Völlig verrückt, diese Franzosen

„Reden Sie, Monsieur, ich höre!“

„Ich erlaube mir um die Hand Ihrer Tochter, Miß Watkins, anzuhalten.“


„Um die Hand Alices?“

„Ja, Sir. Meine Bitte scheint Sie zu überraschen, doch werden Sie verzeihen, wenn ich nur schwer begreife, warum Ihnen diese so außerordentlich erscheinen kann. Ich bin 26 Jahre alt und heiße Cyprien Méré. Meines Standes Mineningenieur, ging ich mit der Note 2 von der polytechnischen Schule ab. Meine Familie genießt ein verdientes Ansehen, wenn sie auch nicht reich ist. Der französische Konsul in Kapstadt würde das, wenn Sie es wünschen, bezeugen, er und mein Freund, Pharamond Barthès, der Ihnen wohlbekannte unerschrockene Jäger, dessen Namen ganz Griqualand nennt, würde es bekräftigen können. Ich befand mich jetzt hier im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Regierung Frankreichs. Letztes Jahr hab' ich vom Institut den Preis Houdart für meine Arbeiten über die chemische Zusammensetzung der vulkanischen Felsen der Auvergne errungen. Meine Abhandlung über das Diamantengebiet des Vaal, die nahezu beendet ist, wird von der gelehrten Welt jedenfalls mit Freuden begrüßt werden. Nach der Heimkehr von meiner Mission werd' ich zum Hilfslehrer an der Bergwerksschule von Paris ernannt werden und habe mir schon eine Wohnung, Universitätsstraße 104, 3. Stock, reserviert. Meine Einkünfte belaufen sich vom nächsten ersten Januar ab auf 4800 Francs. Ich weiß, daß das kein Reichtum ist; doch durch Privatarbeiten, Untersuchungen, akademische Preise und Mitarbeiterschaft an wissenschaftlichen Zeitungen wird sich dieses Einkommen bequem verdoppeln. Ich füge hinzu, daß ich bei meiner bescheidenen Lebensweise nicht mehr brauche, um glücklich zu sein. Ich erlaube mir also, um die Hand Ihrer Tochter, Miß Watkins, anzuhalten.“

Schon aus dem sicheren und entschlossenen Ton dieser Anrede war leicht zu entnehmen, daß Cyprien Méré die Gewohnheit hatte, in allen Dingen direkt aufs Ziel loszusteuern und frei von der Leber weg zu reden.

Sein Gesichtsausdruck strafte die Wirkung seiner Worte auch nicht Lügen. Es war der eines jungen, gewohnheitsgemäß mit ernsten wissenschaftlichen Fragen beschäftigten Mannes, der den minderwertigen Dingen dieser Welt nur die unumgänglich notwendige Zeit opfert.

Seine kastanienbraunen, sehr kurz geschnittenen Haare, sein blonder, aber auch kurz gehaltener Bart, die Einfachheit seiner Reisekleidung aus grauem Zwillich, der Strohhut für 10 Sous, den er beim Eintritt höflich auf einen Stuhl abgelegt hatte – während sein Gegenüber mit der gewöhnlichen Ungeniertheit der angelsächsischen Rasse immer den Kopf bedeckt hielt –, alles an Cyprien Méré deutete auf einen ernsthaften Geist, ebenso wie sein klarer Blick auf ein reines Herz und unbeschwertes Gewissen hinwies.

Hierbei verdient bemerkt zu werden, daß der junge Franzose so vollkommen englisch sprach, als habe er sehr lange Zeit in den innersten Teilen des britischen Königreichs gewohnt.

In einem Holzlehnstuhl sitzend, das linke Bein auf einen Strohsessel ausgestreckt, den Ellbogen auf die Ecke eines groben Tisches gestemmt und gegenüber einer Flasche mit Gin, nebst einem mit dieser starken alkoholischen Flüssigkeit halbgefüllten Glas, hörte ihn Mr. Watkins, eine lange Pfeife rauchend, gelassen an.

