehr ehrwürdig als einnehmend erscheinen ließ. Ein feines Lächeln und lebhafter Ausdruck bewirkten, dass das Gesicht sehr merkwürdig auffiel. Seine Konversation war voll von Tatsachen, wie sein Kopf voll von Ideen war, und beschäftigte mehr den Verstand des Zuhörers als sie dem Ohre schmeichelte. Manon sah im Verlaufe eines Jahres Herrn Roland wiederholt. Er kam nicht oft, blieb aber jedes Mal längere Zeit; er machte die Besuche nicht aus konventionellen Rücksichten, sondern wie ein Mensch, der so lange als möglich dort bleibt, wo er sich wohl fühlt. Seine belehrende und offene Redeweise langweilte das junge Mädchen gar nicht, und er liebte es, angehört zu werden; sie hatte die Gabe zuzuhören, die, wie man sagt, besonders bei Frauen so selten ist. Herr Roland war aus Deutschland gekommen, als er Manon kennen lernte, ein Jahr später schickte er sich an, eine längere Studienreise nach Italien zu machen. Vor seiner Abreise übergab er ihr ein Paket Manuskripte zum Lesen und zum Aufbewahren^ falls ihm ein Unglück zustoßen sollte. Sie fühlte sich von diesem schmeichelhaften Zeichen seines Vertrauens sehr geehrt. Die Einsicht in die Manuskripte gewährten ihr einen besseren Einblick in seinen Charakter und sein Wesen, als dies selbst sehr häufiger Verkehr möglich gemacht hätte. Eine starke Seele, eine strenge Rechtlichkeit, unumstößliche Prinzipien, Wissen und Geschmack zeigten sich darin unverhüllt. Herr Roland stammte aus rechtschaffener, vornehmer Familie ab. Im Überfluss geboren, hatte er, noch jung, den Zusammenbruch des Vermögens seiner Eltern mitangesehen; einerseits lag die Schuld an dem Mangel an Ordnung, andererseits an maßloser Verschwendung. Da er weder das Ordenskleid nehmen, noch Kaufmann werden wollte, zwei Wege, zu denen die Verwandten ihm verholfen hätten, verließ er mittellos mit neunzehn Jahren das Elternhaus. Fleißiges Studium und weitläufige Reisen hatten ihm einer vielseitigen Bildung verholfen. Als er sein Elternhaus verließ, wollte er nach Indien, doch hielt ihn Kränklichkeit ab, diesen Plan auszuführen. Er ging nach Ronen zu einem Verwandten, der Inspektor der Manufakturen war, und trat in dessen Bureau. Er erwies sich als sehr tüchtig und brauchbar. Nach dem Tode des Verwandten übernahm Herr Roland dessen Stelle.

Als Roland von Italien zurückkam, fand er in Manon eine Freundin, die ihn gerne wiedersah; sein Ernst, sein Benehmen, seine Lebensführung, die ganz dem Studium gewidmet war, ließen ihn ihr sozusagen geschlechtslos erscheinen, oder wie einen Philosophen, der nur durch den Verstand existierte. Eine Art von Vertraulichkeit entstand zwischen ihnen, und er kam immer häufiger. Fünf Jahre waren vergangen, seit er ihre Bekanntschaft gemacht hatte, als er ihr eines Tages seine Liebe erklärte. Sie war nicht unempfindlich dafür, weil sie ihn mehr denn irgend einen andern Menschen, den sie bis dahin kennen gelernt hatte, schätzte. Sie antwortete ihm offen, dass sie sich geehrt fühle, dass sie aber nicht glaube, eine gute Partie für ihn zu sein, und teilte ihm ohne Rückhalt ihre Lage mit. Ihr Vater sei ruiniert, sagte sie, sie selbst zu stolz, sich dem Übelwollen einer Familie auszusetzen, die sich durch die Verbindung mit ihr nicht geehrt fühlen würde, oder der Großmut eines Gatten, der nur Kränkungen begegnen würde. Manon widerriet Herrn Roland, an sie zu denken, als ob sie eine unbeteiligte, dritte Person gewesen wäre. Er aber beharrte. Sie war gerührt und willigte ein, dass er bei ihrem Vater um ihre Hand anhalte. Sie beschlossen, es solle schriftlich geschehen, und zwar von seinem Wohnorte aus.

Herr Phlipon fand den Brief trocken, er liebte Herrn Rolands Steifheit nicht, er wollte keinen so strengen Schwiegersohn, dessen Blicke ihm wie die eines Sittenrichters er schienen. Er antwortete ihm mit Härte und Unverschämtheit. Er machte seiner Tochter erst Mitteilung davon, als der Brief abgeschickt war. Sie fasste sofort einen Entschluss und schrieb an Roland, dass ihre Befürchtungen wegen ihres Vaters nur zu sehr gerechtfertigt waren, und da sie ihm vor anderen Missgeschick bewahren wolle, bitte sie ihn, auf seine Absichten zu verzichten. Sie sagte dann ihrem Vater, in welche Lage sein Benehmen sie versetzt habe, und was sie zu tun genötigt gewesen wäre. Auch nehme sie weiter an, dass er nicht überrascht sein werde, dass sie nach alldem ihre Lage zu ändern wünsche und entschlossen sei, in dasselbe Kloster zu gehen, in welchem sie als Kind ein Jahr zugebracht hatte.

Sie wurde an ihrem Vorsatze nicht gehindert und nahm dort Wohnung. Sie war fest entschlossen, mit den wenigen Mitteln, die sie besaß, auszukommen. Erdäpfel, Reis, Fisolen mit etwas Butter und Salz bildeten ihre Nahrung und erforderten nicht viel Zeit zu ihrer Bereitung. Zweimal die Woche ging sie aus. Einmal zu ihrer Großmutter, einmal zu ihrem Vater, um nach seiner Wirtschaft zu sehen und die Wäsche in Ordnung zu bringen; die zerrissene Wäsche nahm sie zum Flicken mit. Die übrige Zeit lebte sie in ihren vier Wänden eingeschlossen, ganz ihren Studien geweiht. Sie stärkte ihr Herz gegen das widrige Schicksal, sie rächte sich, indem sie das Glück zu gewinnen suchte, das ihr das Schicksal nicht gewähren wollte. Nicht immer war sie von Melancholie frei, aber auch diese hatte ihren Reiz und wenn Manon nicht glücklich war, so hatte sie wenigstens alles was nötig war, um es zu sein. Sie empfand einen Stolz, alles entbehren zu können was ihr fehlte.

Herr Roland war erstaunt und betrübt, er fuhr fort, ihr wie ein Liebender zu schreiben, den jedoch das Benehmen des Vaters verletzt hatte. Nach Verlauf eines halben Jahres kam er an das Gitter des Sprechzimmers ins Kloster und fand zu seiner Überraschung Manon in blühender Gesundheit. Er wollte sie aus dem Kloster entfernen und bot ihr noch einmal seine Hand an. Sie machte dabei eine sonderbare Betrachtung. Sie fand, dass ein anderer Mann, der nicht fünfundvierzig alt gewesen sein würde, nicht ein halbes Jahr mit der Erneuerung des Antrages gewartet hätte. Das allein hatte ihre Gefühle so abgekühlt, dass von Illusion keine Spur übrig geblieben war. Andererseits sagte sie sich, dass dieser wohlüberlegte, neuerliche Heiratsantrag sie überzeuge, dass er sie schätze und dass er seine Empfindlichkeit den äußeren Umständen gegenüber überwunden habe, die er durch die Verbindung mit ihr in den Kauf zu nehmen gezwungen sei. Sie sagte sich: „Wenn schließlich die Ehe, wie ich es mir denke, ein ernstes Band ist, eine Vereinigung, wo die Frau für gewöhnlich sich das Glück zweier Menschen aufbürdet, ist es da nicht mehr wert, meine Fähigkeiten, meinen Mut in dieser ehrenden Aufgabe auszuüben, als in der Absonderung, in der ich lebe?“

Sie fasste den Entschluss und wurde seine Frau. Je mehr er sie kennen lernte, desto mehr liebte er sie. Sie hatte sich mit dem ganzen Ernst der Vernunft verehelicht, sie fand nichts, was sie davon ablenkte. Sie widmete sich ihm mit einem Übermaß, das mehr enthusiastisch als berechnet war. Je mehr sie sich mit dem Glücke ihres Mannes befasste, desto mehr bemerkte sie, dass etwas zu dem ihren fehlte. Trotzdem sie keinen Augenblick aufhörte, in Roland einen der ehrenhaftesten Männer zu sehen, die es gab, und dem anzugehören sie sich zur Ehre anrechnete, fühlte sie dennoch oft, dass es ihnen an Gleichartigkeit fehle. Der Einfluss eines herrschsüchtigen Charakters, dazu ein Altersunterschied von zwanzig Jahren, ließen ihr die eine oder andere dieser Überlegenheiten als zu viel erscheinen. In der Einsamkeit hatte sie manche peinliche Stunde, und gingen sie in Gesellschaft, so bemerkte sie, dass dieser oder jener ihr gefährlich werden könnte. Deshalb stürzte sie sich in die Arbeiten ihres Mannes. Daraus entstand ein neues Übel. Er gewöhnte sich so sehr an ihre Mithilfe, dass er um nichts in der Welt und in keinem Augenblick ohne sie sein wollte.

Sie liebte und achtete ihren Mann, wie eine gute Tochter ihren tugendhaften Vater anbetet, dem sie selbst den Geliebten zu opfern bereit wäre. Sie blieb ihren Pflichten treu, ihre Unschuld verstand es nicht, ihre Gefühle zu verbergen, die sie ihnen unterordnete. Roland war ungemein empfindlich in seinen Gefühlen und seiner Eigenliebe. Er konnte den Gedanken der mindesten Störung seiner Herrschaft nicht ertragen. Seine Vorstellung verdüsterte sich, seine Eifersucht brachte sie auf, das Glück floh weit von ihnen. Er betete seine Frau an, sie opferte sich ihm, und beide waren unglücklich!

Roland beschäftigte sich mit der Drucklegung und Sichtung seiner Manuskripte über Italien. Madame Roland wurde Abschreiberin und Korrektorin der Druckbogen. Sie erfüllte diese Aufgabe mit einer Demut, über die zu lachen sie sich nicht erwehren konnte. Es dauerte Jahre, bis sie sich zu widersprechen herausnahm und einsah, dass er nicht alles besser verstehe als sie!

Sie hörte damals einen Kurs über Naturgeschichte und einen über Botanik, das war die einzige arbeitsame Erholung zwischen ihren Beschäftigungen als Sekretärin und Hausfrau. Sie lebten in einem Hôtel-Garni in Paris. Da die Gesundheit Rolands sehr schwach war, nahm Madame Roland selbst die Mühe auf sich, die Speisen für ihn zu bereiten.

Dann kamen weitere vier Jahre, die sie in Amiens verlebten, dort wurde Madame Roland Mutter; sie säugte ihr Kind, ohne deshalb aufzuhören bei den Arbeiten ihres Mannes mitzuwirken, der einen großen Teil der Encyklopädie auszuarbeiten übernommen hatte. Dazu kamen häufige Krankheiten Rolands, die ihr wieder Sorge und Arbeit verursachten, aber durch ihre Riege entstanden neue Bande, er liebte sie noch mehr ihrer Aufopferung wegen, und sie knüpfte das Gute, das sie für ihn tat, auch mehr an ihn!

Nach dieser Zeit lebten sie in Villefranche, im Elternhause Rolands. Seine Mutter war da mit ihrem ältesten Sohn, und sie teilten das Heim. Madame Roland sagt, sie könnte vielfache Bilder über die Sitten dieser kleinen Stadt und ihren Einfluss schreiben, auch über häuslichen Kummer, der durch das Zusammenleben mit einer durch ihr Alter ehrwürdigen, aber durch ihre Launen fürchterlichen Frau und deren herrschsüchtigen Sohn noch vermehrt wurde.

Viele Kranke, die vom Arzte aufgegeben waren, ließen Madame Roland bitten, ihnen zu helfen. Oft gelang ihrer Pflege mehr als den Mitteln, die der Arzt verordnete. So entriss sie auch durch ihre aufopferungsvolle Pflege ihren Mann im Jahre 1789 dem Tode. Zwölf Tage und Nächte wachte sie an seinem Bette, ohne aus den Kleidern zu kommen, und verbrachte dann noch sechs Monate mit ihm während einer gefährlichen Rekonvaleszenz, wobei sie sich selbst nicht ganz wohl fühlte.

Lassen wir Madame Roland selbst über ihre Ehe reden: „Ach, mein Gott! welch schlechten Dienst haben mir jene erwiesen, die den Schleier gelüftet haben, unter dem ich verborgen zu bleiben liebte. Während zwölf Jahre meines Lebens habe ich mit meinem Manne gearbeitet, so wie ich mit ihm gegessen habe, weil das eine mir so natürlich war wie das andere. Wenn man irgend eine Stelle seiner Arbeiten anführte, worin man mehr Anmut des Stiles fand als in den andern, wenn man eine akademische Bagatelle lobte, so fiel es mir nicht ein, daran zu denken, dass ich sie verfasst habe. Wenn es sich darum handelte, im Ministerium große, starke Wahrheiten auszusprechen, so legte ich meine ganze Seele hinein; es war ganz selbstverständlich, dass diese Ausdrücke besser herauskamen als die Bemühungen eines beliebigen Sekretärs es vermocht hätten. Ich liebte mein Land, ich war für die Freiheit begeistert, ich kannte kein Interesse, keine Leidenschaft, die mit dieser Liebe verglichen werden konnte, meine Redeweise musste rein und pathetisch sein, da sie die des Herzens war! Die Wichtigkeit des Gegenstandes durchdrang mich derart, dass ich mich selbst vergaß.“

Im Winter 1787 auf 88 starb Madame Rolands Vater. Er hatte sich nicht wieder verheiratet. Nachdem er auch noch das Vermögen der Großmutter Phlipon durchgebracht hatte, hatte Roland seine Schulden bezahlt und ihm eine kleine Pension gegeben, nachdem beide ihn zu den Entschluss gebracht hatten, sich vom Geschäfte zurückzuziehen. Er war immer unzufrieden und im höchsten Grade ungerecht gegen seine Tochter und ihren Mann, sein Selbstbewusstsein litt zu sehr, in abhängige Stellung geraten zu sein.

Als die Revolution ausbrach, war Roland noch Generalinspektor der Manufakturen und Fabriken von Lyon. Er und seine Frau waren vom Gedanken der Revolution ganz entflammt. Als Freunde der Menschheit und der Freiheit, glaubten sie an die Wiedergeburt des Menschengeschlechtes, sie hofften an der Erlösung derjenigen Menschenklasse mitarbeiten zu können, über deren Schicksal sie so oft gerührt waren. Sie empfingen den Ausbruch der Revolution mit Begeisterung. Ihre freiheitlichen Gedanken verstimmten viele Leute ihrer Umgebung, die, an ihre kaufmännischen Berechnungen gewöhnt, nicht begriffen, dass man auf dem Wege der Philosophie die Umgestaltung der bestehenden Ordnung hervorrufen und gutheißen konnte, eine Umgestaltung, die bloß den andern zum Vorteil gereichte; er machte sich dadurch allein schon viele Feinde und andere wieder zu Freunden.

Roland und seine Frau lebten den Winter über in Lyon; sie waren Mitglieder der gelehrten und literarischen Gesellschaften dieser Stadt. Roland wurde von der landwirtschaftlichen Gesellschaft mit der Abfassung der Anträge für die Generalstaaten beauftragt. Seine Grundsätze und sein Charakter ließen ihn mit Freuden eine Revolution erblicken, die die Abschaffung so vieler Missstände versprach. Seinen Anlagen und seinen Fähigkeiten verdankte er seine Berufung bei der ersten Bildung des Gemeinderates, wo er mit der Vertretung der Interessen der Stadt betraut wurde, die mit beträchtlichen Schulden belastet war.

Als außerordentlicher Abgeordneter bei der konstituierenden Versammlung knüpfte er Beziehungen zu verschiedenen Mitgliedern an, die sich den öffentlichen Angelegenheiten widmeten.

Als er wieder heimgekehrt war, erfuhr sein Schicksal eine Änderung durch die Aufhebung des Postens eines Generalinspektors, den er bis dahin bekleidet hatte, und nötigte ihn nachzudenken, woran er sich in Zukunft halten sollte. Die konstituierende Versammlung hatte in einer ihrer letzten Sitzungen die Stellen der Generalinspektoren aufgehoben. Er hatte die Wahl, sich aufs Land zurückzuziehen und von seinen schriftstellerischen Arbeiten zu leben oder nach Paris zu gehen, um dort noch Material zu sammeln und überdies seine Pensionsrechte als Entschädigung für seine achtunddreißigjährige Tätigkeit in der Verwaltung geltend zu machen. Sie entschlossen sich, im Dezember 1791 nach Paris zurückzukehren. Die allgemeine Lage war nicht darnach, dass man hoffen konnte, die gesetzgebende Versammlung, die eben zu tagen begonnen hatte, würde sich bald mit Privatangelegenheiten befassen. Roland war mit Brissot bekannt, er lernte durch diesen verschiedene Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung kennen. Er besuchte auch häufig die Sitzungen des Jakobinerklubs. Bald wurde er zum korrespondierenden Mitglied dieser Gesellschaft ernannt. Abends kam er oft mit einem großem Paket von Briefen heim. Madame Roland nahm meist die Mühe der Beantwortung auf sich, da ihr diese Arbeit immer angenehm und leicht erschien. So arbeiteten beide fleißig; den Fernstehenden schien Rolands Arbeit eine ungeheure.

