Die Sonne als Kraftwerk

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 23. 1926
Autor: Max Valier, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sonne, Sonnenenergie, Wärmestrahlung, Licht, Energiegewinnung, Solarenergie, Leistung, Erneuerbare Energie,
Als der Mensch vor ungezählten Jahrtausenden auf unserer Erde erschien, war er zunächst im Kampfe ums Dasein genau wie das Tier allein auf die eigene körperliche Muskelkraft angewiesen und stand den gewaltigen Mächten der Natur völlig hilflos gegenüber, unfähig, sie zu zähmen und seinen Zwecken dienstbar zu machen. Nur eines hatte er vor dem Tier voraus: den Geist, der ihn bald erkennen ließ, dass nur die Steigerung der Kraftmengen, welche dem Willen frei verfügbar und, aus der Sklaverei tierischen Daseins befreien kann. Ein großer Fortschritt war es schon, als ein kluger Kopf die Schleuder, den Bogen, die Walze als Vorläufer des Rades und den Hebebaum erfand. War es auch hier immer noch letzten Endes eigene Muskelkraft, so liehen diese einfachen Maschinen ihr doch schon eine vervielfachte Wirkungsmacht. Die Technik aber wurde erst geboren, als der nimmer rastende Geist zum erstenmal außerhalb des eigenen Körpers liegende Kräfte in den Dienst seiner Absichten zu zwingen verstand, als ein kühner Mann das erste Boot dem rauschenden Strome anvertraute, als ein anderer das Segel dem Wind entgegensetzte und ein dritter das Wasserrad, ein vierter die Windmühlenflügel ersann. Seither hat der Fortschritt der Technik keinen Augenblick geruht.

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Bis heute haben wir es nun, dank der Entwicklung der Verbrennungskraftmaschinen im letzten Jahrhundert, dahin gebracht, dass auf der ganzen Erde dauernd dreihundert Millionen Pferdestärken Maschinenleistung zu Gebote stehen. Um die Bedeutung dieser Zahl zu erfassen, diene als Vorstellungsbehelf, dass zu ihrer Erzeugung ein Kohlenwürfel von gerade rund einem Kilometer Kantenlänge und zwölfhundert Millionen Tonnen Gewicht erforderlich ist, unter der Annahme, dass eine moderne Dampfmaschine vier Tonnen Kohle pro Jahrespferdestärke benötigt. Verglichen mit der gesamten Muskelkraft aller Menschen auf Erden ergibt ich folgendes Verhältnis. Auf kürzere Dauer, mit zwischengelegten Ruhepausen, vermögen wohl sechs Menschen zusammen sie Leistung einer Pferdestärke zu entwickeln; bei dreimaligem Schichtwechsel täglich, das ist achtstündiger Leistungszeit für den einzelnen, wären achtzehn Menschen für eine Dauerpferdestärke vonnöten. Da es nun rund achtzehnhundert Millionen Menschen auf Erden gibt, vermöchten diese selbst bei äußerster Kraftanstrengung und unter Vernachlässigung jeder anderen Tätigkeit doch nur höchstens hundert Millionen Jahrespferdestärken zu entwickeln. In Wirtlichkeit dürften aber kaum dreißig Millionen auf diesem Wege erzeugt werden können. Nach dem Werke Dr. Rud. Lämmels „Sozialphysik“ sind sogar hundertzwei Männer nötig, um die Dauerleistung von einem Kilowatt ununterbrochen zu erbringen. Die Gesamtleistung der Menschheit auf Erden berechnet Lämmel gleich einem Kraftwerk von 4,77 Millionen Kilowatt ununterbrochener Dauerleistung, und die in der Schweiz bereits heute ausgenützten Naturkräfte sind seiner Ansicht nach schon fünfundzwanzigmal stärker als die mechanische Arbeit aller Einwohner des Landes. Das heißt aber nichts anderes, als dass die schon jetzt durch die Technik beherrschten Naturkräfte unseren körperlichen weit überlegen sind.

Was aber wird die Zukunft bringen? Sicherlich eine ungeheure Vermehrung des Energiebedarfs.