Bekleidet war der Mann mit weißer Hose, einer Weste aus grober blauer Leinwand und einem gelblichen Flanellhemd ohne Brustlatz und Kragen. Unter dem gewaltigen Filzhut, der gleich für immer auf seinem grauschimmernden Schädel festgeschraubt schien, zeigte sich ein ziemlich rotes, etwas aufgedunsenes Gesicht, das wie mit Johannisbeergelee gefüllt erschien. Dieses wenig einnehmende Gesicht mit einzelnen Bartflocken war von zwei grauen Augen durchbohrt, die nicht eben Geduld und Wohlwollen verrieten.

Zur Entschuldigung von Mr. Watkins muß freilich angeführt werden, daß er heftig an Gicht litt, was ihn eben zwang, den linken Fuß gut verpackt zu halten und die Gicht ist – im südlichen Afrika ebenso wie in anderen Ländern – keineswegs dazu angetan, den Charakter der Leute, deren Gelenke sie peinigt, zu mildern.

Der hier geschilderte Auftritt ging im Erdgeschoß der Farm von Mr. Watkins vor sich, etwa unter dem 29. Grad südlicher Breite und dem 25. Grad östlicher Länge von Greenwich, an der Westgrenze des Oranje–Freistaats, im Norden der englischen Kapkolonie, das heißt in der Mitte des südlichen oder englischholländischen Afrikas. Dieses Land, dessen Grenze gegen den Südrand der großen Kalahari–Wüste das rechte Ufer des Oranjeflusses bildet, trägt auf älteren Landkarten noch den Namen Griqualand, wird aber seit etwa 10 Jahren richtiger „Diamond Field“, das Diamantenfeld, genannt.

Das Zimmer, in dem diese diplomatische Verhandlung gepflogen wurde, war ebenso bemerkenswert wegen des auf einzelne Stücke seiner Ausstattung verschwendeten Luxus, wie wegen der Ärmlichkeit anderer Teile seiner Einrichtung. Der Fußboden zum Beispiel bestand nur aus festgeschlagenem Lehm, war aber da und dort wieder mit dicken Teppichen und kostbarem Pelzwerk belegt. An den Wänden, die niemals eine Rolle Tapeten kennengelernt hatten, hing eine prachtvolle Pendule in ziseliertem Kupfer, reiche Waffen verschiedenen Fabrikats und bunte englische Bilder in teuren Umrahmungen. Ein Samtsofa stand zur Seite eines weißen, hölzernen Tisches, der mehr für den Gebrauch in einer Küche bestimmt sein mochte. Direkt aus Europa bezogene Lehnstühle streckten Mr. Watkins vergeblich ihre Armlehnen entgegen, da dieser ihnen einen alten, einst von eigener Hand geschnitzten Sessel vorzog. Im Ganzen verlieh diese unverständige Anhäufung von Wertgegenständen, besonders aber das Durcheinander von Panther-, Leoparden, Giraffen- und Tigerkatzenfellen, die über allen Möbeln ausgebreitet lagen, dem Raum den Charakter einer gewissen barbarischen Opulenz.

Die Gestalt der Decke wies deutlich darauf hin, daß das Haus kein weiteres Stockwerk hatte und nur aus dem Erdgeschoß bestand. Wie alle hierzulande, war es zum Teil aus Planken, zum Teil aus Lehm errichtet und mit Wellblech, das auf leichtem Sparrenwerk ruhte, abgedeckt.

Übrigens sah man, daß diese Wohnung erst vor nicht langer Zeit fertig geworden war. Man brauchte nur durch eines der Fenster zur Rechten hinauszusehen, um zur Rechten und zur Linken fünf oder sechs verlassene Baulichkeiten wahrzunehmen, die sich alle glichen, aber von ungleichem Alter und offenbar dem raschen gänzlichen Verfall preisgegeben waren. Diese bildeten ebensoviele Häuser, die Mr. Watkins nacheinander gebaut, bewohnt und verlassen hatte, je nach der Zunahme seines Wohlstands, und die also gewissermaßen dessen Stufen bezeichneten.

Das entlegenste war nur aus Rasenstücken errichtet und verdiente kaum den Namen einer Hütte. Das nächstfolgende bestand aus Lehm, das dritte aus Lehm und Planken; das vierte aus Lehm und Blech. Man sieht hieraus, wie der Fleiß von Mr. Watkins ihm gestattet hatte, in der Herstellung seiner Wohnung immer höhere Ziele zu verfolgen.

