Die geographische Beschaffenheit der Landschaft.

Theodor Storms Landschaftsmotive auf ihre geographische Beschaffenheit hin prüfen, heißt ungefähr so viel als: den Jugendeindrücken nachspüren, die er in seiner Heimat empfing und die bekanntlich auf den größten Teil seiner gesamten Produktion bestimmenden Einfluss ausübten.

Am 13. August 1873 schreibt Storm an Emil Kuh:*) „Ich wüsste nicht, dass bis zu meinem 18. Lebensjahre irgend ein Mensch .... Einfluss auf mich geübt, dagegen habe ich durch Örtlichkeiten starke Eindrücke empfangen; durch die Heide, die damals noch zwischen Husum und einem Dorfe lag, wohin ich fast alle vierzehn Tage mit dem Sohne des dortigen Predigers, der die Gelehrtenschule in Husum besuchte, ging, durch den einsamen Garten meiner Urgrossmutter .... auch durch die Marsch, die sich dicht an die Stadt schließt, und das Meer, namentlich den bei der Ebbe so großartig öden Strand der Nordsee.“ — Er erzählt dann von seinen wiederholten Ferienbesuchen in seines Vaters Heimat, in Westermühlen, und von den Knabenspielen im dortigen Walde, und fährt in seinem Briefe fort: „Da wir bei Husum auf ein paar Meilen weit keinen Wald haben, so war der Eindruck dieses Waldlebens ein sehr lebhafter auf mich.“ Die Erinnerung an „das kleine in Busch und Baum begrabene Dorf“ Westermühlen ist in ihm zeitlebens wach geblieben und für ihn schließlich ein Quell geworden, aus dem er seine innigst empfundenen, von seltsamem Gemütszauber erfüllten Natur- und Landschaftsschilderungen schöpfte. In seiner leider nur gerade begonnenen Selbstbiographie, den „Nachgelassenen Blättern von Theodor Storm“ („Deutsche Rundschau“ LVII, 341 — 346) beschreibt er eingehend und mit vieler Liebe die Wind- und Wassermühle und das ganze großelterliche Gehöft Westermühlen und sagt: „Bei diesem Worte steigt ein ganzes Wald- und Mühlenidyll vor mir auf.“ Auch in seinem Briefe aus Potsdam vom November 1854 an Mörike**) erzählt er von jenem Kirchdorf, das er mit seiner Frau wieder einmal besucht habe. „ . . . Dann abends bis tief in die Nacht saßen wir in den weitläuftigen wüsten Gärten und hörten am Teiche und aus der Ferne von unten aus dem Dorf die Nachtigall schlagen, wie ich sie niemals weder zuvor noch später gehört habe. . . — Wir bleiben aber nicht auf der Mühle; wir gehen hinten aus am Garten entlang und pflücken aus dem Rankengewirr, das sich an dem Zaune hinzieht, bei der Hitze des Herbstnachmittags etwa eine süße, glänzend schwarze Brombeere; dann über ein paar höher gelegene Ackerstrecken, bis wir links um ein Stückchen längs einem Arm des Mühlenbaches hingehen . . .; vor uns in grüner Busch- und Wieseneinsamkeit neben uralten Eichen liegt ein . . . Gehöft mit . . . ungeheurem, fast zur Erde reichendem Strohdach.“ Hier liegt auch der „Immenhof“, den er im „Grünen Blatt“ geschildert hat und den er „stets mit einem Gefühl von Andacht betreten, als näherte ich mich einem lieblichen Naturgeheimnis“ (Nachgelassene Blätter). Bei diesem Mühlengehöft schoss er als Knabe, vom Vetter verleitet, „ruchloser Weise“ den Storch vom Baum, worüber sein „Knabenherz ihm noch lange die bittersten Vorwürfe gemacht“ ; hier verfertigten sie Dohnen für den Krammetsvogelfang, und in dieser Gegend hatte er jenes seltsame Erlebnis, das er dann Arnold in der Novelle „Im Schloss“ erzählen lässt, jenen Gang über Gräben, durch Bruchland und Buschwerk in einen Wald. „Was mich aber damals wie ein Märchen anheimelte, in einer sonnigen Waldlichtung sah ich zum ersten und letzten Male in meinem Leben eine von den großen, smaragdgrünen Eidechsen. Sie saß auf einem Baumstumpf und sah mich wie verzaubert mit ihren goldenen Augen an ...“ So schreibt Storm in jenem oben zitierten Briefe an Mörike. Das Seltsame dabei war nämlich, dass dort in der Nähe gar kein solcher Wald weder ist noch jemals war, sondern nur Busch und Wiesen und Äcker, dazu einzelne alte Bäume.