Madame Roland sagt in ihren Memoiren über Rolands Ernennung zum Minister folgendes: „Man wird mich vielleicht fragen, ob ich keine näheren Einzelheiten über die Art, wie Roland ins Ministerium berufen wurde, wisse. Ich kann versichern, dass ich dies nicht weiß und dass mir selbst der Gedanke gar nicht gekommen ist, mich darüber zu erkundigen. Es hat mir geschienen, dass sich dies wie so vieles in der Welt, gemacht hat. Der Gedanke kommt einem Einzelnen, mehrere hören davon, billigen ihn, und so tritt er dermaßen gestützt in die Erscheinung. Ich weiß nicht, wer Roland zuerst vorgeschlagen hat, als einen, an den man bei der Ernennung denken könnte. Die Nennung seines Namens erweckte die Erinnerung an einen unterrichteten Mann, der über verschiedene Ressorts der Verwaltung geschrieben hatte, der in dieser Hinsicht nicht ohne Erfahrung war und der vor allem sich eines ehrenhaften Rufes erfreute und dessen Alter, Sitten, dessen ausgeprägter Charakter, dessen Schriften noch vor der Revolution von seinen Prinzipien laut und deutlich Kenntnis gaben und ihn als einen Anhänger der Freiheit erscheinen ließen, ihrer in jeder Beziehung würdig. Dem König waren all diese Erwägungen nicht fremd, oder wenigstens die Tatsachen, die ihnen zur Grundlage dienten. Diese Gedanken hatten so in der Natur der Dinge ihre Entstehung, dass sie uns bloß drei Tage vor der Bildung des neuen Ministeriums mitgeteilt wurden. Brissot kam zu mir; ich war allein, er teilte mir mit, dass man an Roland denke. Ich lächelte, und fragte ihn um den Grund zu diesem Scherz, er versicherte mich, dass es keiner sei, und dass er komme, um zu erfahren, ob Roland einwilligen würde, sich mit dieser Last zu beschweren. Ich versprach ihm, Roland davon zu unterrichten und ihn am folgenden Tage von seinem Entschluss in Kenntnis zu setzen. Dem Fleiße Rolands widerstrebte nicht die Mannigfaltigkeit der Geschäfte. (Roland war ebenso wie ich von dem Ereignis überrascht.) Er sagte mir lachend über diesen Punkt, er habe immer so mittelmäßige Leute Ämter bekleiden gesehen, dass er sich nicht genug verwundern könne, wie die Dinge ihren Gang gingen, so dass die Sache an sich ihn nicht ängstige. Die Lage müsse wegen der Interessen des Hofes und der Ungewissheit in den Absichten des Königs kritisch sein. Aber für jeden, der nichts als seine Pflicht tun wolle, und sich wenig darum schere, seinen Posten zu verlieren, wenn er sie erfüllt, seien die Gefahren der Annahme gering. Überdies konnte ein diensteifriger Mensch, der das Bewusstsein seiner Fähigkeiten hatte, der Hoffnung gegenüber, seinem Vaterlande nützlich zu dienen, nicht unempfindlich bleiben. Roland entschloss sich also im bejahendem Sinne und machte Brissot davon Mitteilung. Am andern Tag, 11 Uhr nachts, kam Brissot, von Dumouriez begleitet, nach Schluss der geheimen Ratssitzung des Königs, um ihm die Ernennung zum Minister des Innern zu überbringen. Dumouriez, der seit kurzem Minister war, sprach von der aufrichtigen Geneigtheit des Königs, die Konstitution zu erhalten, und von dessen Hoffnung, dass die Staatsmaschine in gutem Gange sein werde, sobald der Ministerrat eines Geistes würde. Er sprach Roland seine besondere Befriedigung darüber aus, einen so tugendhaften und aufgeklärten Patrioten wie ihn zur Regierung berufen zu sehen. Brissot bemerkte, dass das Departement des Innern gegenwärtig das heikelste und überbürdetste sei, und dass es für die Freunde der Freiheit eine Beruhigung wäre, es so festen und reinen Händen anvertraut zu sehen. Man besprach noch, dass die Vorstellung vor Seiner Majestät am darauffolgenden Tage stattfinden würde, wie auch die Eidesleistung vor Eintritt in den Ministerrat. Das erstemal, als Roland in seinem gewöhnlichen Anzug, den er sich aus Bequemlichkeit seit langem angeeignet hatte, zu Hofe ging, seine schütteren, einfach gekämmten Haare, auf seinem ehrwürdigen Haupte einen runden Hut, Schuhe mit Bändern gebunden trug, blickten die Hoflakaien, die das größte Gewicht auf die Etikette legten, von der ihr Dasein sich herleitete, ihn mit Entrüstung, ja sogar mit einer Art von Entsetzen an. Einer von ihnen näherte sich Dumouriez und sagte ihm stirnrunzelnd ins Ohr, indem er mit den Augen auf den Gegenstand seiner Bestürzung wies: „Mein Herr, keine Schnallen an den Schuhen!“ Dumouriez rief mit komischem Ernst: „ Mein Herr, alles ist verloren!“ Dieses Wort wurde alsbald bekannt und machte jene lachen, die am wenigsten Lust dazu hatten. Ludwig XVI. selbst empfing seinen neuen Minister, trotz des wenig etikettemäßigen Äußern, mit der größten Gutmütigkeit.

Als Roland Minister war, lebte Madame Roland ebenso zurückgezogen wie früher. Sie arbeitete mit ihrem Manne und ging ihren persönlichen Neigungen nach. So behielt sie ihre gewohnte Art bei und beugte der Unbequemlichkeit vor, von einer neugierigen Menge umgeben zu sein, die sich an Leute von hohen Stellen immer herandrängt. Sie hatte im Ministerpalais nie einen großen Gesellschaftskreis. Sie lud zweimal die Woche die Minister, Abgeordnete und jene Personen, mit denen ihr Mann zu sprechen hatte oder in Beziehung zu bleiben wünschte, zu Tische. Sie zeichnete unter diesen besonders den Girondisten Buzot durch ihre Freundschaft aus. Man sprach in ihrer Gegenwart über alle Angelegenheiten, weil sie nicht die Manie hatte sich einzumischen, noch eine Umgebung um sich vereinigte, die Misstrauen erweckt hätte. Von all den großen Räumen des Ministerhotels hatte sie sich zu ihrem Privatgebrauch einen kleinen Salon ausgewählt, wo sie ihre Bücher und ihren Schreibtisch hinstellte. Es geschah häufig, dass Kollegen ihres Mannes, die mit dem Minister vertraulich zu reden wünschten, anstatt in die offiziellen Räume zu gehen, wo Beamte und andere Leute sie umgaben, zu ihr kamen und sie ersuchten, ihn dahin holen zu lassen. Auf diese Weise fand sie sich auf dem Laufenden, ohne jede Intrigue, ohne eitle Neugier. Roland hatte dann die Annehmlichkeit, sie nachher im Privatgespräch, mit jenem Vertrauen, das immer zwischen ihnen geherrscht hat, zu unterhalten, und ihr Wissen und ihre Ansichten dadurch in lebendige Verbindung zu setzen. Es kam auch vor, dass Rolands Kollegen, die nur irgend eine Mitteilung zu machen hatten, zu ihr kamen, um sie zu bitten, die Nachricht ehestens ihrem Manne mitzuteilen; oft wurde in ihrem Zimmer Ministerrat abgehalten. Jede andere Frau als sie, wäre dort nicht an ihrem richtigen Platze erschienen. Aber sie mischte sich gar nicht in die Diskussion, sie saß meist an ihrem Schreibtisch, schrieb Briefe und schien überhaupt mit anderen Dingen beschäftigt zu sein, trotzdem ihr kein Wort verloren ging. Oft überkam sie die Lust, in den Gang der Verhandlungen einzugreifen, aber sie hielt sich zurück, sie fand es unschicklich und wusste, was sie ihrem Geschlechte schuldig war.

Bei den geheimen Ministerratssitzungen, wo Ludwig XVI. zugegen war, ging es meist sehr sonderbar zu. Er gab nicht leicht den Beschlüssen die Sanktion, er nahm sie nie bei der ersten Unterbreitung an und verschob die Sanktionierung immer auf die nächste Ministerratssitzung. Dann kam er mit seiner fertigen Ansicht, gab sich aber den Anschein als überlasse er es der Diskussion, sie zu bilden. Bei den Gegenständen hoher Politik umging er oft ihre Prüfung, indem er das Gespräch ablenkte. Sprach man vom Krieg, so redete er von Reisen, sprach man über diplomatische Interessen, so führte er die Sitten der Orte, um die es sich handelte, an; oder er erkundigte sich um die landschaftlichen Reize der in Rede stehenden Länder. Sprach man von der Lage des Innern, so legte er auf irgend welche Details der Landwirtschaft oder Industrie Gewicht. Er fragte Roland über dessen Arbeiten, Dumouriez über Anekdoten, und so die übrigen. Der geheime Rat glich einem Kaffeehaus, in dem man sich mit Plaudern die Zeit vertrieb. Es gab kein Protokollbuch der Verhandlungen, noch einen Sekretär, der es führte. Man ging nach drei oder vier Stunden der Sitzung fort, ohne etwas geleistet zu haben, als einige Unterschriften unter die Akten gesetzt zu haben, und das war dreimal in der Woche. Madame Roland fand dies jämmerlich. Sie hätte gewünscht, dass Roland die Zeit mit Nachdenken über die großen Fragen seines Amtes ausfülle, statt sie in unnötigen Plaudereien zu vergeuden.

Die Feinde trafen ihre Anordnungen. Man musste den Krieg erklären, ein Entschluss, über den man lebhaft diskutierte und den der König nur mit dem größten Widerstreben fasste. Er hatte die Entscheidung sehr hinausgeschoben und schien nur zum Nachgeben durch die schon allgemeine bekannte Ansicht der Majorität der konstituierenden Versammlung und der Einstimmigkeit des Ministerrates dazu bewogen worden zu sein. Bald musste man zu Repressivmaßregeln gegen die Häufung religiöser Unruhen schreiten, die der Minister des Innern schon seit langem forderte. Andererseits wurde das verwegene Vorschreiten der fremden Truppen immer bedrohlicher und beängstigender. Dies hatte den Kriegsminister zu dem Gedanken einer Truppenaufstellung veranlasst, den die konstituierende Versammlung mit Begeisterung aufnahm und sogleich beschloss.

Es ist wahr, dass die zwei Beschlüsse, der eine die Aufstellung eines Feldlagers von 20.000 Mann in der Nähe von Paris und der andere Ober die Priester, wirklich entscheidende waren. Der Hof sah darin die Zerstörung seines geheimen Verrates, der auf die Hilfe des religiösen Fanatismus und das Vordringen der Feinde, die er begünstigte, rechnete. Der König war nur zu sehr geneigt, die Sanktion zu verweigern; er fand verschiedene Vorwände, mit denen er mehr als vierzehn Tage der Entscheidung auswich. Die Diskussion über diesen Gegenstand wurde wiederholt eingeleitet. Roland und Servan bestanden mit Festigkeit darauf, weil jeder von ihnen die Wichtigkeit und Bedeutung des Gesetzes für das Departement, mit dem sie betraut waren, fühlten. Das allgemeine Interesse war für alle augenscheinlich und die sechs Minister hatten in dieser Hinsicht nur eine Meinung. Madame Roland sagt in ihren Memoiren: „Ich fühlte eine Art von Unruhe, die schwer zu schildern ist; von der Revolution bezaubert, überzeugt, dass man trotz aller Mängel die Konstitution weiter gehen lassen müsse, von dem Wunsche durchdrungen, mein Vaterland gedeihen zu sehen, verursachte mir der Aufruhr der öffentlichen Angelegenheiten ein moralisches Nervenfieber, das mir keine Ruhe gewährte. Das Hinausschieben des Königs bewies seine Falschheit; Roland war zu dem Ende gekommen, sich davon überzeugt zu halten.

Es gab also nur mehr einen Entschluss zu fassen für einen Minister, der ein ehrenhafter Mann war: seinen Posten zu verlassen, falls der König sich hartnäckig weigern sollte, die nötigen Maßregeln für das Wohl des Königreiches ergreifen zu lassen.

Dieses einfache und reine Verhalten hätte vielleicht dem Gewissen eines schüchternen Mannes genügt, aber es handelt sich für einen aufopferungsvollen Bürger nicht nur darum, auf seinen Posten zu verzichten, wo das Gute zu tun nicht mehr möglich ist, sondern er musste es auch mit Energie aussprechen, um die öffentlichen Schäden aufzudecken, so dass selbst sein Rücktritt von Nutzen sei. Wir, Roland und ich, haben schon über die Schwäche seiner Kollegen geächzt. Wir dachten, dass es bei der Langsamkeit des Königs von großer Wirkung sein würde, ihm einen Brief zu unterbreiten, worin die schon im Rate ausgesprochenen Gründe dargelegt, von allen Ministern unterschrieben sein würde, worin sie vom König ihre Demission verlangen, falls seine Majestät ihre Vorstellungen nicht für gut befände. Dieser Brief würde entweder den König zum Nachgeben zwingen oder ihn in den Augen von ganz Frankreich bloßstellen. Doch jeder der Minister fand ein anderes Bedenken, so dass sich Roland auf ein eigenes Vorgehen beschränken musste. Madame Roland verfasste selbst diesen Brief an den König, sie schrieb ihn in einem Zuge nieder, wie fast alles, was Madame Roland in dieser Art verfasst hat. Denn die Notwendigkeit und Schicklichkeit einer Sache fühlen, ihre gute Wirkung erfassen, sie darzustellen wünschen, dem Gegenstand die Form geben, von der die Wirkung hervorgehen sollte, war für sie nur eine Verrichtung.

Madame Roland sagte, dass ihr viele Leute nur deshalb Verdienste zuschrieben, um die ihres Mannes herabzusetzen, auch vermuteten viele, sie habe auf die Entscheidung wichtiger Vorgänge einen großen Einfluss genommen, was aber durchaus nicht den Tatsachen entspricht. Die Gewohnheit und der Geschmack an einem Leben des Studiums ließen sie die Arbeiten ihres Mannes teilen, als dieser noch ein einfacher Privatmann war; da sie ihn beglücken wollte, so tat sie alles, was ihm Freude bereitete. Sie leugnet nicht, dass ihr manch eine dieser zugewiesenen Arbeiten rechte Langweile verursachte. Als er Minister geworden war, mischte sie sich gar nicht in die Verwaltungsgeschäfte, galt es aber irgend ein Schriftstück zu verfassen, so entwarf sie meist das Nötige nach gründlicher Durchsprechung des Gegenstandes. Madame Roland sagt, dass sie im Punkte der Gerechtigkeit oder der Vernunft nichts hätte tun können, dessen Roland durch seinen Charakter und sein Benehmen nicht auch fähig gewesen wäre, dass er auch ohne sie ein ebenso guter Minister geworden wäre. Sein Fleiß, sein Wissen, seine Rechtlichkeit waren sein eigen; sie meint nur ganz bescheiden, dass er durch ihre Mithilfe mehr Eindruck gemacht habe, weil sie in ihre Schriftstücke jene Mischung von Kraft und Sanftheit, von Autorität und Vernunft und den Reiz der Empfindung hineingelegt habe, der vielleicht nur einer empfindsamen Frau mit gesundem Menschenverstand eigen ist. Sie entwarf im Geheimen die offiziellen Schriftstücke mit Entzücken und fand mehr Freude daran, als wenn man sie als die Verfasserin gekannt hätte. Sie geizte nach Glück, sie fand es in dem Guten, das sie tat, sie bedurfte gar nicht des Ruhmes. Nur eine Rolle in der Welt entsprach ihr, und zwar die Vorsehung zu spielen. Madame Roland sagte, sie erlaube den Böswilligen, dieses Bekenntnis für eine Impertinenz zu erklären, da es einer solchen ähnlich sehen müsse.

Am 10. Juni begab sich Roland in den geheimen Ministerrat des Königs, den Brief in der Tasche, mit der Absicht, ihn laut vor seinen Kollegen zu verlesen und ihn dann in die Hände des Königs zu geben. Man eröffnete die Diskussion über die Sanktion der beiden Beschlüsse, der König unterbrach sie, indem er seinen Ministern sagte, dass jeder von ihnen seine Meinung darüber schriftlich abfassen und in die nächste geheime Ministerratssitzung bringen solle. Roland hätte seine Abfassung sofort übergeben können, tat es aber nicht aus Rücksicht für seine Kollegen. Nach Hause zurückgekehrt, beschlossen er und Madame Roland, den Brief mit einigen begleitenden Zeilen sofort an den König zu senden.

Am Abend des darauffolgenden Tages kam der Minister Servan zu Madame Roland und sagte ihr: „Beglückwünschen sie mich, ich bin fortgejagt worden.“ Madame Roland antwortete ihm: „Ich bin peinlich berührt, dass Ihnen als Erster diese Ehre widerfahren ist, aber ich hoffe, dass man nicht säumen wird, sie meinem Manne ebenfalls zuzuerkennen!“ Als Roland der Geheimbrief, der seine Entlassung enthielt, übergeben wurde, rief er lachend, man hätte ihn allzulange auf die Freiheit warten lassen!

Es war ein böses Verhängnis, das über dem König waltete, als er Rolands Ratschläge von der Hand wies. Die Ereignisse überstürzten sich jetzt. Der Aufruhr vom 30. Juni erniedrigte das Königtum, der Tuileriensturm vom 10. August machte es für immer unmöglich. Den Tag darauf bildete die gesetzgebende Versammlung ein neues Ministerium, aus Roland, Clavitre, Servan, Lebrun, Monge und Danton.

Aber die Verhältnisse hatten sich seit Rolands erstem Ministerium gewaltig geändert. An die Stelle eines bewegten politischen Lebens mit seinen Aufregungen war das fieberhafte, tödtliche Ringen zweier Parteien um die Herrschaft getreten. Bis zum 10. August waren die Girondisten mit den Jakobinern einig zusammen gegangen bei den Angriffen auf das Königtum, von da ab aber wurden sie von diesen überholt, bis am 31. Mai 1793 die Reihe des Unterliegens an sie kam. Es war eine glänzende, aufrichtige, ehrliche Partei, und sie zählte stolze, unerschrockene, treue Charaktere und bedeutende Talente zu den ihren, aber es waren keine Staatsmänner, die ein festes Ziel im Auge hatten, das sie konsequent verfolgten.

Mit jedem Schritte stießen sie sich an den Konsequenzen dessen, was sie selber ins Werk gesetzt hatten. Inmitten dieser Szenen, während Rolands zweitem Ministerium, war Madame Roland so recht eigentlich die Seele der Girondisten-Partei, so sehr sie sich auch immer dagegen sträubte, als wolle sie keine Frau der Politik sein. Rolands Gestalt bleibt verwischt in der gefährlichen Nachbarschaft der glänzendsten aller Frauen. Sie besitzt das Übergewicht des Wortes und des Rates, die Überlegenheit des Geistes und der Inspiration, aus ihrer Feder fließen die Proklamationen und Rundschreiben; nur eines übersah die geistsprühende Frau — wie sie durch all das ganz unbewusst ihren Mann einer gewissen Lächerlichkeit preisgab! Danton sagte einmal: „Man braucht Minister, die nicht mit den Augen ihrer Frau sehen.“ In Rolands zweites Ministerium fallen die berüchtigten Septembermorde. Schon am 1. September war in Paris das Gerücht von der Einnahme von Verdun verbreitet, und die Furcht, die Feinde könnten in spätestens drei Tagen vor Paris stehen, war allgemein. Die gesetzgebende Versammlung autorisierte daher die städtischen Behörden, Haussuchungen vorzunehmen und alles zu verhaften, was irgendwie verdächtig erschien. In solchen Augenblicken ist die aufgeregte und geängstigte Menge zu allem entschlossen; es ist die Frage, ob Roland, selbst wenn er größere Energie entwickelt hätte, imstande gewesen wäre, den Mordszenen in den Gefängnissen Einhalt zu tun. Am 23. Januar 1793 nahm Roland seine Entlassung aus dem Ministerium, weil er sich hatte überzeugen müssen, dass er mit seinen Ansichten nicht durchdringen könne. Am liebsten hätte er Paris verlassen, doch fürchtete er, es könnte dadurch den Anschein gewinnen, als wolle er einem Rechenschaftsbericht aus dem Wege gehen, und so bezogen sie wieder ihre alte Wohnung in der Rue de la Harpe. In dieser Zeit hatte sich Madame Rolands Freundschaft für Buzot in Liebe verwandelt. Trotzdem zu damaliger Zeit Ehescheidungen und Wiederverheiratungen mehr denn je eine alltägliche Erscheinung geworden war, wollte Madame Roland ihren Mann nicht verlassen, sie sagte selbst, „dass eine Seele wie die ihrige ein Opfer nicht unvollständig bringe.“

Sie konnte alles, nur nicht unwahr sein und sich verstellen; selbst der Schatten des Verrates hätte ihre Aufrichtigkeit schaudern gemacht. Mit jener Offenheit, die die schönste Seite ihres Charakters bildete, gestand sie ihrem Mann den Zwiespalt ihrer Seele. Der arme Mann war dadurch ebenso in seiner Eigenliebe wie in seinen tiefsten Gefühlen getroffen. Aber Roland wurde durch den Gedanken eines Opfers von ihrer Seite gereizt, und als er zum Bewusstsein kam, dass sie ihm ein großes brachte, war sein Glück zusammengestürzt; er litt ebenso es zu empfangen, als er es nicht entbehren konnte. Sie war zur Zeit der Revolution in ihre glänzende Reife getreten, ohne die Leidenschaft der Liebe kennen gelernt zu haben, aber mit einer Seele, die dafür geschaffen war.

