Der ehrliche Holländer*), eine Nacherzählung.
Recht haben und Recht bekommen, die zwei Seiten einer Medaille
Autor: Redaktion - Freimütiges Abendblatt (Eingesandt aus Penzlin), Erscheinungsjahr: 1826
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Rostock, Pfingstmarkt, Juden, Rechtsstreit, Recht und Unrecht, Rechtsbeugung, Rechtsbruch, Bestechung, Advokaten, Rechtsanwälte
Aus: Beilage zu Nro. 398 des Freimütigen Abendblattes. Schwerin, den 18. August 1826.
*) In Norddeutschland wird eine Milchwirtschaft (Meierei) oder das Gebäude, in welchem dieselbe betrieben wird als Holländerei bezeichnet. Den Betreiber einer Holländerei nennt man Holländer. Die Bezeichnung stammt aus dem 11. oder 12. Jahrhundert, wo sich Holländer, die mit der Milchwirtschaft vertraut waren, vermehrt in Deutschland ansiedelten und gewisse Vorrechte erhielten.
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*) In Norddeutschland wird eine Milchwirtschaft (Meierei) oder das Gebäude, in welchem dieselbe betrieben wird als Holländerei bezeichnet. Den Betreiber einer Holländerei nennt man Holländer. Die Bezeichnung stammt aus dem 11. oder 12. Jahrhundert, wo sich Holländer, die mit der Milchwirtschaft vertraut waren, vermehrt in Deutschland ansiedelten und gewisse Vorrechte erhielten.
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In der Nähe von Rostock wohnte vor Jahren ein Holländer, der sich durch die benutzten Zeitumstände und durch seine Sparsamkeit ein nicht unbedeutendes Vermögen erworben hatte. Er würde noch reicher gewesen sein, wenn er nicht mit einigen seiner verschiedenen Herren Verpächter in Streitigkeiten über kontraktliche Bestimmungen und Verhältnisse geraten wäre. Von seinem Rechte überzeugt, konnte er sich keine Erklärungen gefallen lassen, die, nach seinem gesunden Menschenverstande, nicht in seinem Kontrakte zu finden waren, und als ein Mann von Vermögen wollte er sich sein klares Recht nicht verdrehen lassen. So verlor er durch die Kunst seiner gegnerischen Anwälte fast immer die gerechteste Sache und wurde wohl gar noch in die Kosten verurteilt. Erbittert über diese Erfahrungen und zugleich gewitzigt dadurch, nahm er sich nun fest vor, bei einer neuen Pachtung die möglichste Behutsamkeit zu gebrauchen, und wenn er dann dennoch in neue Verwickelungen mit seinem Prinzipal geraten sollte, sogleich jeden Gedanken an einen förmlichen Rechtsgang aufzugeben. Er hatte das Glück, einen rechtlichen Mann zu finden, mit dem er aufs neue einen Kontrakt machte, und lebte schon mehrere Jahre unter demselben ruhig fort, ohne mit ihm in irgend einen Streit zu geraten. Aber vergessen konnte er nie wieder sein erlittenes Unrecht, den gehabten Verdruss, die erlebten Schikane, und wo sich nur eine Gelegenheit dazu fand, da machte er seinem erbitterten Herzen Luft und drückte seinen Hass gegen die Rechtsgelehrten, gegen die Rechtsformen, gegen den Schneckengang der Rechtspflege und gegen alle Prozesse in starten Worten aus.
Eines Tages stand er an der Landstraße, wo seine Mädchen auf der daranstoßenden Weidekoppel grade die Kühe melkten, als ein stattlicher Wagen daher kam und nach Rostock zu wollen schien, wo eben die Pfingstmesse angefangen hatte. Als der Reisende gegen ihn kam, hielt der Wagen stille und jener stieg aus, um sich bei ihm nach der Weite des Weges zu erkundigen. Der Holländer erkannte bald einen Juden in ihm und hörte auch von ihm selbst, dass er ein jüdischer Handelsmann sei und wichtige Geschäfte in Rostock habe. Als sie einige Minuten so mit einander gegangen waren, fragte der Reisende, ob er ihn wohl die Nacht behalten wolle? er habe heute schon eine starke Tour gemacht und wünsche sich ausruhen zu können; überdies habe er eine beträchtliche Geldsumme bei sich, die er gewiss bei ihm in Sicherheit wüsste, da er doch nicht bequem mehr nach Rostock kommen könne und nicht gern in einem Kruge die Nacht bleiben möge. Mit Vergnügen und um so lieber wurde der Israelit aufgenommen, weil er aus Berlin kam und sein Wirt, der sich gern erzählen lassen mochte, in seiner Gesellschaft einen Abend angenehm hinzubringen hoffte. Wirklich ward er auch in seiner Erwartung nicht getäuscht. Denn jener erzählte ihm so viel Interessantes von dem Könige, dem Preußischen Staate und von Berlin, dass, als er des andern Morgens fragte, was er für Nachtlager und Bewirtung schuldig sei? er zur Antwort erhielt: er sei ihm nichts schuldig, und möge er auf seiner Rückreise nicht nur wieder bei ihm ansprechen, sondern künftig auch allemal, wenn er nach Rostock reise, wieder bei ihm ankehren und die Nacht bei ihm bleiben. Der Israelit versprach beides sehr gern, machte ihm mit einem hübschen Pfeifenkopfe ein Geschenk und fuhr ab. Als er seine Geschäfte in Rostock abgemacht hatte, fuhr er auch bei ihm vor, brachte ihm einige Kleinigkeiten für die Kinder mit und reiste