Die Kinder der Welt

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Felix Baumann, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kinder, Hosenmatz, Kindergeschrei, Familienidyll, Tränenströme, Kinderlachen, Kindheit, Kinderwelt, Kinderfürsorge, Findelhäuser, Kinderaussetzung, Kinderleid, Kinderfreud',


Ein jämmerliches Kindergeschrei riss mich aus meiner Versunkenheit während einer Spazierfahrt in einem der „Sado“ oder „Dos-à-Dos“ genannten reizenden kleinen Ponywagen in der Umgebung von Medan auf Sumatra. Ein Blick über den niedrigen Hofzaun zur Rechten des Weges ließ mich ein entzückendes tropisches Familienidyll schauen. Wie ihn Allah geschaffen, stand ein kleiner Bataker in seiner unschuldsvollen Naturpracht da, dessen Tränenströme sich mit den Fluten eines von der Mutter über seinen Kopf gegossenen Eimers voll Wasser vermengten.

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„Siehst du, jetzt kommt der weiße Mann und beißt dich, wenn du nicht sofort artig bist!“ rief die junge Frau dem Kinde auf malaiisch zu, um es zur Ruhe zu zwingen. Und tatsächlich, die Furcht vor dem weißen Mann im weißen Anzug und weißen Tropenhelm überwog die Angst vor dem Wasser. Noch eine Dusche, dann einen leichten Klaps, und das Kerlchen war frei, um sich von der Tropensonne trocknen zu lassen.

Meine Kindergalerie war um ein Bild reicher - ich rief der jungen Mutter noch ein Scherzwort zu und setzte meine Fahrt fort. Gedachte der eigenen Kindheit, der späteren vielen, vielen Reiseerfahrungen und kam zu dem Schluss, dass im Grunde genommen Kinderfreud' und Kinderleid in der ganzen Welt dasselbe sind und bleiben werden.

Ob weiß oder schwarz, ob braun, rötlich oder gelblich, ob im Eskimopelzkittelchen oder im paradiesischen Urzustande, ob in der spitzenbesetzten Wiege oder als Huckepackbündel auf dem Rücken einer Japanerin - überall machen sich bei den Kindern dieselben Instinkte, dieselben Manieren und - Unarten bemerkbar.

Man kann auf Gottes weitem Erdboden kommen, wohin man will, nirgends wird man die typischen kindlichen Eigenschaften vermissen, als da unbestreitbar sind: Fingerchen in der Nase oder im Mund. Und im Orient und Fernorient kommt noch - es soll nur vorsichtig angedeutet werden - das bekannte Fließnäschen hinzu, das den Europäer manchmal ebenso zur Verzweiflung bringen kann wie der Anblick der vielen von einer Art von Ekzem heimgesuchten Kinderköpfe. Dieser Ausschlag ist in Europa ganz unbekannt und soll leicht heilbar sein, aber weil der populäre Aberglaube diesen grindigen Schädeln einen Gesundheit verleihenden Einfluss für das spätere Leben zuschreibt, wird kein Versuch unternommen, den Ausschlag zu beseitigen.

Die Furcht vor den weißen Ausländern ist unter den Kindern in den orientalischen Ländern noch weit verbreitet. Was bei uns der „schwarze Mann“ bewirkt, diesen Erfolg zeitigt bei den Orientalen und Fernorientalen der „weiße Mann“. Es ist dies wohl auf die strenge Abgeschiedenheit zurückzuführen, in der besonders früher die orientalischen Frauen gelebt haben und die sich naturgemäß auch in der Kinderwelt auswirken musste.

Die großen Reformbestrebungen der letzten Jahrzehnte sind auch der gesamten Kinderwelt zugutegekommen. Überall haben sich Kindergärten aufgetan, in denen die Jüngsten gehegt und gepflegt werden. Und lenkt man seine Schritte heute in die einst verschlossen gewesenen Länder der ferneren Welten, so ist man überrascht über die gewaltige Ausdehnung, die die Kinderfürsorge in der ganzen Welt genommen hat.