Hier erhebt sich nun die doppelte Frage: Werden die Kohlenlager der Welt einen solchen Abbau überhaupt vertragen? Und wenn selbst, werden wir in der Lage sein, überhaupt so viel Kohle zu fördern? Wobei dann noch zu bedenken ist, dass der eben berechnete Kohlenverbrauch sich in weiteren fünfundzwanzig Jahren sicherlich wieder mindestens verdoppeln dürfte. Die Antworten sind unschwer zu geben: beim heutigen Kohlenverbrauch von insgesamt rund eineinhalb Milliarden Tonnen jährlich würden die gegenwärtig bekannten und abbaufähigen Lager etwa fünfzehnhundert Jahre reichen. Aber selbst wenn durch Neuentdeckungen noch doppelt und dreifache Kohlenmengen erschlossen würden, bei dem stets steigenden Energiebedarf der Menschheit dürften wir an eine Deckung durch Kohlenverbrennung auf über tausend Jahre hinaus nicht mehr denken. Die zweite Frage lässt sich ebenfalls zunächst bejahen, jedoch auch hier zeigt sich der Teufelsfuß um den Preis, dass immer mehr Menschen Sklaven des brennenden Steins werden, verdammt, ihr Leben in den dunklen Schächten der Kohlenbergwerke hinzubringen. - Daran kann auch die steigende Verwendung von im Tagebau gewonnenen Braunkohlen, die immer ausgiebigere und bessere Ausnützung der im Torf aufgespeicherten und durch Nachwuchs sich wieder ergänzenden Energien, die stärkere Heranziehung von Holz durch eine sinngemäße Waldwirtschaft auf ungeheuren Flächen, ja selbst der Ausbau aller Wasserkräfte der Erde nichts ändern, denn eingehende Untersuchungen haben längst gezeigt, dass alle diese Möglichkeiten der Energiegewinnung selbst den heutigen Bedarf nicht annähernd zu decken vermögen. Insbesondere machen die vom Laien meist ungeheuer überschätzten Wasserkräfte gerade in den Kulturländern (mit Ausnahme der Vereinigten Staaten) nur einen geringen Bruchteil des Erfordernisses aus. Nur eine seit Urzeiten bekannte und in kleinen Anlagen benutzte Naturkraft gibt es, die sich nahe der Erdoberfläche ausbeuten lässt und die außerdem den Vorzug hat, sich (wie die Wasserkraft) niemals zu erschöpfen, weil sie in jeder Minute neu entsteht, die wirklich Milliarden Jahrespferdestärken in ich trägt und so an sich wohl fähig wäre, den gesamten Energiebedarf der Menschheit zu decken: den Wind! Trotz großer Erfolge in den letzten Jahren in Bezug auf die Vervollkommnung der Windräder dürfen wir aber nicht hoffen, jemals auch nur den heutigen Energiebedarf der Menschheit aus dem Winde zu bestreiten, denn abgesehen von den ungeheuren Kosten der erforderlichen Anlagen würde auch die Unbeständigkeit des Windes einerseits und die Gefahr einer Vernichtung der Maschinen bei starken Stürmen - also gerade dann, wenn die größten Energien zu gewinnen wären - sich nur schwer mit dem Erfordernis einer dauernd gleichmäßigen Leistung vereinbaren lassen. Darum ist man auch über einzelne günstige Sonderfälle der Windkraftausnutzung nicht hinausgekommen.

Fassen wir das Ergebnis unserer bisherigen Betrachtungen zusammen, so kommen wir zu der zwar furchtbaren, aber unabweislichen Erkenntnis, dass wir verloren sind, wenn es nicht gelingt, neue, unversiegliche Energiequellen von einer unseren heutigen Bedarf vieltausendfach übersteigenden Kraft zu erschließen. Der Funke des Geistes in uns, der uns den weiten Weg vom Höhlenbewohner bis zum heutigen Kulturmenschen geführt hat, muss und wird auch hier den Sieg erringen und uns so zu Menschen machen, die Zeit und Muße finden, den höheren Zielen des Lebens nachzustreben.