Alle diese mehr oder weniger verfallenen Baulichkeiten erhoben sich auf einem kleinen, nah dem Zusammenfluß des Vaal und der Modder – dem Hauptarm des Oranjeflusses in diesem Teil Südafrikas – gelegenen Hügels. In der Umgebung sah man, so weit der Blick nur reichte, nach Südwesten und Norden nichts als eine traurige, nackte Ebene. Der Veld – wie man sich im Land ausdrückt, besteht aus rötlichem, trockenem, unfruchtbarem und staubigem Boden, den nur da und dort etwas mageres Gras bedeckt oder ein Dornengebüsch unterbricht. Das völlige Fehlen von Bäumen ist der entscheidende Zug in diesen Gegenden. Rechnet man hierzu, daß es ebenso an Steinkohle gebricht, daß die Verbindung mit dem Meer langsam und beschwerlich ist, so wird man sich nicht wundern, daß es hier sehr an Brennmaterial mangelt und daß man sich für häusliche Zwecke genötigt sieht, den Mist der Herden zu verfeuern.

Auf diesem einförmigen Grund von wirklich jämmerlichem Aussehen verliefen die Betten zweier Flüsse, aber so flach, so wenig eingedämmt, daß man kaum begreift, warum sie sich nicht gleich über die ganze weite Ebene ausbreiten.

Nur nach Osten hin wird der Horizont durch die entfernten Gipfel von zwei Bergen, dem Platberg und dem Paardeberg, unterbrochen, an deren Fuß ein sehr scharfes Auge vielleicht Rauchsäulen, Staubwirbel, kleine weiße Punkte – nämlich Hütten oder Zelte – und ringsum ein Gewimmel von lebenden Wesen erkennen kann.

Hier in diesem Veld liegen die in Ausbeutung begriffenen Diamantengruben, der Du Toi's Pan, der New Rush und, vielleicht der reichste Platz von allen, die Vandergaart–Kopje. Diese verschiedenen, frei zutage und fast in gleicher Ebene mit dem Boden liegenden Minen, die man unter dem Namen Dry Diggings oder trockene Gruben zusammenfaßt, haben seit 1870 Diamanten und andere kostbare Steine im Wert von etwa 400 Millionen geliefert. Sie liegen alle in einem Umkreis von höchstens 2 bis 3 Kilometern, und von den Fenstern der Farm Watkins, die davon nur 4 englische 1) Meilen entfernt ist, konnte man sie mit dem Fernrohr schon recht deutlich erkennen.

„Farm“ erscheint hier übrigens als ein recht unpassendes Wort, denn auf diese Niederlassung angewendet, würde man in der Umgebung wenigstens vergeblich nach irgendeiner Kultur gesucht haben. Wie alle sogenannten Farmer in Südafrika war Mr. Watkins vielmehr Schäfer, das heißt Eigentümer von Ochsen, Ziegen- und Schafherden, als wirklicher Leiter eines landwirtschaftlichen Betriebs.

Mr. Watkins hatte inzwischen noch nicht auf die ebenso höfliche wie bestimmt ausgesprochene Anfrage Cyprien Mérés geantwortet. Nachdem er sich 3 Minuten Zeit zur Überlegung gegönnt hatte, kam er endlich dazu, die Pfeife aus dem Mundwinkel zu nehmen, und sprach den folgenden Satz aus, der offenbar mit dem Anliegen des jungen Mannes in sehr zweifelhafter Verbindung stand.

„Ich glaube, das Wetter wird umschlagen, Monsieur. Noch nie habe ich von meiner Gicht heftiger zu leiden gehabt, als seit heute morgen!“

Der junge Ingenieur runzelte die Augenbrauen, wandte einen Moment den Kopf ab und mußte sich wirklich zusammennehmen, um seine Enttäuschung nicht gar zu sehr merken zu lassen.

„Sie würden guttun, auf den Gin zu verzichten, Mr. Watkins“, antwortete er trocken, und zeigte dabei nach dem Steingutkrug, dessen Inhalt die wiederholten Angriffe des Trinkers schnell verminderten.

