Der gegenwärtige Zustand der russischen Marine

Magazin für die Literatur des Auslandes, Bände 25-26
Autor: Lehmann, Joseph (?), Erscheinungsjahr: 1844
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Seemacht, sittliche Zustände, Zustand der Marine,
Der Zustand der russischen Seemacht ist noch wenig bekannt, so wie man überhaupt nicht recht weiß, welchen Rang man derselben einräumen soll, da sie noch nicht die Feuerprobe eines Kampfs mit England bestanden hat. Wir geben im Nachstehenden einige Mitteilungen über diese, welche zunächst Russlands politische Stellung unter gewissen Konjunkturen der Zukunft andeuten und sodann auch einen Beitrag zur Charakteristik der sittlichen Zustände dieses Landes liefern. Zuvor einige Bemerkungen über das Verhältnis der Seemächte überhaupt England gegenüber.

Wenn man den gegenwärtigen Zustand der Marine bei den verschiedenen Nationen betrachtet, so wie die durch die Einführung der Dampfschifffahrt Hervorgebrachten Veränderungen, so kommt man zu einem doppelten Schluss: erstens, dass das Übergewicht Englands zur See nie größer und entschiedener war als jetzt, und zweitens, dass die relative Bedeutung dieses Übergewichts wesentliche Modifikationen erfahren hat, insofern jeder Kampf gegen dasselbe jetzt mit der raschen und vollständigen Vernichtung des Gegners enden muss. Bisher war eine besiegte Marine noch nach ihrer Niederlage furchtbar; selten war sie ganz vernichtet oder auch nur auf völlige Ohnmacht reduziert; die Flotten des Siegers waren Jahre lang genötigt, den Hafen zu bewachen, in den sich ihre Trümmer geflüchtet hatten. Das wird in Zukunft anders sein. Der Dampf, die Anwendung der hohlen Wurfgeschosse, die größere Vollkommenheit, die man täglich in der Konzentration der Bordfeuer erreicht, neutralisieren die Vorteile jener von Forts geschützten Häfen, in welchen eine geschlagene Flotte sonst ein sicheres Asyl fand. Welcher Wind, welche Strömungen werden den Sieger bei der Verfolgung des Feindes hindern, sich rasch mit Hilfe des Dampfs nach jedem beliebigen Punkt hinzubegeben. Welche Befestigungen können der Artillerie der Schiffe widerstehen, sobald man derselben jede beliebige Stellung geben kann? Dabei sprechen wir hier noch nicht von den ungeheuren Hilfsquellen, die der Dampf als Zerstörungsmittel bietet, in Verbindung mit den, Gebrauch des Eisens statt des Holzes, des Eisens, das, mit mehr Kraft als das Holz, je nach der Gestalt, die man ihm zu geben weiß, wie Kork schwimmen kann ein ganz neuer Zweig der Kriegskunst ist hier im Werden begriffen.

Die Geschichte gibt uns Beispiele von feindlichen Marinen, von denen die minder mächtige oder minder glückliche ihrer Nation im Ganzen mehr Vorteile verschaffte, als ihre siegreiche Nebenbuhlerin der ihrigen. Solche Anomalien werden in Zukunft nicht mehr vorkommen; denn es ist klar, dass von jetzt ab jedem Staat, der gegen eine überlegene Seemacht Krieg führt, seine Marine nicht etwa verhältnismäßig, sondern absolut nutzlos sein wird. Diese Wahrheit, so wie die Schwäche aller fremden Seemächte ohne Ausnahme in einem Kampf mit Großbritanien, sind Tatsachen, die sich allen verständigen Geistern aufgedrängt haben.

Obwohl zuzugeben ist, dass die dänischen, holländischen, griechischen und schwedischen Seeleute als solche denen aller anderen Völker, mit Ausnahme der Engländer, überlegen sind, so gibt es doch nur drei Mächte, welche, in Betracht des Umfangs ihrer maritimen Streitkräfte und ihrer Hilfsquellen, als eigentliche Seemächte betrachtet werden, nämlich Frankreich, Russland und die Vereinigten Staaten. Dass dieselben einzeln gegen England nichts ausrichten, bedarf keines Beweises; es ist also nur die Frage, ob sie vereinigt etwas vermögen. Jedenfalls muss England, wenn es eine dieser drei Mächte angreift, darauf gefasst sein, sich mit allen dreien in einen Kampf verwickelt zu sehen, der auf immer über die Herrschaft des Meeres entscheidet. Denn je mehr ihnen das Übergewicht der englischen Seemacht zum Bewusstsein kommt, desto mehr werden sie fühlen, wie wichtig es für sie ist, so oft eine von ihnen mit England in Kampf sein wird, eine Gelegenheit zu benutzen, die sich nicht mehr mit gleichem Vorteil darbieten wird, sobald eines von den Mitgliedern der Koalition erdrückt ist. Zwischen dieser Politik und der Aufgebung jeder Idee, der englischen Übermacht gegenüber eine Marine zu unterhalten, ist ihnen allein die Wahl gelassen.

