Fünftes Kapitel - Als der Frühling vorrückte und wärmeres Wetter einkehrte, wurde der Klausner ...

Als der Frühling vorrückte und wärmeres Wetter einkehrte, wurde der Klausner häufiger vor seinem Hause auf dem breiten, flachen Steine gesehen. Eines Tages saß er auch wieder dort. Da sprengte gegen Mittag eine Gesellschaft von Herren und Damen mit zahlreicher Begleitung über die Heide, in kurzem Abstand von seiner Steinhütte, vorbei. Hunde, Falken, Handpferde mehrten das Gefolge. Lustig schallte durch die Luft Jägerruf und Hörnerklang. Grade wollte der Klausner sich dem Anblick des fröhlichen Zuges durch die Flucht in seine Hütte entziehen, als drei junge Damen mit ihren Dienern vom Moore herüber geritten kamen. Neugierde trieb sie zu dem weisen Manne vom Mucklestane-Moor, und um sie zu stillen, hatten sie sich von der Jagdgesellschaft getrennt und einen Umweg nicht gescheut.

Die erste kreischte und hielt sich die Hand vor die Augen, als sie solch seltsamen Geschöpfes ansichtig wurde. Die zweite suchte den Schreck, den sie bekam, durch hysterisches Lachen und durch die Frage, ob ihr der Zwerg ihr Schicksal künden könne, zu verstecken. Die dritte, die am besten beritten und am vornehmsten gekleidet war, unzweifelhaft auch die Schönste von allen war, trat, wie wenn sie die Unart der andern gut machen wollte, zu dem Zwerge heran.


»Wir sind vom rechten Wege abgekommen, der durch die Sümpfe hier führt,« sprach die junge Dame, »und unsre Gesellschaft ist ohne uns weiter geritten. Da wir Euch nun vor der Hütte sitzen sahen, Vater, sind wir hergekommen, um –«

»Still!« fiel ihr der Zwerg ins Wort, »so jung noch und doch schon so listig! Ihr seid hergekommen, und wißt, daß Ihr hergekommen seid, um Euch angesichts von Alter, Armut und Häßlichkeit Eurer Jugend, Eures Reichtums und Eurer Schönheit zu freuen! Ein Tun würdig der Tochter Eures Vaters und doch ungleich dem Kind Eurer Mutter!« »Waren denn meine Eltern Euch bekannt und kanntet Ihr mich?«

»Ja! Vor meinen wachen Augen zeigt Ihr Euch zum erstenmal, aber in meinen Träumen habe ich Euch oft schon gesehen.«

»In Euren Träumen?«

»Ja, Isabel Vere! Denn was hast du mit meinen wachen Gedanken, was haben die deinigen mit ihnen zu schaffen?«

»Eure wachen Gedanken, Alterchen,« sprach die zweite mit einem Anflug von spöttischem Ernst, »suchen zweifelsohne die Weisheit, und Torheit kann den Weg zu Euch nur finden, wenn Ihr schlaft.«

»über deine Gedanken,« versetzte der Zwerg mit größerem Verdruß, als sich für einen Klausner und Philosophen schickte, »herrscht Torheit immer, sowohl im Wachen als im Schlafen.«