„Auf den Gin verzichten? By Jove, da geben Sie mir einen schönen Rat!“ rief der Farmer. „Hat der Gin schon jemals einem ehrlichen Mann Schaden getan? ... Ja, ich weiß schon, worauf Sie hinauswollen! ... Sie denken mich mit dem Rezept zu beglücken, das einst einem Lordmayor verordnet wurde. Wie hieß doch gleich der betreffende Arzt? Abernethy, glaube ich. ‚Wollen Sie sich wohl befinden‘, sagte dieser zu dem an Gicht leidenden Patienten, ‚so leben Sie für einen Shilling täglich und verdienen Sie sich diesen durch körperliche Arbeit!‘ – Das ist ja ganz gut und schön! Aber bei dem Heil unseres alten England, wenn man, um gesund zu bleiben, für einen Shilling täglich leben sollte, wozu hätte man sich dann überhaupt ein Vermögen erworben? Solche Dummheiten sind eines Mannes von Geist, wie Sie, Monsieur Méré, unwürdig! ... Bitte, sprechen wir nicht mehr davon. Was mich angeht, halten Sie sich überzeugt, daß ich dann lieber gleich in die Grube fahren würde! Gut essen, tüchtig trinken, eine gute Pfeife rauchen, wenn mir die Lust dazu ankommt, eine andere Freude kenne ich auf der Welt nicht, und dieser wollen Sie mich noch berauben!“

„Oh, das lag mir gewiß gänzlich fern“, erwiderte Cyprien offenherzig. „Ich erinnerte Sie nur an eine gesundheitliche Vorschrift, die mir richtig erschien. Doch schweigen wir von diesem Thema, wenn Sie es wünschen, Mr. Watkins, und kommen wir lieber auf den eigentlichen Grund meines heutigen Besuchs zurück.“

So wortreich Mr. Watkins eben noch gewesen war, verfiel er jetzt doch sogleich in ein merkwürdiges Stillschweigen und blies stumm Rauchwolken in die Luft.

Da öffnete sich die Tür. Mit einem Glas auf einem silbernen Präsentierteller trat eben ein junges Mädchen ins Zimmer.

Das hübsche Kind, der die große, auf den Farmen des Veld beliebte Haube ganz reizend stand, war mit einem einfachen, kleingeblümten Leinenkleid angetan. 19 bis 20 Jahre alt, von sehr zartem Teint, mit schönem blonden, sehr feinem Haar, großen blauen Augen und sanften, aber heiteren Zügen, war sie ein Bild der Gesundheit, der Grazie und des frohen Lebensmuts.

„Guten Tag, Monsieur Méré“, sagte sie auf französisch, aber mit leichtem englischen Anklang.

„Guten Tag, Miß Alice“, antwortete Cyprien Méré, der sich beim Eintritt des jungen Mädchens erhoben und vor ihr verneigt hatte.

„Ich hatte Sie kommen sehen, Monsieur Méré“, fuhr Miß Watkins fort, wobei sie unter liebenswürdigem Lächeln die schönen weißen Zähne sehen ließ, „und da ich weiß, daß Sie den abscheulichen Gin meines Vaters nicht lieben, bringe ich Ihnen ein Glas Orangeade, mit dem Wunsch, daß es schön frisch sein möge.“

„Sehr liebenswürdig von Ihnen, Miß.“

„Ah, da fällt mir ein, denken Sie sich, was Dada, mein Strauß, heute verzehrt hat“, fuhr sie unbefangen fort. „Meine Elfenbeinkugel zum Ausbessern der Strümpfe. Und die war übrigens ziemlich groß. Sie kennen sie ja, Monsieur Méré, ich erhielt sie erst direkt vom Billard in New Rush ... Und dieser Vielfraß, die Dada, hat sie verschluckt, als wenn's eine Pille wäre! Wahrlich, dieses böse Tier wird mich noch früher oder später vor Ärger umbringen.“

Während sie so sprach, bewahrte Miß Watkins im Winkel ihrer blauen Augen einen kleinen lustigen Strahl, der nicht auf besondere Lust, jene düstere Vorhersage, nicht einmal später, zu rechtfertigen, hinwies. Mit dem den Frauen eigenen Feingefühl bemerkte sie doch sehr bald das Stillschweigen ihres Vaters und des jungen Ingenieurs, sowie deren offenbar infolge ihrer Gegenwart verlegenen Mienen.