Schon erkennen wir klar das Ziel, auf das wir zusteuern müssen: die Sonne zu unserem kosmischen Kraftwerk zu machen! Sie ist ja im Grunde auch heute schon, wie sie es vor Jahrhunderttausenden dem Urmenschen war, die Lebenserhaltende. Sie ist es, die den Wind erzeugt und die Wasser vom Himmel fallen lässt, sie ist es auch, die letzten Endes alle die sogenannten „Brennstoffe“ auf der Erde entstehen ließ, mit denen wir heute unsere Wärmekraftmaschinen aller Gattungen betreiben. Es ist daher in jedem Falle Sonnenenergie, wo immer sich irgendetwas auf Erden regt, gleichviel ob der Fisch im Wasser schwimmt, der Vogel in den Lüften fliegt, ein Mensch seinen Arm ausstreckt oder die tausend Räder unserer Maschinen surren. Aber ebenso gemeinsam wie der Ursprung aller Regung auf Erden ist die Tatsache, dass wir bisher die Sonnentraft immer nur auf Umwegen für unsere Zwecke zu nützen vermochten, in Gestalt des fließenden Wassers, des brausenden Windes, der brennenden Kohle, des explodierenden Benzindampfluftgemischs, niemals unmittelbar, in ihrer vollen Stärke. So blieben wir bis heute die ewig Hungrigen, die Bettler, deren sorgender Blick dem Morgen gilt, da sie nicht wissen, wovon sie ihr Dasein fristen werden, und dies, trotzdem sich ununterbrochen die lodernde Strahlenflut des Sonnenballs in einer Stärke über unseren Heimatstern ergießt, die unseren gesamten heutigen Energiebedarf rund um ein Millionenfaches übersteigt.

Denn Solches haben uns die nimmer rastenden Sternforscher berechnet: Die Sonne ist ein Ball, der unseren Erdenstern an Masse 338tau?endmal, an Rauminhalt sogar 1,83millionenmal übertrifft und der 150 Millionen Kilometer von uns entfernt über dem unermesslichen Abgrund des Weltraums schwebt. Dabei ist die Strahlung der Sonnenoberfläche so ungeheuer stark, dass sie selbst in der Verdünnung auf rund ein Fünfzigtausendstel, in der sie auf unserer Erde ankommt, bei senkrechtem Aufprall auf eine schwarze, sie völlig aufschluckende Fläche auf das Quadratmeter in der Minute 20 Kilogrammkalorien gleich 8.540 Meterkilogramm leistet. Da nun eine Pferdestärke bekanntlich 75 Meterkilogramm in der Sekunde bedeutet, eine Pferdestärkeminute also 60 X 75 = 4.500 Meterkilogramm, so sagt uns die vorstehende Ziffer, dass die Sonnenstrahlung zwei Pferdestärken pro Quadratmeter ausmacht.

Nun schluckt freilich die Lufthülle von den Sonnenstrahlen ein gutes Teil, auch kann die Sonne selbst jeweils nur für einen Punkt der Erdoberfläche senkrecht am Himmel stehen. Anderseits würden wir selbstverständlich technisch Sonnenkraftwerke nur in jenen Erdgegenden errichten, wo die Sonne das ganze Jahr sehr steil steht, also in den Tropen, so dass durchschnittlich mit einer am Erdboden tatsächlich ankommenden Sonnenleistung von einem Achtel der oben berechneten, das ist mit rund einer Pferdestärke für vier Quadratmeter, gerechnet werden kann. Nehmen wir weiter an, dass unsere Maschinenanlage zur Gewinnung dieser Sonnentraft so schlecht arbeite, dass auch davon wieder nur zehn Prozent herausgeholt werden können, so folgt doch aus der einfachen Tatsache, dass ein Quadratkilometer schon eine Million Quadratmeter enthält, das bemerkenswerte Ergebnis, dass sich pro Geviertkilometer 25.000 Jahrespferdestärken gewinnen lassen müssen. 12.000 Quadratkilometer solcher Anlagen würden also bereits genügen, den gesamten heutigen Energiebedarf von 300 Millionen Jahres-Pferdstärken zu decken, ein winziges Fleckchen auf dem gewaltigen Globus. Mit solchermaßen gewonnenen nur zehn Prozent der Sonnenstrahlung, welche seit Jahrtausenden auf der sechs Millionen Quadratkilometer großen Wüstenfläche der Sahara sengend herniederbrennt, würden wir also rund fünfhundertmal so viel Energie verfügbar haben, als heute in allen Maschinen der Welt an der Arbeit ist, uns zu dienen. Unter Heranziehung der übrigen Wüsteneien der Erde bei geringer Steigerung des Nutzeffektes ließe sich diese Leistung sicherlich verdoppeln, so dass mindestens das Tausendfache des heutigen Energiebedarfs, nämlich dreihundert Milliarden statt Millionen Jahrespferdestärken verfügbar würden.

