Der Ostseeverkehr und die Hansestädte von der Mitte des 14. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts.

Aus: Hansische Geschichtsblätter. 30. Jahrgang 1902
Autor: Daenell, Ernst Robert (1872-1921) deutscher Historiker und Hochschullehrer, Erscheinungsjahr: 1903

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hansezeit, Mittelalter, Hansa, Städtebund, Kaufleute, Nordsee, Ostsee, Außenhandel, Kaufmannschaft, Nordseehering, Heringshandel, Hansestadt, Hansestädte
Seit den 50er Jahren des 14. Jahrhunderts übernahmen die niederdeutschen Städte in ihrer Gesamtheit die Oberleitung über ihre Kaufmannschaft, die durch gemeinsame Verkehrsinteressen im Auslande geeint und verschmolzen worden war. Von ihr ging damals der Name der deutschen Hanse auf die neue höhere handelspolitische Einheit ihrer Heimatstädte über. Mit berechtigtem Stolze konnten die hansischen Kaufleute auf die Stellung blicken, die sie im Gesamtverkehr des Nordsee- und Ostseegebiets bis zu diesem Zeitpunkt errungen hatten. Der selbständige Außenhandel der beiden Meeren anwohnenden andern Völker war allerorten vor ihrer Tätigkeit zurückgewichen. Der Verkehr der Norweger nach England und den Niederlanden, der noch im Anfänge des 14. Jahrhunderts lebhaft gewesen war, hatte im Laufe der nächsten fünfzig Jahre vollständig aufgehört. Der englische Handel nach Bergen war namentlich auch infolge seiner Vertreibung durch die Hansen nach 1370 und der Plünderung Bergens, durch die mecklenburgischen Vitalienbrüder im Jahre 1393 bis auf geringe Reste untergegangen. Die dänische und schwedische Schifffahrt war auf die Stufe allerdürftigster Küstenfahrt hinabgesunken. Ein russischer Seeverkehr innerhalb der Ostsee bestand nicht mehr. Die englische, flämische und friesische Schifffahrt nach dem Osten und die gotländische nach dem Westen waren teils für längere Zeit gehemmt, teils unterdrückt worden.

Die Stellung des beherrschenden Handelsvermittlers zwischen dem Westen und allen östlichem Gegenden zu behaupten musste daher das Hauptbestreben der Hansestädte sein. Ihre Stellung im Westen war solange eine unantastbare, als ihre Kaufleute imstande waren, dort als einzige oder doch weitaus wichtigste und leistungsfähigste Vermittler der auf dem Markte Englands und der Niederlande und weiterhin im Westen geschätzten Rohstoffe des europäischen Nordens und Ostens aufzutreten.

Auf dem Boden der Niederlande aber, im flandrischen Brügge, dem internationalsten und belebtesten europäischen Handelsplätze während des Mittelalters, reichte der hansische Kaufmann dem italienischen, der als Beherrscher des südeuropäischen Handelsgebiets dort auftrat, die Hand.

Die Lebhaftigkeit des Verkehrs der Italiener nach Nordwesteuropa war bedeutend gewachsen, seitdem neben den bisher allein gepflegten Landverkehr auch ein Seeverkehr getreten war. Nach Vorangang einiger Privatleute nämlich, zuerst anscheinend der wagemutigem Genuesen mit ihren großen Lastschiffen, richteten Genua und Venedig im zweiten und dritten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts einen vom Staat organisierten und geleiteten regelmäßigen jährlichen Galeerendienst nach den Niederlanden mit einer Abzweigung von dort nach England a ein. Nach anfänglichem Schwanken zwischen Brügge und dem zur See besser zugänglichen Antwerpen scheint die Tatsache, dass der Verkehr der Italiener bisher seinen Mittelpunkt in Brügge besessen hatte, dass auch die andern südeuropäischen Nationen diesen Platz bevorzugten und vor allem wohl, dass die hansische Kaufmannschaft dort ihren Stapel besaß, auch für die Richtung des italienischen Seeverkehrs entscheidend gewesen zu sein. Auch während des 15. Jahrhunderts residierten ihre Genossenschaften neben der hansischen in Brügge und hatten dort den Schwerpunkt ihres Verkehrs, außer wenn in Antwerpen die freien Jahrmärkte, der Pfingst- und der Bamissenmarkt, die im 15. Jahrhundert immer wichtiger für den Handel wurden, stattfanden. Nur wenn der Handelsverkehr in Brügge tiefgreifenden Störungen unterlag, wie z. B. in den dreißiger und fünfziger Jahren des 15. Jahrhunderts, liefen die venetianischen Galeeren mit ihrer Ladung nach Antwerpen ein. Von Waren des nordeuropäischen Handelsgebiets erfreuten sich bei den Südeuropäern besonderer Wertschätzung etwa die niederländischen Tuche, deutsche Leinwand, Kupfer und Pelzwerk, das der hansische Kaufmann im slawischen Osten erwarb. Sie selbst bereicherten den Verkehr nördlich der Alpen durch die immer und überall begehrten Gewürze des Orients und andere Waren der Levante, wie seidene und andere kostbare Gewebe und namentlich den für die Färberei derzeit unentbehrlichen Alaun, sowie durch Erzeugnisse ihres eigenen Bodens und ihres städtischen Gewerbefleißes. Wiederholt sehen wir im 14. und 15. Jahrhundert in der Preisgestaltung der Orientwaren auf dem Brügger und Londoner Markt den Einfluss sich widerspiegeln, den Störungen im Verkehr der Italiener mit dem Morgenlande hervorriefen. So machte sich Mitte der 60er Jahre des 14. Jahrhunderts die vorübergehende Verschlechterung in den Beziehungen der Christen zum ägyptischen Sultan in einer lange anhaltenden Zufuhrstockung und Preissteigerung der sonst namentlich über Alexandria in den europäischen Verkehr gekommenen Spezereien stark fühlbar. So bewirkte die Störung, die der italienische Seeverkehr nach Brügge und England durch nordafrikanische Piraten um 1390 erlitt, dass in Flandern alle aus den Städten Italiens und der Levante kommenden Waren, besonders die Spezereien übermäßig teuer und manche Gattungen überhaupt nicht käuflich waren. So äußerte sich die Ausbreitung der türkischen Herrschaft in Vorderasien und der Balkanhalbinsel und der mit ihr Hand in Hand gehende Steuerdruck namentlich auch in einer schweren Verteuerung des von den Genuesen monopolisierten Alauns auf dem Brügger Markte in den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts 3 . Und schon seit den 20er Jahren hatte das Abendland es besonders an dem unablässigen Preisaufschlage des so beliebten Pfeffers schmerzlich zu spüren, dass der ägyptische Sultan die zwischen Morgen- und Abendland als Welthandelsplatz einzige Stellung Alexandrias immer rücksichtsloser zur Befriedigung seiner finanziellen Bedürfnisse ausbeutete. In der Folge wirkte auch die zunehmende Unsicherheit des venetianischen Galeerenverkehrs nach Alexandria, der mehr und mehr unter türkischen Seeräubereien zu leiden hatte, ungünstig auf den Preis der asiatischen Waren ein.