*) Westermanns Monatshefte. (LXVH, 272.)
**) Jak. Bächtold: Briefw. zw. Th. Storm und Ed. Mörike. Dtsch. Rdsch. Bd. 58, 1889.

Mit Absicht habe ich Storm so oft mit eigenen Worten und in ausführlichen Berichten betonen lassen, welcher Art seine frühesten Landschaftseindrücke und wie teuer sie ihm waren. Denn wir werden noch zur Genüge erkennen, wie bestimmend sie auf sein ganzes Werk wurden. Ich verweise vorläufig nur auf die Märchenstimmung, die über den Schilderungen der Waldesstille liegt, etwa in „Immensee“, „Waldwinkel“, „Ein Fest auf Haderslevhuus“, „Ein grünes Blatt“, „Schweigen“ usw.

Nicht nur Westermühlen, sondern auch Urgroßmutters Garten lud den feinfühligen Knaben zum Träumen ein.

* „Muskathyazinthen —
Ihr blühtet einst in Urgrossmutters Garten;
Das war ein Platz, weltfern, weit, weit dahinten.“

*) Werke VIII, 271.

Klingt es aus diesem Ritornell nicht wie ein leises Heimweh nach jenen verträumten Jugendtagen? Und noch als 56 jähriger lässt er uns den ganzen Zauber jenes altertümlichen Gartens empfinden. „Hier waren noch die steifen, gradlinigen Rabatten, der breite Steig dazwischen mit weißen Muscheln ausgestreut; perennierende Gewächse mit zarten blauen oder weißen Blumen und leuchtend gelben Staubfäden, andere mit feinen rötlichen Quästchen oder mit Blumen wie aus durchsichtigem Papier geschnitten, desgleichen man nur noch in alten Gärten findet, daneben gelbe und blutrote Nelken blühten hier zu beiden Seiten und verhauchten ihren süßen Sommerduft. — Zu Ende des Steiges in der jungen Lindenlaube saß jetzt das Großmütterchen.“*) Dieser Garten sowohl als auch jener von Westermühlen hat für den Dichter eine außerordentliche Bedeutung gehabt. Denken wir nur daran, wie bestrickend der Zauber jenes wilden Gartens in „Viola tricolor“ oder die Melancholie der herbstlichen Garteneinsamkeit in der Novelle „Auf dem Staatshof“ von Storm dargestellt wird. „Im Sonnenschein“, „Von jenseit des Meeres“, „Eine Halligfahrt“, „Im Schloss“, in all diesen und vielen weiteren Novellen führt uns der Dichter mit der anhänglichen Liebe der Erinnerung in traute Gärten, wohin kein Laut aus der „Welt“ dringen kann. Willrath Dreesen**) bemerkt mit Recht, „dass die Poesie der Gärten seiner Knabenzeit außerordentlich viel zur Ausbildung der romantischen Neigung des künftigen Dichters beitrug,“ und Storm bestätigt dies ja selbst, indem er an L. Pietsch schrieb: „Ich lege Ihnen hier ein Gedicht***) bei, worin die Sehnsucht nach unserer alten Heimat Worte gefunden, eine (wohl nicht ganz gelungene) Dämonisierung dieser Garteneinsamkeit, welche die Mutter meiner meisten Produktionen ist.“ Diese „Sehnsucht“ nach einer abseitigen, stillen, traumerfüllten Welt — das ist Romantik.

*) Von heut und ehedem. W. III, 172.
**) W. Dreesen: „Romant. Elem. b. Th. Storm“, Dortmund 1905.
***) „Garten-Spuk.“ W. VIII, 251.

