Die Schifffahrt Deutschlands

Aus: Meyers Konversations-Lexikon. Original-Ausgabe
Autor: Meyer, Joseph (1796-1856) Verleger und Herausgeber, Erscheinungsjahr: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Schifffahrt, Hamburg, Bremen, Lübeck, Nordseeküste, Ostseeküste, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Reeder
Die Schifffahrt Deutschlands hat sich an den langen Ost- und Nordseeküsten trotz der Zerrissenheit des Vaterlandes zu einer solchen Höhe erhoben, dass sie füglich mit den Handelsmarinen anderer Nationen konkurrieren kann. Leider ist es der Revolution von 1848 nicht gelungen, eine deutsche Kriegsflotte, eine Nationalflagge zu schaffen, denn die Paar armierten Nussschalen, welche auf der Weser umherschwimmen, können höchstens als eine schlechte Parodie auf die deutsche Handelsmarine und die Mitteldeutschlands überhaupt gelten. Die Begeisterung Deutschlands für die Flotte scheiterte wie alles Andere an der Eifersucht der Dynastien und ihrer Herrschsucht, welche Alles, wodurch sich die Interessen der verschiedenen Nationen nähern und befestigen, verabscheut. So lange aber Kriegsflotte und Flagge fehlen, wird die Schifffahrt der Einzelstaaten nie die Höhe einnehmen, die ihr gebührt, mögen jene auch noch so viel tun. Die Anzahl sämtlicher Seeleute auf den norddeutschen Fahrzeugen, beträgt etwa 48.000 Mann, rechnet man hinzu noch die Küstenschiffer, Seefischer, Lotsen, Schiffszimmerleute, Segelnäher etc. auf 80—85.000 Mann, so kann man im Allgemeinen auf eine Anzahl von 120—125.000 tüchtiger Mann rechnen, eine zwar beträchtliche, aber doch nur geringe Zahl, wenn wir sie mit Deutschlands Größe und Seelenzahl vergleichen. Unter den deutschen Seestaaten nimmt Bremen, wenn auch nicht an Größe, so doch an Tüchtigkeit den ersten Rang ein. Zwar gibt es in letzter Zeit in fast allen deutschen Küstenländern einzelne Schiffe, welche sich mit den besten Bremer Schiffen messen können; in der Gesamtheit wissen diese aber doch immer noch den Vorrang zu behaupten. Alle neueren Schiffe Bremens sind von vorzüglicher Bauart, so dass sich die größeren mit den nordamerikanischen, den ersten Kauffahrteischiffen, kühn messen können. Eben so sind die Bremer Kapitäne fast durchgängig gebildete und in ihrem Berufe wohlerfahrene Männer. Die kernhafte geübte Mannschaft besteht größtenteils aus Hannoveranern und OIdenburgern von den Mündungen der Weser und Ems. Die Ausdehnung und Blüte der Bremer Schifffahrt schreibt sich besonders von Anfang der deutschen Auswanderung her. Bremen, welches die Wichtigkeit der Auswanderungsbeförderung erkannte, wandte alle Kräfte an, dieselbe an sich zu ziehen, während Hamburg in stolzem Übermute dieselbe gering schätzte. Besonders heb die durch Auswanderer-Beförderung ermöglichte wohlfeile Rückfracht Handel u. Schiffbau, welcher letztere wieder, besonders durch Vervollkommnung der Schnellsegler, befördert wurde, da es im Interesse des Reeders liegen muss, die vielen Auswanderer so kurze Zeit als möglich zu beköstigen.

Die Stadt Bremen besitzt jetzt 234 eigene Seeschiffe von 108.000 Tonnen (a 2.000 Pfd.) Last, und schickt dieselben in alle Meere der Erde, obgleich ihre Hauptfahrten vorzugsweise nach Nordamerika, Brasilien und Westindien gerichtet sind. Der Walfischfang beschäftigt ebenfalls 10—12 Schiffe.

Hamburg, die größte Handelsstadt Deutschlands, ja des europäischen Kontinents, hat in den letzten Jahren aufs
Eifrigste dahin gestrebt, seine Versäumnisse in der Schifffahrt nachzuholen, was ihm bei seinen bedeutenden Geldmitteln auch nicht schwer fallen konnte. Es zählt jetzt 242 Seeschiffe mit 106.000 Tonnen Tragfähigkeit. Die Hamburger befahren besonders die Westküste Südamerikas, Ost- und Westindien, Nordamerika und Australien. Die Bemannung der Schiffe besteht größtenteils aus Hannoveranern und Schleswig-Holsteinern.