Roland sah ihren verzweifelten Kampf und erklärte sich bereit, sich zurückzuziehen, falls sie nicht Herr über diese Leidenschaft werden könnte. Aber sie wollte dieses Opfer von seiner Seite nicht annehmen. Sie besass ein Miniaturbild Buzots und schrieb auf das Schutzpapier, das zwischen dem Bilde und dem Karton lag, die nachfolgende biographische Skizze:

„François Nicolas Léonard Buzot war 1760 zu Evreux geboren. Er war 1789 Abgeordneter der konstituierenden Versammlung, Präsident des Kriminalgerichtshofes des Departements de l’Eure, Abgeordneter des Nationalkonventes 1792.

Die Natur hat ihn mit einer liebevollen Seele, einem stolzen Geist und einem edlen Charakter ausgestattet. Seine Empfindsamkeit ließ ihn den Frieden und die Annehmlichkeit eines zurückgezogenen, tugendhaften Lebens bevorzugen, Kummer des Herzens fügten noch Melancholie, zu der er hinneigte, hinzu. Die Umstände warfen ihn in die politische Laufbahn, er brachte den Eifer eines leidenschaftlichen Mutes und die Unbeugsamkeit einer strengen Rechtlichkeit mit dahin.

Für die schönen Zeiten Roms geschaffen, hoffte er vergebens ähnliche Zeiten für eine Nation vorzubereiten, bei der die Freiheit anzubrechen schien; aber die verderbten Franzosen sind ihrer nicht würdig. Sie haben ihre Verteidiger verkannt und jene, die sie hätten lieben und ehren sollen, sind von einer Versammlung von Feiglingen, die von einer handvoll Räuber beherrscht wurde, geächtet worden. Buzot wurde für einen Verräter des Vaterlandes erklärt, für das er sich geopfert hatte, sein Haus dem Erdboden gleichgemacht, sein Vermögen eingezogen. Aber die Schmach fällt auf die Urheber und die passiven Zeugen dieser Missetat zurück. Buzot wird im Gedächtnis aller rechtschaffenen Leute fortleben. Seine markigen Gedanken, seine weisen Ratschläge werden angeführt werden. Man wird seine zwei Briefe vom 6. und 22. Jänner 1793 an seine Kommittenten wieder lesen. Die Nachwelt wird sein Andenken ehren, seine Zeitgenossen werden nicht verfehlen, ihn zurückzusehnen. Man wird eines Tages sein Bild hervorsuchen, um ihm seinen Platz anzuweisen unter jenen der hochherzigen Freunde der Freiheit, die an Tugend glaubten, die sie als die einzige Grundlage einer Republik zu verkünden wagten und die die Kraft hatten, sie auszuüben.“

Weder Madame Roland noch Buzot empfanden die geringsten Gewissensbisse über das Gefühl, das sie einander einflößten. Diese Tatsache, in der die Einen einen charakteristischen Zug des Sittenverfalls damaliger Zeit sehen werden, betrachten andere wieder, vielleicht mit mehr Berechtigung, als den besten Beweis der Reinheit ihrer Leidenschaft.

Wir lassen hier eine Stelle aus Buzots Selbstbiographie folgen, die ihn sehr gut charakterisiert: „Von Natur mit einem unabhängigen Charakter und einem Mute geschaffen, der sich unter niemandes Befehle beugte, wie hätte ich den Gedanken eines erblichen Königs und eines unantastbaren Menschen ertragen können? Den Kopf und das Herz mit der Geschichte Griechenlands, Roms und jener berühmten Männer erfüllt, die in jenen alten Republiken das Menschengeschlecht am meisten ehrten, bekannte ich mich schon seit meiner frühesten Kindheit zu ihren Grundsätzen. Ich erfüllte mich mit dem Studium ihrer Tugenden. Ich wuchs in meiner Jugend fast wild auf; meine Leidenschaften waren in meinem glühenden und empfindsamen Herzen verschlossen, sie waren heftig, übertrieben, aber wenn sie sich auf einen Gegenstand beschränkten, so weihten sie sich ihm ganz. Niemals hat die Ausschweifung meine Seele mit ihrem unreinen Hauch befleckt; die Schlemmerei hat mir immer Abscheu eingeflösst, und bis in mein vorgerücktes jetziges Alter hat nie eine schamlose Rede meine Lippen besudelt. Frühzeitig habe ich indessen das Unglück kennen gelernt und bin dadurch der Tugend umso anhänglicher geblieben, deren Tröstungen meine einzige Zuflucht waren. Mit welchem Entzücken erinnere ich mich noch jener glücklichen Epoche meines Lebens, die nicht wiederkehren kann, wo ich des Tages schweigsam die Berge und Wälder nahe der Stadt, die mich zur Welt kommen sah, durchstreifte, dabei mit Entzücken Werke Plutarchs oder Rousseaus las, oder mir Züge über Moral und Philosophie im Gedächtnis zurückrief. Manchmal saß ich auf blühendem Rasen, im Schatten dichtbelaubter Bäume und überließ mich einer sanften Melancholie bei der Erinnerung der Leiden und Freuden, die abwechselnd die ersten Zeiten meines Lebens bewegt hatten. Oft bildeten die Schriften Plutarchs und Rousseaus die Beschäftigung und Unterhaltung der Abende, die ich mit einem gleichalterigen Freunde verbrachte, den mir der Tod im Alter von 30 Jahren entriss und dessen immer teueres und verehrtes Angedenken mich vor mancher Verirrung bewahrt hat. Mit diesem Charakter und dieser Veranlagung kam ich, von der Erschütterung menschlicher Leidenschaften aufgeregt, in den Strom der Revolution und in die konstituierende Versammlung.

Das, was ich dort anfänglich bemerkte, war nicht darnach angetan, mich zu ändern. Der Adel, die Geistlichkeit, der zersetzteste Hof Europas. Ich zeigte mich dort als Freund des Volkes, als unerschrockenen Verfechter der Menschenrechte. Überall war ich geachtet, gesucht und geehrt; aber ich wurde bald gewahr, dass nicht alle eine gleiche Seele dahin brachten, die gleicherweise von dem persönlichen Interesse jeder Privatabsicht frei war. Ich zog mich dann wieder in das Dünkel zurück und trat erst wieder gegen das Ende hervor; im Augenblick, als ich zu bemerken glaubte, dass die Zahl der wahren Patrioten ungemein abgenommen hatte, und dass ich nicht weiter das Stillschweigen beibehalten dürfte, ohne sie noch mehr zu schwächen. Insbesondere zeigte sich mein Widerwille ohne Rückhalt gegen das Königtum, anlässlich der Flucht dis Königs. Als die konstituierende Versammlung ihre Sitzungen zu Ende geführt hatte, kehrte ich wieder nach Evreux zurück, wo ich alles Gute tat, das in meiner Macht lag.“

Kehren wir nun wieder zu den Vorgängen der Septembertage zurück. Am 2. September, gegen 5 Uhr nachmittags, es war ein Sonntag, glaubte Madame Roland aus dem rückwärtigen Teil ihrer Wohnung Geschrei zu vernehmen. Sie begab sich in die nach dem Hof gelegenen Zimmer und sah einen Menschenauflauf in dem großen Hof. Sie ging ins Vorhaus und erkundigte sich um den Anlass. Roland war ausgegangen, aber jene, die nach ihm fragten, waren mit dieser Auskunft nicht zufrieden und wollten ihn unter allen Umständen sprechen. Die Diener widersetzten sich dem Versuch der Leute, in die Wohnung einzudringen, indem sie der Wahrheit gemäss wiederholten, dass Roland nicht zugegen sei. Madame Roland befahl, man solle zehn Leute aus der Menge einladen, hinauf zu kommen. Als sie kamen, fragte sie Madame Roland sanft nach ihrem Begehr. Sie versicherten, sie seien tapfere Bürger, die sich nach Verdun begeben wollten, denen es aber an Waffen fehle, deshalb seien sie zum Minister gekommen, um welche von diesem zu fordern. Madame Roland bemerkte, dass ein Minister des Innern nie Waffen zu seiner Verfügung habe und dass sie sich zum Kriegsminister verfügen sollten, um sie von diesem zu verlangen. Sie sagten, sie seien schon dort gewesen und hätten die Auskunft erhalten, dass dort keine Waffen seien; dass alle diese Minister Verräter seien und dass sie Roland zu sprechen wünschten. Madame Roland versicherte nochmals, dass Roland ausgegangen sei, er würde sie gewiss überzeugen. Sie forderte die Leute auf, mit ihr das Ministerpalais zu untersuchen, um sich zu überzeügen, dass er nicht daheim sei, dass nirgends Waffen aufbewährt seien und dass sie auch einsehen müssten, dass dies nicht der Ort sei, wo sich welche befinden sollen. Sie empfahl ihnen noch einmal, sich zum Kriegsminister zu verfügen, um diesen ihre gerechten Klagen vorzubringen. Roland sei im Marineministerium, falls sie ihn zu sprechen wünschten, sollten sie sich dahin begeben. Daraufhin zogen sie sich unter Verwünschungen über den Verrat der Minister zurück. Sie schleppten einen der Diener als Geisel mit sich und hetzten ihn eine Stunde lang durch die Straßen, worauf sie ihn frei gaben!

Kaum war die Menge den Blicken Madame Rolands entschwunden, als sie eilig einen Wagen bestieg, um ins Marineministerium zu fahren und ihrem Mann von dem Vorgefallenen Bericht zu erstatten. Der Ministerrat war noch nicht vollzählig versammelt, der Kriegsminister und der Justizminister fehlten noch. Sie erzählte den Vorgang, jeder legte ihn anders aus. Die meisten betrachteten ihn als das zufällige Ergebnis der Umstände und der Gärung der Geister. Die Minister verließen um 11 Uhr nachts den Ministerrat und erfuhren erst am andern Morgen die Greuel, die die Nacht zum Zeugen hatte und die in den Gefängnissen noch weiter fortgesetzt wurden.

Roland und Madame Roland blutete das Herz über diese schändlichen Vorgänge, über die Ohnmacht, ihnen Einhalt zu gebieten, und über die augenscheinliche Mitschuld des Gemeinderates und Platzkommandanten: Sie kamen überein, dass für einen Minister, der ein Ehrenmann sei, nichts übrig bleibe, als sie mit der größten Heftigkeit öffentlich anzuklagen, die Versammlung zu bestimmen, sie verhaften zu lassen und die Entrüstung aller ehrlichen Menschen gegen sie anzufachen, und sich auf diese Weise vom Makel rein zu waschen, an den Greueln durch Stillschweigen teilgenommen zu haben. Und sich, wenn nötig, eher den Dolchen der Mörder auszusetzen, um dem Verbrechen und der Schande auszuweichen, als in irgend einer Weise ihr Mitschuldiger zu sein. Roland schrieb dann jenen bekannten Brief an die Nationalversammlung. Madame Roland behauptet in ihren Memoiren: „Dieser, am 3. September an die Nationalversammlung gerichtete Brief wurde ebenso berühmt wie jener, der an den König gerichtet war.“ Die Nationalversammlung nahm ihn mit Begeisterung auf und beschloss die Drucklegung, Verlesung und Plakatierung.

Indessen wurde das Gemetzel in dem Gefängnis in der Abbaye von Sonntag abends bis Dienstag früh fortgesetzt, in dem Gefängnis La Force noch länger und in Bicêtre vier Tage hindurch u. s. w. Roland wurde von Erregung und Entsetzen über all die Gräuel völlig krank, er konnte weder essen noch schlafen und hörte trotzdem nicht auf zu arbeiten.

Als Roland seine Demission als Minister geben wollte, kam eine Menge von Abgeordneten zu ihm, um ihn zu bewegen, seinen Posten nicht zu verlassen; sie drängten lebhaft in ihn und stellten sein Verbleiben als ein Opfer hin, das er dem Vaterlande schulde. Der Rücktritt Rolands hatte die Feinde nicht besänftigt. Er hatte das Ministerpalais, trotz des Entschlusses den Aufruhr zu beschwören und allen Gefahren Trotz zu bieten, verlassen, weil die Lage des Ministerrates seine immer wachsende Schwäche sonderbar darstellte und ihm keinen andern Ausblick als auf Fehler und Dummheiten bot, deren Schande er zu teilen genötigt worden wäre. Er konnte nicht einmal durchsetzen, dass seine Ansichten und Motive, wenn sie den Beschlüssen der Majorität entgegengesetzt waren, im Protokoll angeführt wurden. Er weigerte sich, Gesetzentwurfe zu unterschreiben. Dies war am 15. Januar. Der Konvent bot ihm nichts Ermutigendes, sein Name allein genügte dort schon, um Aufregung und Spaltung hervorzurufen. Es war nicht mehr möglich, diesen Namen dort auszusprechen, ohne aufrührerischen Lärm zu erregen.

Roland hatte nach seinem Rücktritt seinen Gegnern einen furchtbaren Stoß versetzt, indem er einen Rechenschaftsbericht veröffentlichte, wie ihn noch kein Minister beigebracht hatte. Aber er erwartete umsonst die Prüfung und Bestätigung dieses Berichtes, denn es hätte geheißen, die Unrichtigkeit der gegen ihn verbreiteten Verleumdungen anerkennen, die Infamie seiner Verleumder und die Schwäche des Konventes, der ihn nicht zu verteidigen gewagt hatte, bloßlegen. Man musste fortfahren ihn zu beschimpfen, ohne Beweise zu erbringen, seine Stellung erschüttern, ihn verdunkeln, die öffentliche Meinung über ihn irre führen, um ihn ungestraft zu stürzen und sich so, eines unbequemen Zeugen so vieler Greuel zu entledigen, die man hätte entweder begraben oder rechtfertigen müssen, um ihren Urhebern das Geld und die Autorität zu erhalten, die sie ihnen verschafft hatte.

Roland schrieb siebenmal an den Konvent, in einem Zeitraum von vier Monaten, um die Prüfung seines Berichtes über seine administrative Leitung zu fordern, es war ganz vergebens. Die Jakobiner fuhren fort, ihn einen Verräter zu nennen.

Roland hatte zum achtenmal an den Konvent geschrieben, doch kam es nicht zur Verlesung des Briefes. Madame Roland schickte sich an, ihren Pass auf dem Rathaus vidieren zu lassen, den sie benötigte, um sich mit ihrer Tochter auf das Land begeben zu können, wohin häusliche Angelegenheiten, ihre erschütterte Gesundheit und viele andere Gründe sie zu fahren veranlassten. Unter anderem erwog sie auch, um wie viel leichter es für Roland gegebenenfalls sein würde, sich der Verfolgung seiner Feinde zu entziehen, wenn es zu den äußersten Gewalttätigkeiten käme, wenn er sich ohne seine Familie befände. Die Ausfolgung des Passes wurde durch unnötige Schwierigkeiten all zu eifriger Beamten verzögert, in deren Augen Madame Roland verdächtig erschien. Als ihr bedeutet wurde den Pass abzuholen, lag sie krank zu Bette und konnte es eine Woche lang nicht verlassen. Sie beschloss nach Ablauf dieser Zeit, sich dahin zu begeben, es war ein Freitag, da hörte sie Sturm läuten und fand den Augenblick für ungeeignet. Sie hörte die Lärmkanone, die Aufregungen des Tages weckten bei ihr jenes Interesse das große Begebenheiten einflößen, ohne eine peinliche Empfindung daneben zu erzeugen. Energische Charaktere hassen nichts so sehr als die Ungewissheit. Die Herabwürdigung des Konventes, seine täglichen Handlungen der Schwäche und Sklaverei schienen ihr so betrübend, dass sie die Ausschreitungen beinahe vorzog, weil sie von diesen Klärung der Zustände erhoffte. Freunde gingen ab und zu, die sie über die Lage der Dinge unterrichteten. Man fand es ratsam, dass Roland bei Freunden übernachte. Um ½ 5 Uhr Abend stellten sich sechs bewaffnete Männer bei Roland vor. Einer von ihnen verlas einen Befehl vom ,,Comité revolutionnaire“, kraft dessen sie ihn für verhaftet erklärten. Roland erwiderte hierauf: „Ich kenne kein Gesetz, das die Gewalt begründet, die Sie anführen und ich werde den Befehlen, deren Ausfluss sie sind, nicht Folge leisten. Wenn Sie Gewalt anwenden, so werde ich Ihnen nur den Widerstand eines Mannes meines Alters entgegenstellen können. Aber ich werde bis zum letzten Augenblick dagegen protestieren.“ Der Sprecher sagte, er habe nicht den Befehl erhalten Gewalt anzuwenden. Er werde sich in den Gemeinderat begeben, um dort Rolands Antwort mitzuteilen und lasse inzwischen seine Kollegen zurück.

Kaum war der Mann fort, als Madame Roland der Gedanke kam, dass es gut sein würde, den Tatbestand dem Konvent mitzuteilen und dadurch die Verhaftung Rolands zu hintertreiben, oder ihn gleich wieder in Freiheit zu setzen, falls sie doch vorgenommen würde. Diesen Plan ihren Mann entwickeln, einen Brief an den Präsidenten zu schreiben und fortfahren, war das Werk einiger Minuten. Ein Freund des Hauses, der eben zugegen war, blieb für alle Fälle bei Roland. Sie bestieg einen Wagen und fuhr ins Karrussel. Der Hof der Tuilerien war voll von bewaffneten Männern, sie drängte sich durch die Menge, sie war in ihrem Morgenkleid und hatte bloß einen Shawl um und war verschleiert. Die Saaltüren waren alle verschlossen. Sie bat um Einlass und wurde von den Wachposten von einer Tür zur anderen geschickt, alles vergebens. Dann stellte sie sich, als ob sie eine Anhängerin Robespierres wäre und sagte: „Aber wie, Bürger, an diesem Tage des Heils des Vaterlandes, inmitten der Verräter, die wir zu fürchten haben, können Sie ja nicht wissen, von welcher Wichtigkeit die Mitteilungen sein können, die ich dem Präsidenten zu überbringen habe!“ Endlich sah sie einen Bekannten, namens Rôze. Sie erzählte ihm alles, übergab ihm den Brief und verlangte, er solle seine Verlesung erwirken. Wieder verging eine Stunde. Mit großen Schritten durchmaß sie auf und ab gehend den Korridor und blickte allemal in den Saal, wenn eine Türe geöffnet wurde. Ein schrecklicher Lärm ließ sich hören. Als Röze wieder erschien, berichtete er, dass die Verlesung bei dem herrschenden Tumulte ein Ding der Unmöglichkeit sei. Als sie hörte, dass Herault-Séchelles eben den Vorsitz führe, sagte sie, dass ihr Brief gewiss nicht verlesen werden würde und bat ihn, Vergniaux herauszurufen.