dann nach genossenem Frühstück wieder weiter. Des folgenden Jahres um dieselbe Zeit traf er richtig wieder ein, und wurde mit gleicher Freundschaft aufgenommen und behandelt, wofür er denn auch einige Sachen aus Berlin mitgebracht hatte. Unter den Erzählungen, des Gastes betraf auch eine die Entscheidung eines Rechtsstreits, und der Erzähler ergoss sich da in Lobenserhebungen über die Preuß. Rechtspflege. Da erwachte auf einmal des Wirts ganzer Hass gegen alle Advokaten und Gerichte, und er erzählte seinem israelitischen Freunde alles, was er durch sie gelitten, mit der bittern Bemerkung, dass es hier ganz anders sei, dass man die Kunst verstehe, aus weiß schwarz zu machen, und dass man eine besondre Stärke darin besitze, das klarste Recht in Unrecht zu verdrehen; er ging in seinem Eifer so weit, dass er jeden bedauerte, der einem Advokaten in die Hände fiele. Der Israelit wollte zwar nicht gern widersprechen, aber er äußerte doch einige Zweifel und meinte, dass doch wohl nicht alles so wahr sein könne, als er erzählt habe; aber damit brachte er erst seine Galle in Bewegung. Inzwischen verging unter diesen und ähnlichen Gesprächen die Zeit. Man legte sich zur Ruhe, reiste des folgenden Tages von einander, und mit der freundschaftlichen Bitte, alle Jahre einzukehren, fuhr der Gast nach abgemachten Geschäften wieder nach Berlin zurück.
Das nächste Jahr wurde er von seinem nun schon alten gastfreien Wirte mit der gewohnten Freundschaft wieder empfangen. Nach einigen vorangegangenen Erkundigungen und gegenseitigen Fragen nahm der Holländer seinen Gast bei Seite, um mit ihm ein Wort im Vertrauen zu sprechen. Höre, hob er an, ich habe eine Bitte an dich, du weißt, dass ich ein Mann von Vermögen bin und wirst sie mir um so weniger abschlagen, da du mich auch, wie ich glaube, als einen ehrlichen Mann kennst: ich brauche grade jetzt 1.000 Rthlr. Gold und kann damit in diesem Augenblicke nicht Rat schaffen, weil ich vergessen habe, so viel zu rechter Zeit aufzukündigen; willst du mir auf mein ehrliches Angesicht — denn auf etwas Schriftliches kann ich mich aus Gründen, die ich dir zur Zeit nicht angeben darf, nicht einlassen — die genannte Summe vorstrecken, so verspreche ich, sie dir als ein ehrlicher Mann künftigen Pfingstmarkt wieder mit Dank und Zinsen zurückzuzahlen, und kannst du deine Maßregeln darnach nehmen. Der Israelit stutzte freilich anfangs bei diesem Ansinnen, aber da er seinen Mann von Seiten seines Charakters sowohl, als seiner Vermögensumstände hinlänglich zu kennen glaubte, so setzte er alle Bedenklichkeiten bei Seite und zahlte ihm die verlangten 1.000 Rthlr. sofort in vollwichtigen Goldstücken aus.
Die Pfingstmesse des folgenden Jahres begann. Der jüdische Handelsmann war wieder da. Er hatte in der festen Überzeugung, sein Geld wieder in Empfang zu nehmen, seine Einrichtung gemacht. Der Holländer war besonders geschäftig, den Freund zu unterhalten, bewirtete ihn vorzüglich und leitete das Gespräch mitunter auf seine verlornen Prozesse und den schleppenden Gang der hiesigen Rechtspflege, aber des erhaltenen Geldes gedachte er auch mit keiner Silbe. Morgen früh, dachte der Israelit, wird er dir schon dein Geld wieder bezahlen, er hat nur noch nicht daran gedacht, und so schlief er ruhig und unbesorgt ein. Am folgenden Morgen schickte er sich zur Abreise an, aber nichts von dem Gelde entfiel dem Wirte. Er ließ anspannen, aber da auch jetzt noch nicht die Rede davon war, so überwand er seine bisherige Delikatesse. Nun! hätte ich doch bald das Wichtigste vergessen sollen, willst du mir nun wohl die 1.000 Rthlr. Gold geben, um sie noch in den Koffer legen zu können? — Tausend Thaler Gold? Du scherzest doch nur, mein Schatz! hast du sie mir in Verwahrung gegeben? ich weiß nicht wie du dazu kommst, eine solche Forderung an mich zu machen. Der Jude erblasste und stand da, wie aus den Wolken gefallen. Ei nun, hub er endlich an, als er wieder zur Sprache gekommen war, hab ich dich doch für einen ehrlichen Mann gehalten, Hab ich dir vorigen Pfingsten nicht 200 Louisd'or auf dein ehrliches Angesicht ausgezahlt; hast du mir nicht versprochen, sie mir übers Jahr zurückzugeben; hast Du nicht gesagt, du könnest mir aus gewissen Gründen keine Verschreibung darüber geben? Hab' ich dir doch getrauet und mich selbst in Verlegenheit gesetzt, um dir zu dienen, weil ich nicht zweifelte an deiner Ehrlichkeit, und nun willst du mich in eine solche Verlegenheit setzen? — Ruhig ließ der Wirt ihn reden, drückte dann sein höchstes Erstaunen über eine solche Erdichtung aus und fragte ihn ganz gelassen, womit er denn sein Vorgeben beweisen wolle? Ei, entgegnete er, ich sehe wohl, dass du mich betrügen willst, aber es wird hier zu Lande doch auch noch Gerechtigkeit gegen einen Betrüger zu finden sein. Damit setzte er sich zu Wagen und fuhr nach Rostock ab.
