Der Segen des Gartensports

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Paul Hoche, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Garten, Gartenarbeit, Natur, Licht, Luft, Bewegung, Lebenskräfte, Gesundheit, Genesung, Befreiung,
Das letzte und vornehmste Erziehungsziel, nämlich den harmonischen Menschen heranzubilden, hat die Pädagogik wohl längst erkannt, aber wie wenig kommt man in der Wirklichkeit dieser Kardinalforderung nach. In der Praxis hat man fast zu allen Zeiten ausgeprägte Bildungseinseitigkeiten feststellen müssen. So wurde bis in unsere Tage hinein vor allem dem Kultus des Geistes gedient, während die Seele verkümmerte und dem Leibe nicht sein Recht ward. So vielerlei trug dazu bei, unseren Körper zu zermürben, die Menschen dadurch vor der Zeit alt und schwach zu machen. Seit wir ein Industrievolk geworden sind, müssen so viele ihre Tage im Lärm und Staub der Fabriken, in Stuben und Speichern verbringen. Millionen atmen im Steinmeer der Großstädte, im dunstigen Brodem des Häusermeers. Die Zivilisation war nicht immer unser Freund, und die Falschkultur unserer Zeit in Nahrung, Kleidung, Wohnung und in den Vergnügungen frisst an unserer Kraft. Kommt noch hinzu, dass der ohnehin schon brutale Kampf ums Dasein ich unter den Nachwirkungen des Krieges wesentlich verschärft hat. Das alles zusammen zehrt an unserem Mark, verbraucht unsere Energien.

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Wir haben uns zu sehr von der Natur entfernt, von ihr verirrt wie ein Kind von seiner Mutter. Aus ihr aber quellen unsere stärksten Lebenskräfte. Daher der fast unausrottbare Trieb nach draußen, die Sehnsucht nach Licht, Luft, Bewegung, die Fontane einmal die eigentlichen Geheimen Sanitätsräte des Menschen genannt hat, der Drang nach weiten Fluren, Feldern, Wäldern, Wiesen, nach Berg und Wasser. Daher in irgendeinem Kämmerlein unseres Herzens das Eingeständnis unserer unzulänglichen Körperlichkeit, des Wunsches nach Erfüllung, Gesundung, Befreiung, nach Vollendung des ganzen Menschen.

Nur so ist es zu erklären, wenn heute der Sport eine ganz ungeahnte Verbreitung gewonnen hat. Er ist die gefesselte Prometheussehnsucht der verkümmerten Menschlichkeit, die nach Erlösung ruft. Der Sport wird daher nicht vorübergehende Mode sein, sondern so lange elementares Lebensbedürfnis, wie der Mensch unter unglücklichen Daseinsformen verkümmern, dahinsiechen muss.

Unter diesem Gesichtspunkt muss auch die Gartenarbeit angesehen werden. Auch sie ist Sport, Sport im besten Sinne des Wortes. Stellt sie uns nicht hinein in die am meisten lebenserneuernde Umgebung, hinein in Licht und Luft? Im Garten trinkt die Lunge den erfrischenden Äther, atmet sie den Ozon der Pflanzen, da badet sich der Leib wohlig in den gesunden Strahlen des Sonnenlichtes. Da sorgt die vielseitigste Bewegung für die Durcharbeitung des ganzen Körpers, so dass ein jedes Glied aus seiner faulen Ruhe gerissen wird. Jede Sportart ist in gewissem Sinne einseitig, wendet sich an bestimmte Organe und Glieder im Menschen. Die Gartenarbeit aber ist unendlich vielseitig und abwechslungsreich. Laufen, Tragen, Graben, Knien, Liegen, Bücken, Stehen, und wer weiß was noch, lösen in bunter Mannigfaltigkeit einander ab. Es gibt außer dem Hausfrauenberuf kaum eine andere Beschäftigung, die den ganzen Körper Jo vielseitig in Anspruch nimmt wie Gartenarbeit. Wer viel im Garten ist, verspürt auch bald eine freudige Gesundheit, eine erhöhte Leistungsfähigkeit. Abhärtung schützt vor tausend kleinen Leiden; Schnupfen, Kopfschmerzen, Heiserkeit und andere Quälgeister des verzärtelten Stubenmenschen sind seltene Gäste geworden. Das Auge gewöhnt sich wieder an die Weite, und jedes Jahr kann man beobachten, wie im Laufe des Sommers die Kurzsichtigkeit abnimmt.