Altona, in merkantilischer Hinsicht als mit Hamburg vereinigt anzusehen, besitzt 40 größere Seeschiffe von 17.000 Tonnen Tragfähigkeit. Die übrigen kleinen Orte der schleswig-holsteinischen Nordseeküste, als Blankenese, Glückstedt, Tönning, Husum, Sylt, besitzen nur einige wenige größere Seeschiffe, dagegen mehre Hundert kleiner Küstenfahrzeuge.

Blankenese allein besitzt an 120 kleine Seeschiffe, welche nach England, Holland, Frankreich, ja bis ins mittelländische Meer gehen und sich durch ihr Schnellsegeln und ihre gute Mannschaft auszeichnen; überhaupt sind die Schleswig-Holsteiner der Westküste in jeder Beziehung tüchtige Seeleute.

Von der hannoverschen Schifffahrt ist die bedeutendste die der Städte Leer, Emden, Norden, Papenburg, die über 520 Seeschiffe von 86.000 Tonnen besitzen, unter denen jedoch nur einzelne große über 200—250 Tonnen, die Mehrzahl hingegen von 100—150 Tonnen sind. Die ostfriesische Schifffahrt, besonders der zum Lasttragen eingerichtete Bau der Schiffe, ähnelt sehr der holländischen; die Mehrzahl derselben beschränkt sich auf den Transport der Landprodukte nach England, Holland, Frankreich, Schweden, oder in die Häfen der Ost- und Nordsee. Die Mannschaft ist eben so tüchtig, wenn auch etwas langsamer, als die bisher angeführte; die Kapitäne sind häufig nicht theoretisch gebildet genug. Die Schifffahrt der Unterweser beträgt 18 größere Seeschiffe von 5.000 Tonnen Tragfähigkeit; sie ist in Allem der von Bremen gleich, von welcher sie auch hauptsächlich verwandt wird. Die Schifffahrt der Unterelbe, von Hamburg und Stade aus zählt 20 Schiffe von 5.200 Last; sie gleicht der Hamburger und ist von ihr in Allem abhängig.

Die Schifffahrt Oldenburgs zählt außer den kleinen Küstenfahrzeugen an 112 Seeschiffe von 22.000 Tonnen. Die Oldenburger Schiffe, größtenteils in Brake und andern Orten der Unterweser gereedet, werden ebenfalls im Bremer Handel verwandt; 6—7 fahren auf den Walrossfang in die nördlichen Meere. — Minder wichtig für den Weltverkehr, aber doch immer von großer Bedeutung für Deutschland und die Küstenbewohner selbst ist die Schifffahrt der Ostsee, der Hauptnahrungszweig ihrer Küstenbewohner. Memel, Königsberg, Pillau, Danzig, Kolberg, Rügenwalde, Stolpe, Stettin, Swinemünde, Wolgast, Greifswald, Stralsund und Barth treiben alle Schifffahrt, und die Zahl der gesamten preußischen Ostseeschiffe beträgt an 926 Tonnen Tragfähigkeit und fast eben so groß ist die Anzahl der Küstenfahrzeuge.

Stettin besitzt die meisten Seeschiffe, nächst ihm Danzig. Der Verkehr der Ostsee mit England, Holland, Belgien und Frankreich und zugleich die Verladung der umfangreichen Landesprodukte beschäftigt den größten Teil derselben. Mehre preußische Ostseeschiffe fahren zwischen Hamburg und Brasilien, und die 5 großen Kauffahrer der Berliner Seehandlung zwischen China und Hamburg. Die Bemannung der preußischen Ostseeschiffe besteht größtenteils aus Preußen selbst, die längs des ganzen Seestrandes in den Städten und mehr noch in den Dörfern wohnen. Für Heranbildung tüchtiger Offiziere wird durch gute Navigationsschulen gesorgt. — Preußen hatte unter dem großen Kurfürsten, wo es eine eigene Kolonie in Guinea besaß, eine Flotte von 5 Fregatten, welche jedoch wieder in Verfall geraten ist und von Friedrich dem Großen wegen seiner Landkriege nicht wieder gehoben werden konnte. Gegenwärtig besteht die preußische Kriegsflottille aus 1 Korvette, 1 Dampfer, 36 Kanonenschaluppen und 6 Kanonzellen.