„Es sieht ja aus, als ob ich die Herren belästigte“, sagte sie; „Sie wissen, daß ich sofort gehe, wenn Sie Geheimnisse haben, die für mein Ohr nicht bestimmt sind. Übrigens hab' ich auch gar keine Zeit. Ich muß noch eine Sonate üben, bevor ich das Essen mache. Ja, ich sehe schon, Sie sind heute zum Plaudern nicht aufgelegt, meine Herren! – Gut, ich überlasse Sie Ihren schwarzen Anschlägen!“

Damit ging sie schon hinaus, kehrte jedoch noch einmal um und sagte gelassen, obwohl sie einen sehr ernsten Gegenstand berührte:

„Wenn Sie mich nun über den Sauerstoff fragen wollen, Monsieur Méré, stehe ich gern zu Ihrer Verfügung. Das Kapitel der Chemie, das Sie mir zum Lernen aufgaben, hab' ich nun dreimal durchgenommen, und jener ‚gasförmige, farb-, geruch- und geschmacklose Körper‘ hat für mich kein Geheimnis mehr.“

Dabei machte Miß Watkins eine graziöse Verbeugung und verschwand wie ein lichter Meteor.

Gleich darauf erklangen aus einem entfernten Zimmer her die Akkorde eines vortrefflichen Pianos und verrieten, daß das junge Mädchen mit allem Eifer ihren musikalischen Übungen oblag.

„Nun also, Mr. Watkins“, ergriff Cyprien, dem diese liebliche Erscheinung seine Frage wieder in Erinnerung gerufen hatte, wenn er sie überhaupt hätte vergessen können, das Wort, „wollen Sie mir bitte Antwort geben auf die Frage, welche ich die Ehre hatte, an Sie zu richten?“

Mr. Watkins nahm die Pfeife feierlichst aus dem Mundwinkel, spuckte einmal auf die Erde aus, und warf dann schnell den Kopf zurück, während seine Augen einen forschenden Blick auf den jungen Mann schossen.

„Sollten Sie, Monsieur Méré“, fragte er, „mit ihr zufällig schon davon gesprochen haben?“

„Gesprochen, worüber? ... Gegen wen?“

„Über das, was Sie eben sagten? ... Gegen meine Tochter?“

„Für wen halten Sie mich, Mr. Watkins!“ erwiderte der junge Ingenieur mit einer Wärme, die keinen Zweifel aufkommen ließ. „Ich bin Franzose, Mr. Watkins! ... Ich brauche Ihnen also wohl nicht zu versichern, daß ich mir nie erlaubt haben würde, ohne Ihre Zustimmung gegen Ihr Fräulein Tochter von einer Verheiratung zu sprechen!“

Mr. Watkins' Blick wurde wieder sanfter, und damit schien sich auch seine Zunge besser zu lösen.

„Das ist am besten! ... Brav, junger Mann! Ich erwarte von Ihrer Diskretion gegenüber Alice nichts anderes!“ antwortete er in ziemlich trockenem Ton. „Und da man zu Ihnen Vertrauen haben kann, werden Sie mit Ihr Wort geben, ihr gegenüber in Zukunft auch nichts davon zu erwähnen.“

„Und warum, Sir?“

„Weil diese Heirat unmöglich und es am besten ist, wenn Sie sie gänzlich aus Ihren Plänen streichen“, antwortete Mr. Watkins. „Sie sind ein ehrenwerter junger Mann, Monsieur Méré, ein vollkommener Gentleman, ein ausgezeichneter Chemiker, ein hervorragender Lehrer Ihres Fachs, von großer Zukunft – daran zweifle ich nicht im mindesten –, meine Tochter aber werden Sie nicht erhalten, aus dem einfachen Grund, weil ich bezüglich derselben ganz andere Absichten habe.“

