Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger - Erprobung des Raketenapparats

Aus: Archiv für Landeskunde in den Großherzogtümern Mecklenburg. Achtzehnter Jahrgang
Autor: Redigiert unter Verantwortlichkeit des Verlegers Hofbuchdruckers Sandmeyer, Erscheinungsjahr: 1868
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Rostock, Warnemünde, Seenotrettungsapparat, Lotsenkommandeur Jantzen,
Der Vorstand des Rostocker Bezirksvereins machte am 30. Juli auf dem Roggentiner Exerzierfelde Versuche mit dem von den Herren J. C. Haack und Sohn in Rostock konstruierten und für die Station Warnemünde bestimmten Raketenapparat. Die beiden Karren, welche denselben bilden, sind zweirädrig und so eingerichtet, dass sie einzeln oder mit einander verbunden gefahren werden können. Diese Konstruktion hat sich da bewährt, wo es gilt, in den Dünen oder an sehr sandigen Küsten mit den Karren zu operieren. Die Karren wurden einzeln, mit 2 Pferden bespannt, leicht fortbewegt; die Belastung war dem Gleichgewicht möglichst günstig verteilt, und hatten acht Mann auch keine große Anstrengungen zu machen, einen Karren zu ziehen. Der Auffindung einer durchaus praktischen Konstruktion der Karren hatten sich bisher Schwierigkeiten entgegengestellt. Glaubte man Anfangs den in Bremen konstruierten Karren seiner geringen Größe und der knappen Raumeinteilung wegen empfehlen zu können, so zeigte es sich doch bei den damit angestellten Versuchen, dass die Vorrichtung zum Auf- und Abwinden des Rettungstaues und der Holleinen, sowie die erforderliche Verankerung des Karrens teils zu kompliziert waren, teils zu viele Zeit in Anspruch nahmen. Die Herren J. C, Haack und Sohn haben nun den Apparat über zwei Karren verteilt, der eine Karren ist mit dem Rettungstau, den Holleinen und den Schießleinen belastet. Das Rettungstau befindet sich in der Mitte des Karrens zwischen den beiden Rädern auf einer Trommel, die in einem Bocke ruht und an beiden Seiten mit Handhaben zum Umdrehen versehen ist, und deren Bewegung durch ebenfalls an beiden Seiten angebrachte Gesperre gehemmt werden kann. Vor diesem Rettungstau liegt auf zwei Trommeln die Holleine. Die Trommeln ruhen auf einer Art Stühlen, die von dem Karren leicht abzunehmen sind, so dass sie, wenn sie bei der Benutzung an die Erde gesetzt werden, den Trommeln die freieste Bewegung gestatten. Diese Einrichtung erschien den Anwesenden ganz besonders sinnreich und praktisch, und man darf wohl annehmen, dass sie auch anderswo adoptiert wird. Die Stühle lassen sich überdies sehr leicht verankern, ein weiterer Vorzug, weil dadurch die Befestigung mit Pfählen vermieden wird, die immer größere Sorgfalt und Zeit beansprucht. Sichere Befestigung des Apparats in möglichst kurzer Zeit und auf eine den Küstenbewohnern geläufige Weise: diese Anforderungen erscheinen hier verwirklicht und glücklich vereinigt. Hinter dem Rettungstau liegen in drei Kisten die drei Schießleinen. Der zweite Karren dient zur Aufbewahrung und zum Transporte sämtlicher übrigen Gerätschaften. In verschiedene Fächer geteilt, die teils von oben und von beiden Seiten, teils von einer Seite zugänglich sind, nimmt derselbe die Anker, den Schießbock, die Zündstöcke, die Raketen, die Raketenstöcke, die Signalflaggen, die Zünder etc. auf. Für die einzelnen kleinen Gerätschaften sind in einem Fache lederne Taschen angebracht, so dass ihnen ein ganz bestimmter Aufbewahrungsplatz zugeteilt, und das Suchen hoffentlich ganz beseitigt ist. Die Karren sind mit der Peacock & Buchan'schen Kompositionsfarbe angestrichen, welche die hiesigen Vertreter dieser Fabrik, Herren C. F. Koch & Sohn, dem Bezirksvereine geschenkt haben. Die Schießversuche fielen sehr befriedigend aus. Man hatte ein Ziel auf 300 Schritte abgesteckt und das Wrack durch Aufstellung eines Pfahls und einer roten Flagge simuliert, welchen ein Abstand von etwa 15 Schritt gegeben war. Es galt nun, die Leine so zu schießen, dass, wenn jener Pfahl und die Flaggenstange erhöht als Masten eines Wracks gedacht würden, sie von diesen aufgefangen wären. Die Aufstellung des Raketenbocks wurde absichtlich möglichst ungünstig hinsichtlich der Windrichtung genommen. Die Schießleine ward im Kasten gelassen, und dieser, etwas nach vorne gerichtet, seitwärts vor dem Raketenbock aufgestellt.