Er kam und sagte, es sei aussichtslos, dass der Brief verlesen werde. Er riet ihr, selbst vor die Schranken zu treten, es würde ihr vielleicht in ihrer Eigenschaft als Frau mehr Gunst erwiesen werden. Übrigens werde gerade über einen Gesetzentwurf mit sechs Paragraphen verhandelt und sicherlich könne ihr Brief vor anderthalb Stunden nicht zur Verlesung gelangen. Sie entschloss sich diese Zwischenzeit zu benutzen, um zu Hause nachzusehen, was vorgehe. Als sie in ihr Haus trat, sagte ihr der Portier leise, dass Roland in die Wohnung des Hausherrn, im rückwärtigen Hof, gegangen sei; sie eilte hin, sie war in Schweiß gebadet, man reichte ihr ein Glas Wein und benachrichtigte sie, dass der Abgesandte mit dem Haftbefehl wieder gekommen sei und sich im Gemeinderat kein Gehör verschaffen konnte, dass Roland später gegen den Befehl protestiert habe, und dass schließlich die guten Leute verlangt hätten, er solle diesen Protest zu Protokoll geben, worauf sie sich zurückgezogen hätten. Daraufhin hätte Roland ihre Wohnung von der rückwärtigen Stiege aus verlassen. Madame Roland verließ auf die gleiche Weise das Haus und begab sich auf die Suche nach ihrem Manne, um ihm das, was sie bis nun unternommen hatte, mitzuteilen und ihn auch über ihre weiteren Schritte in Kenntnis zu setzen. Sie ging in verschiedene Häuser, um ihn zu suchen und fand ihn endlich. An der Stille der beleuchteten Straßen mutmaßte sie, dass es schon spät sein müsse, es war tatsächlich mehr denn 10 Uhr. Das war ihr erster Ausgang nach einer schweren Erkrankung. Als sie wieder zum Karrussel kam, war die Sitzung aufgehoben.

Als sie ihren Wagen besteigen wollte, rannte ein herrenloser Hund ganz zutraulich mit, sie nahm ihn mitleidig in ihren Wagen. Kaum war sie eine Strecke gefahren, musste der Kutscher auf den Zuruf einer Wache anhalten, der Wagenschlag wurde aufgerissen. „Wer da?“ — „Eine Bürgerin!“ — „Von wo kommen Sie ?“ — „Aus dem Konvent!“ Der Kutscher bestätigte diese Aussage, als hätte er Angst, man könnte ihren Worten nicht Glauben schenken. „Wohin begeben Sie sich jetzt?“ — „Nach Hause!“ — „Haben Sie keine Effekten?“ — „Ich habe nichts, sehen Sie her.“ — „Aber die Sitzung ist doch schon geschlossen?“ — „Jawohl, das ist es eben, was mir leid tut, denn ich hatte eine Beschwerdeschrift einzureichen.“ — „Eine Frau zu dieser Stunde, das ist unbegreiflich, das ist sehr unvorsichtig.“ — „Sicherlich ist das nicht alltäglich und hat für mich nichts angenehmes; ich bedurfte gewiss großer Beweggründe hiezu.“ — „Aber wie, Madame sind ganz allein?“ — „Wieso, mein Herr, allein ? Sehen Sie nicht die Unschuld und die Wahrheit in meiner Gesellschaft; was bedarf es mehr?“ — „Wohlan, ich weiche Ihren Beweisgründen.“ — „Sie tun wohl daran, denn sie sind stichhaltig,“ fügte Madame Roland freundlicher hinzu.

Endlich war sie wieder zu Hause angelangt! Kaum hatte sich Madame Roland niedergesetzt, es war bereits Mitternacht, als sie an ihrer Türe klopfen hörte. Eine zahlreiche Deputation vom Gemeinderat stellte sich ihr vor und verlangte nach Roland. — „Aber wo kann er sein,“ fragte ein Mann in Offiziersuniform. „Sie müssen doch seine Gewohnheiten kennen und über seine Rückkehr eine Vorstellung haben“? — „Es ist mir nicht bekannt“ antwortete Madame Roland, „ob Ihr Befehl Sie ermächtigt, derartige Fragen an mich zu steilen, aber ich weiß, dass nichts mich dazu zwingen kann, darauf zu antworten. Roland hat seine Wohnung verlassen, während ich im Konvent war, er konnte mir daher keine vertraulichen Mitteilungen machen, und ich habe weiter nichts hinzuzufügen!“

Die Bande zog sich hierauf höchst unzufrieden zurück und ließ eine Schildwache an der Wohnungstüre und einen Wachposten am Haustor stehen. Madame Roland fühlte, dass nun nichts weiter zu tun übrig blieb, als alle Kraft zu sammeln, um sich gegen das, was nun kommen würde, zu verteidigen. Sie war von Müdigkeit erschöpft, sie aß etwas, schrieb einen Brief, den sie ihrer getreuen Dienerin anvertraute, und begab sich zu Bett. Sie schlief beiläufig eine Stunde sehr fest, als ihre Dienerin ins Zimmer trat und ihr mitteilte, dass die Herren der Sektion da seien und sie zu sprechen wünschen.

„Ich verstehe, was das sagen will,“ antwortete sie. „Gehen Sie, mein Kind, ich werde sie nicht lange warten lassen. „ Sie sprang aus dem Bett und kleidete sich an. Das Dienstmädchen verwunderte sich, dass sie mehr als den Schlafrock überwarf: „Man muss doch anständig gekleidet sein, wenn man ausgeht“, bemerkte Madame Roland. Das arme Mädchen sah sie starr an, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie ging in das andere Zimmer. Der Sprecher, der gekommen war, sagte: „Wir kommen, Bürgerin, um Sie zu verhaften und um alles gerichtlich zu versiegeln.“ Worauf Madame Roland fragte: „Wo sind Ihre Vollmachten?“ — „Hier sind sie,“ sagte einer der Männer, indem er eine Vollmacht des revolutionären Komitees aus seiner Tasche zog, in der kein Motiv für die Verhaftung angegeben worden war, um sie in das Gefängnis l’Abbaye zu führen. Madame Roland sagte daraufhin: „Ich könnte Ihnen wie Roland sagen, dass ich dieses Komitee nicht kenne und seinen Befehlen nicht Folge leiste, dass Sie mich nur mit Gewalt von hier entfernen werden.“ — „Hier ist noch ein Befehl,“ beeilte sich ein anderer aus der Gruppe in verbindlichem Tone zu sagen, indem er einen Befehl des Gemeinderates vorlas, worin ebenfalls, ohne Angabe der Ursache, die Verhaftung Rolands und seiner Gattin angeordnet wird. Während der Verlesung des Verhaftungsbefehles erwog Madame Roland bei sich selbst, ob sie so weit als möglich den Widerstand treiben, oder ob sie sich einfach ergeben solle. Sie dachte daran, sich auf das Gesetz zu berufen, welches nächtliche Verhaftungen verbiete, aber was galten Gesetze dort, wo die rohe Gewalt herrschte! Auch würden diese brutalen Leute keine Grenzen kennen, wenn sie sehen würden, dass man sich ihnen widersetzte! Madame Roland fragte sie, wie sie vorzugehen beabsichtigen. Sie antworteten, dass sie bereits um den Friedensrichter geschickt hätten. Als der Friedensrichter gekommen war, begab man sich in den Salon und legte überall die Gerichtssiegel an. Ein besonders Eifriger verlangte auch, dass ein Siegel sogar auf dem Klavier angebracht werde. Mit Mühe konnte Madame Roland durchsetzen, dass man ihr erlaubte, das ihrer Tochter Gehörige an Wäsche und Kleidern und für sich das Allernotwendigste für die Nacht aus den Schränken zu nehmen.

Währenddessen kamen und gingen so an hundert Leute von der Strasse in der Wohnung ein und aus, die Luft war ganz verpestet, keiner der Kommissäre hatte den Mut, diese Menge Neugieriger fortzuweisen, einer oder der andere wagte eine schüchterne Bitte, die jedoch von gar keinem Erfolg begleitet war! Dabei lagen hunderterlei Dinge umher, die leicht fortgetragen werden konnten, ohne dass man es bemerkt hätte, ohne dass man es hätte verhindern können.

Während sich all das zutrug, saß Madame Roland an einem Tisch, um an einen Freund zu schreiben, dessen Obsorge sie ihr Kind empfahl. Als aber der Kommissär die Durchsicht des Briefes forderte, zerriss sie ihn, um den Freund nicht zu kompromittieren.

Um sieben Uhr früh verließ Madame Roland ihre Tochter, die sie der Obhut ihrer Leute überlassen musste; sie ermahnte alle zur Ruhe und Geduld; sie fühlte sich durch die Tränen ihrer Leute sehr geehrt und nichts vermochte ihren Mut zu beugen. Der Kommissär bemerkte: „Sie haben Leute um sich, die Sie lieben.“ „Ich hatte niemals andere,“ antwortete Madame Roland und stieg die Treppe hinab. Vor dem Toreingang, vom Treppenabsatz bis zum bereitstehenden Wagen auf der anderen Seite der Strasse standen zwei Spaliere bewaffneter Männer und ein Haufen Neugieriger. Madame Roland ging mit kleinen Schritten tapfer vorwärts, indem sie diese feige, verführte Schar aufmerksam betrachtete. Die bewaffnete Macht folgte dem Wagen in zwei Reihen. Das Volk hielt am Wege, an dem der Wagen vorbeikam, inne und schrie: „Auf die Guillotine!“

Der Kommissär fragte Madame Roland, ob sie wünsche, dass man die Vorhänge an der Wagentür zuziehe, worauf sie ihm antwortete: „Nein, mein Herr, die Unschuld, möge sie auch noch so unterdrückt sein, nimmt nie die Haltung der Schuldigen an. Ich fürchte keines Menschen Blicke, ich will mich keinem entziehen.“ Der Kommissär fand, dass sie mehr Mut habe als viele Männer, und dass sie ruhig die Gerechtigkeit abwarten solle. „Wenn Gerechtigkeit geübt würde, wäre ich gegenwärtig nicht in Ihrer Gewalt, aber ein äußerst ungerechtes Verfahren wird mich aufs Schafott führen, das ich fest und ruhig besteigen werde, gerade so, wie ich mich auch ins Gefängnis begebe. Ich seufze über mein Vaterland, ich bedauere den Irrtum, es für die Freiheit und das Glück für reif gehalten zu haben. Ich schätze das Leben, ich habe nie etwas anderes als das Verbrechen gefürchtet, ich verachte die Ungerechtigkeit und sehe dem Tod kalt ins Auge,“ sagte sie zu diesem armseligen Kommissär, der nicht viel von dieser Sprache verstand und sie wohl für eine „aristokratische“ hielt.

Endlich langte man vor der Abbaye an, dem Schauplatze der berüchtigten blutigen Auftritte. Madame Roland wurde zuerst in ein finsteres, kleines Zimmer geführt, wo sechs Feldbetten standen, auf denen ebenso viele Männer lagen. Als man die Gefängnispforte geöffnet hatte, erhoben sich die Leute, es entstand eine Bewegung, worauf die Begleiter Madame Roland über eine schmale, unreine Treppe führten. Man gelangte in die Wohnung des Kerkermeisters. Madame Roland wurde in eine Art kleinen Salon geführt, der ziemlich reinlich war, man bot ihr einen gepolsterten Lehnstuhl zum Sitzen an. Madame Roland fragte die gutmütig aussehende Frau des Kerkermeisters nach dem Zimmer, das für sie angewiesen wurde. Die Frau versicherte, dass sie nicht von Madame Rolands Kommen unterrichtet worden sei, dass sie deshalb noch nichts hergerichtet habe, dass sie aber inzwischen bei ihr bleiben könne. Es wurden sehr strenge Verhaltungsmaßregeln für Madame Roland vorgeschrieben; aber sie erzählt selbst, dass der Kerkermeister ein ehrenhafter, munterer und verbindlicher Mensch war, der in die Ausübung seiner Amtsverrichtungen alles, was Gerechtigkeit und Humanität wünschenswert erscheinen lassen, hineinlegte. Man reichte ihr auf ihr Verlangen zum Frühstück eine Bavaroise. Der Kommissär sagte ihr noch, bevor er sich zurückzog, dass Roland sich nicht hätte entfernen sollen, wenn er unschuldig sei. Madame Roland konnte sich nicht enthalten, diesen frechen Worten entgegen zu treten: „Es ist doch zu sonderbar, dass man einen solchen Mann, der so große Dienste für die Freiheit geleistet hat, verdächtigen kann. Es ist zu widerwärtig, einen Minister, dessen Vorgehen so offen, dessen Rechenschaft so klar vorliegt, mit solcher Erbitterung verleumdet und verfolgt zu sehen. Gerecht wie Aristides, streng wie Cato, so scheinen nur seine Tugenden ihm Feinde gemacht zu haben; die Wut dieser kennt keine Grenzen. Möge sie sich gegen mich richten, ich werde ihr trotzen und mich ihr preisgeben. Er muss sich für sein Land erhalten, dem er noch große Dienste erweisen kann,“ Die Herren gingen verlegen weg. Madame Roland frühstückte ruhig, während man für sie ein Zimmer herrichtete. Die Kerkermeistersfrau sagte ihr, sie könne den Tag über bei ihr bleiben, und falls sie bis abends das für sie bestimmte Zimmer nicht in Ordnung gebracht haben würde, werde man im Salon ein Bett für sie herrichten. Sie sagte noch einige freundliche Worte, wie sehr sie jedesmal bedauere, wenn sie sehen müsse, dass eine Person ihres Geschlechtes dorthin komme, denn nicht alle seien so heiter wie Madame Roland.

Madame Roland dankte ihr lächelnd für ihre Teilnahme, worauf sich die Frau entfernte und die Türe versperrte.

„Da bin ich nun im Gefängnis, sagte ich mir. Ich setzte mich und sammelte mich gründlich. Ich würde die Augenblicke, die nun folgten, nicht für jene vertauschen, die andere für die glücklichsten meines Lebens halten, ich werde die Erinnerung an sie nie verlieren. Sie haben mich in einer gefahrvollen Lage, mit einer stürmischen, ungewissen Zukunft den ganzen Wert der Kraft und Rechtlichkeit fühlen lassen, die in der Echtheit eines guten Gewissens und eines großen Mutes liegt. Bis dahin war ich von den Ereignissen vorwärts geschoben, meine Handlungen waren in dieser Krisis das Resultat einer lebhaften Empfindung, die mit fortreißt; welche Annehmlichkeit, alle Ergebnisse durch die Vernunft rechtfertigen zu können. Ich rief mir die Vergangenheit in mein Gedächtnis zurück, ich erwog die künftigen Begebenheiten, und wenn ich dieses all zu empfindsame Herz anhörte und einige zu mächtige Zuneigungen darin fand, entdeckte ich nicht eine, die mich hätte erröten machen müssen, nicht eine, die nicht als Nahrung für meinen Mut gedient, und die es zu beherrschen nicht verstanden hätte. Ich weihte mich sozusagen freiwillig meinem Schicksal, welches immer es auch sein könnte, ich forderte seine Härte heraus. Ich richtete mich in jener Stimmung ein, in der man nur mehr die nützliche Anwendung der Gegenwart sucht, ohne anderweitige Sorge. Aber jene Ruhe für das mich persönlich betreffende wagte ich nicht auf das Schicksal meines Vaterlandes und meiner Freunde auszudehnen. Ich erwartete das Abendblatt mit einer unaussprechlichen Begierde und horchte gespannt auf das Schreien in der Strasse.“

Madame Roland erkundigte sich beim Kerkermeister über alle Vorschriften. Er nannte ihr alle strengen Maßregeln, die über sie verhängt worden seien, und sagte ihr, er werde diese als nicht vorhanden betrachten. Der Kerkermeister verabredete gleich mit ihr, dass die Besuche, die zu ihr kommen würden, nach seiner Frau fragen sollten, ohne Madame Rolands Namen zu erwähnen, so würde sie leicht mit ihnen verkehren können und niemand würde von dieser Erleichterung etwas erfahren.

Es ist seltsam zu beobachten, wie die Ereignisse manchmal dem Menschen den Lohn für seine Taten finden lassen! Als Roland das erstemal Minister wurde, bemerkte er, dass die Gefängnisse sich in einem furchtbaren Zustand der Vernachlässigung befanden. Er wollte abhelfen und ernannte einen gewissen Grandpré zu einer Art Inspektor der Gefängnisse, dem die Pflicht oblag, über alle vorgefundenen Schäden dem Minister Bericht zu erstatten und den Gefangenen alle mögliche Sorgfalt und Erleichterung zukommen zu lassen. Man muss bedenken, wie viele Tausende von Unschuldigen damals in den Kerkern schmachteten! Der erste Besuch, den Madame Roland in der Abbaye empfing, war der von Grandpré. Er eilte herbei, sein Herz war tief ergriffen. Madame Roland versichert, dass ihr niemals ein Zeichen der Teilnahme rührender und ehrender erschienen war als das, welches er ihr bezeigte. Er verband damit das Gefühl einer edlen Dankbarkeit und sie fand auch den Geist einer guten Tat darin. Er riet ihr, an den Nationalkonvent zu schreiben, sie entschloss sich gleich dazu. Grandpré versprach, in zwei Stunden wieder zu kommen, um den Brief zu übernehmen. Der Brief enthielt die genaue Schilderung ihrer Verhaftung und Internierung. Sie lehnte sich gegen die Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren war auf und forderte ihr Recht in jener edlen, freien Sprache, die ihr eigen war. Grandpré übernahm den Brief, brachte ihn jedoch am andern Tag zurück. Er hatte sich mit Champagneux, einem Freunde Madame Rolands, darüber beraten. Beide waren übereingekommen, dass die Einleitung in einem milderen Tone abgefasst werden müsse, auch sei es nötig, einige Zeilen an den Minister des Innern zu richten, worin er offiziell ersucht wird, den Brief an den Konvent gelangen zu lassen. Sie tat was man ihr riet, aber nicht gerade gerne.

Am andern Morgen betrachtete sie ihre Zelle und dachte nach, wie sie sich dort einrichten würde. Sie bedeckte den kleinen, hässlichen Tisch mit einem säubern Tuche und schob ihn ans Fenster, sie bestimmte ihn zu ihrem Schreibtisch, entschlossen, ihre Mahlzeiten auf dem Kaminvorsprung einzunehmen und den Arbeitstisch rein und geordnet zu erhalten. Sie hatte in ihrer Kleidertasche Gedichte von Thompson, die sie besonders bevorzugte. Sie schrieb die Titeln einiger Bücher auf, die sie sich kommen lassen wollte, so z. B. Plutarchs Werke, die sie seit ihrer frühen Kindheit nicht wiedergelesen hatte, die englische Geschichte von Hume. Sie lächelte selbst über ihre Vorbereitungen, denn es war eine große Unruhe. Alle Augenblicke hörte man Trommelsignale und Geschrei. „Sie werden mich nicht hindern können, bis zum letzten Augenblick mit ruhigem Gewissen zu leben, glücklicher als sie, die durch ihre Raserei erregt sind, ich gehe ihnen entgegen und ich trete aus dem Leben, wie man sich zur Ruhe begibt.“ In dieser Betrachtung wird sie durch das Kommen der Kerkermeisterin gestört, die sie einlädt in ihre Wohnung zu gehen, wo das Dienstmädchen von Madame Roland warte. Als sich das gute Geschöpf mit von Tränen überströmtem Gesicht in ihre Arme warf und vor Erregung zitterte, machte sich Madame Roland beinahe Vorwürfe so ruhig zu sein; wenn sie die Besorgnis derer, die ihr nahe standen, bedachte, schnürte es ihr Herz zusammen. Madame Roland erzählt von dem Mädchen, dass es sie im täglichen Leben oft angefahren habe, aber das tat es nur, wenn sie zu sehen glaubte, dass ihre Herrin zu wenig an das dachte, was zu ihrem Glücke und ihrer Gesundheit dienlich sein könnte. Wenn Madame Roland litt, so war es das Mädchen, das seufzte, und Madame Roland, die es trösten musste. Nun musste sie wohl oder übel auch da diese gewohnte Art beibehalten. Sie machte ihr klar, dass sie, wenn sie sich zuviel dem Schmerze hingebe, weniger fähig sei, ihr nützlich zu sein, dass sie ihr draußen nötiger sei als im Gefängnis, wo zu bleiben das Mädchen sich als Gunst erbitten wollte. Madame Roland versicherte sie, dass sie alles in allem genommen nicht so unglücklich sei, als man es sich vorstelle, und das war auch wahr. Wenn Madame Roland krank war, überkam sie immer eine ganz besondere Art von Ruhe, sie hatte es sich zum Gesetz gemacht, sich das Notwendige immer zu erleichtern, weit entfernt davon, sich dagegen aufzulehnen.