Vergleichen wir nun die Streitkräfte und Hilfsquellen dieser drei Mächte mit denen Englands, so finden wir, dass dieses letztere dreimal so viel Seeleute besitzt als seine drei vereinigten Gegner, dass es zur Not viermal so viel Dampfbote ins Meer schicken könnte, als die ganze übrige Welt, und endlich, dass es allein in sich die pekuniären Hilfsquellen finden würde, die zur Bestreitung so riesenhafter Rüstungen erforderlich sind.

Die Handels-Marine Großbritaniens besteht in runden Zahlen aus 27.000 Segelfahrzeugen von über dreißig Tonnen, deren gesamter Tonnengehalt sich auf drei Millionen beläuft. Die Handels- und die Kriegs-Marine beschäftigen mehr als 220.000 Matrosen; dazu kommen noch 150,000 Mann auf den Fischerboten und den Fahrzeugen unter dreißig Tonnen, was also einen Totalbestand von 370.000 Seeleuten ergibt.

Die vereinigten Handels-Marinen von Frankreich, Russland und den Vereinigten Staaten belaufen sich nur auf 1.700.00 Tonnen (wobei natürlich die innere oder Flussschifffahrt nicht mitgerechnet ist). Die Gesamtzahl der in diesen Staaten bei der Schifffahrt beschäftigten Individuen übersteigt nicht 240.000 wovon 100.000 wenigstens den Namen Seeleute nicht verdienen.

So hat Frankreich 5.000 Fahrzeuge von über 30 Tonnen, die zusammen 600.000 Tonnen repräsentieren. Die Mannschaften seiner Handels- und Kriegs. Marine, seine Fischer, Fährmänner u. s. w. belaufen sich, mit Inbegriff der Leute, die ihren Dienst zur See abgelegt haben, nicht auf 90.000 Individuen. Das Tonnengehalt der Handels-Marine der Bereinigten Staaten beträgt nach den offiziellen Registern zwei Millionen, wovon auf die Seeschifffahrt nur die Hälfte kommt; die Zahl der Mannschaften beträgt 90.000, wovon die Hälfte bei der Flussschifffahrt beschäftigt ist und 25.000 englische Untertanen sind, die man vermittelst eines starken Soldes auf englischen Schiffen angeworben hat. Doch sind gerade diese Republikaner noch die furchtbarsten Gegner Englands, namentlich durch die vielen Ateliers, welche bei ihnen zur Erbauung der Lokomotiven und Maschinen für die zahllosen Fahrzeuge ihrer Seen und Flüsse beschäftigt sind und vermittelst deren sie leicht große Dampfschiffe herstellen können.

Russland hat keine Handels-Marine, mit Ausnahme einiger Bote und anderer Fahrzeuge, die nur ungefähr 10.000 Finnen beschäftigen, während seine Kriegs-Marine 50.000 Matrosen oder Marine-Soldaten zählt.

Großbritanien besitzt 120 Linienschiffe und 140 Fregatten. Im Jahre 1850 zählte man in der ganzen übrigen Welt nur 175 Linienschiffe und 195 Fregatten; hiervon kamen auf die Vereinigten Staaten, Frankreich und Russland zusammen 120 Linienschiffe und 117 Fregatten.

Die Tatsachen und Zahlen beweisen also erstens, dass die englische Gesamt-Marine denen jener vereinigten Mächte numerisch überlegen ist, und zweitens, dass die Kriegs-Marine Englands im Verhältnis zu den Hilfsquellen, die seine Handels-Marine darbietet, die kleinste ist, und dass, wenn es diese Hilfsquellen in gleichem Grade, als seine Rivalen, benutzen wollte, es auch numerisch allen Marinen der Welt zusammen überlegen wäre.