Der Holländer, der wohl mit Recht vermuten konnte, dass jener zur Klage gegen ihn schreiten würde, fuhr bald nach ihm ebenfalls dahin, und da er sein Absteigequartier kannte, so begab er sich in die Nähe desselben, um auszuforschen, welchem Rechtsgelehrten er die Sache übergeben werde.
Es währte nicht lange, so sah er seinen Gast aus dem Hause kommen und in eine Seitenstraße gehen. Er ging ihm in einiger Entfernung nach und kehrte gleich wieder um, sobald er wusste, zu welchem Advokaten er seine Zuflucht genommen habe. Da er diesen sehr gut kannte, so begab er sich Nachmittags zu demselben. Diesen Morgen, hub er an, ist ein jüdischer Handelsmann aus Berlin bei ihnen gewesen? Ja. Er hat ihnen aufgetragen, mich wegen einer Forderung von 1.000 Rthlr. Gold, die er an mich macht, zu verklagen, was halten sie von der Sache? ich leugne die Schuld. — Freilich, der Mann hat keine Verschreibung von ihnen, er kann keinen Beweis gegen sie führen: aber es wird nicht anders daraus heraus zu kommen sein, als dass sie sich durch einen Eid werden reinigen und von der Anleihe losmachen müssen, und ich werde daher auch sofort darauf antragen, um auf dem kürzesten Wege die Geschichte zu beendigen. Es wird nun darauf ankommen, ob sie ihrer Sache gewiss sind und den Eid abzulegen sich getrauen. In diesem Fall wird der Jude den Prozess mit allen Kosten verlieren. — Hören sie, Herr Advokat, der Mann hat ihnen die Wahrheit gesagt, ich habe das Geld von ihm erhalten, aber er ist ja ein Jude, und ein Jude, wissen sie, betrügt, und so möchte ich ihn gern um das Geld bringen. Können sie es also dahin bringen, dass ich ohne Eid gewinne, so wollen wir teilen, und ich zahle ihnen an demselben Tage, wo das Urteil mir das Geld zuspricht, 500 Rthlr. Gold bar aus. Schweigen werden wir ja beide können. Der Rechtsgelehrte geriet in Nachdenken und fasste den Holländer scharf ins Auge, als ob er ungewiss wäre, wie er mit ihm daran sei. Endlich fragte er ihn, können sie schreiben? O ja. Nun gut, so geben sie mir schriftlich die Versicherung, dass sie mir, wenn sie den Sieg davon tragen, 500 Rthlr. bezahlen wollen und setzen ihr Pettschaft darunter. Ohne Bedenken setzte jener sich und schrieb: „Ich bezeuge hiermit, dass ich dem Hrn. A. 500 Rthlr. Gold, als die Hälfte der Summe, die ich von dem jüdischen Handelsmann N. N. aus Berlin geliehen und ausgezahlt erhalten habe, auf den Fall, da ich den Prozess gewinnen sollte, bar und richtig für seine gehabte Bemühung entrichten will. Unter meiner Hand und Siegel etc.“ Beide versprachen sich gegenseitig die genaueste Verschwiegenheit und gingen auseinander.