Aber profitiert nicht auch die Seele vom Garten? In der Tat kaum minder als der Leib. Hier, auf umfriedeter eigener Scholle keimt wie in der eigenen Wohnung das Heimgefühl mächtig auf. Der Beruf, das Leben führten uns mit Menschen aller Art zusammen. Da ging's beim besten Willen nicht immer ohne schmerzhafte Reibungen ab, da rieb sich nicht selten die Seele an unseren Mitmenschen wund, da waren wir in gegebene Verhältnisse, in ein eisernes Muss hineingestellt. Wie anders im Garten. Da stehen wir da als Herren, als Eigene, da findet das brausende Leben ringsumher seine Schranke, da sind wir mit uns allein, da fällt ab, was uns draußen quälte, die Nerven beruhigen sich, wir lernen alles abgeklärter, sachlicher ansehen. So wird der Garten uns zum unversiegbaren Kräfteborn, aus dem uns Wasser des Lebens quillt. Ein unendlicher Vorzug ist es, dass uns der Garten in noch höherem Mage als der Sport mit der Natur in Berührung bringt. Die Zivilisation hat den modernen Menschen von ihr losgerissen, der Garten führt den Verirrten wieder in ihre Arme zurück; sie macht ihn wieder froh und stark, ähnlich wie der Riese Antäos aus jeder Berührung mit seiner Mutter Erde wieder neue Kräfte sog.

Der Sport wurzelt in seinem tiefsten Wesen in der Betätigung des Spieltriebes, des Bedürfnisses, seine gesamten Kräfte in freier, beglückender Weise auszulösen. Die Berufsarbeit mag noch so beglückend sein, sie wird doch zum Zwange, stimmt den Lebensmut oft herab und wird gar zur schrecklichen Tretmühle und Fron, wenn Neigung und Begabung zur täglichen Arbeit fehlen. Aus dieser Kette der Not, aus der oft so mechanisierten Arbeit heraus lockt der Sport, lockt in gleichem Maße auch der Garten. Da tritt der Mensch in eine zweite, in eine schönere Welt ein. Da schafft er durchaus nicht weniger als im Beruf, da spannen sich vielmehr oft seine Kräfte zu wahren Herkulestaten, aber eins unterscheidet dieses Tun von den Mühen des Berufs: die eigene Entschlussherrlichkeit, die Lust zum Gestalten, die Hingabe und Freudigkeit, mit der geschafft wird. Hier lebt der ganze Mensch auf, und das Schillersche Wort bewahrheitet ich: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Der Sport steht in besonders inniger Beziehung zur Jugend. Damit ist nicht gesagt, dass er zum Alter nicht passte. Aber das hat doch nicht die Elastizität, nicht die Kraft der Jugend, nicht ihr Vorwärtsstürmen, ihren Geselligkeitstrieb, die Lust zu Rekorden. Der Gartensport jedoch kommt dem Alter recht entgegen. Hier kann ich der einzelne von der Welt abschließen, hier kann er in Ruhe und Beschaulichkeit schaffen, wie es ihm beliebt, kann individuell schöpferisch schaffen und dabei doch in seinem freien Spieltrieb produktive Arbeit leisten, worauf das Alter größeren Wert legt als die unbesorgte Jugend.

Heute werden die Gärten schon nicht mehr so geachtet wie in den bitteren Kriegs- und Inflationsjahren, wo jedes Blatt ein kleines Kapital darstellte. Heute lohnt, so wird behauptet, der Garten nicht mehr die Kosten. Ach, wie kurzsichtig, wenn man so denkt! Gewiss schenkt auch der Garten nichts, und es liegt ein Segen darin; aber birgt er nicht eine Fülle ideeller Werte, die keine noch so volle Börse aufwiegen kann? Schmeckt nicht alles viel besser, was taufrisch aus dem eigenen Garten geholt wurde? Bleibt nicht wahr, was Rückert dichtete: „Den Kohl, den du dir selber gebaut, den musst du nicht nach dem Marktpreis schätzen; du hast ihn mit deinem Schweiße betaut, die Würze lässt sich durch nichts ersetzen.“

Darum recht viele Gärten, und seien es auch nur Laubengärten, angelegt! Sie sind Brunnen der Gesundheit, Kraft, Lebensfreude. Ich möchte sie die Sanatorien der Menschen nennen. Und es ist ein gutes Zeichen für die Menschennatur, wenn sich um das deutsche Haus ein freundlicher Garten zieht, wenn sich vor allem ein bunter Kranz von Laubengärten um die Weltstadt, um die großen Städte des Reiches schlingt. Darin klingt der Schrei der Sehnsucht des verirrten, vom Quell seiner Kraft abgelenkten Menschen nach seiner Allmutter, nach der gesund machenden und beglückenden Natur.

Kleingäten, die Siedlung Lindenhof in Berlin-Schöneberg mit Hausgärten

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Kleingäten, Gartenpflege im Vorort

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Kleingärten, Verkaufsladen für Kleinsiedlungsartikel in einer Laubenkolonie

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Kleingärten, Tierhaltung im Eigenheim

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Kleingärten, preisgekrönter Entwurf eines Siedlergartenwettbewerbs

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