„Indes, Mr. Watkins ...“

„Kommen Sie nicht darauf zurück ... es wäre unnütz!“ erwiderte der Farmer. „Und wären Sie Herzog und Pair von England, so würden Sie mir doch nicht passen. Nun sind Sie nicht einmal englischer Untertan und erklären eben mit größter Unbefangenheit, daß Sie auch kein Vermögen besitzen. Nun aufrichtig, glauben Sie, ich hätte meine Alice so erzogen, wie es geschehen ist, hätte ihr die besten Lehrer von Victoria und Bloemfontein gehalten, um sie mit kaum vollendetem 20. Jahre aus dem Haus zu schicken, um in Paris, Universitätsstraße, im 3. Stockwerk zu leben, und das mit einem Mann, dessen Sprache ich nicht einmal verstehe? ... Überlegen Sie sich das, Monsieur Méré, und denken Sie sich an meine Stelle! ... Nehmen Sie an, Sie wären der Farmer John Watkins, Eigentümer der Mine der Vandergaart–Kopje, und ich, ich wäre Monsieur Cyprien Méré, ein junger französischer Gelehrter, der zu Forschungszwecken nach dem Kap der Guten Hoffnung gekommen wäre. Malen Sie sich's aus, Sie säßen hier im Zimmer, in meinem Lehnstuhl, und schlürften Ihren Gin bei einer Pfeife, des besten Hamburger Tabaks; würden Sie dann 1 Minute, ja nur eine einzige, daran denken, Ihre Tochter unter diesen Verhältnissen heiraten zu lassen?“

„Ganz gewiß, Mr. Watkins“, antwortete Cyprien, und ohne zu zögern, „wenn ich an Ihnen diejenigen Eigenschaften gefunden zu haben glaubte, die das Lebensglück meines Kindes gewährleisten könnten.“

„So! Dann täten Sie unrecht, lieber Monsieur, sehr unrecht!“ erwiderte Mr. Watkins. „Sie handelten dann wie ein Mensch, der nicht würdig wäre, die Mine von Vandergaart–Kopje zu besitzen, oder Sie könnten diese vielmehr gar nicht besitzen. Denn glauben Sie vielleicht, sie wäre mir als gebratene Taube zugeflogen? Meinen Sie etwa, es hätte keiner Intelligenz, keines eisernen Fleißes bedurft, um sie anzulegen und vor allem mir deren Besitz zu sichern? ... Nun also, Monsieur Méré, diese verständige Einsicht, von der ich damals, bei jener denkwürdigen und entscheidenden Angelegenheit Beweise an den Tag gelegt habe, ziehe ich gern bei allen Vorkommnissen meines Lebens zu Rate, und besonders dann, wenn diese auch meine Tochter betreffen. Eben deshalb aber wiederhole ich Ihnen, streichen Sie diese Pläne aus Ihren Papieren. Alice ist nicht für Sie geschaffen!“

Nach diesen in triumphierendem Ton ausgesprochenen Schlußworten ergriff Mr. Watkins sein Glas und tat daraus einen herzhaften Zug.

Der junge Ingenieur war wie vom Donner gerührt und wußte keine Antwort zu finden. Als der Farmer das bemerkte, trieb er ihn noch weiter in die Enge.

„Sie sind doch sonderbare Schwärmer, die Franzosen!“ fuhr er fort; „sie halten wahrlich gar nichts für unmöglich. Sie kommen an, als wenn sie vom Mond herabgefallen wären, erscheinen im Herzen des Griqualands bei einem grundehrlichen Mann, der bis vor 3 Monaten noch kein Sterbenswörtchen von ihnen gehört hat, und den sie selbst kaum zehnmal in diesen 90 Tagen gesehen haben. Sie suchen ihn auf und sagen ohne Umstände zu ihm: ‚John Stapleton Watkins, Sie haben eine reizende, vortrefflich erzogene Tochter, die allgemein als die Perle des ganzen Landes angesehen wird, und die, was nicht eben schädlich ist, Ihre einzige Erbin zu der reichsten Diamant–Kopje der beiden Welten ist! Ich, ich bin Cyprien Méré, Ingenieur aus Paris, und habe 4800 Francs jährliches Einkommen! ... Sie werden mir also gefälligst diese junge Dame als Gattin überlassen, damit ich sie in meine Heimat entführe, und Sie nichts wieder von ihr hören – höchstens aus der Ferne durch die Post oder den Telegraphen ...‘

Und das würden Sie natürlich finden? … Ich, ich halte es für völlige Verrücktheit!“

Ganz bleich geworden, hatte Cyprien sich erhoben. Er ergriff seinen Hut und bereitete sich, fortzugehen.