Nach der preußischen ist die mecklenburgische Schifffahrt die bedeutendste in der Ostsee, im Verhältnis derselben eigentlich noch überlegen. Mecklenburg oder eigentlich nur die Städte Wismar und Rostock besitzen 358 Seeschiffe von 98.000 Tonnen Tragfähigkeit und außerdem etwa noch 100 Küstenfahrzeuge. Des beschränkten Handels wegen suchen sie jedoch größtenteils ihre Beschäftigung in ausländischen Häfen, vorzüglich in den russischen Ostseehäfen, Holland, Belgien, Frankreich. Vielfach werden sie auch von Antwerpner Kaufleuten nach Odessa, Konstantinopel, oder in das nördliche Eismeer nach Archangel expediert. Der Mecklenburger Schifffahrt eigentümlich ist die soziale Einrichtung, dass der Besitz eines Schiffes oft in 64, ja sogar in 128 verschiedene Teile zerfällt. So hat ein Schiff oft 30 - 40, ja noch mehr Besitzer, meistens ganz gewöhnliche Leute, die selbst mit am Bord desselben als Matrosen dienen. Derjenige, der den Hauptteil hat, Korrespondenzreeder, gewöhnlich ein Kaufmann in Rostock oder Wismar, besorgt alle Geschäfte, legt Rechnung ab und zahlt die Prozente des Gewinns aus. Auch auf den Walfisch- und Robbenfang schickt Rostock jährlich 2 Schiffe. Die Kapitäne und Matrosen der Mecklenburger Schiffe sind fast lauter Mecklenburger aus Wismar, Rostock, Warnemünde, Ribnitz oder dem sogenannten Fischlande, einer schmalen, mehre Meilen langen Halbinsel, der Pflanzschule eines kernigen Matrosenvolkes.

Lübeck besitzt 92 Fahrzeuge von 26.000 Tonnen Tragfähigkeit und beschäftigt dieselben größtenteils in seinem eigenen Handel nach Russland, Schweden und Norwegen. Die travemünder Werften sind ihres wohlfeilen Schiffbaus halber bekannt, so dass oft Schiffe für fremde Rechnung dort gebaut werden.

Die schleswig-holsteinische Schifffahrt Kiel und Flensburg konzentriert, von welcher das erstere 34, das zweite 80 Schiffe besitzt. Die Flensburger Schifffahrt ist übrigens schon vielfach mit dänischen Elementen untermischt und beschäftigt sich viel mir westindischem Handel nach den dortigen dänischen Kolonien. Ostindien wird ebenfalls befahren, und auf den Walfisch- und Robbenfang in das nördliche Eismeer gehen 6-8 Fahrzeuge. Apenrade und Eckernförde rüsten ebenfalls treffliche Schiffe für transatlantische Fahrten aus; viele Schleswiger dienen auf den Hamburger Schiffen und sind dort als tüchtige Seeleute beliebt.

Die Kriegsflottille Schleswig-Holsteins besteht aus 1 Dampfer und 12 Kanonenbooten.

Wismar, Ansicht aus der 2ten Hälfte des XVII. Jahrhunderts

Wismar, Ansicht aus der 2ten Hälfte des XVII. Jahrhunderts

Dampfschiff

Dampfschiff "Helgoland"

Milchewer

Milchewer

Hansestadt Rostock, Unterwarnow, Pionierschiff mit Blick auf Petrikirche, 1962

Hansestadt Rostock, Unterwarnow, Pionierschiff mit Blick auf Petrikirche, 1962

Hansestadt Rostock, Stadthafen mit Großsegler, 1968

Hansestadt Rostock, Stadthafen mit Großsegler, 1968

Rostock, Stadthafen mit Großsegler, 1968

Rostock, Stadthafen mit Großsegler, 1968

Rostock, Stadthafen, 1968

Rostock, Stadthafen, 1968

Rostock, Stadthafen, Segelschulschiff

Rostock, Stadthafen, Segelschulschiff "Wilhelm-Pieck", 1968

Rostock-Warnemünde, Alter Strom, Eisgang 1968

Rostock-Warnemünde, Alter Strom, Eisgang 1968