Wir gehen jetzt zur russischen Marine insbesondere über. Es ist schwer, von der russischen Marine und überhaupt von den Einrichtungen Russlands zu sprechen, ohne an Denjenigen anzuknüpfen, welcher der Gründer derselben war und dessen Biographie die ruhmvollste Periode ihrer Geschichte enthält. Als Peter I. den Plan fasste, auf den jüngst eroberten Inseln des Newa-Deltas, unter den Kanonen der Schweden, eine Stadt und eine Flotte zu erbauen, so lag in diesem Gedanken eine Kühnheit, die der Erfolg gerechtfertigt hat. Wenn wir einige Jahre später sehen, wie er seinen Triumph-Einzug in die Hauptstadt hält, die aus dem Schoße der Sümpfe emporgestiegen war, mit gerechtem Stolz jene Wohnungen und Paläste betrachtend, die an der Stelle der Binsen sich erhoben hatten, begrüßt von dem Zuruf eines Volkes, da, wo er sonst nur das Geschrei der Möwen und das Quaken der Frösche gehört hatte; wenn die Geschichte uns erzählt, dass dieser Einzug nach einem Seesiege stattfand, der über die Schweden mit derselben Flotte erfochten worden, die einige Jahre früher noch nicht existirt und deren Schöpfung er geträumt hatte, ohne einen einzigen Arbeiter zu haben, um seine Schiffe zu erbauen, die noch aufrecht im Walde standen, ohne einen Matrosen, sie zu lenken, ohne einen Hafen, sie aufzunehmen; wenn wir solche Wunder betrachten, so müssen wir gestehen, dass uns die Geschichte der Vergangenheit nichts Ähnliches darbietet, außer etwa die Entwickelung der römischen Seemacht gegenüber dem maritimen Übergewicht der Karthager. Es ist bekannt, dass Peter selbst einer der kühnsten und geschicktesten Seemänner seiner Zeit war, und dass er alle auf den Schiffbau bezügliche Kenntnisse bis in das tiefste Detail besaß, dass er mit einem Wort selbst Zimmermann, Matrose und Steuermann war. Daher wusste er auch besser als jeder Andere die Tauglichkeit der Matrosen und Offiziere, die er aus dem Ausland kommen ließ, zu beurteilen. So schlug er mit der neugeschaffenen Flotte die eines kriegerischen Volkes, das seit tausend Jahren auf dem Wasser sich bewegte. Doch muss man wissen, dass die Schweden, die zu Lande die trefflichsten Soldaten sind, zu Wasser sich nicht durch ihre tollkühne Tapferkeit als durch Geschicklichkeit ausgezeichnet haben, und dass sie als Seeleute erst nach den Engländern, Holländern und Dänen kommen.