Die Süd- und Orientwaren nahmen unter den hansischen Handelsartikeln im Vergleich zu deren Gesamtwert sicherlich keinen so bedeutenden Raum ein. Das Handelsgebiet der Hanse, das im Rahmen des gesamten mittelalterlichen Weltverkehrs durchaus ein Endgebiet darstellte, war in hervorragendem Maße ein in sich geschlossenes Gebiet. Der hansische Handel beruhte vorzüglich auf dem Umsatze der Roh- und Gewerbeerzeugnisse der anwohnenden Völker gegeneinander. Blieb im Norden, Osten oder Westen der hansische Händler mit seinen nordeuropäischen Waren aus, stellte er den Verkehr einmal ein, so erlitt das Wirtschaftsleben der davon betroffenen Völker schwere Störungen, um so schwerere, je höher organisiert und je mannigfaltiger die Volkswirtschaft war. Am meisten also litten die südlichen Niederlande; und für sie war die hansische Verkehrseinstellung ganz besonders verhängnisvoll noch deshalb, weil die Hanse für dies industriereichste Gebiet, dessen Ackerbau sowenig wie der in den niederländisch-rheinischen Nachbargebieten auch nur entfernt der Ernährung seiner dichten, überwiegend städtischen Bevölkerung allein genügte, die Lieferantin des unentbehrlichen Getreides war.

Dieser Umsatz von Waren, der sich bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts so gut wie gänzlich in den Händen der hansischen Kaufmannschaft und Schiffer vereinigt hatte, besaß seinen belebenden handelspolitischen Mittelpunkt in Lübeck. Auf die universale Stellung dieser Stadt innerhalb des nordeuropäischen Handelsgebiets und ihre Ursachen ist noch kürzlich verständnisvoll hingewiesen worden. In keiner andern Hansestadt durchdrangen sich infolge der geschichtlichen Entwicklung wie der verkehrsgeographischen und anderen Bedingungen so innig allgemein hansische Forderungen und Bestrebungen mit den besonderen, die Lübeck zum Vorteile seines eignen Handels und Verkehrs verfolgte. Es liegt hierin begründet, dass hier die wichtigsten Handelsstraßen des nordeuropäischen Verkehrsgebiets zusammentrafen, sowohl die See- wie die Landwege, und dass Lübeck allen andern Städten dieses Gebiets im Handel und in der Reederei weit voranstand. Und seine Nachbarstädte im Westen wie im Osten, Hamburg und Lüneburg, Wismar, Rostock und Stralsund, sowie die sächsischen Binnenstädte nahmen in größerem oder geringerem Maße an diesen Vorzügen Lübecks teil. Daher standen unter allen Hansestädten sie und ihre Interessen den lübischen am nächsten und bildeten die zuverlässigste Gefolgschaft Lübecks.

Hansewappen

Hansewappen

Hanse Kogge

Hanse Kogge

Lübeck Das Holstentor

Lübeck Das Holstentor

001 Goldschmiedewerkstatt

001 Goldschmiedewerkstatt

002 Enge Gasse

002 Enge Gasse

003 Steinmetzen

003 Steinmetzen

004 Glockengießer

004 Glockengießer

005 Wundarzt

005 Wundarzt

006 Fahrendes Volk

006 Fahrendes Volk

007 Rathausplatz

007 Rathausplatz

008 Prozession vor dem Dom

008 Prozession vor dem Dom

009 Dom-Inneres

009 Dom-Inneres

010 Gerichtsszene

010 Gerichtsszene

011 Bauern bei der Feldarbeit

011 Bauern bei der Feldarbeit

012 Bauernfamilie auf dem Weg zum Markt ziehend

012 Bauernfamilie auf dem Weg zum Markt ziehend

013 Bürgerstube

013 Bürgerstube

014 Hausorgelmusik

014 Hausorgelmusik