Der Rechtsstreit begann. Der Anwalt des Israeliten übertrug einem seiner Rechtsfreunde die Sache des Holländers. Mehrere Schriften wurden gewechselt, und — um kurz zu sein — binnen Jahresfrist war die Entscheidung da, nach welcher der Jude verlor und auch noch in die Kosten verurteilt wurde. Um desto eher zum Besitz der erkämpften 600 Rthlr. zu gelangen, reiste der Rechtsmann selbst nach Berlin, versicherte seinem Klienten, dass er alles angewendet habe, seine Sache durchzusetzen, dass schlechterdings nicht durchzukommen gewesen und es ihm sogar nur mit Mühe gelungen sei, es dahin zu bringen, dass sein Name nicht in öffentlichen Blättern gebrandmarkt worden. Der Jude erschrak bei dieser Nachricht, aber da ihm sein Kredit mehr wert war, als die 1.000 Rthlr., so freute er sich noch obendrein, dankte für alle gehabte Mühe, bezahlte ihm seine Arbeiten und Auslagen, und gab ihm, weil er reich war, für die Rettung seiner Ehre noch ein namhaftes Geschenk. Eine schöne Ernte für ihn! und nun noch eine reichere in Aussicht. Freudig reiste er mit seiner vollen Tasche zurück und erwartete dann seinen Holländer. Doch diesen erwartete er vergebens. Mehrere Monate verstrichen und er kam immer nicht. Des Wartens müde, machte er sich endlich selbst auf den Weg nach ihm. Er traf ihn zu Hause allein. Wie sieht es denn, hub er an, um das Versprechen? Ganz gut, war die Antwort, ich werde alles getreulich im nahen Pfingstmarkte auszahlen. Nun schön, so bestimmen sie mir den Tag, um sie recht gut bewirten zu können. Herr, sie irren sich, wenn sie glauben, 500 Rthlr. von mir zu erhalten: ich werde alles auszahlen, aber nicht an sie, entgegnete der Holländer, sondern an den Mann, der gleich mir das Opfer ihrer Kunst geworden ist, und ich rate ihnen, meine Verschreibung je eher je lieber zu verbrennen. Denn ich habe ihnen ja die Wahrheit gesagt, und ich habe durch traurige Erfahrungen genug gelernt, ihnen den Rat zu geben, dass sie sich’s nicht einfallen lassen mögen, ihre Forderung an mich geltend machen zu wollen; der geringste Versuch, den sie dazu machen, würde zu ihrem Nachteile ausschlagen. — Der Rechtsmann, dem hier der reiche jüdische Handelsmann ins Gedächtnis kam, wurde geschmeidig, stotterte einige unzusammenhängende Worte her und die Tür ergreifend sagte er: ich habe sie für einen ehrlichen Mann gehalten. Nein, das haben sie nicht, fiel der Holländer ein, für Ihresgleichen hielten sie mich, mussten sie mich halten; aber sie sollen erfahren, dass ich ein ehrlicher Mann bin. Sie schieden.
Nach einigen Tagen sah er in der Ferne den Berliner daherkommen, nach dem er schon seit Anfang des Pfingstmarkts ausgesehen hatte. Er ging ihm entgegen und nötigte ihn, nach alter Gewohnheit bei ihm zu übernachten; allein dieser sah ihn mit verächtlichen Blicken an, würdigte ihn keiner Antwort und wollte schon vorüber jagen lassen, als jener den Pferden in die Zügel griff und zu ihm sagte: Du musst wenigstens einige Augenblicke bei mir einkehren, ich habe von deinem Advokaten eine Bestellung an dich; willst du dann nicht warten, so magst du immerhin weiter fahren. Mit vieler Mühe gelang es dem Holländer, ihn so weit zu bringen, dass er ihm erlaubte, sich bei ihm einzusetzen. Sie stiegen vor dem Holländerhause ab. Die Frau des Hauses musste Wein und kalte Küche auftragen, aber der Jude wollte nichts anrühren. Da fasste er ihn bei der Hand und ging mit ihm in die Schlafkammer. Hier schloss er einen Koffer auf und holte dieselben 200 Louisd'or heraus, die er von ihm empfangen hatte.
Da hast du, sagte er, ihm das Geld einhändigend, dein Geld wieder, ich habe es nicht angerührt, denn ich brauchte es nicht, und hier, indem er einen andern Beutel hervorlangte, hast du die Zinsen von deinem verloren geglaubten Kapital. Du wirst nun überzeugt sein, dass du es mit einem ehrlichen Manne zu tun hattest, dem du eine noch viel größere Summe auf sein bloßes Angesicht anvertrauen könntest; aber du wolltest mir nicht glauben, wenn ich sonst aus meiner eigenen Erfahrung dir zeigen wollte, wie hoch bei uns die Kunst gestiegen ist, das klarste Recht in Unrecht zu verdrehen; jetzt wirst du nicht mehr zweifeln: aber, setzte er hinzu, ich bin dir auch den Ersatz der Kosten schuldig, die dieser Spaß dir verursacht hat; mache mich genau damit bekannt und du sollst durch mich keinen Heller verloren haben. Der Jude war wie vom Blitze getroffen: „ausgespannt, wir bleiben,“ schrie er, das Fenster aufreißend, seinem Fuhrmanne zu; dann fiel er seinem Wirte in die Arme: edler Mann! sage mir kein Wort von Zinsen und Ersatz, wenn du willst, dass ich bei dir bleiben soll. Jetzt entstand ein edler Wettstreit, keiner wollte annehmen. Endlich ließ der Jude sich die Zinsen hinzahlen: da kam der älteste Knabe des Wirts in die Stube; der Jude riss ihn an sich, „hier Junge, hast du was, lass deinen Vater dir das aufheben,“ und, sich an den Holländer wendend, bei allen Propheten, sagst du dagegen und von Kostenersatz noch ein einziges Wort, so betrete ich nie deine Schwelle wieder. Er musste nachgeben, und ruhiger geworden, musste er ihm nun die ganze Geschichte des Prozesses erzählen. Der Jude wechselte die Farbe dabei und dann erklärte er, dass er seinen Anwalt, was es auch koste, belangen würde. Nein, erwiderte ihm der Wirt, das ist’s, was du mir noch versprechen musst, nicht zu tun. Der Mensch ist schon hinlänglich dafür bestraft; von mir wird er sich nicht einfallen lassen, einen Heller zu fordern, und was deine Genugtuung betrifft, so wirst du freilich siegen, aber er wird die Sache, so lange zerren, dass du darüber wegstirbst. Also lass ihn einem andern zur Hand laufen und uns Freunde bleiben. Ein kräftiger Handschlag besiegelte die Freundschaft.
