Abschnitt 2

Zweytes Capitel


Ein junger Mensch: „Ich!“ (Er nimt ein Bierglas vom Tische und schlägt mit der Tobacspfeife daran)


Ein Andrer: „Was läutet man?“

Die Frau: „Es ist Mittag.“

Der Förster: (vor sich) „Es mag den Teufel seyn! Es ist meiner Six! bald sieben Uhr.“

Der Andre: „Diese Glocke läutet Euch kein gutes Zeichen.“

Die Frau: (ängstlich) „Ich ahnde es; ich weiß es; mir wird so bange – Albrecht.“

Der dicke Herr: „Lauter, lauter!“

Die Frau: (brüllt) „Albrecht! und Du verließest mich!“

Der dicke Herr: „Bravo.“

Musjö Valentin: (leise) „Papa! die Menschen sind toll; Lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen!“

Der Amtmann: (leise) „Herr Pastor! was bedeutet das?“

Der Pastor: (leise zum Amtmanne) „Ich glaube, es sind Mimi, Histriones, Commödianten-Volk.“

Der Andre: „Entschließet Euch!“.

Die Frau: „Ich bin ja entschlossen; hab’s Euch ja oft gesagt, hab nie gewankt.“

Der dicke Herr: „Nun kömmt der neunte Auftritt.“

Ein Dritter: (tritt hervor) „Es ist Zeit!“

Der Andre: „Hört Ihr’s?“

Die Frau: „Gott, was soll mir geschehn? – Wo ist Zenger? – oAlbrecht!“

Der Dritte: „Soll ich!“

Der Andre: „Ja!“

Ein Vierter: (kömt hinter dem Ofen hervor) „Herr Canzler! wißt Ihr, wie Schurken und Verräthern mitgefahren wird?“

Valentin: (leise) „Papa! Sie schimpfen.“

Der Andre: „Wozu diese Frage?“

Der Vierte: „Weil Ihr’s an Euch selbst bald erfahren sollt. Folgt mir, gnädige Frau!“

Der Amtmann: (leise) „Es ist Eine von der Noblesse.“

Der dicke Herr: (rüttelt den auf dem Schenktische stehenden Messer-Korb und trommelt auf dem Tische) „Das war das Waffengetöse und Trommeln; Nun spricht Tuchsenhauser.“

Der Andre: „Verwegner! Agnes soll da bleiben, auf des Herzogs Befehl.“

Der Amtmann: „Excusiren Sie; hier hat niemand zu befehlen, als der Fürst Bischoff.“

Der Vierte: (zieht ein Messer hervor) „Verräther! das gilt mehr, als Dein Herzog.“ (Will die Frau fortreißen)

Der dicke Herr: „Bravo!“ (Er giebt ein Zeichen, durch Klopfen an der Thür; Mit einmal stürzen der Hausknecht, ein Taglöhner und noch einige Andre, mit Knütteln bewafnet herein. Es kommt zum Kampfe)

Der Förster: (der, als ein reitender Förster, nie anders, als mit Stiefeln und Sporen und bewafnet mit einer Peitsche erschien) „Nein! das ist zu arg. Willst loslassen, Du Sackermenter! Ist das erlaubt, über ein Weibsmensch herzufallen.“