Im Augenblick, wo sie zu Bette war, schien es ihr, dass alle Verpflichtungen für sie aufhörten und keine Sorge Macht über sie habe. Sie sei nur verpflichtet, dort mit Ergebung zu verbleiben, was sie mit Vergnügen tat. Sie ließ ihrer Einbildungskraft freien Lauf, sie rief sich angenehme Eindrücke, schöne Erlebnisse, glückliche Empfindungen in die Erinnerung zurück. Keine Anstrengungen, keine Berechnungen, keine Vernunft, alles ist ruhig wie sie selbst, sie leidet ohne Ungeduld, sie ruht aus und erheitert sich. Sie versicherte, dass das Gefängnis die gleiche Wirkung wie die Krankheit auf sie ausübe; sie sei genötigt dort zu verbleiben, das koste sie keine Überwindung, ihre eigene Gesellschaft sei gar nicht schlecht!

Unter dem Fenster ihrer Zelle stand die Schildwache, die ganze Nacht hörte Madame Roland sie mit Donnerstimme rufen: „Wer da? Schiess! Korporal! Patrouille!“ Sie wachte häufig auf, konnte aber meist gleich wieder einschlafen. Des morgens räumte sie alles selbst auf; sie zog es vor, das Geld, das sie dafür hätte bezahlen müssen, zu ersparen, um damit arme Gefangene zu unterstützen. Mit Ungeduld wartete sie, dass die großen Riegel zurückgeschoben und der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde, um das Morgenblatt zu bekommen. Als sie den Verhaftungsbefehl der zweiundzwanzig Girondisten las, entfiel das Blatt ihren Händen und sie rief mit schmerzlicher Bewegung: „Mein Vaterland ist verloren.“ So lange sie glaubte, allein oder beinahe allein unter dem Joch der Bedrückung zu sein, war sie mutig und ruhig, und behielt die Hoffnung, dass die Verteidiger der Freiheit heil bleiben würden, die das Vaterland retten könnten! Aber nun war alles dahin! Der vierte Tag war bereits vorüber und Madame Roland war noch immer nicht einem Verhör unterzogen worden. Sie schrieb, um sich darüber zu beklagen. Ihr erster Brief war, trotz der größten Bemühung von Grandprés Seite, noch immer nicht verlesen worden!

Madame Roland stand das Recht zu, sich für ihr Geld alle möglichen Erleichterungen und Verbesserungen anzuschaffen, aber sie machte von diesem Rechte keinen Gebrauch und wollte ihre Kraft im Entbehren üben und erproben. Es überkam sie die Lust, den Versuch zu machen, zu sehen, bis zu welchem Grade der menschliche Körper imstande sei, seine Bedürfnisse einzuschränken. Aber sie fand, dass es nötig sei, stufenweise vorzugehen, wenn man es darin weit bringen will. Nach und nach ließ sie die Chokolade und den Kaffee vom Frühstück fort und begnügte sich mit Wasser und Brot: zu Mittag nahm sie nur ein Stück gewöhnliches Fleisch und etwas Gemüse, abends nur etwas Gemüse. Getränke gab es zu keiner Mahlzeit. Wenn sie diese ungenügende, frugale Kost einnahm, freute sie jedesmal der Gedanke an die Ersparnis, die den armen Teufeln zugute kam, wie auch über die unbekannten Segenswünsche, die ihr gewidmet wurden. Sie gab auch den Dienstleuten, als ob sie für sie arbeiteten und ihr allerlei Besorgungen zu machen hätten, trotzdem sie, wie schon gesagt, alle Arbeit selbst verrichtete; aber sie wollte die armen Leute nicht verkürzen, die von diesen kleinen Verdiensten ihren Unterhalt bestritten.

Madame Rolands Freund, Bosc, nahm sich ihrer kleinen Tochter an, indem er sie der Obhut einer ausgezeichneten Frau, namens Creuzé-la-Touche anvertraute, sie wurde dort wie das eigene Kind der Familie aufgenommen und liebevoll gepflegt. Wir lassen hier eine Schilderung dieses Kindes folgen, die in Madame Rolands Memoiren enthalten ist: „Ich habe eine junge, liebenswürdige Tochter, die aber von Natur kalt und träge ist. Ich habe ihr Beispiele gegeben, die man in ihrem Alter nicht mehr vergisst, und sie wird eine gute Frau mit einigen Talenten sein, aber nie wird ihre stagnierende Seele und ihr Geist ohne Schwung, meinem Herzen jene süßen Freuden bieten, die es sich versprochen hat. Ihre Erziehung kann ohne mich vollendet werden, ihr Dasein wird ihrem Vater Trost bieten. Aber sie wird weder meine lebhaften Empfindungen, noch meine Leiden und Freuden kennen lernen, und dennoch, wenn ich noch einmal auf die Welt kommen würde, mit der Wahl der Anlagen, möchte ich nicht aus anderem Zeug geschaffen sein wollen, ich würde von den Göttern erbitten, dass sie mich aus demselben wieder erschaffen“.

Ihre Tochter war in den denkbar besten Händen, ihr eigenes Los schien ihr nicht bemitleidenswert, so blieb nur das ihres Gatten, welches sie bedauernswert fand. Er war verfolgt, proscribiert, man weigerte sich seinen Rechenschaftsbericht zu prüfen; er war genötigt, sich vor der blinden Wut seiner Feinde zu verbergen, sich wie ein Schuldbeladener zu verstecken und selbst für das Schicksal jener guten Menschen, die ihn bei sich aufgenommen, zu zittern. Dabei den Gram in sich verschließen zu müssen, seine Frau im Gewahrsam zu wissen, sein Hab und Gut gerichtlich versiegelt zu sehen, und in Unsicherheit auf eine ungewisse Gerechtigkeit zu warten, die ihm nie das würde ersetzen können, was sie ihm genommen und was sie ihm Leid verursacht hatte!

Acht Tage waren bereits vergangen und noch immer war kein Verhör erfolgt. Madame Roland schrieb an den Justizminister um ihr Recht, um Anwendung der Gesetze zu fordern. Sie schrieb auch an den Minister des Innern und den Abgeordneten Dulaure. In all den Briefen schilderte sie ihre Lage, ihre Unschuld und die Ungerechtigkeit, mit der man sie so lange gefangen halte, ohne sie zu verhören, ohne ihr die Ursache dieser Gefangenschaft bekannt zu geben. Am 12. Juni kam endlich der Polizeikommissär Louvet ins Gefängnis der Abbaye, um Madame Roland einzuvernehmen. Zum Schluss der breitspurigen Einvernahme wurde ihr der Grund ihrer Verhaftung nicht bekannt gegeben! Man forderte bei einer nach einigen Tagen wieder vorgenommenen Einvernahme, dass Madame Roland mit „Ja“ oder „Nein“ antworte. Man erklärte ihre Antworten für breitspuriges Geschwätz und bemerkte überdies boshaft, dass man sich nicht im Ministerpalais befinde, um da den Schöngeist zu spielen!

Der öffentliche Ankläger sprach besonders in einer so bittern Weise und benahm sich mit so vorgefasster Meinung, als ob er überzeugt wäre, eine große Verbrecherin vor sich zu haben und ungeduldig sei, dies zu beweisen. Wenn der Richter an sie Fragen stellte und der öffentliche Ankläger sie nicht nach seinem Geschmack fand, stellte er sie auf eine andere Weise, dehnte sie aus, machte sie verwickelter oder verfänglich; er unterbrach Madame Roland alle Augenblicke in ihrer Beantwortung und forderte mehr Kürze. Das war tatsächlich eine fortgesetzte Quälerei. Madame Roland wurde drei Stunden verhört, worauf die Vernehmung unterbrochen wurde, um sie am Abend wieder aufzunehmen. Der Wunsch, sie zu verderben, war augenscheinlich. Sie wollte ihre Tage sicherlich nicht durch irgend eine Feigheit sichern, aber ebenso wenig wollte sie der Böswilligkeit irgend ein Mittel in Händen lassen und durch Dummheiten die Arbeit dem öffentlichen Ankläger erleichtern, der zu wünschen schien, dass Madame Roland durch ihre Antworten den Anklageakt vorbereite, den sein Eifer gegen sie auszusinnen, bereit war!

Als Madame Roland sich zum Schluss der zweiten Einvernahme weigerte, über Roland Auskünfte zu erteilen, indem sie sagte, dass ein Angeklagter nur über seine Angelegenheiten und nicht über die anderer Rechenschaft abzulegen habe, wurde der öffentliche Ankläger wütend und schrie, dass man mit einer solchen Schwätzerin niemals fertig werden würde, und schloss die Einvernahme“

„Wie ich Sie bedauere,“ sagte Madame Roland mit Heiterkeit. „Ich verzeihe ihnen selbst die Unhöflichkeit, dass Sie mir sagen, Sie glauben eine große Verbrecherin fest zu halten. Sie sind ungeduldig es zu beweisen, aber wie unglücklich ist man mit solchen Vorurteilen! Sie können mich aufs Schafott schicken, aber Sie können mir die Freude nicht rauben, die ein gutes Gewissen gibt, und die Überzeugung, dass die Nachwelt Roland und mich rächen wird, indem sie unsere Verfolger der Niedertracht beschuldigt. Ich wünsche ihnen für das Böse, das Sie mir zufügen, einen gleichen Frieden wie ich ihn bewahre, wie auch der Lohn sein mag, der daran geknüpft ist.“

Madame Roland benützte die Zeit ihrer Haft, um ihre Memoiren zu schreiben; sie verfasste sie mit ungemeiner Schnelligkeit; sie befand sich für diese Arbeit in einer so glücklichen Stimmung, dass sie nach Ablauf eines Monats das Manuskript zu einem stattlichen Bande beisammen hatte, die sie unter dem Titel „Notices historiques“ herausgegeben wünschte. Wir wissen, dass sie in dem Glauben war, dass der Freund, dem sie die Manuskripte anvertraut hatte, sie aus Furcht verbrannt habe. Sie sagt, dass sie, wenn sie die Wahl gehabt hätte, lieber selbst hätte verbrannt werden wollen, als diese kostbaren Schriften, die Roland und sie in den Augen der Nachwelt zu rechtfertigen bestimmt waren, verloren gehen zu sehen. Dieser vermeintliche Verlust war ihr die härteste Prüfung ihres an Kummer und Enttäuschungen so reichen Lebens.

In diesen historischen Notizen gab sie Details über die Ereignisse und die Personen, die im öffentlichen Leben eine Rolle spielten, und die sie durch ihre Stellung kennen zu lernen in der Lage war. Sie schrieb mit der Freiheit und Energie ihres Charakters, mit der Ungezwungenheit, der Aufrichtigkeit und dem Behagen eines Geistes, der über alle persönlichen Rücksichten erhaben ist, mit dem Vergnügen, dasjenige zu schildern, was sie gesehen oder empfunden hat, schließlich mit dem Vertrauen, dass diese Sammlung jedenfalls ein moralisches und politisches Testament sein werde. Es trug den Charakter der Originalität, den ihm die Umstände gaben, das Verdienst der Betrachtungen, die aus den Ereignissen emporwachsen, so wie sie unvermutet dazwischenkommen, und daher die Frische, die einer solchen Entstehung zu verdanken ist.

Eine Zeitlang war Madame Roland krank und lag im Spital. Monate waren seit ihrer Internierung in der Abbaye vergangen. Die ganze Zeit, selbst die ihrer Krankheit, war mit Studium und Arbeit ausgefüllt. Um diese Zeit kam Madame Louvet, von der Madame Roland sagt, man könne wohl ihren Geist und ihre Kenntnisse nicht rühmen, sie verbinde aber die Anmut ihres Geschlechtes mit der Empfindsamkeit einer edlen Seele, die ihr den größten Reiz verlieh und ihr größter Vorzug war. Diese Frau fand Mittel und Wege, ins Gefängnis zu ihr zu dringen. „Wie sehr war ich erstaunt, ihr sanftes Gesicht zu sehen, mich von ihren Armen umschlungen, von ihren Tränen benetzt zu fühlen. Ich hielt sie für einen Engel, sie war auch einer, denn sie ist gut und schön, und sie hatte alles getan, um mir Nachrichten von meinem besten Freund (Buzot) zu bringen, sie ermöglichte es sogar, ihm meine Briefe zu übermitteln. Diese Tröstung trug dazu bei, mich meine Gefangenschaft vergessen zu machen“.

Am gleichen Tage kam die Kerkermeistersfrau, um Madame Roland aufzufordern hinüber zu kommen, da ein Regierungsvertreter dort auf sie warte. Sie war eben leidend und lag zu Bett. Sie stand gleich auf und begab sich hinüber. Als sie ins Zimmer trat, fand sie zwei Männer, die ihr die Mitteilung machten, sie seien gekommen, um sie in Freiheit zu setzen. Die Mitteilung ging Madame Roland gar nicht nahe. Sie sagte, es sei ja alles recht, aber vor allem handle es sich darum, ihr zu ermöglichen, in ihre Wohnung zu gelangen, die gerichtlich versiegelt sei. Der Regierungsvertreter versprach ihr, dies im Laufe des Tages durchzusetzen. Er gab sich dann den Anschein, als verdiene er volles Vertrauen, sprach über dies und das und fragte schließlich scheinbar ganz harmlos, ob sie nicht wisse, wo sich Roland befinde? Sie lächelte bei dieser Frage und sagte, dass sie nicht genug diskret gestellt sei, um eine Beantwortung zu verdienen. Die Unterhaltung wurde sehr langweilig, Madame Roland zog sich in ihre Zelle zurück, um ihre Sachen zu packen. Das brave Dienstmädchen weinte Freudentränen, als sie kam, um Madame Roland beim Einpacken behilflich zu sein.

Als Madame Roland den herbeigerufenen Wagen bestieg, war sie sehr erstaunt, den Regierungsvertreter vor dem Ausgangstor zu sehen. Sie ließ sich nach Hause fahren, wollte dort ihre Sachen abgeben, um gleich nach ihrer Tochter zu sehen. Sie sprang behende aus dem Wagen, als er vor ihrem Hause hielt, begrüßte freundlich den Portier und eilte zur Treppe. Sie war noch nicht vier Stufen hinaufgegangen, als sie sich von zwei Männern verfolgt sah, die „Bürgerin Roland“ riefen. „Was wollen Sie,“ fragte sie, sich umwendend. — „Wir verhaften Sie im Namen des Gesetzes,“ war die brüske Antwort.

„Wer zu fühlen versteht, braucht nicht einmal zu denken, um zu beurteilen, was ich in jenem Augenblick empfand. Ich ließ mir den Verhaftsbefehl vorlesen und fasste sofort einen Entschluss; ich ging die Stufen hinab und durchquerte den Hof mit Schnelligkeit.“ — „Wohin gehen Sie,“ fragten die Polizisten. — „Zu meinem Hausherrn, bei dem ich zu tun habe, folgen Sie mir.“ Die Hausfrau öffnete selbst und lächelte erfreut. „Lassen Sie mich niedersetzen und aufatmen,“ sagte Madame Roland, „aber freuen Sie sich nicht, man hat mich eben in Freiheit gesetzt, doch ist dies bloß eine grausame Falle gewesen.“

Sie schrieb in aller Eile an ihre Freunde, um sie von dem Vorfall zu verständigen. Dann wurde sie in das Gefängnis von Sainte-Pélagie überführt. Sie fand es höchst sonderbar, dass sie, gegen die nichts vorlag, auf dem Weg von der Abbaye nach Hause mit einem Male verdächtig geworden sei und so neue Gründe für ihre Verhaftung geliefert haben sollte. Der Untersuchungsrichter sagte ihr, dass ihre erste Verhaftung ungesetzlich gewesen sei und dass man sie in Freiheit setzen musste, um dann eine den Gesetzen entsprechende Verhaftung vorzunehmen.

Als sie ins Gefängnis kam, stellte man es ihr frei, eine Zelle allein oder mit noch einem andern Häftling zu teilen; sie wählte das erstere. Alle Einrichtungsgegenstände mussten dort von den Häftlingen selbst gekauft werden, ebenso mussten sie sich die Nahrung selbst bezahlen, wenn sie die Gefangenhauskost nicht vertrugen. Der Staat hatte für jeden Gefangenen bloß eine Portion Bohnen und eineinhalb Pfund Brot pro Tag. Der Kerkermeister versicherte Madame Roland, dass sie weder das eine noch das andere vertragen würde. Wenn auch diese Kost in nichts der von ihr gewöhnten glich, wollte sie doch keine andere zu sich nehmen; sie liebte es, sich in jede Lage hinein zu finden und ihre Kräfte zu messen und dem Schicksal kühn die Stirne zu bieten. Sie wollte es versuchen. Aber ihr schwacher Gesundheitszustand und der Mangel an Bewegung erlaubten es nicht auf die Dauer, bei ihrem Vorsatze zu beharren! Ihr Mut ließ sie auch das neuerliche Missgeschick ruhig erdulden, aber erschwert wurde es ihr durch die spitzfindige Grausamkeit, mit der man ihr einen Vorgeschmack der Freiheit gegeben hatte, ehe man sie in neue Fesseln schlug! Man legte eine Gesetzesbestimmung falsch aus, um sie willkürlich zurückzuhalten, und sich obendrein dann den Anschein der Gesetzlichkeit zu geben. Madame Roland befand sich in einer Stimmung, in der alle Eindrücke lebhafter und ihre Wirkungen für die Gesundheit viel empfindlicher sind. Sie legte sich zu Bette, ohne schlafen zu können. Sie war immer gewohnt, sich zu beherrschen und fand es töricht, ihren Verfolgern etwas zuzugestehen, indem sie sich von der Ungerechtigkeit verletzen ließ! Sie hatten sich mit neuer Schmach bedeckt und eigentlich wenig an der Lage geändert, die sie schon so gut zu ertragen gelernt hatte. Sie hatte Bücher und Zeit! Sie konnte dort leichter als außerhalb der Gefängnismauern sie selbst sein, sie brauchte sich gar nicht zu verstellen. Schließlich entrüstete sie sich über sich selbst, wenn sie an ihre überflüssige Erregung dachte. Sie fasste neuen Mut und dachte, die Zeit nützlich zu verbringen; so war sich ihrer starken Seele bewusst, die auch in Ketten ihre Unabhängigkeit zu bewahren weiß, und die ihre heftigsten Feinde irre führt. Sie nahm auch das Zeichnen wieder auf, das sie seit langem nicht geübt hatte.