Zusatz des Erzählers.
Vorstehende Erzählung rührt von einem sehr rechtschaffenen Manne her. Als wahre Geschichte ward sie dem Erzähler mitgeteilt, und versichern darf er, dass er treulich wiedergegeben, was er empfangen hat. Wahrscheinlich ist von den handelnden Personen keine mehr am Leben. Aber mit so viel mehr Vergnügen gibt der Erzähler sie hier der Unterhaltung zum Besten, da er glaubt, dass in unseren Tagen die Züge des gezeichneten Bildes wohl schwerlich mehr zu finden sind. Zwar mag noch mancher, der sein Recht sucht, sich über das verwickelte Formenwesen beklagen; zwar mag noch mancher nicht begreifen können, wie noch jetzt Gesetzbücher, vor vielen Jahrhunderten und für ein längst erloschenes Volk geschrieben, ihr Ansehen behaupten können, zwar mag noch mancher darunter leiden, dass unsere Aufgeklärten Rechtsmänner noch so häufig die Aussprüche alter unphilosophischer und längst vermoderter Rechtslehrer als Orakelsprüche in ihren Streitschriften in die Schale legen; zwar mag noch mancher der Kraft des Reichtums und der Geschicklichkeit des gegnerischen Beistandes unterliegen: aber zu philosophisch und zu aufgeklärt sind unsere Rechtsmänner gewiss, als dass eine Schlinge, wie die des Holländers, ihnen gefährlich werden könnte!
Eines Tages stand er an der Landstraße, wo seine Mädchen auf der daranstoßenden Weidekoppel grade die Kühe melkten, als ein stattlicher Wagen daher kam und nach Rostock zu wollen schien, wo eben die Pfingstmesse angefangen hatte. Als der Reisende gegen ihn kam, hielt der Wagen stille und jener stieg aus, um sich bei ihm nach der Weite des Weges zu erkundigen. Der Holländer erkannte bald einen Juden in ihm und hörte auch von ihm selbst, dass er ein jüdischer Handelsmann sei und wichtige Geschäfte in Rostock habe. Als sie einige Minuten so mit einander gegangen waren, fragte der Reisende, ob er ihn wohl die Nacht behalten wolle? er habe heute schon eine starke Tour gemacht und wünsche sich ausruhen zu können; überdies habe er eine beträchtliche Geldsumme bei sich, die er gewiss bei ihm in Sicherheit wüsste, da er doch nicht bequem mehr nach Rostock kommen könne und nicht gern in einem Kruge die Nacht bleiben möge. Mit Vergnügen und um so lieber wurde der Israelit aufgenommen, weil er aus Berlin kam und sein Wirt, der sich gern erzählen lassen mochte, in seiner Gesellschaft einen Abend angenehm hinzubringen hoffte. Wirklich ward er auch in seiner Erwartung nicht getäuscht. Denn jener erzählte ihm so viel Interessantes von dem Könige, dem Preußischen Staate und von Berlin, dass, als er des andern Morgens fragte, was er für Nachtlager und Bewirtung schuldig sei? er zur Antwort erhielt: er sei ihm nichts schuldig, und möge er auf seiner Rückreise nicht nur wieder bei ihm ansprechen, sondern künftig auch allemal, wenn er nach Rostock reise, wieder bei ihm ankehren und die Nacht bei ihm bleiben. Der Israelit versprach beides sehr gern, machte ihm mit einem hübschen Pfeifenkopfe ein Geschenk und fuhr ab. Als er seine Geschäfte in Rostock abgemacht hatte, fuhr er auch bei ihm vor, brachte ihm einige Kleinigkeiten für die Kinder mit und reiste dann nach genossenem Frühstück wieder weiter. Des folgenden Jahres um dieselbe Zeit traf er richtig wieder ein, und wurde mit gleicher Freundschaft aufgenommen und behandelt, wofür er denn auch einige Sachen aus Berlin mitgebracht hatte. Unter den Erzählungen, des Gastes betraf auch eine die Entscheidung eines Rechtsstreits, und der Erzähler ergoss sich da in Lobenserhebungen über die Preuß. Rechtspflege. Da erwachte auf einmal des Wirts ganzer Hass gegen alle Advokaten und Gerichte, und er erzählte seinem israelitischen Freunde alles, was er durch sie gelitten, mit der bittern Bemerkung, dass es hier ganz anders sei, dass man die Kunst verstehe, aus weiß schwarz zu machen, und dass man eine besondre Stärke darin besitze, das klarste Recht in Unrecht zu verdrehen; er ging in seinem Eifer so weit, dass er jeden bedauerte, der einem Advokaten in die Hände fiele. Der Israelit wollte zwar nicht gern widersprechen, aber er äußerte doch einige Zweifel und meinte, dass doch wohl nicht alles so wahr sein könne, als er erzählt habe; aber damit brachte er erst seine Galle in Bewegung. Inzwischen verging unter diesen und ähnlichen Gesprächen die Zeit. Man legte sich zur Ruhe, reiste des folgenden Tages von einander, und mit der freundschaftlichen Bitte, alle Jahre einzukehren, fuhr der Gast nach abgemachten Geschäften wieder nach Berlin zurück.