»Steh' uns Gott bei!« rief die Dame, »der Mann ist sicher ein Prophet!«

»Gewiß,« versetzte der Klausner, »gleichwie du ein Weib bist! Ein Weib? Besser sagte ich wohl Dame und noch besser seine Dame! Ihr habt die Frage an mich gerichtet, ob ich Euch das Schicksal künden wolle. Ihr wandelt bloß eine Bahn im Leben, die Bahn der Torheit! Ihr jagt eingebildetem Gut nach, das der Jagd nicht wert ist und, kaum erhascht, beiseite geworfen wird! Aber seit den Tagen der Kindheit, da Ihr noch nicht fest wart auf den Beinen, bis hinauf ins Greisenalter, wo Ihr an Krücken wandeln werdet, treibt Ihr solch Jagen ohne Unterlaß! Nach Spielzeug und Zeitvertreib als Kind, nach Liebesgetändel mit all seiner Torheit als Dirne, nach Kartenspiel als Greisin: all das wird nacheinander Eures Jagens Ziel und Zweck sein! Blumen und Schmetterlinge im Frühling, Schmetterlinge und Distelvögel im Sommer, welkes Laub im Herbst und Winter: nach all dem jagt Ihr und all dies wird, habt Ihr's erjagt, von Euch beiseite geworfen! Geht! Euer Schicksal ist gekündet!«

»Aber erjagt wird's!« rief lachend die Schöne, eine Base von Miß Isabel, »und das ist doch wenigstens etwas! – Nancy,« wandte sie sich an die furchtsame Schöne, die den Zwerg zuerst gesehen hatte, »Nancy, willst du den Zwerg auch um dein Schicksal fragen?«

»Um keinen Preis der Welt,« versetzte die Gefragte und wandte sich ab, »ich habe sattsam genug von dem deinigen!«

»Nun, so will ich Euch für Eure Wahrsagerei,« rief Miß Ilderton und bot dem Zwerge Geld, »zahlen, als wenn einer Prinzessin das Orakel verkündet worden wäre.« »Die Wahrheit,« rief der Zwerg, »kann weder gekauft werden noch verkauft werden!« und stieß die angebotene Gabe mürrisch und mit Verachtung von sich.

»Je nun, Herr Elshender,« lachte die Dame, »wer nicht will, der hat schon! So will ich denn mein Geld behalten und es verbrauchen auf der Jagd, die ich jetzt vorhabe.«

»Behaltet's, denn Ihr werdet's brauchen!« versetzte der grobe Zwerg, »ohne Geld jagen nur wenige und weniger noch werden gejagt! Halt!« wandte er sich zu Miß Vere, als deren Begleiterinnen sich entfernten, »mit Euch habe ich mehr zu sprechen! Denn Ihr besitzet alles, wonach die anderen dort trachten, wessen sie sich heuchlerisch rühmen: Schönheit, Reichtum, hohen Stand und die Gaben einer vornehmen Erziehung.«

»Verzeiht mir, Vater, wenn ich jetzt meinen Kameradinnen folge. Gegen Schmeichelworte bin ich nicht minder unempfindlich als gegen prophetische Worte.«

»Bleibt,« rief der Zwerg und faßte ihr Pferd am Zügel, »ich bin weder Prophet im gemeinen Sinne des Worts noch Schmeichler. Zu jeglichem Vorteil, dessen ich Euch Erwähnung tat, gehört sein Nachteil: unglückliche Liebe, bekämpfte Neigung, verhaßte Ehe, Düsterheit des Klosters! Ich wünsche allen Menschen Böses, doch Euch kann ich nichts Böses mehr wünschen, so viel durchkreuzt von Bösem ist Eures Lebens Lauf!«

»Nun, Vater! Wenn dem so ist, dann gönnt mir, was mir jetzt geboten wird: Unglück zu trösten, solange ich noch in Wohlstand bin. Ihr seid alt, seid arm! Eure Hütte liegt weit ab von menschlicher Hilfe, wenn Ihr krank seid oder Mangel leidet. Die Seltsamkeit Eurer Lage gibt Euch dem Argwohn des Pöbels preis, der allzeit geneigt ist zu rohem Tun. Gönnet mir den Trost, zur Besserung eines Menschenloses mein Scherflein beigesteuert zu haben! Nehmt an, was ich Euch als Beistand zu bieten vermag. Tut's, wenn nicht um Euret-, so um meinetwillen, damit ich mich, falls sich die Übel, die Euer Prophetengesicht vielleicht allzu richtig erschaut, wirklich einstellen sollten, des Gedankens zu erfreuen vermöge, daß die gücklichere Zeit meines Lebens nicht völlig umsonst verflossen sei.«