Die Frauenabteilung im Gefängnis Saint-Pélagie war von langen, sehr engen Gängen durchquert, in welchen die kleinen Zellen mündeten. Dort wohnte Madame Roland unter einem Dache, in derselben Reihe, nur durch dünne Gipswände getrennt, mit Dirnen und Mördern; knapp neben ihr war eine jener Kreaturen untergebracht, die es als Gewerbe betrieben, die Jugend zu verführen und die Unschuld zu verschachern; über ihr ein Weib, das falsche Assignaten angefertigt hatte, und auf der Landstrasse mit ihren Helfershelfern ein Wesen ihres Geschlechtes in Stücke gerissen hatte! Jede der Zellen war mit großen Schlössern und Riegeln versehen; in der Früh öffnete immer ein Mann und schaute frech hinein, ob man schon aufgestanden war. Die Insassen der Zellen versammelten sich dann in den Gängen, auf den Stiegen, in dem kleinen Hofe, oder in einem feuchten, übelriechenden Saale, einem würdigen Sammelplatz dieses Auswurfs der Menschheit. Man kann sich vorstellen, dass Madame Roland es vorzog, in ihrer Zelle zu verbleiben, aber die Enge, in der alle zusammengepfercht lebten konnte das Ohr vor den Reden nicht bewahren, die diese Frauen führten, und die auf Ohren, die derartiges noch nie vernommen halten, um so schrecklicher wirkten. Dazu kam noch, dass die Gefangenen der Männerabteilung im gegenüberliegenden Gebäude an den Fenstern waren und unanständige Reden, von unanständigen Gebärden begleitet, herüber und hinüberflogen. Das war der Aufenthaltsort, der der würdigen Gattin eines Ehrenmannes vorbehalten war. „Wenn dies der Lohn der Tugend auf Erden ist, so staune man doch nicht mehr über meine Geringschätzung des Lebens und der Entschlossenheit, mit welcher ich dem Tode zu begegnen wissen werde. Niemals ist er mir fürchterlich erschienen, aber jetzt finde ich sogar Reize an ihm! Ich würde ihn mit Entzücken umfassen, wenn mich meine junge Tochter nicht aufforderte, sie noch nicht zu verlassen, wenn mein freiwilliges Abtreten vom Schauplatz der Verleumdung meines Mannes nicht neue Waffen leihen würde, dessen Ruhm ich stärke, wenn man es wagen würde, mich vor das Revolutionstribunal zu fordern. Der Tod, dem ich heiter trotzte, konnte mir im Gefängnis von Sainte-Pélagie nur wünschenswert erscheinen, wenn nicht mächtige Rücksichten mich an die Erde fesselten! Meine Wächter litten bald mehr unter meiner Lage als ich selbst und bemühten sich, sie mir zu erleichtern.“ Madame Roland hatte anfänglich die Absicht, durch Gift ihrem Leben ein Ende zu bereiten, da sie sich aber keines verschaffen konnte, wollte sie Hungers sterben. Doch auch von diesem Gedanken kam sie bald ab.

„Die außergewöhnlich große Hitze im Juli machte meine Zelle unbewohnbar. Die Frau des Kerkermeisters lud mich ein, tagsüber in ihrer Wohnung zu verweilen, ich nahm diese Einladung für die Nachmittage an; damals kam mir der Gedanke, ein Klavier hinkommen zu lassen, das ich in ihre Wohnung stellen ließ, mit dem ich mich manchmal zerstreute. Ich wusste Roland in einem friedlichen Zufluchtsort, wo er die Tröstungen und Aufmerksamkeiten der Freundschaft empfing, meine Tochter war bei ehrenwerten Leuten aufgenommen und setzte unter ihrer Aufsicht mit ihren Kindern den Unterricht fort, ihre Erziehung erlitt keine Unterbrechung. Meine flüchtigen Freunde waren in Caen, umgeben von einer ansehnlichen Macht. Derjenige von ihnen, der mir am teuersten war, Buzot, hatte Mittel und Wege gefunden, mir Nachrichten zukommen zu lassen; ich konnte ihm schreiben, ich glaubte, dass ihm meine Briefe zukommen würden. Ich sah das Heil der Republik sich in den Ereignissen vorbereiten; wenn ich mein eigenes Schicksal betrachtete, konnte ich mich noch glücklich dünken. Das Glück hängt weniger von den äußeren Dingen, als von der geistigen Beschaffenheit und dem Empfinden der Seele ab. Ich verbrachte meine Zeit in einer nützlichen angenehmen Weise, ich sah manchmal die vier Personen die auch ins Gefängnis l’Abbaye gekommen waren, den braven Grandpré, den seine Stellung zu kommen ermächtigte, den treuen Bosc, der mir aus dem Jardin des Plantes Blumen brachte, deren glänzende Farben, schöne Formen und süßen Gerüche meinen ernsten Aufenthaltsort verschönerten. Dann den empfindsamen Champagneux, der mich so lebhaft aufforderte, zur Feder zu greifen, um meine historischen Notizen fortzusetzen, und dann den guten Engel, der mir Briefe brachte.“

Die Kerkermeisterin Bouchaud hatte es durchgesetzt, dass man Madame Roland von ihrer grässlichen Umgebung befreite und ihr ein kleines Zimmer neben der Wohnung des Kerkermeisters anwies. Madame Roland zierte das Fenster mit Blumen, hinter denen die Gitter verschwanden, das Klavier wurde hineingestellt, ein Schrank und alle Gegenstände, die zum Studium und zur Unterhaltung nötig waren. Für Augenblicke konnte Madame Roland vergessen, dass sie eine Gefangene war. —

„Paris ist wie ein zweites Babel, es sieht ein verdummtes Volk zu lächerlichen Festen strömen, sieht sich die Hinrichtung einer Menge Unglücklicher an, die seinem wilden Misstrauen geopfert werden, während die Egoisten noch die Theater füllen, während die schüchternen Bürger sich zitternd in ihre Wohnungen einsperren, wo sie auch für die Nacht nicht sicher sind, wenn es einem Nachbar beliebt zu behaupten, dass er unbürgerliche Reden gehalten, den Tag des 2. Juni getadelt, über die Opfer der Orleans geweint habe! Oh! mein Vaterland, in welche Hände bist du gefallen! Alle meine Freunde sind geächtet, Roland hat sich nur durch sein Zurückziehen, der härtesten Gefangenschaft vergleichbar, der Wut seiner Gegner entzogen. Nun blieb nur noch übrig, dass die wenigen Freunde die ihn trösten können, Verfolgungen zu erdulden hätten.“

Madame Roland erörtert Pläne über die Erziehung und ihrer Tochter und ruft mit einem male aus: „Aber mein Gott! Ich bin ja eine Gefangene und sie lebt fern von mir. Ich wage es nicht einmal, sie zu mir kommen zu lassen, um sie an mein Herz zu drücken. Der Hass stellt selbst den Kindern jener, die die Tyrannei verfolgt, nach und das meine erscheint kaum in den Strassen mit seinem jungfräulichen Gesichte, mit seinen schönen, blonden Haaren, ohne dass diese lauernden Geschöpfe, zur Lüge abgerichtet oder von ihr verführt, auf sie, als den Sprössling eines Verschwörers, aufmerksam machen. Die Grausamen! Wie sie es verstehen, das Herz einer Mutter zu zerreißen!“

Ein Aufseher kommt eines Morgens in Madame Rolands Stube, er blickt erregt umher, geht und klagt sie an, zählt die Erleichterungen auf, die ihr Madame Bouchaud verschafft. Diese sagt, dass Madame Roland krank sei, dass sie sie deshalb in ihre Nähe gebracht habe, um sie leichter pflegen zu können, überdies spiele sie häufig Klavier, das Instrument hätte aber in ihrer Zelle keinen Platz! Sie wird eben darauf verzichten müssen, sagte der Aufseher und gab den Befehl, dass Madame Roland sofort wieder in ihre Zelle zu gehen habe, und dass die Kerkermeisterin die Gleichheit aufrecht zu erhalten hätte!

„Gleichheit“ nannte er es, wenn Madame Roland mit Dirnen zusammengesperrt wurde! Madame Bouchaud war trauriger, als man es zu schildern vermag. Madame Roland tröstete sie, indem sie ihr viel Ruhe und Ergebung in das Schicksal zeigte. Sie kamen überein, dass Madame Roland im Laufe des Tages wieder hinunterkommen würde, um frische Luft zu schöpfen und sich mit ihren Arbeiten zu zerstreuen. Im Zimmer, das sie bewohnt hatte, blieb alles unberührt.

Indessen füllten sich die Zellen, wo Madame Roland leben musste, mit andern Frauen, mit denen zu verkehren keine Schande bedeutete; mit einigen von ihnen verkehrte Madame Roland sogar sehr gerne.

Am Tag von Brissots Hinrichtung wurde Madame Roland in die Conciergerie transferiert, wo sie in einem stinkenden Raum untergebracht wurde, und auf einem Bett ohne Überzug schlief, das ein Gefangener ihr zu leihen so freundlich war. Am andern Morgen wurde sie in der Gerichtsstube vom Richter David verhört, außer dem Richter war noch der öffentliche Ankläger und ein Geschworener zugegen.

Entwurf zur Verteidigung vor dem Revolutions-Tribunal.

„Die gegen mich erhobene Anklage beruht einzig auf meiner vorgeblichen Mitschuld an den Taten der Männer, die Verschworene genannt werden. Meine Freundschaftsbeziehungen zu einer kleinen Zahl von ihnen, liegen weit zurück von den politischen Begebenheiten, die sie heute strafbar erscheinen lassen. Die Beziehungen, die ich zu ihnen durch Vermittlung, zur Zeit ihrer Abreise von Paris, aufrecht erhalten habe, stehen mit den Begebenheiten in gar keinem Zusammenhange. Ich habe im eigentlichen Sinne des Wortes keine politische Korrespondenz geführt, und in dieser Hinsicht könnte ich mich völlig der Aussage entschlagen, denn ich kann doch unmöglich aufgefordert, werden, über meine persönlichen Neigungen Rechenschaft abzulegen. Aber ich kann mich ihrer ebenso wie meiner Aufführung rühmen und ich habe der Öffentlichkeit nichts zu verheimlichen. Ich werde daher gestehen, dass ich den Ausdruck des Bedauerns über meine Gefangenhaltung bekommen habe, und die Benachrichtigung, dass Duperret für mich zwei Briefe habe, sei es, dass sie vor oder nachdem sie Paris verlassen hatten, geschrieben waren, sei es, dass sie von einem oder zweien meiner Freunde herrühren, ich weiß es nicht. Sie sind mir nicht zugekommen. Duperret hatte sie andern Händen anvertraut und sie sind mir niemals übergeben worden. Ein anderes Mal habe ich die dringende Aufforderung erhalten, meine Fesseln zu sprengen, Angebote mir zu helfen, um es mit Erfolg zu tun, durch Mittel, die ich für die passenden halten würde, und um mich hin zu begeben, wo ich es für gut befinden würde. Ich wollte mich zu nichts dergleichen hergeben, ebenso aus Pflichtgefühl, um nicht jene der Gefahr auszusetzen, deren Aufsicht ich anvertraut war, dann aus Ehrgefühl, weil ich es in jedem Falle vorzog, Gefahr zu laufen einen ungerechten Prozess zu haben, als mich mit dem sträflichen Anschein einer für mich unwürdigen Flucht zu bedecken. Ich habe mich freiwillig am 31. Mai verhaften lassen, das geschah nicht, um später zu entspringen.

Das ist alles, worauf sich meine Beziehungen zu meinen geflüchteten Freunden beschränkt habe. Zweifellos hätte ich mir Nachrichten über sie zu verschaffen gesucht, wenn die Verbindungswege nicht unterbrochen worden wären, oder wenn ich durch meine Gefangenschaft nicht daran gehindert wäre, denn ich kenne kein Gesetz, das es mir verbieten könnte. Ach! zu welcher Zeit, bei welchem Volke der Erde sah man jemals die Treue der Gefühle, der Achtung und Brüderlichkeit, die die Menschen aneinander knüpft, zum Verbrechen stempeln? Ich urteile nicht über die Maßregeln, die die Geächteten ergriffen haben, ich kenne sie nicht, aber ich glaube durchaus nicht an die bösen Absichten bei jenen, deren Rechtlichkeit, Bürgertugend und deren großherzige Ergebenheit für ihr Vaterland mir anschaulich dargetan wurde. Wenn sie geirrt haben, so geschah das im guten Glauben; sie unterliegen, ohne erniedrigt zu sein, sie sind in meinen Augen unglücklich, ohne schuldig zu sein. Wenn ich es selbst bin, indem ich Wünsche für ihr Wohl hege, so erkläre ich mich im Angesicht der ganzen Welt dafür. Ich bin um ihren Ruhm nicht in Sorge, und ich willige gern darein, mit ihnen den zu teilen, von ihren Feinden bedrückt zu werden. Ich habe diese Männer, die angeklagt wurden, gegen ihr Vaterland sich zu verschwören, gesehen. Es waren erklärte, aber humane Republikaner, die davon überzeugt waren, dass es guter Gesetze bedürfe, durch die die Republik bei jenen geschätzt wurde, die an ihrer Aufrechterhaltung zweifelten, was tatsächlich schwerer ist, als sie zu töten. Die Geschichte aller Zeiten hat bewiesen, dass es vielen Talentes bedarf, um die Menschen zur Tugend durch gute Gesetze zu leiten, während es genügt, Gewalt anzuwenden, um sie durch den Schrecken zu unterdrücken, oder sie durch den Tod zu vernichten. Ich habe sie behaupten gehört, dass der Überfluss wie auch das Glück nur aus einer gerechten, schützenden und wohltätigen Staatsverfassung hervorzugehen vermag, dass alle Macht der Bajonette wohl Angst einzuflössen, aber kein Brot herbeischaffen kann. Ich habe sie von der lebhaften Begeisterung für das Wohl des Volkes beseelt gesehen, sie verschmähten es, ihm zu schmeicheln, und waren entschlossen, lieber als Opfer der Verblendung zugrunde zu gehen, als es zu täuschen. Ich gestehe, dass mir diese Grundsätze und dieses Benehmen völlig verschieden von jenem der Tyrannen oder der Ehrgeizigen erschien, die dem Volke zu gefallen suchen, um es zu unterjochen. Es hat mir die tiefste Ehrfurcht für diese hochherzigen Männer eingeflößt. Dieser Irrtum, wenn er einer ist, wird mich bis ins Grab begleiten und ich werde mich geehrt fühlen, denen zu folgen, die ich nicht begleiten konnte.

Meine Verteidigung, ich darf es wohl sagen, ist für jene, die sich in ehrlicher Weise aufklären wollen, wichtiger als sie es für mich selbst ist. Ruhig und befriedigt im Gefühl, meine Pflicht erfüllt zu haben, fasse ich die Zukunft mit Heiterkeit ins Auge. Meine ernsten Neigungen, meine Gewohnheit, zu studieren, haben mich gleicher weise von der Narrheit der Zerstreuung als den Verdrießlichkeiten der Intrigen ferngehalten. Als Freundin der Freiheit, deren Wert mich die Überlegung gelehrt hatte, habe ich die Revolution mit Entzücken begrüßt, überzeugt, dass sie die Epoche des Umsturzes der willkürlichen Herrschaft bedeutet, die ich hasse, der Reform der Missbräuche, über die ich so oft geseufzt habe, indem mich das Schicksal der enterbten Klassen rührte. Ich habe die Fortschritte der Revolution mit Interesse verfolgt, ich habe mich über die öffentlichen Angelegenheiten mit Leidenschaft unterhalten, aber ich habe nie die Grenzen überschritten, die mir durch mein Geschlecht gezogen sind. Einiges Talent, genügende philosophische Bildung, mein Mut, der seltener ist und der mir ermöglichte, in der Gefahr den meines Mannes nicht zu schwächen, das ist wahrscheinlich das, was jene, die mich kennen, in diskreter Weise gelobt haben und das mir Feinde unter jenen gemacht hat, die mich nicht kennen.

Roland hat mich manchmal wie einen Sekretär verwenden können, und der berühmte Brief an den König ist zum Beispiel ganz von meiner Hand abgeschrieben, dies wäre ein ganz gutes Aktenstück, das man meinem Prozess beifügen könnte, wenn die Österreicher mir den Prozess machten, und wenn sie sich beifallen ließen, die Verantwortlichkeit eines Ministers bis auf seine Frau zu erstrecken. Aber Roland hatte seit langer Zeit seine Kenntnisse und seine Liebe zu den erhabenen Grundsätzen gezeigt, die Beweise existieren in seinen zahlreichen Schriften, die seit 15 Jahren im Druck erschienen sind. Sein Wissen, seine Rechtschaffenheit sind wohl sein eigen und er bedurfte nicht erst einer Frau, um ein weiser Minister zu sein. Niemals sind bei ihm Konferenzen oder sonst geheime Zusammenkünfte abgehalten worden. Seine Kollegen, wer sie auch immer waren, einige Freunde und seine Bekannten versammelten sich einmal die Woche an seinem Tische, dabei unterhielt man sich ganz öffentlich im Gespräch, über das, was alle Welt interessierte. Im übrigen atmen alle Schriften dieses Ministers Liebe zur Ordnung und zum Frieden und legen in einer rührenden Art die besten Prinzipien der Moral und der Politik dar und werden für immer seine Weisheit darlegen, wie auch sein Rechenschaftsbericht seine Reinheit beweisen wird.

Ich komme auf das Vergehen, das mir zur Last gelegt wird, zurück. Ich bemerke, dass ich zu Duperret keine Beziehungen hatte, ich habe ihn während des Ministeriums meines Mannes manchmal gesehen, er ist seit sechs Monaten, seit Roland diesen Posten nicht mehr einnimmt, nicht zu mir gekommen. Ich kann diese Aussage für die anderen Abgeordneten, meine Freunde, wiederholen, was sicherlich mit der Annahme des Einverständnisses und der Verschwörung, die man uns zuschreibt, nicht übereinstimmt. Es ist durch meinen ersten Brief an Duperret klar erwiesen, dass ich gerade an diesen Abgeordneten geschrieben habe, wegen der Schwierigkeit, mich an irgend einen anderen zu wenden, und in dem Gedanken, dass er mir gerne eine Gefälligkeit erweisen würde. Meine Korrespondenz mit ihm war also nicht im voraus beabsichtigt, sie war nicht die Folge irgend einer vorherigen Verbindung, und sie hatte übrigens nur einen besonderen Gegenstand zum Vorwurf. Sie wurde zu einer Gelegenheit, Nachrichten von jenen zu erhalten, die eben abwesend waren, und mit denen ich durch die Freundschaft verbunden war, die völlig unabhängig von jeder politischen Erwägung war. Sie war auch von gar keiner Bedeutung auf die Art der Beziehungen, die ich in der ersten Zeit ihrer Abwesenheit beibehielt. Keine einzige Tatsache legt in dieser Beziehung Zeugnis wider mich ab, jene, die man anführt, würden nur vermuten lassen, dass ich die Ansichten und Gefühle jener teilte, die man Verschwörer nennt. Diese Schlussfolgerung ist begründet, ich gestehe das laut, und rühme mich dieser Übereinstimmung. Aber ich verlieh ihr keinen Ausdruck, aus dem man mir ein Verbrechen machen könnte und das darauf hinzielte, irgendwie Unruhe zu stiften. Um eine Mitschuld bei irgendwelchem Plan festzustellen, muss man entweder Rat erteilt haben, oder Mittel herbeigeschafft haben; ich habe weder das eine noch das andere getan, ich bin daher dem Gesetz gegenüber nicht strafbar, es gibt keines, das mich verurteilt, es existiert keine Tatsache, die zur Anwendung irgend eines Gesetzes berechtigt.

Ich weiß, dass in Zeiten der Revolution Gesetz und Gerechtigkeit oft vergessen werden, Beweis dafür, dass ich mich hier befinde, ich verdanke meinen Prozess nur den Vorurteilen, dem heftigen Hasse, der sich in einer großen Bewegung entwickelt, und für gewöhnlich gegen jene geübt wird, die in die Augen stachen, oder an denen man einige Vorzüge kannte. Es wäre mir bei meinem Mute ein leichtes gewesen, mich der Untersuchung, die ich voraussah, zu entziehen, doch ich fand es angemessener, sie über mich ergehen zu lassen. Ich glaubte dieses Beispiel meinem Vaterlande schuldig zu sein, ich dachte, wenn ich verurteilt werden solle, müsse man der Tyrannei das Gehässige überlassen, eine Frau hinzuopfern, die keine Schuld traf als die, einiges Talent zu besitzen, auf das sie sich nie etwas zugute getan hat, einen großen Eifer für das Wohl der Menschheit, den Mut, ihre unglücklichen Freunde nicht zu verleugnen und der Tugend mit Gefahr ihres Lebens die Ehre zu geben. Die Seelen, die einige Größe haben, verstehen es, sich selbst zu vergessen, sie fühlen, was sie der Allgemeinheit schuldig sind und sie fassen sich nur im Spiegel der Nachtwelt ins Auge.

