Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Russland

Als in Folge der kriegerischen Ereignisse von 1866 die sämtlichen Großmächte und größeren Staaten des europäischen Festlandes ihre Heeres-Einrichtungen umgestalteten und die allgemeine Wehrpflicht einführten, konnte auch Russland hierin nicht zurückbleiben, das einer bedeutenden Machtentfaltung umso mehr bedarf, als es nicht nur die erste europäische Großmacht ist, sondern den Schwerpunkt seiner künftigen Politik nach Asien verlegt hat und dort früher oder später seine Grenzen durch das Schwert feststellen muss. Der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ist schon eine durchgreifende Umgestaltung des ganzen russischen Heerwesens vorangegangen.

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Eine Kommission der tüchtigsten und gebildetsten Offiziere hat die gesamte Wehrverfassung großenteils nach preußischem Vorbild neugeschaffen und auch bei Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ist man in Russland vorwiegend dem preußischen Vorbilde gefolgt, hat aber auch den Zweck der Heranbildung eines tüchtigen und gebildeten Offiziersstandes nicht aus dem Auge verloren. Zu diesem Behuf wurde versuchsweise bei einer Anzahl höherer Lehranstalten die militärische Erziehung und Einübung in den Lehrplan aufgenommen, wie dies die neue französische Heeresorganisation ebenfalls vorsieht.

An diese Neuerung knüpft unser Bild Seite 420 an, welche das Drillen der Zöglinge der Petersschule zu St. Petersburg vorstellt. Diese Maßregel ist in Russland anfangs mit einiger Kälte aufgenommen worden, allein sie ist eine sehr weise und zweckmäßige, denn sie flößt der Jugend ebenso sehr einen gewissen kriegerischen Geist und Patriotismus, wie einen regen Patriotismus und einen Begriff von der Notwendigkeit und Macht der Disziplin ein und hilft jene Kaste von gebildeten Berufssoldaten schaffen, ohne welche keine große Armee existieren und für einen kriegerischen Notfall sich eine genügende Anzahl gebildeter tauglicher Offiziere verschaffen kann.

Für Frankreich und Russland ist diese Einführung einer militärischen Erziehung und Einübung der Jugend in den höheren Schulen eine unerlässliche Notwendigkeit. Denn dort hat man seither nicht mit Erfolg Offiziere aus den Reihen der Soldaten und Unteroffiziere gezogen und die Masse des Heeres rekrutierte sich seither aus Volksschichten von einer für die heutigen Ansprüche an einen Offizier ganz unzulänglichen Bildung. Um daher den Übergang zu einem anderen Zustand leichter und zweckentsprechender zu machen, ist diese Neuerung eine sehr weise und zweckmäßige. Durch die allgemeine Wehrpflicht aber erhält Russland nicht nur die numerisch stärkste Armee der Erde, sondern auch ein treffliches Heer, denn der Russe liefert ein vorzügliches physisches Material für den Soldaten, und wenn die Söhne der gebildeten Stände neben den anderen Wehrpflichtigen aus dem Volke in Reih und Glied stehen, so wird auch durch die allgemeine Vertretung des intelligenten und gebildeten Elements der Wert der Armee noch bedeutend erhöht.