Der alte Mann antwortete, fast ohne sich zu der jungen Dame zu wenden, mit einer Stimme, die fast gebrochen klang:

»Ja, Isabel! So solltest du denken und sprechen, sofern Menschenwort und Menschensinn jemals was zusammen gemein haben! Das ist der Fall nicht... ach! das ist nicht möglich, und doch ... wart' einen Moment, Mädchen, ... und rege dich nicht, bis ich wieder da bin!« Er begab sich in sein Gärtchen und kehrte bald wieder mit einer aufgeblühten Rose in der Hand. »Du bist Ursach' gewesen, daß ich eine Träne vergoß, die erste, die mein Augenlid seit Jahren genetzt hat. Um dieser guten Tat willen nimm dies hier zum Zeichen meines Dankes! Es ist bloß eine Rose, aber hüte sie und trenne dich nicht von ihr! Nahet dir Unglück, so komm zu mir! Zeige mir die Rose oder auch nur ein Blatt von ihr, und wäre es gleich verwelkt wie mein Herz! Blatt oder Rose wird mich zu sanftem Sinne bringen, auch wenn ich von wildestem Zorn gegen die mir verhaßte Welt geschüttelt werde, und dir vielleicht glücklichere Aussicht! Aber –« schrie er mit seiner gewöhnlichen, feindlich klingenden Stimme, »keinen Boten, keinen Zwischenträger! Komm selber, denn dir und deinem Kummer werden sich Herz und Tor öffnen, die sich verschlossen halten gegen jegliches andre irdische Wesen ... Und nun, Mädchen, geh deines Wegs weiter!«

Er gab dem Pferde den Zaum frei; das junge Fräulein dankte dem seltsamen Menschen, soweit sie durch ihr Staunen über die absonderliche Art seiner Anrede nicht daran gehindert wurde, und ritt weiter. Wiederholt wandte sie sich um, auf den Zwerg zu blicken, der an der Tür seiner Hütte stehen blieb und ihre Rückkehr nach dem väterlichen Schlosse Ellieslaw beobachtete, bis die Jagdgesellschaft hinter dem Rücken des Hügels verschwunden war.

Unterwegs trieben die Damen untereinander Scherz über das seltsame Zwiegespräch, das sie mit dem weitberühmten Weisen des Moors geführt hatten, und neckten vor allem Miß Vere.

»Isabel hat immer Glück, zu Haus und draußen! Ihr Falke fängt das Birkhuhn, ihre Augen verwunden die jungen Herren, uns andern bleibt nichts übrig! Sogar der Zwerg im Moore kann der Kraft ihrer Reize nicht widerstehen. Aus Mitleid, Isabel, solltet Ihr aufhören, alles für Euch in Beschlag zu nehmen oder solltet doch wenigstens einen Laden aufmachen, um an andre zu verkaufen, was Ihr für den eignen Gebrauch nicht aufstapeln möget!«

»Nun, Ihr könnt meine Waren haben zu gar billigem Preise und den Zwerg als Zugabe!« versetzte Miß Isabel.

»Nancy soll den Zauberer haben,« meinte Miß Ilderton, »zum Ausgleich ihrer Mängel! Sie selber ist, wie Ihr wißt, noch nicht ganz Hexe!«

»Jesus, Schwester!« rief die jüngere, »was könnte ich anfangen mit solch furchtbarem Ungetüm? Als mein erster Blick auf ihn gefallen, schloß ich die Augen – und fürwahr! mir ist es noch immer gewesen, als sähe ich ihn, trotzdem ich die Lider so fest schloß wie möglich!«

