Der Brandherd in Syrien

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Regierungsrat Dr. Felix Langenegger, im Weltkrieg politischer Araberagent in Mesopotamien, Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Nord Afrika, Syrien, Drusen, Moslems, Nahe Osten, Orient, Orientalen, Persischer Golf, Kurdistan, Araber, Arabien, Entente, Franzosen, Kolonialmacht, Aufstand,
Die gute alte Zeit, die den Völkern des Nahen Ostens, unberührt vom Hauche der hastigen Weiterentwicklung Europas, in aller Gemächlichkeit fortgeblüht hatte, ist im Sturmwirbel des Weltkrieges wie so manches andere Idealgut verlorengegangen. In den ungeheuer weitgestreckten, wenn auch menschenarmen Gebieten zwischen Mittelmeer und Persischem Golf, zwischen Schneegebirgen Kurdistans und Glutküssten Arabiens wurde nun nicht mehr wie bisher am Thronbesteigungstage des Sultans allerorten das blutrote Fahnentuch mit dem blendendweißen Zeichen des zunehmenden Glücks, dem Stern in der Neumondsichel, von Beamten und Soldaten der Hohen Pforte unter dem Rufe: „Padischahim tschok jascha!“ („Lang lebe der Sultan!“) aufgezogen. Die unterm 25. bis 35. Breiten- und unterm 35. bis 45. Längengrade gelegene türkische Riesenprovinz, in der eine Art patriarchalischer Oberherrschaft des großen Bruders aus Stambul geherrscht hatte, war diesem bisherigen Herrn entglitten.

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Das weite, teilweise durch eigene, nämlich arabische Mithilfe vogelfrei gewordene Land war der Willkür der Entente ausgeliefert. Unter dem bekannten Deckmantel jener von Menschenfreundlichkeit triefenden Schlagworte, mit denen sich nicht allein harmlose Orientalen hatten täuschen lassen, zerschnitt diese das Land gleich einem Riesenkadaver, löste für sich die besten Stücke heraus und überließ die Reste den eingeborenen Kriegskumpanen oder einfach sich selber. Es soll nicht von den lächerlichen Gründungsversuchen jener größenwahnsinnigen Rumpfstaatengebilde gesprochen werden, wie dem „Königreich“ Armenien und dem „Fürstentum“ Kurdistan mit der Hauptstadt Mosul. Festere Gründungen waren die Judenrepublik Palästina, das „Königreich“ Hedjas, das „Königreich“ Irak, sämtliche von Englands Gnaden und als Bollwerk Indiens gegen den Zukunftsfeind aus Europa gedacht. Syrien dagegen, und zwar das Land zwischen Mittelmeer und der Bagdadbahnstraße einerseits sowie zwischen türkischer und palästinensischer Grenze anderseits, wurde gemäß dem schon lange bestehenden Sykes-Picotschen Geheimvertrag und im Gegensatz zu allen dauernd noch mit lauter Stimme verkündeten Versprechungen des Selbstbestimmungsrechtes französisches Mandat-, sprich: Annexionsgebiet.

Dieses etwa 135.000 Quadratkilometer große Gebiet, das den Franzosen da nach dem Abkommen von San Remo unter dem Namen „Syrien“ zufiel, ist lediglich ein geographischer Begriff, ein Linienriss auf der Landkarte, gezogen von Männern, deren Ländergier größer war als ihr geographischer Überblick. Dieses Syrien ist im Westen ein Paradies und im Osten ein Ödland. Es gibt kein ungleichwertigeres Land. Seine Küsste am Mittelmeer ist von einer Üppigkeit und Schönheit, die ihresgleichen suchen. An ihr, der alten phönizischen Küste, liegen Seestädte von märchenhaftem Reiz. Nur Beirut, Tripolis, Alexandretta, Saida und Sur seien genannt. Die Gründung aller dieser Städte geschah in den großen Tagen der Geschichte des alten Orients. Das Land wird auch durchzogen von mächtigen, wundervoll gefärbten und gestalteten Gebirgen, deren höchste Häupter fast das ganze Jahr über mit einer blendenden Schneehaube bedeckt liegen. Dies sind der Amanus, der Libanon und Antilibanon, der Hermon und das wilde Drusengebirge, der Hauran. Ihre Täler strotzen von Fruchtbarkeit und werden von reichen Wässern durchbraust. In ihnen verstecken sich zahlreiche betriebsame und lichte Städte. Die Gebirgshänge sind bis hoch hinauf mit Dörfern übersät, von Weinbergen überzogen und durch fleißige Menschenhand in ein anmutiges Fruchtgebiet verwandelt. Zwischen den Gebirgen dehnen sich reiche Ebenen mit unübersehbaren Feldern und weiten Plantagen von Maulbeerbäumen für die syrische Seidenraupenzucht und von Ölbäumen. Solche Ebenen sind die Beka’a, das Cölesyrien der Alten, und die Ebenen von Antiochien und Aleppo zwischen Amanus und Euphrat.

