Die Notwendigkeit einer gründlichen Reform der wirtschaftlichen Zustände in dem Hafenorte von Warnemünde Moritz Wiggers. Rostock, 1860. - Rezension

Aus: Bremer Handelsblatt: Wochenschrift für Handel, Volkswirtschaft und Statistik. Jahrgang 1860. Nr. 430-481
Autor: Böhmert, Victor Dr., Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Rostock, Warnemünde, Gewerbezwang, Handelstätigkeit, Unglaubliches, Badegäste
Man ist schon gewohnt, an den Namen Mecklenburg ein Zusammengefüge der wunderlichsten Einrichtungen zu knüpfen, und doch kann man dort noch eine ganz ansehnliche Reise im Gebiete des Unglaublichen machen.

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So ziemlich im äußersten östlichen Winkel des Landes liegt der kleine Ort Warnemünde, im Winter mit einer Bevölkerung von etwa 2.000 Menschen, alle zusammen Schiffer oder Fischer, wozu im Sommer noch etwa durchschnittlich 2.000 Badegäste kommen, die im Salzwasser der Ostsee Erholung und Kräftigung suchen. Dieser Ort ist eine Pertinenz von Rostock, von dem es etwa 2 Meilen entfernt liegt, und es zeigt sich dabei, dass es nichts gibt, was so systematisch, so rücksichtslos eine Macht ausbeutet, wie eine Handelsstadt ein Gewerbe-Privilegium, das ihr der Zufall verliehen. Man höre!

Warnemünde ist von den Rostocker Kaufleuten und Krämern, von dessen Fabrikanten und Handwerkern gleichmäßig von jedem eigenen Erwerbe ausgeschlossen, das diese betreiben, es darf kein eigenes Brot backen, kein eigenes Bier brauen, keinen eigenen Tisch hobeln usw. usw., vielmehr muss es Alles, Alles aus Rostock herholen, mag im Winter die Kommunikation noch so scheußlich und noch so gefährlich sein. Nicht der kleinste eigene Handwerksbetrieb ist erlaubt und gerade in der allerneuesten Zeit ist man mit aller Schärfe darin eingeschritten. Das vorliegende Buch gibt wirklich so kostbare Züge von der Ausübung dieser Erwerbstyrannei, dass wir etwas näher darauf eingehen wollen.

Die Bierbrauerei, um bei diesem für deutsche Seelen so wichtigen Artikel zu beginnen, einst schwunghaft in Warnemünde betrieben, ward im Jahre 1721 dessen Einwohnern zu Gunsten der Rostocker Bierbrauer gänzlich konfisziert und jenen sogar das Brauen, „auch zu des Hauses Bedarf“, verboten. Nur diese letztere Beschränkung ist später wieder beseitigt worden, nicht das allgemeine Verbot.

So einfach machte sich aber die Sache nicht beim Handel mit Kaffee, Sirup, Rosinen, Zucker u. dgl. lieblichen Waren mehr. Wie weit und mit welchen Artikeln war der Handel damit den Warnemündern in Warnemünde selbst erlaubt, und durften sie, im Falle des erlaubten Betriebs, ein Pfund Kaffee en gros aus einen, andern Hafen beziehen als aus Rostock? Schwere staatsrechtliche Fragen, die mit mecklenburgischer Gründlichkeit Jahre hindurch verhandelt wurden. Endlich im Jahre 18S4 fasste der Rat der Stadt Rostock Mut, gegenüber dem Krämergeist der Stadt Rostock. Er sprach „von dem unverkennbaren Bedürfnis des Orts, welcher eine Seelenzahl von nahe an 2.000 und in der Badezeit viele Fremde zählt und von einer Menge Leuten bewohnt wird, die ihr Beruf niemals nach Rostock führt, so dass es ihnen zum höchsten Nachteile gereichen würde, sollte ihnen die Gelegenheit, ihre täglichen notwendigen Lebensbedürfnisse in Warnemünde selbst zu kaufen entzogen werden.“ Aber die Rostocker Krämer widersprachen und sie wandten sich endlich an ein großh. Finanzministerium mit der besonderen Beschwerde, dass der Handel der Warnemünde mit Rosinen und Sirup die großh. Akzise beeinträchtige. Bekanntlich wird in Mecklenburg nächst dem von Kliefoth erfundenen Luthertum nichts mehr geschützt, als großherzogliche Finanzen. So geschah es denn, dass jetzt in ganz Warnemünde Haussuchung nach Krämerwaren bei allen dort etablierten Händlern gehalten, die Waren konfisziert und öffentlich meistbietend verkauft wurden. Solches geschah im Herbst und Frühling 1858 und 1859, als die übrige Welt gerade mit der Befreiung Italiens beschäftigt war. Dass die Warnemünder dadurch in die Verlegenheit kamen, kaum noch kochen, kaum noch eine Tasse Kaffee bereiten zu können, von so verderblichem Luxus wie die Anfertigung von Rosinenkuchen und Torten ganz abgesehen, weil sie wegen Mangels an Geld nicht jeder große Vorräte einkaufen, und noch weniger für jeden kleinen Kauf von Rostock her große Kosten tragen konnten, das hat keiner Rostocker Krämerseele große Schmerzen gemacht. Sie bewiesen vielmehr eine wahrhaft erbauliche Fassung bei fremden Leiden.

Wir wollen nur noch kurz erwähnen, dass die Warnemünder keine Schiffe bauen, nicht einmal Schiffszimmerleute halten dürfen, ja mehr, dass es dem geborenen Warnemünder verwehrt ist, in Warnemünde zu wohnen, sobald er zum Schiffer avanciert ist, denn er muss in diesem Falle in Rostock oder dessen Nähe wohnen. Dass Warnemünde es nicht bis zur Erringung einer Mühle, zur gestatteten Niederlassung eines Bäckers und Schlachters bringen kann, dass überhaupt dort kein Handwerker wohnen darf, und noch viel weniger irgend ein Großhändler, das versteht sich wohl von selbst. Es ist eine wunderbare Verkehrung der Vernunft: Zunft- und Innungsgeist verlegen anderswo wohl den Fremden den Mitverdienst zum eignen Prosit, den Warnemündes ist vom Rostocker Zopftum der eigene Verdienst zu fremdem Profit untersagt.

Der Profit ist freilich nur eingebildet, das Verbot der Schifferwohnungen außerhalb Rostock hat im sogen. Fischlande, hart an der preußischen Grenze, eine ganze Kolonie von Schiffern und eine lebhafte Schifffahrt hervorgerufen, die vielen Erwerbsverbote fallen auf Rostock zurück, indem sie die Erwerbsfähigkeit des Nebenortes gänzlich aufheben. Der Warnemünder lebt vom Lotsendienst und der Schifferei — ein wahres Glück für ihn dass die Rostocker hierin nicht mit ihnen konkurrieren können, die Frauen schleppen Sand in die Ballastschiffe, und im Sommer sucht Warnemünde, groß und klein, die städtischen Badevergnüglinge seiner „Schillinge“ möglichst zu entledigen. Das ist der einzige ihnen übrig gebliebene einigermaßen einträgliche Erwerbszweig, bis vielleicht einmal die Mode einem andern Badeort wieder den Vorzug gibt.

Wer Lust hat dieses Rostocker Eldorado des stumpfsinnigsten Gewerbe- und Erwerbzwanges noch näher sich anzusehen, dem empfehlen wir das oben bezeichnete Buch.

Rostock zur Zeit der Hanse, Holzschnitt

Rostock zur Zeit der Hanse, Holzschnitt

Warnemünde vom Bauhof.

Warnemünde vom Bauhof.