»Schade, schade!« versetzte die Schwester, »wähle dir nur immer einen Verehrer, dessen Fehler, wenn du ein Auge zudrückst, verborgen bleiben können. Nun denn, ich sehe schon, ich muß ihn selber nehmen, um ihn in Mamas Kabinett unter dem Porzellan aufzuheben zum Zeichen, daß Schottland ein Stück aus Menschenton zu erzeugen vermag, zehntausendmal häßlicher als die unsterblichen Künstler von Canton und Peking, so fruchtbar dieselben auch an solchen Ungetümen sein mögen.«

»Die Lage dieses ärmsten unter den Menschen,« versetzte Miß Vere, »bietet des Trübseligen soviel, daß es mir nicht möglich ist, Lucy, auf deine Scherze so bereitwillig einzugehen wie sonst. Wie kann es sein, daß er in so ödem Striche so fern von allen Menschen leben kann? Und wenn er über Mittel gebietet, sich im Falle von Not oder Bedarf Beistand zu schaffen, steht dann nicht zu befürchten, daß ihn solcher Umstand, wenn er ruchbar wird, in Gefahr setzt, von unruhigem Nachbarsvolk beraubt und ermordet zu werden?«

»Du vergißt ja aber ganz, daß er ein Zauberer ist!« meinte Nancy Ilderton.

»Und falls ihm seine Zauberkunst nicht reichen sollte,« setzte Nancys Schwester hinzu, »dann kann er sich doch mit aller Ruhe auf den natürlichen Zauber verlassen, den er selber übt, braucht bloß mit dem Ungetümen Kopf und dem greulichen Gesicht aus Tür oder Fenster zu gucken, und der verwegenste Räuber, der je auf einem Pferde gesessen, würde es kaum riskieren, sich ihn zum andern Male anzusehen, wenn er ihn das erste Mal richtig gesehen hat. Fürwahr! Ich wünschte bloß, dieses Gorgonenhaupt stände mir eine halbe Stunde zu freier Verfügung!«

»Zu welchem Zwecke, Lucy?« fragte Miß Isabel.

»Den finstern, steifen, stolzen Sir Frederick aus dem Schloß zu verscheuchen, der wohl ein Günstling deines Vaters ist, sich aber deiner Gunst nicht im geringsten erfreut. Mein Leben lang, glaube mir, will ich dem Zauberer dankbar sein für die halbe Stunde, die er uns bei sich festhielt und von der Gesellschaft dieses abscheulichen Menschen befreite!« »Was würdest du sagen, Lucy,« fragte Miß Vere in so leisem Tone, daß die jüngere Schwester sie nicht hören konnte, die ihnen ein kurzes Stück voraus war, weil der enge Pfad nicht Raum genug bot, daß drei Personen nebeneinander ritten, »was würdest du sagen, Lucy, zu dem Ansinnen, seine Gesellschaft dein Leben lang zu ertragen?«

»Dreimal nein würde ich schreien und jedesmal lauter als vorher, bis man mein Geschrei in Carlisle hörte.«

»Dann würde Sir Frederick sagen: neun Körbe sind einem halben Jawort gleich!«

»Das hängt ganz ab von der Weise, wie ein Korb gegeben wird! Aus einem Korbe von mir sollte er kein Quentchen eines Jaworts herausdrücken können!«

»Wenn aber nun dein Vater sagen würde.« wandte Miß Vere ein, »tu das, oder –«

»Dann würde ich seinem Oder und all den Folgen, die es bringen könnte, trotzen und wäre er der grausamste aller Väter, von denen jemals in Romanen die Rede gewesen!«

»Und wenn er dir drohte mit einer Tante katholischen Glaubens, mit Äbtissin und Kloster?«