Und nun fuhr der Förster hinter dem Tische hervor und – Freylich konnte der gute Mann, der in seinem Leben kein ordentliches Schauspiel gesehn hatte, nicht wohl wissen, daß, was er da hörte, eine Stelle aus dem großen Original-Trauerspiele Agnes Bernauer (oder unteutsch zu reden: Bernauerinn) war. Der reisende Schauspiel-Director, Herr Stenge, war nämlich mit seiner zusammengeraften Gesellschaft Tages zuvor in Hildesheim angekommen, woselbst er die Erlaubniß erhalten hatte, zum Besten der Moralität und zur Beförderung des guten Geschmacks, so lange Vorstellungen von unsern National-Meisterstücken zu geben, bis die ehrlichen Bürger und Handwerksleute nichts Mehr zu versetzen haben würden, um vierzehn Vagabonden zu füttern. Bessere Schauspieler-Gesellschaften hatten ihr Auskommen in Hildesheim nicht gefunden; und so war denn doch zu hoffen, daß Mädchen und Jünglinge in romanhafter, schwärmerischer Stimmung und den Künsten der edlen Buhlerey wenigstens nicht ganz hinter der Jugend andrer Städte zurückbleiben würden. Des Herrn Stenge sogenannnte Schauspieler-Gesellschaft hatte übrigens noch das eigne Verdienst, daß sie eine wahre Mustercharte von allen teutschen Provinzial-Dialecten war; doch führten die mehrsten Mitglieder die sanfte bayerische Mundart. Da das Brauhaus, worinn der Schauplatz errichtet werden sollte, noch nicht in Ordnung war, und man am Montage das eben genannte Trauerspiel mit allem Pomp geben wollte, hatte der Directeur, welcher mit seiner leider! schon ein wenig bejahrten Frau Liebsten in dem Gasthofe des Herrn Lauenstein sein Quartier genommen hatte, einen Theil seiner Gesellschaft zu sich bestellt, um einige Scenen aus dem vierten Acte zu probiren. Es war nicht möglich, alles so vollkommen und täuschend darzustellen, als es am Montage auf der Bühne erscheinen sollte; denn da waren die edle Schuster- und die Schneider-Zunft und einige Perückenmacher eingeladen worden, die Personen des Magistrats von Straubingen, der Fürsten und Ritter auf dem Thurniere, der Richter, Knechte, Wachen u.d.gl. vorzustellen, welche Rollen sonst in Berlin und andern Städten wohl mit Musketiers besetzt zu werden pflegen. Heute hatte man den Hausknecht und ein Paar andre Lümmel, die grade im Hause waren, abgerichtet, auf ein zu gebendes Zeichen in das Zimmer zu stürzen, wenn Tore mit den Kriegsknechten erscheinen mußte. Dem Förster war das Ding zu bunt; Er verstand es nicht, worüber der Streit herkam; als man aber über die ältliche Dame, welche Agnes vorstellte, herfiel, hielt er’s für Pflicht, der schwächern Parthey beyzustehn. – Also fuhr er, wie wir schon gesagt haben, hinter dem Tische hervor und arbeitete mit seiner Peitsche auf die Kriegsknechte los. Der dicke Herr Stenge hielt den Mann im grünen Rocke, für einen Spaßvogel, der den Kampf täuschender darzustellen suchte, und rief einmal über das andre aus: „bravo! bravo!“ Aber nicht also der Hausknecht und Consorten. Man hatte ihnen, als man sie zu dieser Vorstellung instruirte, nicht gesagt, daß sie ernstlich Schläge bekommen sollten. Da die Sache nun diese Wendung nahm, gefiel ihnen das sehr übel; und weil doch jeder sich gern seiner Haut wehrt, wenn er kann; so blieben sie unserm armen Dornbusch nichts schuldig. Wenn es aber nach dem vortreflichen alten Spruche, ein Trost ist, Gefährten im Unglücke zu haben; so wurde dieser Trost auch dem Förster zu Theil; denn als die Kriegsknechte glaubten, der Grünrock gehöre mit zu der Parthey Derer, welche sie anzugreifen befehligt waren, und er die Sache so ernstlich behandelte; meinten sie auch ein Recht zu haben, sich wegen der empfangnen Hiebe an den übrigen zu rächen. In Kurzem war daher die ganze Gesellschaft in zwey Partheyen getheilt: hier tummelten sich zwey auf der Erde herum; dort hatte sich ein Paar in die Haare gefaßt; Agnes Bernauer vergaß die Ohnmacht, die in ihrer Rolle stand und schrie laut; ihr Gatte, der Principal, versuchte es, die Kämpfer aus einander zu reißen, indeß der Pastor, der Amtmann und sein Sohn kläglich und ängstlich um Hülfe riefen. Endlich hörte Herr Lauenstein, der Wirth, daß der Lerm größer war, als zu einer bloßen Probe unumgänglich nöthig schien. Er kam also mit seinen übrigen Hausgenossen herbey. Es wurde ein Waffen-Stillstand gemacht; dann kam es zu Erläuterungen; der Principal versicherte: er freue sich, bey dieser Gelegenheit die Bekanntschaft des Herrn Försters Dornbusch und seiner Gefährten gemacht zu haben, und Dieser schloß mit der Sentenz: „Der Teufel hole solche Commödien!“

Indessen versäumte Herr Stenge nichts, sobald die übrigen Schauspieler, die nicht in demselben Hause wohnten, fort waren, die gute Meinung der Männer aus Biesterberg vor sich zu gewinnen. Er konnte gar nicht aufhören, seine Betrübniß über das unangenehme Misverständniß zu erkennen zu geben; Er kramte dabey so viel herrliche, aus Dramen und Trauerspielen zusammengeflickte Grundsätze aus, sprach so eifrig von den Anstalten, die er getroffen hätte, um unter den Mitgliedern seiner Gesellschaft die strengste Sittlichkeit zu erhalten, und von seinen Beeiferungen, durch gute Auswahl der aufzuführenden Stücke, Wärme für Tugend und Religion zu verbreiten, daß selbst Ehren Schottenius sich geneigt fühlte, den Herrn Stenge und die Frau Gemahlinn für sehr vortrefliche Personen zu halten. An der Abend-Tafel, bey welcher der Herr Amtmann Waumann unter andern ein Paar mitgenommne Flaschen voll alten Franzweins producirte, der im vorigen Jahre in Bremen war componirt worden, öfneten sich nun vollends die Gemüther; und als unsre Reisenden, nicht gewöhnt, länger als bis zehn Uhr außer Bette zu bleiben, in die ihnen angewiesenen Zimmer giengen, indeß Herr Stenge noch unten blieb, schieden sie Alle mit Händeschütteln und viel verbindlichen Äußerungen aus einander.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Reise nach Braunschweig