Auf der anderen Seite haben uralte Kindersitten und -gebräuche es verstanden, sich den Platz an der Sonne zu bewahren. Und man lässt ihnen das kindliche Vergnügen, lässt die Kleinen im chinesischen Dorfe ihr Mittagsschläfchen auf dem Bauche des Familienschweines vollziehen, lässt die kleinen sudanesischen Rangen sich gegen den ortsüblichen Backschisch zugunsten der Fremden wie Haimonskinder auf dem stets geduldigen Grautier fotografieren und einige junge Fellachinnen im Flügelkleide als „drei dunkle Grazien“ vor der Kamera posieren, weniger verlegen als die kleine buntschecktige Afrikanerschar aus Daressalam, die sich angesichts des „großen Glasauges“ sichtbar in verschiedenartigen Verlegenheiten ergeht.

Auch das Chinesenbaby auf der Mutter Arm wollte sich mit dem weißen Photographenmann nicht befreunden, während der kleine chinesische Hemdenmatz mit der drolligen Frisur - halb Pony, halb Kahlkopf - |sich schon freundlicher zeigte und die zierlichen japanischen Kinder in ihren neuen Wintermänteln sich als unerschrockene Modelle bewiesen. Kinder, die neue Mäntel oder Kleider tragen, sind in der ganzen Welt gleich glücklich und gleich eitel. –

In England genießen neben Amerika die kleinen Knaben und Mädchen unter den Kindern der zivilisierten Welt wohl die größte Freiheit. Das junge Herrchen oder kleine Fräulein werden, auch wenn sie erst fünf oder sechs Jahre alt sind, von den Dienstboten schon mit einem Titel angeredet: Master Charlie, Master Willie oder Miss Emily. Das Baby hat gewissermaßen keinen Namen, es behält die Würde der „Babyhood“, bis ein folgendes Kind ankommt. Dann erst wird es ein Kind wie seine Geschwister. Das jüngste Kind bewahrt stets, solange es im Hause bleibt, etwas von seinen Rechten und wird von den älteren Geschwistern noch lange als „unser Baby“ behandelt. Das liebe „Baby“, dem eigentlich das ganze Haus untertan ist, benennt, wie vielfach auch bei uns, Personen und Gegenstände nach einem eigenen Wörterbuch, das nur der Eingeweihte zu entziffern vermag.

In den Vereinigten Staaten besteht fast keine Schranke zwischen Kindern und Erwachsenen, was den geringen Respekt der jungen amerikanischen Generation vor allem gezeitigt hat, das nicht mehr so jung wie sie ist. Drollig sind die Manieren der amerikanischen „N-Wort“-kinder, die an Afrika und den fernen Orient erinnern oder an die jungen Buren, die uns durch ihre manchmal geradezu köstlichen Bewegungen und Spiele erfreuen. Auch mit den possierlichen Affen in unseren Tiergärten, deren Spiel wir so gerne beobachten, sind diese „N-Wort“-kinder zu vergleichen.

In Manila (Philippinen) führt von der Aylabrücke ein Weg nach der mitten im Pasigfluss gelegenen Insel Convalecencia, auf der sich das San-José-Asyl erhebt. An der einen Mauer befindet sich eine sogenannte ,,Drehlade“ für ausgesetzte Kinder. Bei ihrem Anblick musste ich der Kinderaussetzungen in China und der zahlreichen Findelhäuser in den romanischen Ländern, in Spanien und Italien, gedenken, wo sich ähnliche Vorrichtungen für Findelkinder befinden oder befunden haben, die verzweifelten Müttern die Erhaltung ihrer Kinder ermöglichen, allerdings unter Verzicht auf alle Rechte.

Also Kinderleid und Kinderfreud’, überall dasselbe in der ganzen Welt.

Bärchen hat Hunger. Idylle aus dem Kinderleben.

KIínder, Bärchen hat Hunger

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Kinder, Der wasserscheue Malaienjunge

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Kinder, Chinesischer Guckindiewelt

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Kinder, Drei Grazien aus dem Sudan

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Kinder, Ein Ruhestündchen in China

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Kinder, Jung-Afrika in Daressalam

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Kinder, Moderne japanische Kinder

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Medizin, Kinderelend, Diese Aufnahme ist ein Zufallsbild von einem öffentlichen Spielplatz in Berlin. Bei allen Kindern finden sich rhachitische Merkmale

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