Wald- und Gartenstille waren wohl die mächtigsten Landschaftseindrücke, die der Knabe Storm erlebte.*)

Etwas später, als Schüler der obern Klassen der Husumer Gelehrtenschule, mochte der Jüngling Storm empfänglich geworden sein für die weite Einsamkeit der Heide, für ihren träumerischen Duft und ihr fast lautloses Leben zur Zeit der Hochsommermittage. Wie wundervoll ist das Brüten über der sommermüden Heide geschildert im „Grünen Blatt“! „Bis zur sinnlichen Mitempfindung des Lesers wiedergegeben“, schrieb Mörike an Storm im April 1854.**) Auch in der Novelle „Auf der Universität“ führt uns Storm mit seinem Helden in die Heide. So wie dieser mag er als Heranwüchsling mit ganzer Seele den heimlichen Heidezauber und jenes schummerige Gefühl des süßen Traumwachens ausgekostet haben.

In dieser Zeit, da die Seele des jungen Storm sich den Eindrücken der endlosen Weite und Einsamkeit auftat, lernte er auch die trostlose, ja unheimliche Ödnis des Moores kennen mit den im Herbste schleichenden Nebelzügen und Irrlichtern, mit den schwarzen Wassertümpeln und den dunkeln Torfmassen. Ihren künstlerischen Niederschlag fanden diese Eindrücke besonders in jener schaudererregenden Moorschilderung in „Renate“.***)

*) An Friedr. Eggers schreibt Storm noch aus Heiligenstadt, am 8. Juli 1857 (S. 51): „Was mir jetzt hier vor allem fehlt, ist ein Garten hinterm Hause; ich kann sagen, ich lebe nicht, weil ich den nicht habe. Ich war in meiner Heimat als Knabe und später bis zur Auswanderung gewohnt, den Sommer über ganz im Garten zu leben, jeden lieben Gedanken dort auszuspinnen, für jede Schwierigkeit der Arbeit mir dort die Lösung zu suchen; das Drückende eines Sommertages habe ich dort niemals empfunden. Die grünen Schatten waren immer bereit, mich aufzunehmen.“
**) Dtsch. Edsch. Bd. 58.
***)Vgl. dazu die stimmungsvolle Moorschilderung in Klaus Groths Gedicht „Dat Moor“.


Marsch und Meer finden erst später vollgültig Aufnahme und Ausdruck in Storms Dichtungen. Und doch liegt seine Vaterstadt „am grauen Strand, am grauen Meer“, wo „die Wandergans mit hartem Schrei“ vorbeifliegt und am Strande das Gras weht. Oft muss der Dichter da der Abenddämmerung zugeschaut haben, wenn über die feuchten Watten der Abendschein spiegelte, der Nebel auf das Meer drückte und der geheimnisvolle Ton des gärenden Schlammes vom Winde aufgenommen und weitergetragen wurde. Besonders in den Gedichten „Die Stadt“*) und „Meeresstrand“**) hat er das Bild des Strandes mit den unheimlichen Watten und dem Schweben und Schreien der See- und Strandvögel verewigt. — Als Storm, etwa 18 Jahre alt, nach dem Willen seines Vaters auf das Gymnasium zu Lübeck verzog, fand er dort in Ferdinand Röse, dem Freunde des eben zur Universität abgegangenen Emanuel Geibel, einen lieben Vertrauten. Mit ihm und Geibel, der in den Ferien in Lübeck verweilte, machte er dann „Ausflüge in die abwechslungsreiche Umgegend von Lübeck“ (P. Schütze), auf die Dörfer und ans Meer.***)

Während der drei Semester, die Storm an der Berliner Universität verlebte (Ostern 1838— Michaelis 1839), begab er sich mit fünf studierenden Landsleuten zu vierwöchigem Aufenthalt nach Dresden, wo ihnen „nachmittags die liebliche Schönheit der landschaftlichen Umgebung . . . reiche, unvergessliche Genüsse“ bot. L. Pietsch****) erzählt aus jener Zeit ein kleines Erlebnis Storms, das „den Keim in seine Seele warf, aus welchem später eine seiner duftigsten, poetischen Blüten erwachsen sollte. Es ist eine Landpartie mit einer Gesellschaft, in der auch die Frauen und jungen Mädchen nicht fehlten, von Berlin aus nach einer Havelinsel, wo sie übernachteten (ich schließe auf Pichelsberg oder Schildhorn). Da fuhr er im Mondscheine allein im Kahne in den seebreiten

*) W. VIII., 194.
**) Ebenda.
***) F. Krüger konstatiert in seinem Aufsatz: „Th. Storm in Lübeck“ (Ztschr. d. Vereins f. lübeckische Gesch., XIII (1911), 359—83), dass diese Stadt trotz seines 1 1/2 jährigen Hierseins auf Storm nicht so nachhaltigen Eindruck machte, als dass sie in irgend einer seiner Novellen eine bedeutende Rolle spiele.
****) W. M., Oktober 1868, S. 103.