Ein sehr heftiges Gewitter mit schweren Regengüssen war diesem Versuche unmittelbar voraufgegangen; die Schießleine war nicht ganz trocken geblieben, auch hatte beim ersten Schuss die obere Lage der Leine wohl nicht ganz glatt gelegen. Die Elevation zeigte 34°, Distanz 300 Schritt, Wind halb seitlich, Richtung: Mitte des Ziels. Die Rakete flog im schönsten Bogen und schlug etwa 15 Schritt hinter und 20 Schritt rechts vom Ziele ein; die Leine zeigte in der Nähe der Rakete einige Knoten und Verschlingungen, war dann aber ganz glatt abgelaufen, erwies sich indessen als zu kurz, denn ihr Ende lag etwa 50 Schritt vom Raketenbock entfernt. Der zweite Schuss, bei 36° Elevation, 300 Schritt Distanz, gleichem Winde, Richtung: etwa 20 Schritte links vom Ziel, gelang besser. Die Rakete schlug in gerader Richtung etwa 200 Schritt jenseits des Ziels ein, die Schießleine lief ganz glatt ab und ward vom Winde nach leiser Berührung des Ziels rechts von demselben hingelegt. Auch diesmal erwies sich die Leine als zu kurz. Der dritte Schuss, 44° Elevation, 300 Schritt Distanz, gleicher Wind, gleiche Richtung, der Leinenkasten etwas mehr vor dem Raketenbocke, das Ende der Leine an einem vor demselben eingesteckten Pfahl befestigt, um zu ermitteln, ob die Leine dadurch im Bereiche des Raketenbockes gehalten werden könne und deren Verlängerung erforderlich sei oder nicht. Die Rakete schlug 170 Schritt jenseits des Zieles ein, die Leine lief wieder ganz glatt ab; der Pfahl wurde aber mit fortgeführt, und zwar fast ebenso weit wie bei den voraufgegangenen Schüssen das Ende der Leine. Die Leine berührte das Ziel, ward vom Winde aber über die Flaggenstange gestreift und fiel rechts vom Ziele nieder, aber so nahe, dass, das Ziel als Mittel-Punkt eines Wrackes gedacht, sie auf diesem geblieben wäre. Das Resultat der Versuche war also, dass die Schießleinen zu verlängern sind, die bei dem Versuche in Warnemünde von einer Seite als unpraktisch bezeichnete Aufschießung der Leine im Kasten und deren Abwickelung beim Schuss aus dem Kasten sich als außerordentlich praktisch erwiesen hatte; denn obgleich die Leine manche feuchte Stellen zeigte, war sie stets vollkommen glatt abgelaufen.

Die Versuche fanden unter Leitung des Bezirksvorstandes sowie des Lotsenkommandeurs Jantzen aus Warnemünde und des Navigationslehrers C. Agrell aus Wustrow statt und liefen ohne jeden Unfall ab. Leider störte der noch immer sanft fallende Regen die vollständigen Versuche der Ausbringung des Rettungstaues; immerhin ließen die angestellten kleineren Versuche auf die Vorzüglichkeit der ganzen Einrichtung schließen, so dass die Karren nach Warnemünde gebracht und dort definitiv in Dienst gestellt wurden.