Das nächste Jahr wurde er von seinem nun schon alten gastfreien Wirte mit der gewohnten Freundschaft wieder empfangen. Nach einigen vorangegangenen Erkundigungen und gegenseitigen Fragen nahm der Holländer seinen Gast bei Seite, um mit ihm ein Wort im Vertrauen zu sprechen. Höre, hob er an, ich habe eine Bitte an dich, du weißt, dass ich ein Mann von Vermögen bin und wirst sie mir um so weniger abschlagen, da du mich auch, wie ich glaube, als einen ehrlichen Mann kennst: ich brauche grade jetzt 1.000 Rthlr. Gold und kann damit in diesem Augenblicke nicht Rat schaffen, weil ich vergessen habe, so viel zu rechter Zeit aufzukündigen; willst du mir auf mein ehrliches Angesicht — denn auf etwas Schriftliches kann ich mich aus Gründen, die ich dir zur Zeit nicht angeben darf, nicht einlassen — die genannte Summe vorstrecken, so verspreche ich, sie dir als ein ehrlicher Mann künftigen Pfingstmarkt wieder mit Dank und Zinsen zurückzuzahlen, und kannst du deine Maßregeln darnach nehmen. Der Israelit stutzte freilich anfangs bei diesem Ansinnen, aber da er seinen Mann von Seiten seines Charakters sowohl, als seiner Vermögensumstände hinlänglich zu kennen glaubte, so setzte er alle Bedenklichkeiten bei Seite und zahlte ihm die verlangten 1.000 Rthlr. sofort in vollwichtigen Goldstücken aus.
Die Pfingstmesse des folgenden Jahres begann. Der jüdische Handelsmann war wieder da. Er hatte in der festen Überzeugung, sein Geld wieder in Empfang zu nehmen, seine Einrichtung gemacht. Der Holländer war besonders geschäftig, den Freund zu unterhalten, bewirtete ihn vorzüglich und leitete das Gespräch mitunter auf seine verlornen Prozesse und den schleppenden Gang der hiesigen Rechtspflege, aber des erhaltenen Geldes gedachte er auch mit keiner Silbe. Morgen früh, dachte der Israelit, wird er dir schon dein Geld wieder bezahlen, er hat nur noch nicht daran gedacht, und so schlief er ruhig und unbesorgt ein. Am folgenden Morgen schickte er sich zur Abreise an, aber nichts von dem Gelde entfiel dem Wirte. Er ließ anspannen, aber da auch jetzt noch nicht die Rede davon war, so überwand er seine bisherige Delikatesse. Nun! hätte ich doch bald das Wichtigste vergessen sollen, willst du mir nun wohl die 1.000 Rthlr. Gold geben, um sie noch in den Koffer legen zu können? — Tausend Thaler Gold? Du scherzest doch nur, mein Schatz! hast du sie mir in Verwahrung gegeben? ich weiß nicht wie du dazu kommst, eine solche Forderung an mich zu machen. Der Jude erblasste und stand da, wie aus den Wolken gefallen. Ei nun, hub er endlich an, als er wieder zur Sprache gekommen war, hab ich dich doch für einen ehrlichen Mann gehalten, Hab ich dir vorigen Pfingsten nicht 200 Louisd'or auf dein ehrliches Angesicht ausgezahlt; hast du mir nicht versprochen, sie mir übers Jahr zurückzugeben; hast Du nicht gesagt, du könnest mir aus gewissen Gründen keine Verschreibung darüber geben? Hab' ich dir doch getrauet und mich selbst in Verlegenheit gesetzt, um dir zu dienen, weil ich nicht zweifelte an deiner Ehrlichkeit, und nun willst du mich in eine solche Verlegenheit setzen? — Ruhig ließ der Wirt ihn reden, drückte dann sein höchstes Erstaunen über eine solche Erdichtung aus und fragte ihn ganz gelassen, womit er denn sein Vorgeben beweisen wolle? Ei, entgegnete er, ich sehe wohl, dass du mich betrügen willst, aber es wird hier zu Lande doch auch noch Gerechtigkeit gegen einen Betrüger zu finden sein. Damit setzte er sich zu Wagen und fuhr nach Rostock ab.
Der Holländer, der wohl mit Recht vermuten konnte, dass jener zur Klage gegen ihn schreiten würde, fuhr bald nach ihm ebenfalls dahin, und da er sein Absteigequartier kannte, so begab er sich in die Nähe desselben, um auszuforschen, welchem Rechtsgelehrten er die Sache übergeben werde.