Ich gehöre dem tugendhaften, verfolgten Roland an, ich war mit Männern in Verbindung, die die Verblendung und der Hass der eifersüchtigen Mittelmäßigkeit hinopfern ließ. Es ist nötig, dass ich, wenn die Reihe an mich komnit, auch zugrunde gehe, weil es den Grundsätzen der Tyrannei entspricht, jene hinzuopfern, die sie gewalttätig unterdrückt hat und alles bis auf die Zeugen der Ausschreitungen auszurotten. In dieser doppelten Eigenschaft schulden Sie mir den Tod und ich bin darauf gefasst. Wenn die Unschuld die Todesstrafe erduldet, zu der sie der Irrtum und die Verderbtheit verurteilt, so gelangt sie zum Ruhme.

Möge ich das letzte Opfer sein, das von der Raserei des Parteigeistes hingeopfert wird. Ich werde mit Freuden diese unglückliche Erde verlassen, die die ehrenhaften Menschen verschlingt und mit dem Blute der Gerechten getränkt wird.

Wahrheit! Vaterland! Freundschaft! Geheiligte Güter, meinem Herzen teuer, empfangt mein letztes Opfer. Mein Leben war Euch geweiht. Ihr werdet mir den Tod gleicherweise sanft und ruhmvoll gestalten.

Gerechter Himmel! Erleuchte dieses unglückliche Volk, für das ich die Freiheit erwünscht habe! . . . Die Freiheit! Sie ist für die stolzen Seelen, die den Tod verachten und im richtigen Augenblick zu sterben bereit sind. Sie ist nicht für jene schwachen Männer, die mit dem Verbrechen zögern, indem sie ihren Egoismus und ihre Feigheit mit dem Worte Vorsicht bemänteln. Sie ist nicht für die verderbten Männer, die aus der Schlemmerei oder dem Schmutz des Elends hervorgehen, um sich an dem Blute, das vom Schafott herabrieselt, zu berauschen; sie ist für das weise Volk, das die Humanität liebt, die Gerechtigkeit handhabt, die Schmeichler verachtet, die wahren Freunde kennt und die Wahrheit hochhält. So lange Ihr nicht ein solches werdet, oh! meine Mitbürger! werdet Ihr vergebens von der Freiheit sprechen. Ihr werdet nur ein Privilegium haben, dem Ihr als Opfer unterliegen werdet, jeder, wenn die Reihe an ihn kommt. Ihr werdet Brot fordern und man wird euch Leichen geben, und Ihr werdet damit endigen, geknechtet zu sein.

Ich habe weder meine Gefühle noch meine Ansichten verhehlt. Ich weiß, dass eine römische Dame unter Tiberius zum Tode verurteilt wurde, weil sie ihren Sohn beweint hat. Ich weiß, dass in einer Zeit der Verblendung und der Wut des Parteigeistes jeder, der es wagt, sich als Freund der Verurteilten oder Geächteten zu bekennen, sich aussetzt ihr Schicksal zu teilen. Aber ich verachte den Tod, ich habe nie etwas anderes als das Verbrechen gefürchtet. Ich werde meine Tage nicht um den Preis der Feigheit sichern.

Wehe der Zeit! wehe dem Volke, wo die Kraft der verkannten Wahrheit, die Huldigung zu bezeigen. Gefahren auszusetzen vermag. Glücklich die, die fähig sind, ihnen Trotz zu bieten.

An Ihnen ist es jetzt, zu beurteilen, ob es Ihrem Interesse entspricht, mich aus Mangel an Beweisen zu verurteilen, bloß auf einfache Ansichten hin, und ohne Anlehnung an irgend ein Gesetz.“

Als Madame Roland in die Conciergerie überführt wurde, wusste sie, dass sie dem sicheren Tode geweiht sei, von dort kam man nicht mehr lebend fort. Sie bereitete sich auf den Tod mit der ihr gewohnten philosophischen Ruhe vor. Wir bringen hier einige ihrer schönen Abschiedsbriefe:

„An meine Tochter! 13. Oktober 1793.

Ich weiß nicht, mein kleines Schätzchen, ob es mir noch möglich sein wird, dich zu sehen oder dir zu schreiben. Gedenke deiner Mutter. Diese wenigen Worte enthalten alles, was ich dir des Guten sagen kann. Du hast mich glücklich gesehen, durch die Bemühung, meine Pflichten zu erfüllen und jenen, die leiden, nützlich zu sein, man vermag es nur auf diese Weise.

Du hast mich im Unglück und in der Gefangenschaft gefasst gesehen, weil ich die Erinnerung und die Freude fühlte, die gute Handlungen hinterlassen. Nur diese Mittel sind es auch, die es ermöglichen, die Leiden des Lebens und die Wandelbarkeit des Schicksals zu ertragen.

Vielleicht, und ich hoffe es auch, wirst du Prüfungen wie die meinigen nicht ausgesetzt sein, aber es gibt andere, gegen die du dich zu verteidigen haben wirst. Ein ernstes, arbeitsames Leben ist das beste Schutzmittel gegen alle Gefahren. Die Notwendigkeit ebenso, wie die Vernunft, legen dir die Pflicht auf, ernst zu arbeiten.

Sei deiner Eltern würdig, sie hinterlassen dir ein erhabenes Beispiel und wenn du davon Nutzen zu ziehen verstehen wirst, wirst du kein überflüssiges Leben führen. Lebwohl, mein geliebtes Kind, ich möchte dich, die ich mit meiner Milch genährt habe, mit allen meinen Gefühlen durchdringen. Die Zeit wird kommen, wo du beurteilen können wirst, welche Beherrschung ich mir in diesem Augenblick auferlegen muss, um beim Anblick deines sanften Gesichtes nicht schwach zu werden. Ich drücke dich an mein Herz.

Leb’ wohl, meine Eudora!“

An Madame Creuzé la Touche:

„Bürgerin, Sie schulden dem Unglück und Sie verdanken dem Vertrauen ein Gut, das mir sehr teuer ist. Ich glaube an die Vortrefflichkeit der Wahl der Freundschaft, das ist die Grundlage meiner Hoffnungen für den Gegenstand meiner liebevollen Bekümmernis, der meine gegenwärtige Lage schwierig macht.

Der Mut lässt leicht die eigenen Leiden ertragen, aber das Herz einer Mutter ist schwer über das Schicksal eines Kindes zu beruhigen, dem sie sich entrissen fühlt.

Wenn das Unglück ein geheiligtes Gepräge aufdrückt, möge es meine liebe Eudora behüten, ich werde nicht sagen, vor ähnlichen Leiden, wie ich sie empfinde, aber vor denen, die in meinen Augen unendlich mehr zu fürchtenden Gefahren! Möge sie sich ihre Unschuld bewahren, und möge sie eines Tages dazu gelangen, in Frieden und unbeachtet den rührenden Beruf einer Gattin und Mutter zu erfüllen. Sie muss sich dazu durch ein tätiges, geregeltes Leben vorbereiten und zu der Neigung der Pflichten ihres Geschlechtes noch einige Kunstfertigkeiten hinzufügen, die ihr vielleicht einmal von Nutzen sein werden; ich weiß, dass sie bei ihnen hiefür die Mittel findet.

Sie haben einen Sohn, ich wage es nicht, Ihnen zu sagen, dass dieser Gedanke mich beunruhigt hat, aber Sie besitzen auch eine Tochter, und da fühlte ich mich wieder beruhigt. Das heißt einer empfindsamen Seele genug gesagt, einer Mutter, einem Wesen, wie ich Sie mir vorstelle.

Meine Lage bringt starkes Empfinden hervor, sie erlaubt aber nicht einen weitläufigen Ausdruck derselben.

Empfangen Sie meine besten Wünsche und meine Dankbarkeit.

Die Mutter Eudora’s.“

„An mein Dienstmädchen Fleury!

Mein liebes Mädchen, du, deren Treue, deren Dienste, deren Anhänglichkeit mir seit meinem dreizehnten Jahre teuer waren, empfange meine herzlichen Küsse und mein Lebewohl!

Bewahre das Andenken dessen, was ich gewesen bin. E wird dich über das trösten, was ich erdulde. Die rechtschaffenen Leute steigen zum Ruhme empor, wenn sie ins Grab sinken. Meine Leiden werden enden, besänftige die deinen und denke an den Frieden, dessen ich mich erfreuen werde, ohne dass von nun an irgend wer ihn wird stören können.

Sage meiner Agathe, dass ich die Wonne, von ihr seit meiner Kindheit geliebt worden zu sein, mit mir nehmen, wie auch das Bedauern, ihr meine Anhänglichkeit nicht bezeugen zu können. Ich hätte gewünscht, dir nützlich sein zu können, oder wenigstens dich nicht zu betrüben.

Adieu, mein armes Mädchen, adieu!“

„Und du, den ich nicht zu nennen wage*), du, den man eines Tages besser kennen wird, wenn man unser gemeinsames Unglück schildern wird. Du, den die gewaltigste der Leidenschaften nicht gehindert hat, die Schranken der Tugend zu achten, wirst du dich betrüben, dass ich dir in jene Gegenden vorangehe, wo nichts uns hindern wird, verbunden zu sein? Dort schweigen die unheilvollen Vorurteile, die willkürliche Ausschließung, die hasserfüllten Leidenschaften und alle Arten von Tyrannei. Ich gehe dich erwarten und mich ausruhen. Bleibe noch hier unten, wenn es einen Zufluchtsort gibt, der für die Ehrenhaftigkeit offen steht, bleibe, um die Ungerechtigkeit anzuklagen, die dich geächtet hat.

*) Buzet.

Wenn aber das hartnäckige Missgeschick irgend welche Feinde an deine Sohlen heftet, dulde nicht, dass eine gedungene Hand sich gegen dich erhebt, stirb frei, wie du zu leben gewusst hast, und dass der hochherzige Mut, der meine Rechtfertigung bildet, durch deine letzte Tat vollkommen wird. Adieu . . . Nein, von dir allein trenne ich mich nicht. Die Erde verlassen, heißt, uns einander nähern.

Ihr alle, die mir der Himmel in seiner Güte zu Freunden gegeben hat, wendet eure Blicke und eure Sorgfalt meiner Waise zu. Sie, die junge Pflanze, die aus dem heimatlichen Boden gerissen wurde, der sie genährt hat, sie wird vielleicht besudelt hinwelken, vielleicht in herzloser Weise vom Vorübergehenden verletzt werden. Ihr gabt ihr ein tröstliches und wohltuendes Obdach, möge sie dort erblühen und euch durch ihre Art und ihr Sein entzücken. Ich habe nichts dem hinzuzufügen, was ich kürzlich der edlen Frau schrieb, die so gut sein will meine Stelle bei meinem Kinde zu ersetzen. Der Dienst, den sie und ihr Gatte mir leisten, flösst Gefühle ein, die man über das Grab hinaus mitnimmt und in dieser Welt keinen genug würdigen Ausdruck haben.

Lebt wohl! mein Kind, mein Gatte, mein Dienstmädchen, meine Freunde! Leb’ wohl, Sonne, deren glänzende Strahlen die Heiterkeit in meine Seele gebracht haben und sie sich zum Himmel aufzuschwingen veranlassten. Leb’ wohl! einsames Land, dessen Anblick mich so oft bewegt hat, und Ihr Landbewohner, die Ihr meine Gegenwart segnetet, deren Schweiß ich trocknete, deren Elend ich linderte, deren Krankheit ich pflegte. Leb’ wohl, friedliche Stube, wo ich meinen Geist mit Wahrheit nährte, meine Einbildungskraft mit Studien bezwang und in der Stille der Betrachtung gelernt habe, meinen Sinnen zu gebieten und die Nichtigkeit dieser Welt zu verachten.“

Die Jugendfreundin Madame Rolands, die wir unter dem Mädchennamen Henriette Cannet kennen, war Witwe zur Zeit, als sich Madame Roland in Sainte-Pélagie im Gefängnis befand. Sie besuchte sie dort und bot ihr großmütig an, statt ihrer aufs Schafott zu gehen. Madame Roland sollte sich durch die Flucht retten, um sich ihrer Familie zu erhalten. Doch lassen wir diese treue Freundin selbst erzählen: „Ich war eine kinderlose Witwe, mein Mann, Herr Vouglans, war 1791 gestorben. Madame Roland hatte einen bereits alten Mann und eine kleine, reizende Tochter, beide bedurfte ihrer Sorgfalt als Gattin und Mutter. Was war natürlicher, als mein unnützes Leben preiszugeben, um das für ihre Familie so wertvolle Dasein zu retten. Ich wollte mit ihr die Kleider wechseln und als Gefangene zurückbleiben, während sie versuchen sollte, unter dem Schutze der Verkleidung hinauszukommen . . . Wohlan, all mein Bitten, alle meine Tränen hatten nichts zu erzielen vermocht. ,Aber man würde dich ermorden, meine gute Henriette‘, wiederholte Madame Roland ohne Unterlass; ,dein vergossenes Blut würde auf mich zurückfallen, eher tausend Tode erdulden, als dass ich mir den deinen vorzuwerfen hätte!‘ Als ich sie unerschütterlich sah, sagte ich ihr Lebewohl! Niemals habe ich sie mehr wiedergesehen.“

Dieser edle Zug ehrt ebenso das Andenken Henriettens, als es gleichzeitig das schönste Lob ist, das man Madame Roland erteilen kann. Denn Henriette gehörte einer royalistischen Familie an, teilte diese Anschauungen, und sah mit Schmerz, dass ihre Freundin sich in die revolutionäre Strömung stürzte und ihren Traum einer Republik verwirklichen wollte. Trotz des Eingreifens in die Politik während des Ministerium Rolands bewahrte Henriette ihr dennoch eine unverbrüchliche Freundschaft und ging so weit, ihr das Opfer ihres Lebens bringen zu wollen!

Madame Vouglans heiratete noch einmal und starb in Amiens im Alter von 89 Jahren am 27. Jänner 1838.

Als der Advokat Chauveau-Lagarde zu Madame Roland kam, um sich mit ihr zu beraten, hörte Madame Roland mit ruhiger Miene zu und besprach kaltblütig die zu ihrer Verteidigung vorgeschlagenen Mittel. Dann zog sie gerührt einen Ring von ihrem Finger und reichte ihn ihrem Advokaten, indem sie sagte: „Morgen werde ich nicht mehr sein, ich kenne das Schicksal, das mich erwartet. Ihre Ratschläge sind mir wertvoll, Ihnen könnten sie verhängnisvoll werden. Es hieße Sie verderben, ohne mich zu retten. Möge ich nicht den Schmerz haben, den Tod eines Ehrenmannes zu verschulden. Empfangen Sie den einzigen Beweis, den meine Dankbarkeit Ihnen darzubieten vermag. Kommen Sie morgen nicht zur Verhandlung, ich würde Sie desavouieren.“

Madame Roland wurde am 9. November 1793 (18. Brumaire des Jahres II) vom Revolutions-Tribunal zum Tode verurteilt.

Diesem Urteil gingen der Form halber, und der Sitte dieses entsetzlichen Tribunals gemäß, Verhandlungen voraus, bei denen es Madame Roland nicht gestattet war zu sprechen, und wo diese Söldlinge in die gröbsten Verleumdungen ausbrachen. Diese Verhandlungen wie ähnliche andere, durften nicht zu Protokoll gebracht werden. Nur eine Person gab der Wahrheit die Ehre, wofür sie bald darauf aufs Schafott geschickt wurde. Es war dies der brave Lecoq, der bloß acht Monate lang in Rolands Diensten stand, ein ehrenwerter Mann, der seiner ausgezeichneten Eigenschaften wegen ein besseres Schicksal verdient hätte.

Als das Todesurteil gesprochen wurde, rief Madame Roland ihren Richtern zu: „Ihr haltet mich für würdig, das Los der großen Männer zu teilen, die Ihr gemordet habt. Ich danke euch, indem ich euch zugleich die Versicherung gebe, dass ich mich bemühen werde, auf dem Wege zum Blutgerüst denselben Mut zu zeigen wie jene.“

Madame Roland schritt zum Schafott, wie es ihre Freunde von ihr erwarteten, das heißt mit der Ruhe einer großen Seele, die über den Gedanken des Todes erhaben ist, die in sich selbst den Halt hat, um die natürlichen Schauer zu überwinden.

Am Tage, der ihre Verurteilung bringen sollte, hatte sie sich mit Sorgfalt gekleidet. Sie hatte die weiße Farbe als Symbol der Reinheit ihrer Seele gewählt. Sie wartete am Gefängnisgitter, bis die Reihe an sie kam. Mit einer Hand hielt sie die Schleppe ihres Kleides, die andere überließ sie einer Menge von Frauen die sich um sie drängten und ihre Hand küssen wollten. Nicht alle wussten, dass Madame Roland dem sicheren, baldigen Tode entgegenging; diejenigen, die besser unterrichtet waren, schluchzten und empfahlen sie der Vorsehung. Madame Roland antwortete allen mit einer herzlichen Güte. Sie versprach ihnen zwar nicht, wiederzukehren, aber sie sagte auch nicht, dass sie dem Tode entgegenging. Sie forderte sie auf Mut zu fassen, zu helfen, und die Tugend zu üben, die dem Unglück entspricht. Ein alter Kerkermeister, namens Fontenay, der durch seine dreißigjährige Dienstzeit, durch den Anblick so vieler menschlicher Leiden abgehärtet war, weinte, als er für Madame Roland das Gitter aufsperrte, um sie in den Verhandlungssaal treten zu lassen! Zwei Türhüter riefen sie vor das Revolutionstribunal. Bei diesem für jeden anderen als für sie schrecklichen Ruf, schritt sie vorwärts und sagte im Vorbeigehen einem anwesenden Freunde: „Machen wir Frieden, mein Herr, es ist höchste Zeit, Adieu!“ Als sie Tränen in seinen Augen glänzen sah, rief sie ihm noch: „Mut!“ zu.

Der heldenmütige Tod Madame Rolands wurde in der großen Menge kaum beachtet. Standhaft zu sterben war in jenen Tagen sozusagen etwas gewöhnliches.

Dieser 9. November 1793 war ein kalter Tag. Die ihres Blütenschmuckes beraubte, düstere Natur glich der Stimmung vieler Herzen. Zwischen den zwei Gärten mit den entlaubten Bäumen brach die Nacht ein. Es war ½ 5 Uhr abends. Im Karren saß Madame Roland und ein zweites, zum Tode verurteiltes Opfer, der Direktor der Assignaten-Druckerei, namens Lamarque. Der Karren nahm langsam den gewohnten Weg über den Pont de Change, dem Quai de la Messigerie. Eine Menge Neugieriger sammelte sich wie allemal beim Anblick dieses traurigen Gefährtes in den Strassen an und brüllte: „Auf die Guillotine,“ „auf die Guillotine,“ indem sie mit den Fäusten drohte. Madame Roland rief den schreienden Weibern zu: „Beruhigt euch, Ihr seht ja, dass ich schon auf dem Wege dahin bin. Diejenigen, die mich hinschicken, werden mir bald nachfolgen und Ihr werdet deren Tod geradeso beklatschen, wie Ihr heute den meinigen bejubelt.“

Dem Todeskandidaten neben Madame Roland wurde ganz schwach bei dem wüsten Lärm und vor Schreck über den nahen Tod. Sie hatte Mitleid mit ihm, sie fühlte, dass ihre Sendung als Weib ihr eine letzte Pflicht zu erfüllen auferlegte. Sie war die Trösterin in den Gefängnissen gewesen, sie wurde die Trösterin des Schafottes. Sie sprach mit dem ihr völlig Fremden mit einer Wärme, einem Interesse, der ihm wieder Mut einflösste; sie brachte ihn sogar zum Lächeln.