Fluss hinein und badete dort in dem unheimlich bedrohlichen Gewirre der Wasserpflanzen, auf deren breiten Blättern schwimmend ihm dort wohl auch verlockend und unerreichbar in jener Nacht zuerst die „weiße Wasserlilie“ von Immensee erschienen ist“.

Aus den letzten Universitätsjahren Storms in Kiel berichtet wiederum Pietsch: „Zu den mannigfachen Eindrücken . . ., welche später in einer seiner vollendetsten Dichtungen, der Novelle „Auf der Universität“, wieder ihren poetischen Nachhall gefunden haben, gehört auch der, welchen jenes alte unter den Buchen des Düsterbrooker Gehölzes verborgene, nun bereits verschwundene Wirtshaus auf ihn machte, wo er die tragische Schlusskatastrophe einer Erzählung sich entwickeln lässt.“*)

Im bisherigen wären die landschaftlichen Eindrücke, die für Storms Novellen Bedeutung haben, im großen und ganzen aufgezählt. Hauptsächlich mit den Bildern seiner heimatlichen Landschaft: der braunen Heide, der grünen Marschen, der Westermühlener Gärten und Wälder, des flutenden Meeres, — hauptsächlich mit diesen Bildern tränkte sich seine Seele in der Jugend so ausschliesslich, dass sie in seinem späteren Leben sozusagen keine neuen landschaftlichen Eindrücke mehr in sich aufzunehmen imstande war.

Als Storm 1853, nachdem die Erhebung seines Heimatlandes gegen die dänischen Bedrücker von diesen überwunden war und Storm als überzeugter Dänengegner und Alldeutscher, seiner Advokatur verlustig, nach Potsdam übersiedeln musste, konnte er sich in dieser doch so herrlichen, ab wechslungsvollen Landschaft keinen Augenblick heimisch fühlen.**) Bis zum Überdruss seiner neuen Freunde, vor allem Th. Fontanes,***) den seine „Husumerei“ endlich ärgerte, sehnte er sich aus dieser „ganzen zwecklosen und gemachten Herrlichkeit“ nach seiner Heimat zurück und nach, einem ehrlichen Kartoffelfelde, das mit Menschenleben und -Geschick in unmittelbarem Zusammenhange stände“.

*) W. M., Okt. 1868, S. 108/04.
**) Vgl. „Briefe in die Heimat“, S. 51: „...die eigentlichen Adern meines Lebens sind mir hier doch unterbunden.“
***) Th. Fontane: „Der Tunnel über der Spree“, Th. Storm. Dtsch. Rundschau, LXXXVII (1896), 214—29.


Wir haben weiter oben bemerkt, dass Marsch und Meer erst verhältnismäßig spät tieferen und selbständigen Ausdruck in Storms Dichtungen finden. Eigentlich erst in Potsdam und dann in Heiligenstadt, wo er eben die Marsch, die ihm „jetzt in der Ferne als die reizendste Gegend der Welt erscheint“*) und das Meer nicht sehen und hören konnte, erwacht in ihm mit der Sehnsucht nach der Heimat auch das Bild des anrauschenden oder in der Ebbezeit müde ruhenden Meeres, und erst jetzt in der Erinnerung genießt er bewusst seinen mächtigen Anblick, sein wechselvolles und stimmenreiches Wesen, Am 7. Oktober 1855 schreibt der Dichter an Mörike:**) ... „Es kommt nämlich darauf an, das Geräusch des Windes von dem des Meeres zu trennen. Wie oft, wenn ich an stillen Herbstabenden aus meiner Hoftür und in meinen Garten trat, hörte ich in der Ferne das Kochen des Meeres. Wie liebte ich das!, schon damals, und wie erst jetzt! ...“ Diese Sehnsucht nach dem vertrauten Meer scheint mir auch in jenen Worten desselben Briefes zu zittern, wo Storm schreibt, dass er an die poetische Übersetzung der über Mörikes Sopha hängenden Landschaft***) mitunter gedacht habe. „Mit dem Vordergrunde käm' ich in meiner Weise vielleicht zurecht, aber hinten! Ich weiß nicht, wie sich das Mondlicht mit den Bergen verträgt. Ja, wenn's das Meer wäre! z. B.“ Meeresschilderungen finden wir nun, wie bereits erwähnt, erst in den späteren Novellen, z. B. in „Psyche“, „Eine Halligfahrt“, „Hans und Heinz Kirch“ usw. Die großartige Symphonie des Meeres jedoch, mit ihren weichen, duftigen Klängen und ihren orgelbrausenden Passagen hat der greise Storm aus genialer ungebrochener Kraft in seiner letzten Dichtung, dem „Schimmelreiter“, ertönen lassen.