Es währte nicht lange, so sah er seinen Gast aus dem Hause kommen und in eine Seitenstraße gehen. Er ging ihm in einiger Entfernung nach und kehrte gleich wieder um, sobald er wusste, zu welchem Advokaten er seine Zuflucht genommen habe. Da er diesen sehr gut kannte, so begab er sich Nachmittags zu demselben. Diesen Morgen, hub er an, ist ein jüdischer Handelsmann aus Berlin bei ihnen gewesen? Ja. Er hat ihnen aufgetragen, mich wegen einer Forderung von 1.000 Rthlr. Gold, die er an mich macht, zu verklagen, was halten sie von der Sache? ich leugne die Schuld. — Freilich, der Mann hat keine Verschreibung von ihnen, er kann keinen Beweis gegen sie führen: aber es wird nicht anders daraus heraus zu kommen sein, als dass sie sich durch einen Eid werden reinigen und von der Anleihe losmachen müssen, und ich werde daher auch sofort darauf antragen, um auf dem kürzesten Wege die Geschichte zu beendigen. Es wird nun darauf ankommen, ob sie ihrer Sache gewiss sind und den Eid abzulegen sich getrauen. In diesem Fall wird der Jude den Prozess mit allen Kosten verlieren. — Hören sie, Herr Advokat, der Mann hat ihnen die Wahrheit gesagt, ich habe das Geld von ihm erhalten, aber er ist ja ein Jude, und ein Jude, wissen sie, betrügt, und so möchte ich ihn gern um das Geld bringen. Können sie es also dahin bringen, dass ich ohne Eid gewinne, so wollen wir teilen, und ich zahle ihnen an demselben Tage, wo das Urteil mir das Geld zuspricht, 500 Rthlr. Gold bar aus. Schweigen werden wir ja beide können. Der Rechtsgelehrte geriet in Nachdenken und fasste den Holländer scharf ins Auge, als ob er ungewiss wäre, wie er mit ihm daran sei. Endlich fragte er ihn, können sie schreiben? O ja. Nun gut, so geben sie mir schriftlich die Versicherung, dass sie mir, wenn sie den Sieg davon tragen, 500 Rthlr. bezahlen wollen und setzen ihr Pettschaft darunter. Ohne Bedenken setzte jener sich und schrieb: „Ich bezeuge hiermit, dass ich dem Hrn. A. 500 Rthlr. Gold, als die Hälfte der Summe, die ich von dem jüdischen Handelsmann N. N. aus Berlin geliehen und ausgezahlt erhalten habe, auf den Fall, da ich den Prozess gewinnen sollte, bar und richtig für seine gehabte Bemühung entrichten will. Unter meiner Hand und Siegel etc.“ Beide versprachen sich gegenseitig die genaueste Verschwiegenheit und gingen auseinander.
Der Rechtsstreit begann. Der Anwalt des Israeliten übertrug einem seiner Rechtsfreunde die Sache des Holländers. Mehrere Schriften wurden gewechselt, und — um kurz zu sein — binnen Jahresfrist war die Entscheidung da, nach welcher der Jude verlor und auch noch in die Kosten verurteilt wurde. Um desto eher zum Besitz der erkämpften 600 Rthlr. zu gelangen, reiste der Rechtsmann selbst nach Berlin, versicherte seinem Klienten, dass er alles angewendet habe, seine Sache durchzusetzen, dass schlechterdings nicht durchzukommen gewesen und es ihm sogar nur mit Mühe gelungen sei, es dahin zu bringen, dass sein Name nicht in öffentlichen Blättern gebrandmarkt worden. Der Jude erschrak bei dieser Nachricht, aber da ihm sein Kredit mehr wert war, als die 1.000 Rthlr., so freute er sich noch obendrein, dankte für alle gehabte Mühe, bezahlte ihm seine Arbeiten und Auslagen, und gab ihm, weil er reich war, für die Rettung seiner Ehre noch ein namhaftes Geschenk. Eine schöne Ernte für ihn! und nun noch eine reichere in Aussicht. Freudig reiste er mit seiner vollen Tasche zurück und erwartete dann seinen Holländer. Doch diesen erwartete er vergebens. Mehrere Monate verstrichen und er kam immer nicht. Des Wartens müde, machte er sich endlich selbst auf den Weg nach ihm. Er traf ihn zu Hause allein. Wie sieht es denn, hub er an, um das Versprechen? Ganz gut, war die Antwort, ich werde alles getreulich im nahen Pfingstmarkte auszahlen. Nun schön, so bestimmen sie mir den Tag, um sie recht gut bewirten zu können. Herr, sie irren sich, wenn sie glauben, 500 Rthlr. von mir zu erhalten: ich werde alles auszahlen, aber nicht an sie, entgegnete der Holländer, sondern an den Mann, der gleich mir das Opfer ihrer Kunst geworden ist, und ich rate ihnen, meine Verschreibung je eher je lieber zu verbrennen. Denn ich habe ihnen ja die Wahrheit gesagt, und ich habe durch traurige Erfahrungen genug gelernt, ihnen den Rat zu geben, dass sie sich’s nicht einfallen lassen mögen, ihre Forderung an mich geltend machen zu wollen; der geringste Versuch, den sie dazu machen, würde zu ihrem Nachteile ausschlagen. — Der Rechtsmann, dem hier der reiche jüdische Handelsmann ins Gedächtnis kam, wurde geschmeidig, stotterte einige unzusammenhängende Worte her und die Tür ergreifend sagte er: ich habe sie für einen ehrlichen Mann gehalten. Nein, das haben sie nicht, fiel der Holländer ein, für Ihresgleichen hielten sie mich, mussten sie mich halten; aber sie sollen erfahren, dass ich ein ehrlicher Mann bin. Sie schieden.