Die Haltung Madame Rolands während dieses langen Weges, wo wie immer alle Martern der Beschimpfung die armen Opfer fühlen, bildet eine der mächtigsten Erinnerungen der Revolution. Jene wenigen, die sie damals sahen, haben die Erinnerung an sie nie aus dem Gedächtnis verloren.

Vom Pont de Change, während der langen Fahrt über den Quai de la Messigerie, hatte Madame Roland die Wohnung der Phlipons immer im Auge. Die Szenen aus ihrer Kindheit, die sie kurz vorher im Gefängnis so seelenvoll geschildert hatte, konnten im Geiste noch einmal Revue passieren, sie sah das große Zimmer, das Atelier, den kleinen Raum, den sie bewohnt hatte, wo sie studierte und die Träume der Jugend geträumt. Wer hatte wohl die Fenster geöffnet? Wer sah sie an? Waren es die lachenden Jahre des Lebens, die ihren letzten Tag grüßten? Waren es die Toten, die sie riefen? Ihre Mutter, Phlipon, das Dienstmädchen, der kleine Onkel? Was erzählten ihr diese Erinnerungen? Sagten sie ihr: „Wenn du fromm und demütig im Herzen gewesen wärest, würdest du leben.“ Oder wiesen sie auf den Ruhm, der auf dem Weg zum Schafott erglänzt und murmelten sie ein Triumphlied: „Du, die den rauen und gefahrvollen Weg, der über die hohen Gipfel des Lebens führt, den schmalen, dunklen Fußpfad, der sich in Windungen schlängelt und sich im Dunkel verliert, vorgezogen hat, du, die als Opfer deiner Liebe für die Sache des Rechtes und der Gerechtigkeit stirbt. Lass’ gut sein, meine Tochter, heb’ stolz dein Haupt und sei gesegnet“.

Hatte Sie Gewissensbisse oder war sie stolz auf das, was sie getan hatte? Wer kann ihre letzten Gedanken ermessen? Wie schade, dass man ihr an den Stufen des Schafottes Papier und Feder verweigerte, um ihre letzten Empfindungen zu Papier zu bringen.

Goethe sagt darüber folgendes: „Madame Roland auf dem Blutgerüste verlangte Schreibzeug, um die ganz besonderen Gedanken aufzuschreiben, die ihr auf dem letzten Wege vorgeschwebt. Schade, dass man ihr’s versagte; denn am Ende des Lebens gehen dem gefassten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbar; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen“.

Als der Karren vor dem Schafott hielt, sagte sie zu Lamarque, er solle zuerst hinaufsteigen, da er nicht die Kraft haben würde, sie sterben zu sehen. Der Scharfrichter zögerte, seine Zustimmung zu dieser dem Befehl entgegengesetzten Anordnung zu geben. Da sagte Madame Roland lächelnd: „Können Sie einer Frau ihre letzte Bitte verweigern?“

Nun kam die Reihe an sie. Während man sie an das Brett schnallte, hefteten sich ihre Blicke auf die Kolossalstatue der Freiheit, die sich am Revolutionsplatz erhob. „Oh, Freiheit, welche Verbrechen begeht man in deinem Namen,“ rief sie. In diesem Augenblick schwankte das verhängnisvolle Brett und Madame Roland hatte zu leben aufgehört.

Mit Madame Roland starb eine der bewundernswertesten Frauen, die die neuere Zeit hervorgebracht hat und der man auch in vergangenen Jahrhunderten kaum eine Rivalin entgegenzustellen vermag, Sie gehörte zu jenen seltenen Erscheinungen, an denen die Natur ein Vergnügen zu haben schien, ihren Reichtum zu verschwenden und die sie nur in großen Zeiträumen hervorbringt.

Erhaben in großen und kleinen Dingen, verband sie Grazie und Mut, Verstand, sanfte Heiterkeit, Anmut und erhabene Aufopferung. Ihr Andenken wird die Zeiten überdauern, ihr Beispiel wird immer in jenen wirksam sein, die an Großes glauben und sich für Ideen zu opfern bereit fühlen.

Wir wollen dem Leser die merkwürdige Auffindung der schönen Briefe Madame Rolands an ihren Geliebten Buzot nicht vorenthalten.

An einem der letzten Tage des November 1863 kam ein junger Mann zu einem Buchhändler in Paris, Quai Voltaire. Er hatte einen Pack alter Schriften unter dem Arm. Er erzählte, dass er sie in einer Kiste gefunden habe, die ehemals seinem Großvater gehörte, der ein großer Liebhaber alter Bücher und Handschriften gewesen sei. Der Buchhändler prüfte, zögerte und weigerte sich den Kauf abzuschließen, da die Papiere nichts von Interesse enthielten. Der junge Mann versprach wiederzukommen und andere Schriften zu bringen. So kam er wiederholt und brachte jedes Mal ein Paket mit, man stapelte alles aufeinander und zahlte ihm schließlich fünfzig Francs.

Einen Monat später erschien ein Katalog, worin vier Briefe von Madame Roland an Bozot erwähnt waren, ein Brief Buzots an seinen Freund Jérôme Letellier, ungedruckte Memoiren von Louvet, Pétion, die Abschrift von Buzots Memoiren, eine Tragödie von Salles mit Anmerkungen von Barbaroux’ Hand. Dies alles enthielten die scheinbar wertlosen Schriften, die der junge Mann um fünfzig Francs dem Buchhändler überlassen hatte!

Der Vater des jungen Mannes hatte nie eine Erwähnung gemacht, dass die Schriften Wertvolles enthielten. Wo und wann er sie erworben hatte, darüber konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.

Erster Brief von Madame Roland an Buzot.

In der Abbaye, 22. Juni.

Wie oft ich sie wiederlese! Ich drücke sie an mein Herz, ich bedecke sie mit meinen Küssen, ich hoffte nicht mehr, welche zu erhalten. Ich ließ vergebens Nachrichten von dir bei Madame Cholet holen, ich schrieb einmal an Herrn Le Tellier in Evreux, damit du von mir ein Lebenszeichen bekommst, aber die Postverbindung ist unterbrochen.

Ich wollte dir nichts direkt senden, da dein Name genügt, dass der Brief unterschlagen wird und ich dich obendrein kompromittieren könnte. Ich bin stolz und ruhig hieher gekommen, ich hegte Wünsche und behielt noch einige Hoffnung für die Verteidiger der Freiheit bei. Als ich von dem Verhaftsbefehl, der über die Zweiundzwanzig verhängt wurde erfuhr, rief ich aus: „Mein Vaterland ist verloren.“ Ich war in den schmerzlichsten Ängsten, bis ich über deine Flucht sicher war; sie haben sich erneuert durch den Verhaftsbefehl, der dich betrifft. Sie sind deinem Mute wohl diese Abscheulichkeit schuldig; seit ich dich im Calvados wusste, habe ich wieder meine Ruhe gewonnen.

Setze deine hochherzigen Anstrengungen fort, mein Freund. Brutus verzweifelte zu früh bei der Schlacht von Philippi, an der Rettung Roms. So lange ein Republikaner noch atmet, seine Freiheit hat, seinen Mut besitzt, muss er, kann er nützlich sein. Der Süden Frankreichs bietet dir für alle Fälle eine Zuflucht, es wird das Asyl der ehrenhaften Menschen sein. Dort ist’s, wohin du deine Blicke wenden und deine Schritte lenken muss. Dort wirst du leben müssen, denn dort wirst du deinesgleichen nützen und deine Tugenden ausüben können.

Was mich betrifft, so werde ich ruhig die Rückkehr der Herrschaft der Gerechtigkeit abzuwarten wissen, oder ich werde die letzten Gewalttaten der Tyrannei über mich ergehen lassen, in einer Weise, dass auch mein Beispiel nicht ohne Nutzen sei. Wenn ich etwas gefürchtet habe, so war es nur, dass du für mich unüberlegte Anstrengungen machen wirst.

Mein Freund! Indem du unser Vaterland rettest, kannst du mein Heil bewirken, und ich möchte es nicht auf Kosten des anderen. Aber ich werde zufrieden mein Leben aushauchen, wenn ich weiß, dass du dem Vaterlande wirksam dienst. Tod, Qualen, Schmerzen bedeuten nichts für mich, ich kann es mit allem aufnehmen. Lass gut sein, ich werde bis zu meiner letzten Stunde leben, ohne auch nur einen Augenblick mit der Unruhe würdeloser Aufregung zu verlieren.

Übrigens, wie immer auch die Wut sei, haben sie doch eine Art Schamgefühl, mein Verhaftsbefehl ist nicht begründet. Sie haben mich mündlich zu geheimer Haft verurteilt, aber sie haben es nicht gewagt, diesen strengen Befehl zu Papier zu bringen. Dank der Menschenfreundlichkeit meiner Wächter genieße ich gewisse Erleichterungen, die ich verberge, um sie nicht zu kompromittieren. Aber dieses freundliche Verfahren knüpft fester als Ketten, und wenn ich mich auch durch die Flucht retten könnte, würde ich es nicht tun wollen, um den guten Kerkermeister nicht in Gefahr zu bringen, der alle Mühe aufgewendet hat, um meine Gefangenschaft zu erleichtern. Viele Leute sind im Irrtum und vermuten mich in der Conciergerie. Die Tatsache ist die, dass am darauffolgenden Morgen, als ich hieher kam, eine andere Frau meines Namens von hier an jenen Orte transferiert wurde. Ich bewohne dasselbe Zimmer und benütze dasselbe Bett, das sie inne gehabt hat. Mein guter Plutarch, mit dem ich meine Muße erheitere, würde nicht verfehlen, darin Vorbedeutungen zu erblicken. Die Frau war Angélique Desilles, die Frau von Roland de la Fauchaie, die Schwester desjenigen, der in Nancy ruhmvoll gestorben ist und die vorgestern im Alter von vierundzwanzig Jahren mit großem Mute am Schafott ihr Leben ausgehaucht hat. Der von amtswegen bestellte Verteidiger beschwor selbst die Unschuld dieses Opfers, dessen sanftes, glücklich gebildetes Gesicht eine schöne Seele verriet.

Ich habe meine ersten Tage dazu benützt, einige Notizen zu schreiben, die dir einstens Freude machen werden; ich habe sie sicheren Händen anvertraut und ich werde dich verständigen, wo sie sich befinden,, damit sie dir in allen Fällen nicht unbekannt bleiben. Ich habe meinen Thompson (er ist mir mehr denn in einer Hinsicht teuer), dann Shaftsbury, ein englisches Wörterbuch, Tacitus und Plutarch. Ich führe hier das gleiche Leben, das ich in meinem kleinen Zimmer im Ministerpalais oder sonstwo geführt habe, es ist kein großer Unterschied. Ich hätte mir ein Musikinstrument kommen lassen, wenn ich nicht das Aufsehen gefürchtet hätte. Ich bewohne eine Zelle von ungefähr zehn Fuß im Quadrat, dort hinter den Gittern und Riegeln erfreue ich mich der Unabhängigkeit der Gedanken, ich rufe mir die mir teuren Menschen in die Erinnerung, ich bin mit meinem Gewissen ruhiger, als meine Bedrücker es mit ihrer Herrschaft sind. Wirst du es glauben, dass mir der heuchlerische Pache hat sagen lassen, dass er von meiner Lage sehr traurig berührt sei. „Sagen Sie ihm, dass Ich keine beleidigenden Höflichkeitsbezeugungen annehme, und dass ich es vorziehe, sein Opfer als der Gegenstand seiner Höflichkeit zu sein, was mich entehren würde,“ Das war meine Antwort. Du wirst hier beigefügt auch sehen, was ich an Garat geschrieben habe, es war nicht mein erster Brief, wohl aber ist es mein Ultimatum. Von diesen Leuten ist nichts zu erwarten, man muss sie in die gebührenden Schranken zurückweisen und sie darin der Nachwelt zeigen, das ist alles, was ich zu tun beabsichtige. Wenn ich am 1. Juni nicht an den Konvent geschrieben hätte, hätte ich später diese Maßregel nicht ergriffen. Ich habe verhindert, dass Roland seit dem 2. Juni irgend etwas an den Konvent gerichtet hat. Es ist nicht weiter der Konvent für wen immer, der Grundsätze und Charakter hat, ich kenne jetzt in Paris keine Obrigkeit, die ich um etwas bitten würde, ich würde eher in meinen Fesseln verfaulen, als mich derart erniedrigen. Die Tyrannen können mich bedrücken, aber mich erniedrigen niemals, niemals. Die Siegeln sind auf allen meinen Sachen aufgelegt, Wäsche, Kleider, Türen und Fenster, nur ein kleiner Winkel ist für meine Leute zur Benützung frei gelassen. Mein armes Dienstmädchen nimmt zusehends ab, sie macht mir mein Herz bluten, und dennoch gelingt es mir, sie manchmal zum Lachen zu bringen; meine braven Wächter lassen sie von Zeit zu Zeit herein; sie überlassen mir auch am Nachmittag ihre Wohnung, wenn sie nicht selbst da sind, wo ich auch mehr Luft habe als in meiner Zelle.

Meine Tochter ist von einer Familienmutter, der Frau des ehrenwerten Creuzé la Touche, zu sich genommen worden, sie hat sich beeilt, sie wie ihr eigenes Kind aufzunehmen. Der unglückliche Roland war während zwanzig Tagen an zwei Zufluchtsorten, bei zitternden Freunden, vor aller Augen verborgen, gebundener als ich selbst; ich habe mich um seinen Verstand, um seine Gesundheit geängstigt. Er befindet sich jetzt in deiner Nachbarschaft, wie schade, dass es nicht auch, was den Mut betrifft, der Fall ist. Ich wage es nicht auszusprechen, aber du bist der Einzige auf der Welt, der es würdigen kann, dass ich nicht böse bin, verhaftet zu sein!

Sie werden weniger wütend, weniger heftig gegen Roland sein, sagte ich mir. Wenn sie irgend einen Prozess versuchen, werde ich ihn in einer Weise zu unterstützen wissen, die seinem Ruhme nützen wird; es schien mir, dass ich ihm eine Entschädigung leistete, die ich seinem Kummer schuldig war, aber siehst du nicht auch, dass, indem ich mich allein befinde, ich mit dir verbleibe?

So opfere ich mich durch die Gefangenschaft meinem Gatten und erhalte mich meinem Freunde, ich schulde es dem Henker, die Pflicht und die Liebe in Übereinstimmung setzen zu können. Beklage mich nicht! Die andern bewundern meinen Mut, aber sie kennen nicht meine Freuden; du, der sie fühlen musst, erhalte Ihnen all ihren Reiz durch die Beharrlichkeit deines Mutes.

Diese liebenswürdige Frau Goussard! Wie überrascht war ich, ihr sanftes Gesicht zu sehen, mich von ihren Armen umfangen zu fühlen, von ihren Tränen benetzt zu sein, zu sehen, wie sie zwei Briefe von dir aus ihrem Busen zog! Aber ich habe nie in Gegenwart eines Dritten zu lesen vermocht und ich hatte die Undankbarkeit, ihren Besuch lang zu finden, sie wollte eine Zeile von meiner Hand mitnehmen, ich fand es nicht leichter, dir unter ihren Augen zu schreiben und ich ärgerte mich fast über ihren dienstbeflissenen Eifer.

Mein Freund, dein Brief vom 15. zeigt mir jenen männlichen Ton, an dem ich eine stolze und freie Seele erkenne, die mit großen Plänen beschäftigt ist, erhaben über das Schicksal, fähig der großherzigsten Entschlüsse, der begründetsten Bestrebungen, ich habe darin meinen Freund wiedererkannt, ich habe alle Gefühle, die mich an ihn binden, erneuert. Der Brief vom 17. ist sehr traurig! Mit welch düsteren Gedanken schließt er! Nun! wahrlich, es ist sehr wichtig zu wissen, ob eine gewisse Frau nach dir leben wird oder nicht! Es handelt sich darum, dein Leben zu erhalten und es für unser Vaterland nützlich anzuwenden, das übrige findet sich nachher!

Ich erhalte hier die Besuche eines Mannes, Grandpré, der von Roland in seine Stelle eingesetzt wurde, um die Gefängnisse in Augenschein zu nehmen, zu sehen, was dahier vorgeht, die Missbräuche auszuspähen, die Beschwerden in Empfang zu nehmen und alles dem Minister des Innern zu überbringen. Roland hatte diesen Posten geschaffen und ich habe den Mann vorgeschlagen, mit dem er die Stelle besetzen sollte. Es ist dies ein ehemaliger Advokat, für dessen Unglück man mich interessierte und dessen ehrliches Herz, das von Leiden geprüft ist, außerordentlich für dieses gefühlvolle Amt geeignet ist. Ich hatte ihn schon vergessen. Es ist unmöglich, sich die Rührung vorzustellen, mit der er herbeieilte, sein Anblick war mir sehr angenehm. Da sein Posten ihm Rechte und einen gewissen Einfluss gibt, hat er dem Kerkermeister gegenüber davon Gebrauch gemacht, und zusammen mit der Ehrenhaftigkeit dieses Menschen ist es ihm gelungen, der Tyrannei, die die Gemeinde mir gegenüber ausübt, ein Gegengewicht zu verleihen.

Ich habe seinen Namen Madame Goussard genannt, damit er dem Kerkermeister den Befehl erteile, dass einer deiner Freunde, von dem sie mir sprach, eingelassen werde. Madame Goussard hat mir auch gesagt, dass Barbaroux mir geschrieben habe; ich habe nichts erhalten, es scheint, dass die arme Madame Roland in der Conciergerie die Briefe irrtümlich erhalten hat, außer man hätte sie unterschlagen und dem Revolutionstribunal übergeben, wo die unglückliche Frau abgeurteilt worden ist.

Wie diese Spitzbuben ihr Gebelfer auf euer vorgebliches Einverständnis mit der Vendée darauf stützen würden; eine Infamie, die sie täglich dem Volke dieser traurigen Stadt wiederholen lassen.

Ich sende an Gorsas einige Druckschriften, die von mir handeln. Ich will nicht, dass du den „Père Duchesne“ liest, er würde dich zu schimpfen veranlassen und es wäre noch ärger gewesen, wenn du die Austräger gehört hättest die den Text vortrefflich ergänzten.

Die Sektion ist gut, sie hat am 2. Juni nicht mit den andern gehen wollen. Die Bürger haben gesagt, sie wollen ihr Gefängnis behalten. Es waren 10.000 Bewaffnete um das Gefängnis l’Abbaye herum. Der Befehlshaber der bewaffneten Macht ist ein gewisser Jeanson, der ein anständiger Mann sein soll, und der sich genau darüber unterrichtete, ob es wahr sei, dass ich es bin, die transferiert worden sei.

Mögen diese Einzelheiten dir Balsam in dein Herz bringen!

Lass gut sein! Wir können nicht aufhören, gegenseitig der Gefühle würdig zu sein, die wir einander eingeflößt haben. Man kann damit nicht unglücklich sein. Leb’ wohl, mein Freund, leb’ wohl, mein Vielgeliebter!“