Aber auch diese ungeheure Energiemenge ist wieder nur wenig mehr als ein Tausendstel von derjenigen, welche die Erde von der Sonne empfängt, denn diese beträgt dauernd rund 270 Billionen Pferdestärken. Wenn auch die Erdoberfläche davon etwa fünfundvierzig Prozent wieder ungenützt in den Weltraum zurückwirft und darum, von anderen Planeten aus gesehen, wie ein Stern in hellem Lichte leuchtet, so nimmt sie doch immerhin rund 150 Billionen Pferdestärken tatsächlich auf.

Schon schwinden dem gewöhnlichen Sterblichen die Sinne bei solchen Zahlen, aber der Astronom lächelt und erklärt: Dies ist gar nicht so viel, wie es scheint, denn diese Energiemenge würde nur hinreichen, täglich eine fünf Zentimeter starke Eisschicht um den ganzen Erdball her zu schmelzen oder sieben Millimeter Wasser zur Verdunstung zu bringen.

Doch ist auch dies, kosmisch betrachtet, für unsere Sonne nur eine Kleinigkeit. Denn wenn wir berechnen, welchen Anteil die Erde von der nach allen Raumrichtungen gleichermaßen ausgesandten Sonnenstrahlung empfängt, so ergibt sich, dass das von der Sonne aus gesehen nur winzige Erdscheibchen bloß ein Zweimilliardstel der abgegebenen Strahlung auffangen kann. Um die Leistung des Sonnenballs zu finden, müssen wir die 270 Billionen Pferdestärken noch mit zwei Milliarden multiplizieren und erhalten so als Maßzahl für die Sonne als kosmisches Kraftwerk 540.000 Trillionen Pferdestärken. Auf das ganze Jahr und in Wärmeeinheiten umgerechnet können wir sagen, dass die Sonne jährlich 3 x 1030 Kilogrammkalorien ausstrahlt, eine über alle menschliche Vorstellung gehende Ziffer.

Wieder lächelt der Sternforscher und bedeutet uns, dass unsere Sonne keineswegs der größte Stern des Weltenalls ist, im Gegenteil eher zu den Zwergsternen, den kleinsten Fixsternkörpern, gehört. Es sind zahlreiche Sterne bekannt, welche unsere Sonne an Strahlungskraft oder, wie man auch sagt, „absoluter Leuchtstärke“ tausend-, ja zehntausend-, selbst mehrere hunderttausendmal übertreffen. Der Riese aller Riesen scheint – nach unseren vorläufigen Kenntnissen der Gigantstern S=Doradus zu sein, der unser Tagesgestirn sechshunderttausendmal an Leuchtkraft übertrifft, das heißt um rund ebensovielmal, wie unsere Sonne das Licht des Vollmondes.

Unwillkürlich ersteht durch diese Einsichten die Frage, wie es denn möglich ist, dass unsere Sonne und die Fixsterne seit Jahrmillionen derartige Riesenenergiemengen abgeben können, ohne zu erkalten und zu erlöschen.

Die Sonne als Kraftwerk

Die Sonne als Kraftwerk

Die Sonne als Kraftwerk - Gesamte Maschinenleistung auf der Erde

Die Sonne als Kraftwerk - Gesamte Maschinenleistung auf der Erde

Die Sonne als Kraftwerk - Relationen

Die Sonne als Kraftwerk - Relationen

Die Sonne als Kraftwerk - Sonne und Erde im richtigen Größenverhältnis

Die Sonne als Kraftwerk - Sonne und Erde im richtigen Größenverhältnis

Die Sonne als Kraftwerk - Sonnen Leistung

Die Sonne als Kraftwerk - Sonnen Leistung

Die Sonne als Kraftwerk - Sonnenleistung

Die Sonne als Kraftwerk - Sonnenleistung