»Dann würde ich ihm drohen,« versetzte Miß Ilderton, »mit einem Schwiegersohn protestantischen Glaubens und jede Gelegenheit zum Ungehorsam wegen solcher Gewissenssache gern wahrnehmen. Da uns Nancy nicht hören kann, laß mich jetzt dir sagen, daß du meiner Ansicht nach recht handelst vor Gott und den Menschen, wenn du dieser unheilvollen Heirat auf alle Weise und mit allen Mitteln widerstrebst! Sir Frederick Langley ist ein finsterer, stolzer, ehrgeiziger Mann, ehrlos aus Habsucht und Strenge, ein Verschwörer gegen Gesetz und Staat, ein schlechter Bruder, bösartig gegen alle Verwandten und aller edeln Gesinnung bar – ich ginge lieber in den Tod, Isabel, als daß ich mit ihm in das Ehebett stiege!«

»Laß meinen Vater nicht merken, daß du mir solchen Rat gibst, Lucy,« antwortete Miß Vere, »sonst müßtest du dem Schlosse Ellieslaw Lebewohl sagen!«

»Von Herzen gern sage ich dem Schlosse Lebewohl,« versetzte die Freundin, »wenn ich dich nicht frei und unter dem Schutze eines liebevollern Mannes sehen kann, als die Natur dir gab. Ach, besäße bloß mein armer Vater noch seine einstige Gesundheit und Stärke! Wie gern hätte er dich bei sich aufgenommen und dich beschützt, bis von diesem häßlichen, grausamen Ansinnen kein Wort mehr verlautete!«

»Wollte Gott, Lucy, dem wäre so!« antwortete Isabel, »ich befürchte aber, Euer Vater bei seiner schwachen Gesundheit vermöchte mich nicht wider all die Maßnahmen zu schützen, zu denen sofort geschritten werden würde, die arme, flüchtige Dirne zurückzuholen!«

»Das fürchte ich freilich auch,« gab Miß Ilderton zur Antwort, »aber laß uns überlegen, Isabel, ob sich ein Ausweg für dich bietet! Der Zeitpunkt ist günstig! Dein Vater mit seinen Gästen hat sich, wie sich aus dem Hin und Her von Boten und aus den seltsamen Gesichtern der Menschen schließen läßt, die kommen und verschwinden, ohne daß man hört, wer sie seien, nicht zum wenigsten auch aus dem Aufspeichern von Waffen und aus der ängstlichen Gespanntheit und der Ruhelosigkeit schließen läßt, die jetzt im Schlosse herrschen, in böse Dinge eingelassen, in ein Komplott, meine ich, gegen König und Staat. Ich meine, es möchte uns gerade jetzt wohl möglich sein, ein kleines Komplott einzufädeln als Pendant zu dem andern und größeren, das ganz sicher im Werke ist! Hoffentlich haben die Männer nicht alle Klugheit und Schlauheit für sich gepachtet; einen von ihnen als Mitverschworenen möchte ich gern zulassen in unserm Rat!«

»Doch nicht Nancy?«

»O nein,« versetzte Miß Ilderton, »Nancy mag ja ein ganz treffliches Mädchen sein, dir auch sehr zugetan und anhänglich sein, bei einem Komplott möchte sie aber eine gar einfältige Rolle spielen, wie etwa Renault und die Verschwörer untergeordneter Rolle im »Geretteten Venedig«*) – nein, einen Mann meine ich, einen Dschaffir oder Pierre, wenn dir der letztere Charakter besser gefällt! Aber wenn ich auch weiß, daß er dir nicht mißfällig ist, so möchte ich doch, um dich nicht zu ärgern, seinen Namen nicht nennen. Kannst du nicht raten? Der Name hebt an mit dem Worte, das wir Schotten für den König der Lüfte lieben und endet mit dem bei Schotten und Engländern gebräuchlichen Worte für Klippe und Fels!«

»Doch nicht der junge Earnscliff, Lucy?« fragte Miß Isabel, tief errötend.