Nach einigen Tagen sah er in der Ferne den Berliner daherkommen, nach dem er schon seit Anfang des Pfingstmarkts ausgesehen hatte. Er ging ihm entgegen und nötigte ihn, nach alter Gewohnheit bei ihm zu übernachten; allein dieser sah ihn mit verächtlichen Blicken an, würdigte ihn keiner Antwort und wollte schon vorüber jagen lassen, als jener den Pferden in die Zügel griff und zu ihm sagte: Du musst wenigstens einige Augenblicke bei mir einkehren, ich habe von deinem Advokaten eine Bestellung an dich; willst du dann nicht warten, so magst du immerhin weiter fahren. Mit vieler Mühe gelang es dem Holländer, ihn so weit zu bringen, dass er ihm erlaubte, sich bei ihm einzusetzen. Sie stiegen vor dem Holländerhause ab. Die Frau des Hauses musste Wein und kalte Küche auftragen, aber der Jude wollte nichts anrühren. Da fasste er ihn bei der Hand und ging mit ihm in die Schlafkammer. Hier schloss er einen Koffer auf und holte dieselben 200 Louisd'or heraus, die er von ihm empfangen hatte.
Da hast du, sagte er, ihm das Geld einhändigend, dein Geld wieder, ich habe es nicht angerührt, denn ich brauchte es nicht, und hier, indem er einen andern Beutel hervorlangte, hast du die Zinsen von deinem verloren geglaubten Kapital. Du wirst nun überzeugt sein, dass du es mit einem ehrlichen Manne zu tun hattest, dem du eine noch viel größere Summe auf sein bloßes Angesicht anvertrauen könntest; aber du wolltest mir nicht glauben, wenn ich sonst aus meiner eigenen Erfahrung dir zeigen wollte, wie hoch bei uns die Kunst gestiegen ist, das klarste Recht in Unrecht zu verdrehen; jetzt wirst du nicht mehr zweifeln: aber, setzte er hinzu, ich bin dir auch den Ersatz der Kosten schuldig, die dieser Spaß dir verursacht hat; mache mich genau damit bekannt und du sollst durch mich keinen Heller verloren haben. Der Jude war wie vom Blitze getroffen: „ausgespannt, wir bleiben,“ schrie er, das Fenster aufreißend, seinem Fuhrmanne zu; dann fiel er seinem Wirte in die Arme: edler Mann! sage mir kein Wort von Zinsen und Ersatz, wenn du willst, dass ich bei dir bleiben soll. Jetzt entstand ein edler Wettstreit, keiner wollte annehmen. Endlich ließ der Jude sich die Zinsen hinzahlen: da kam der älteste Knabe des Wirts in die Stube; der Jude riss ihn an sich, „hier Junge, hast du was, lass deinen Vater dir das aufheben,“ und, sich an den Holländer wendend, bei allen Propheten, sagst du dagegen und von Kostenersatz noch ein einziges Wort, so betrete ich nie deine Schwelle wieder. Er musste nachgeben, und ruhiger geworden, musste er ihm nun die ganze Geschichte des Prozesses erzählen. Der Jude wechselte die Farbe dabei und dann erklärte er, dass er seinen Anwalt, was es auch koste, belangen würde. Nein, erwiderte ihm der Wirt, das ist’s, was du mir noch versprechen musst, nicht zu tun. Der Mensch ist schon hinlänglich dafür bestraft; von mir wird er sich nicht einfallen lassen, einen Heller zu fordern, und was deine Genugtuung betrifft, so wirst du freilich siegen, aber er wird die Sache, so lange zerren, dass du darüber wegstirbst. Also lass ihn einem andern zur Hand laufen und uns Freunde bleiben. Ein kräftiger Handschlag besiegelte die Freundschaft.
Zusatz des Erzählers.
Vorstehende Erzählung rührt von einem sehr rechtschaffenen Manne her. Als wahre Geschichte ward sie dem Erzähler mitgeteilt, und versichern darf er, dass er treulich wiedergegeben, was er empfangen hat. Wahrscheinlich ist von den handelnden Personen keine mehr am Leben. Aber mit so viel mehr Vergnügen gibt der Erzähler sie hier der Unterhaltung zum Besten, da er glaubt, dass in unseren Tagen die Züge des gezeichneten Bildes wohl schwerlich mehr zu finden sind. Zwar mag noch mancher, der sein Recht sucht, sich über das verwickelte Formenwesen beklagen; zwar mag noch mancher nicht begreifen können, wie noch jetzt Gesetzbücher, vor vielen Jahrhunderten und für ein längst erloschenes Volk geschrieben, ihr Ansehen behaupten können, zwar mag noch mancher darunter leiden, dass unsere Aufgeklärten Rechtsmänner noch so häufig die Aussprüche alter unphilosophischer und längst vermoderter Rechtslehrer als Orakelsprüche in ihren Streitschriften in die Schale legen; zwar mag noch mancher der Kraft des Reichtums und der Geschicklichkeit des gegnerischen Beistandes unterliegen: aber zu philosophisch und zu aufgeklärt sind unsere Rechtsmänner gewiss, als dass eine Schlinge, wie die des Holländers, ihnen gefährlich werden könnte!