Leider hat die russische Marine nicht gehalten, was ihr Anfang versprach, und ihre Kindheit war die glänzendste Zeit ihres Daseins. Sie war seit Peter I. nie so furchtbar gewesen als unter diesem, und in unseren Tagen ist sie eine der schlechtesten in Europa geworden. Obgleich sie fünfzig Linienn schiffe zählt, die mit 50.000 Soldaten bemannt sind, so würde man doch am Bord jedes dieser Schiffe, wenn man nur zwei Drittel davon in Aktivität setzen wollte, eine so kleine Anzahl von mittelmäßigen Matrosen haben, dass die Manöver nicht besser als auf chinesischen Kriegs-Dschunken ausgeführt werden würden. Als Peter die russische Marine schuf, musste er voraussetzen, dass sie sich immer auf eine entsprechende Handels-Marine stützen würde. Eine solche hatte sich allerdings auf der großen Küstenstrecke, die er Russland längs des finnischen Busens gab, bilden können, wenn man früh die nötigen Maßregeln getroffen hätte, uni sie gegen die fremde Konkurrenz zu schützen. Aber die Nachfolger dieses Fürsten, die selbst keine Seeleute waren, wussten nicht, dass es nicht in der Macht eines Zaars steht, Seeleute durch Ukase zu schaffen. Daher wurde die Handels-Marine vollkommen vernachlässigt. Es gibt in der ganzen Ostsee keinen russischen Matrosen am Bord eines Handelsschiffes; die Mannschaften der wenigen handeltreibenden Schiffe bestehen ausschließlich aus Finnen, Deutschen, Dänen und Schweden. Zwar besteht ein Gesetz, wonach jedes Fahrzeug mit russischer Flagge einen russischen Kapitän haben muss; aber mag nun das Schiff einem Russen gehören oder, wie es meistens der Fall ist, einem Ausländer, man pflegt, um dem Gesetz zu genügen, einen Nominal-Kapitän, eine Art verantwortlicher Redakteur, am Bord zu haben. Es ist dies ein Bauer, der zuweilen nichts vom Seewesen versteht; er bekommt etwa 10 Thaler monatlich, und sobald das Schiff außerhalb des Hafens ist, übernimmt ein Finne oder ein Fremder das Kommando, und nicht selten sieht man dann den Stroh-Kapitän bei seinem Nachfolger die bescheidenen Funktionen eines Kochs übernehmen. Die Matrosen der russischen Kriegs-Marine rekrutieren sich wie die Soldaten der Land-Armee unter den Bauern. Ihre Organisation, ihre Disziplin, ihre Uniform sind ganz militärisch. Von den 50.000, welche die Marine braucht, sind 30.000 in der Ostsee und 20.000 im Schwarzen Meer stationiert. Die der Ostsee, welche großenteils aus dem Auswurf der Land-Rekruten bestehen, sehen eben so miserabel als schwerfällig aus. Da sie von den sieben Monaten, während welcher die Schifffahrt nicht durch Eis gehemmt ist, nur einen kleinen Teil auf dem Meere zubringen, so kommen die Meisten von ihnen nicht dahin, die Seekrankheit ganz zu überwinden, und da die Sendung von Schiffen auf eine fremde Station große Kosten nach sich zieht, indem dann der Sold mehr als verdreifacht wird (der Unterschlagungen, welche sich die Offiziere erlauben, nicht zu gedenken) so lässt man sie in dem Süßwasser des finnischen Meerbusens zwischen Kronstadt und Reval umherkreuzen, wo sie bei gutem Wetter nie das Land aus dem Gesicht verlieren können. So lange sie nicht mit einem unruhigen Meer zu tun haben, manövrieren sie noch so ziemlich: ihre Unwissenheit und ihr Ungeschick können ein Lächeln erregen, aber Ordnung und Disziplin werden streng beobachtet. Tritt aber ein Sturm ein, dann überlassen die Offiziere das Kommando des Schiffs einigen der ältesten Seeleute am Bord, da die wenigen praktischen Kenntnisse, die die Mannschaft besitzt, sich gewöhnlich mehr unter diesen als unter den Kommandierenden finden. Wenn dann diese vorher in ihrem Hochmut so brutalen Offiziere auf einmal freundlich und bescheiden werden, dann fühlt die Mannschaft, dass die Zügel der Disziplin erschlafft sind, alle Welt spricht zugleich, und wofern nur die Zungen nicht durch die Seekrankheit gebunden sind, glaubt sich Jeder im Recht, seine Meinung abzugeben. — Schiffe, die man nach einer ausländischen Station schickt, werden mit der Auswahl der Matrosen und Offiziere bemannt, um dem Ausland eine möglichst vorteilhafte Idee von dem Zustand der russischen Flotte zu geben. Merkwürdig ist es auch, dass die Flotte der Ostsee eine große Menge Juden zählt, und zwar gehören dieselben zu den besten Seeleuten der russischen Marine.

