Die Lebensfrage der Kunst

Deutsche Kunst und Dekoration Jahrgang 30 Heft 12
Autor: O. L. (?), Erscheinungsjahr: 1927
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Lebensfrage der Kunst, Schicksal, Geistesfreude, Kunstgeschichte, Kunstschaffen
Wohnungskunst – Malerei – Plastik – Architektur – Gärten – Künstlerische Frauenarbeiten.
Wie lautet die Lebensfrage der Kunst? Oder besser: Wie lautet die Antwort auf die Lebensfrage der Kunst? Sie lautet genau so, wie die Lebensfrage beim Einzelmenschen lautet: Erfülle dein Schicksal! Und das gilt für den Künstler so gut wie für den Kunstfreund.

Was heißt das?

Es heißt zunächst: Erfülle dein Schicksal. Fliehe nicht vor deinen Lebensbedingungen, auch nicht vor den Mängeln deiner Lage, sondern lebe sie entschlossen durch. Da erfüllt seit Jahrzehnten eine tolle Vielheit von Kunstmeinungen mit Lärm unser Ohr. Warum auch nicht? Es steht uns ja alles offen, was die menschliche Kunst je und je geleistet hat. Jahrhundert um Jahrhundert erschließt sich unserem Blick; so können wir mit Hilfe historischen Materials jede beliebige Kunstmeinung stützen und beweisen. Aber kommt es darauf an? Haben alle die tausend Kunstmöglichkeiten, die die Menschheit schon durchlebt hat, für uns irgend einen Wert? Nein; denn auf das Erfassen der konkreten Augenblickslage kommt es an. Es kommt geradezu darauf an, über die Vielheit der Möglichkeiten hinaus zur Einmaligkeit des jetzt und hier gebotenen Handelns zu gelangen. „Jetzt“ und „Hier“ — das sind die beiden großen Zauber- und Schlüsselworte der Geschichte; auch der Kunstgeschichte. Kunstschaffen ist jedes Mal Tat, nicht Meinung oder Betrachtung; Tat aus den Erfordernissen des Augenblicks, Tat, die den bloß Betrachtenden fast immer verletzt, die der Tradition fast immer wehetut und selbst die Logik kränkt — und die gerade dadurch beweist, daß sie eine Notwendigkeit und die richtige Entsprechung zur gegenwärtigen Weltstunde ist. Es gibt nichts Demütigenderes für unser stolzes Verstandesurteil, als die Tatsache, dass fast jede neue Kunstwahrheit in ihren Anfängen einem Unsinn täuschend ähnlich sah. Es war immer leicht, sie mit guten Gründen zu widerlegen; aber immer ist das Neue, wenn es in der Zeit wahrhaft verankert war, mit diesen Gründen und allen Widerlegungen fertig geworden.

Und ist das nicht ein Glück? Gibt es etwas Herrlicheres für den wirklich lebendigen Menschen, als wenn in den großen geschichtlichen Wendungen sein Voraussehen oder gar seine Verstandesansprüche nicht erfüllt werden? Wenn eine andere Kraft, das Leben selbst, ihm entgegentritt und aus einer fremden, ungeheuren Phantasie das gänzlich Unerwartete zutage bringt?

Das Widersinnige ist der eigentlich wertvolle, der kostbarste Bestandteil der Geschichte. Denn in diesem Bestandteil wirft sich unsrer Vernunft jenes Fremde entgegen, das die Welt erst wirklich zur Welt macht. Gerade das Kunstgeschehen zeigt uns diesen fremden Bestandteil sehr oft. Und keine kleine Eitelkeit sollte uns hindern, das geheime Entzücken einzugestehen, das wir empfinden, wenn es nicht nach unserem Kopf gegangen ist, wenn das Leben aus eigener Macht eine neue Wendung genommen hat, die uns selber neuen Boden, neue Kraft und Geistesfreude schenkt.

Lebensfrage der Kunst ist es, aus den echten Notwendigkeiten des Augenblicks die dunkle, rettende Tat zu tun. Aber für den Einzelmenschen ist es eine Lebensfrage, sich stets soviel Schwung und Vertrauen zu bewahren, daß er den Wendungen des Kunstgeschehens mit Frische folgen kann.

Ernst Huber - Wien.

Ernst Huber - Wien. "Niederösterreichische Landschaft"

Paul Plontke - Berlin.

Paul Plontke - Berlin. "Mutter und Kind"

Leo Putz - München.

Leo Putz - München. "Ein Sommertag"

Richard Klein - München.

Richard Klein - München. "Das Leben"

Lothar Bechstein - München.

Lothar Bechstein - München. "Zwei Akte"