*) „Briefe in die Heimat“, S. 121.
**) Dtsch. Rundschau. Bd. 58, 1889.
***) „Meine Erinnerungen an Ed. Mörike“, W. VIII, 180.


Bezeichnend für Storni ist jenes Bekenntnis, dass er nicht weiß, „wie sich das Mondlicht mit den Bergen verträgt“. Bezeichnend deshalb, weil er in keiner seiner Novellen eine Gebirgslandschaft geschildert hat. Wohl kommt im Märchen „Die Regentrude“ eine Felsengrotte vor, es ist dies aber eine ganz irreale Felslandschaft und doch nur mehr ein interessanter Ausnahmefall und findet sich, wie gesagt, in keiner andern Dichtung Storms. Es liegt auch ganz in seinem Wesen und seinem äußeren Lebensgang begründet. „Tiefes Selbsterleben ist das Wesentlichste“ sagt er einmal, und wirklich könnte man in seiner ganzen Produktion kein Landschaftsbild entdecken, das er nicht zum mindesten in der Phantasie erlebt hätte.

Dass auch die Landschaft von Heiligenstadt im Eichsfelde, wohin Storm 1856 als Kreisrichter berufen wurde, mit ihren „abwechselnd düstern und anmutigen Waldbergen“ auf Storm keinen nachhaltigen Einfluss ausübte — nur in „Veronika“ erfährt sie poetischen Niederschlag — spricht wiederum für die Behauptung, dass des Dichters Seele für andere als heimatliche Landschaftseindrücke so gut wie unempfänglich war. Auch das gebirgige Rheintal, das er nach seinem Besuche bei Mörike durchreiste, scheint ihm in bezug auf die Berge fremd geblieben zu sein. In seinem Briefe vom 27. August 1855 an Mörike schreibt er wohl: . . . „Aber am andern Morgen sah ich den alten Strom [Rhein bei Bingen] in solchem grünen Dufte, dass mir mit einem Mal seine ganze Poesie lebendig wurde, — ich hörte Loreleilieder; Brentanos Märchen fuhren singend den Strom hernieder“ ... — aber von den Bergen, die sich in jener Gegend so stolz mit alten Burgen und Ruinen erheben, weiß er keine Silbe zu sprechen. Am 24. März 1857 schreibt Storm aus Heiligenstadt an Brinkmann: „Wir haben die schöne Gegend unmittelbar vor der Türe und überall in der Nähe die romantischen Schluchten -Einsamkeiten nach Eichendorff wirklich zum Teil von wundersamer Stille und Poesie.“*) Doch in seinen dieser Zeit folgenden Werken finden wir davon keine Spuren. Ob ihm die Felsen zu starr, zu unbeseelbar waren?

Unsere bisherigen Betrachtungen kurz zusammenfassend, müssen wir Bekanntes sagen: Storm ist ein Heimatkünstler. Die geographische Beschaffenheit der weitaus meisten Landschaftsbilder seiner Novellen ergibt sich ohne weiteres aus derjenigen seiner schleswig-holsteinischen Garten-, Wald- und Heide-, Moor- und Meerlandschaft.

*) G. Storm: Th. Storms Leben, II., 55.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Landschaft in Theodor Storms Novellen