Die Nahrung des russischen Matrosen in der Heimat ist beinahe dieselbe, wie die des Soldaten; im Ausland wird er besser genährt und bezahlt, doch die langen Fasten, die er gewissenhaft beobachtet, und das Roggenbrot lassen ihn auch hier nicht zu einem besseren Aussehen kommen. Was die Marine-Offiziere betrifft, die in Kadettenschulen erzogen werden, welche während der Hälfte des Jahres am Bord kleiner Miniatur-Kriegsschiffe gehalten werden, so erreicht die Unwissenheit derselben das Äußerste, und ist nur erklärlich durch die Gleichgültigkeit, den Widerwillen, den sie laut gegen das Seeleben aussprechen. Es ist sehr gewöhnlich, junge Offiziere erklären zu hören, dass sie im Fall eines Krieges den Seedienst mit der Kavallerie vertauschen werben. Von ihrer Unerfahrenheit geben jene hoffnungsvollen jungen Admiräle schon auf der Newa die besten Proben, wo man ihnen das Kommando der Staats-Dampfbote anvertraut. Obgleich der Fluss breit und so frei ist, als die Themse bei Purfleet, so ist es doch selten, dass sie nicht einem anderen Fahrzeug Schaden zufügen, aber immer ungestraft, weil man stets die Schuld auf den verletzten Teil schiebt, welcher weiß, dass er nichts Besseres zu tun hat, als zu schweigen. Wir kennen nur einen Fall, wo der Kommandant eines Staatsschiffes in Folge einer Kollision dieser Art nicht ohne Tadel davongekommen ist; es war ein Offizier, der an hellem Tage an das Geländer des englischen Quai anstieß und mit seinem Bugspriet zwei große Steine zertrümmerte: fünf Tage zuvor hatte er eine Brigg in den Grund gebohrt; aber man bewies auf irgend eine Art, dass die Schuld an der Brigg lag, und es wäre bei dem Geländer eben so geschehen, wenn nicht der Quai dem Kaiser gehörte.

Nach der Polizei und den Gerichtshöfen werden die Unterschlagungen am ärgsten in der Marine getrieben. Nie segelt ein russisches Schiff in die Ostsee, ohne einen Anker zu verlieren oder seine Taue zu beschädigen, und ein kleiner Sturm löst sich immer in eine lange Liste von Vorräten und Kanonen auf, die man ins Meer geworfen haben will, die aber der alte Neptun selten bekommen hat. Als die russische Flotte zur Zeit Alexanders als Geißel in England zurückgehalten wurde, wurde bekanntlich jedes Tau und jedes Segel öffentlich von den Offizieren verkauft. Wir glaubten immer, dass dies nur darum geschehe, weil die Unterhaltung dieser Schiffe, von denen man so nur das nackte Gerippe stehen ließ, England zur Last fiel, die Erfahrung jedoch hat und bald belehrt, dass dieser Handel in der russischen Marine etwas Gewöhnliches sei und in großem Maßstab selbst unter den Augen des Kaisers getrieben wird.

Wir könnten einen ganzen Band mit Unterschleifen anfüllen, die im Departement der Marine begangen werden: einige strenge Maßregeln, die von Zeit zu Zeit vom Kaiser und seinen Ministern genommen werden, um den Fortschritt dieses eingewurzelten Übels zu hemmen, sind ohne Wirkung. Vor einigen Jahren schickte der jetzt regierende Kaiser eine Kommission nach Kronstadt, um die Arsenale versiegeln zu lassen und das Inventarium davon zu machen, aber durch einen sonderbaren Zufall wurden die Arsenale in derselben Nacht durch eine Feuersbrunst verzehrt. Und doch verrieten selbst die Trümmer des Brandes ein Faktum, das überall anderswo unglaublich scheinen würde: man fand daselbst die Kanonen einer Fregatte wieder, welche vor einigen Jahren in der Ostsee mit allen Vorräten und Kanonen untergegangen war, wie der Bericht des Befehlshabers an den Marine-Minister besagte. Man hatte also vorsätzlich eine Fregatte ohne Artillerie und Munition ausgeschickt, bloß in der Absicht, sie zu zerstören und die Vorräte, die sie am Bord hatte, zu verkaufen. Der Kaiser Alexander war bekanntlich von nachsichtiger Gemütsart; als man ihm einst einen ähnlichen Unterschleif berichtete, machte er bloß die charakteristische Bemerkung:

„Sie würden mir meine Linienschiffe stehlen, wenn sie wüssten, wo sie sie hin tun sollen.“

Es ist nicht lange her, dass die Offiziere der russischen Marine noch Sporen trugen. Diese Sitte ist ungefähr zu derselben Zeit, als in Schweden, unmittelbar nach dem Zuge Nelsons gegen Kopenhagen, aufgegeben worden. Da der schwedische Admiral von seinem Souverain beauftragt wurde, bei dem König von Dänemark die von der Politik vorgeschriebene Verzögerung seines Beistandes zu entschuldigen, verfolgte ihn das Volk in Kopenhagen, das in einem sehr aufgeregten Zustande war, auf der Straße und rief ihm nach, als es seine Sporen bemerkte: „Das ist der Admiral, der die schwedische Flotte an seinen Fersen hängen hat!“