„Ja, völlige Verrücktheit“, wiederholte der Farmer. „Ah, ich überzuckere die Pille nicht, junger Freund. Ich bin eben Engländer von altem Schrot und Korn. Wie Sie mich hier sehen, bin ich zwar genau so arm gewesen wie Sie, ja, eigentlich noch weit ärmer. Ich habe mich in allem versucht! ... Ich war Schiffsjunge an Bord eines Handelsschiffes; war Büffeljäger in Dakota, Minengräber in Arizona, Schafhirt im Transvaal! ... Ich habe Hitze und Kälte, Hunger und Strapazen kennengelernt! Im Schweiße meines Angesichts habe ich 20 lange Jahre hindurch das bißchen Zwieback verdient, das mein Mittagsmahl bildete. Als ich die selige Mrs. Watkins, Alices Mutter und die Tochter eines Buren von französischer Abstammung wie Sie 2) – um Ihnen das beiläufig mitzuteilen – heiratete, hatten wir beide zusammen nicht so viel, um eine Ziege ernähren zu können! Aber ich habe gearbeitet ... habe nie den Mut sinken lassen! Jetzt bin ich reich und denke die Früchte meiner Anstrengungen gemächlich zu genießen. – Meine Tochter will ich jedenfalls in der Nähe behalten – um mich bei den verteufelten Gichtanfällen zu pflegen und mir des Abends zum Zeitvertreib etwas vorzuspielen! ... Wenn sie sich jemals verheiratet, so wird das hier an Ort und Stelle sein, und mit einem Sohn des Landes, der ihr ein entsprechendes Vermögen zubringt, der Farmer oder Diamantengräber ist, wie wir andere, und der mir nicht davon spricht, fortzugehen, um im 3. Stockwerk am Hungertuch zu nagen in einem Land, wohin ich doch nimmermehr einen Fuß setzen werde. Sie könnte zum Beispiel den James Hilton oder einen andern Burschen seines Schlags zum Mann nehmen. An Bewerbern fehlt es ihr nicht, das dürfen Sie mir aufs Wort glauben. Kurz, es muß ein guter Engländer sein, der nicht vor einem Glas Gin Reißaus nimmt und der mir Gesellschaft leistet, wenn ich eine Pfeife Knaster rauche.“

Cyprien hatte schon die Hand auf den Drücker der Tür gelegt, um diesen Raum zu verlassen, in dem er fast erstickte.

„Na, nichts für ungut!“ rief ihm Mr. Watkins zu. „Ich habe gegen Ihre Person sonst gewiß nicht das Geringste, lieber Méré, und werde Sie immer gern als Mieter und Freund in meinem Haus sehen. Halt, warten Sie einmal, heut' abend werden gerade einige Personen zu uns zu Tisch kommen ... wollen Sie uns vielleicht ein paar Stunden Gesellschaft leisten?“

„Nein, ich danke, Mr. Watkins!“ antwortete Cyprien kühl. „Ich muß bis zum Abgang der Post meine Korrespondenz fertigstellen.“ Damit verließ er leicht grüßend den gichtbrüchigen Farmer.

„Völlig verrückt, diese Franzosen ... völlig verrückt!“ wiederholte Mr. Watkins noch öfter, während er mit einem ihm stets zur Hand liegenden Schwefelfaden seine Pfeife wieder in Brand setzte.

Und mit einem tüchtigen Glas Gin suchte er sich wieder vollständig in Ordnung zu bringen.



1) Die englische Meile mißt 1609 Meter.
2) Eine große Anzahl von Buren oder afrikanischen HolländerBauern stammen ursprünglich von Franzosen ab, die infolge der Aufhebung des Edikts von Nantes erst nach Holland und dann nach dem Kap auswanderten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Südstern oder Das Land der Diamanten