»Wen anders sollte ich meinen?« fragte Lucy, »Dschaffirs und Pierres wachsen bei uns im Lande nicht wie Pilze, scheint mir, dagegen gibt's Renaults und Bedamars in Hülle und Fülle!«

»Lucy! Wie kannst du solch tolles Zeug schwatzen? Theaterstücke und Romane haben dir den Kopf verdreht! Du weißt recht gut, daß ich niemand heiraten will und werde, dem mein Vater die Einwilligung weigert; und daß sie solchenfalls nie gegeben würde, weißt du auch! Dagegen weißt du vom jungen Earnscliff nichts, gar nichts! Was du dir denkst, beruht bloß auf Mutmaßungen oder Einfällen, und an den verhängnisvollen Zwist, an dieses unselige Hindernis denkst du gar nicht!«

»Du meinst den Zwist, in welchem sein Vater um das Leben kam?« fragte Lucy; »ach, das ist schon lange her! Und hoffentlich haben wir beide die Zeiten der Blutrache hinter uns, in denen ein Streit zwischen zwei Sippen sich gleich einem spanischen Schachbrett vom Vater auf den Sohn vererbte und bei jeder Generation ein Doppelmord vorkam, um solch Unheil nicht aussterben zu lassen. Heute machen wir's mit einem Zwist wie mit einem Kleide: jeder hat seinen besonderen Schnitt und trägt seinen besonderen Rock; einen Zwist aus unsrer Väterzeit zu rächen, daran denken wir so wenig wie ihre geschlitzten Wämser und Pluderhosen zu tragen.«

»Lucy, du behandelst die Sache zu leichtfertig,« antwortete Miß Vere.

»Keineswegs, liebe Isabel!« sagte Lucy, »bedenke doch, dein Vater war freilich anwesend bei der unseligen Rauferei, aber niemand hat die Vermutung geschöpft, daß er es gewesen, der den tödlichen Stoß führte! Zudem waren in früherer Zeit nach blutigem Kampfe zwischen Clans spätere Familienbündnisse so wenig ausgeschlossen, daß vielmehr die Hand einer Tochter oder Schwester als das häufigste Pfand für die Wiederaussöhnung galt. Du spottest über meine Belesenheit und über meine Kenntnis von Romanen, allein ich versichere dich, wenn deine Geschichte als Vorwurf genommen würde zu einem Romane, wie es geschehen ist mit mancher Heldin geringern Verdiensts und größern Unglücks, so würde jeder verständige Leser dich zu Earnscliffs Herzensdame gerade um des Hindernisses willen bestimmen, das du für unübersteigbar hältst.«

»Wir leben aber in keiner Zeit der Romantik mehr, sondern in einer Zeit der traurigen Wirklichkeit, denn dorten steht Schloß Ellieslaw!«

»Und dort steht Sir Frederick Langley am Tor und wartet auf die Damen, um ihnen beim Absteigen zu helfen ... ich faßte schon lieber eine Kröte an, als daß ich ihm die Hand dazu reichte! An mir soll seine Hoffnung irre werden. Ich nehme mir den alten Horsington, den Stallknecht, zum Stallmeister!«

Bei diesen Worten trieb die lebhafte junge Dame ihren Zelter durch kräftige Hiebe mit der Peitsche an und sprengte mit luftigem Nicken bei Sir Langley vorbei, grade als er sich anschickte, ihrem Zelter in den Zügel zu fallen, und schwang sich dem alten Stallknecht in den Arm. Miß Isabel hätte gar zu gern ihr nachgeahmt, getraute es sich aber nicht, weil ihr Vater dabei stand und Groll bereits sein Gesicht zu verdunkeln anfing, das zum Ausdruck böser Leidenschaft besondere Eignung hatte. Sie hielt es für geratener, des verabscheuten Bewerbers Höflichkeiten, so unwillkommen sie ihr waren, über sich ergehen zu lassen.




*) Ein im Jahre 1681 von Thomas Otway gedichtetes, in der englischen Literatur berühmtes Trauerspiel, dessen Tendenz sich gegen die damals in England überhand nehmenden konventionellen Begriffe von Liebe, Ehre und Heldentum richtet. A. d. Ü.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der schwarze Zwerg