Zweiriesige und uralte Handelsknotenpunkte liegen im Norden und Süden des Landes: Aleppo, das Beröa des Seleukos Nikator, und Damaskus, das schon in den assyrischen Keilschrifttexten Dimischki heißt. Diese Stapelplätze aller Güter und Köstlichkeiten des Orients mit ihren ungeheuren Basaren, Chans, Fabrikationsbetrieben und Häusermassen sind die Pforten zu den Wegen des Fernen Ostens, nach Persien, Indien, China. Sie liegen am Westgestade des ungeheuren „Meeres aus Sand und Brokken“, dass sich von hier ab nach Osten hinaus erstreckt: an der Syrischen Wüste. Diese ist seit Menschengedenken nichts gewesen als eine ziellose Heimat aller Einsamkeiten. Keine Städte blühen in ihrer Leere, keine Felder wogen über ihrem Steingrund, kein Wasser durchrauscht ihre ewige Stille. Nur der flüchtige Nomade, der freie Beduine durchstreift sie mit „Haus“ und Herden und zieht gleich den Urvätern zu Abrahams Tagen immer noch von Wasserstelle zu Wasserstelle, kämpft mit dem Nachbar um die Vergrößerung der kargen Weideplätze, raubt fremde Herden und brandschatzt den Reisenden, der es wagt, in sein unbestrittenes Heimatgebiet einzudringen. Östliche Grenze der Syrischen Wüste ist der Euphrat. Das jenseitige Gebiet - Djezireh, Mesopotamien - ist gleichfalls nur Steppenland, Kamelweide der Beduinen. Die im Altertum so berühmte Fruchtbarkeit des Euphrats entgleitet zwischen kahlen Ufern, die seit den furchtbaren Tagen Timur Lenks menschenleer geworden sind. Nur an wenigen Stellen gibt es noch bedeutendere Ansiedlungen, und das einzige Städtchen dort ist Der ez Zor. Dieses fast menschenleere und unfruchtbare Gebiet nimmt etwa zwei Drittel von Syrien ein.

Natürlich ist die Bevölkerung einer so ungleichartigen Erdengegend ebenfalls höchst verschiedenartig. Die Syrer der Küstengegend, der Gebirge und der Gefilde dazwischen sind Nachkommen jener Aramäer, in deren Sprache Christus lehrte. Aber alle die fremden Herrenvölker, welche Syrien je in Besitz hatten, die Assyrer, Ägypter, Römer, Griechen, Byzantiner, Araber, Kreuzfahrer, Türken, ließen Spuren im Blut dieses nie freien Volkes zurück. Christen und Moslems, die hier eng beieinander wohnen, sind an Zahl etwa gleich. Aber eine Fehde, alt wie die Zeit der Kreuzfahrer, steht zwischen ihnen, und das Blut ihrer wilden Metzeleien wird unter der Verbrämung einer von Fremden ersonnenen Staatsform nie verdeckt werden können. Alle Bekenntnisse und Sekten des Christenglaubens sind in diesem Lande, wo einst dem Baal und der Astarte geopfert wurde, beheimatet. Die christliche Stadtbevölkerung hat zweifellos die größte Kultur und ist die betriebsamste. Sie war es, welche die Franzosen immer wieder als Beschützer gegen die Moslems herbeirief und die nun - endlich am Ziele - sich für sie entschied. Auch die Moslems sind in zahlreiche Sekten zerspalten. Neben den Hauptbekenntnissen der Sunna und Schia finden ich Ismailier, Noseirier, Jeziden, Drusen, Assasinen. Alle aber eint das Band des Islams doch so, dass sie in dem glaubensfremden Usurpator von allem Anfang an den Feind sahen. Als dann die Franzosen den „König“ von Syrien, Fejsal, im Juli 1920 verjagten, das Land durch schamlose Beitreibungen ausraubten, den schwarzen Soldaten, dieser von jedem Orientalen tiefverachteten Rasse, freie Hand ließen, erwachten auch die Christen höchst unliebsam aus ihren rosigen Verbrüderungsträumen. Die Beschwerden beim Völkerbund verhallten wie üblich. Entsprechend dem Spruch: „Teile und herrsche!“ zerrissen die Franzosen Syrien in drei Staaten, den reichen Christenstaat Großlibanon und die Araberstaaten Damaskus und Aleppo. Aber gallischer Übermut, Unkenntnis der Volksseele und Unbekümmertheit um Landessitten und Gebräuche erreichten bald, dass sich dieses Volksgemisch, das der Entente so hoffnungsfroh zugejubelt hatte, nach der gemütlichen Türkenherrschaft zurücksehnte, die jetzt gar nicht mehr so unerträglich erschien.

Als erste erhoben sich die freiheitliebenden, stolzen und waffengeübten Drusen und versetzten dem in sein wildes Heimatland, den Hauran, eindringenden Bedrücker harte Schläge. Die moslemischen Steppenbewohner verbündeten sich ihnen. Den Anstoß zum Auflodern gab das ganz unglaublich törichte, weil auf die Psyche von „N-Wort“, nicht aber von Orientalen gemünzte, Zurschaustellen nackter erschossener Drusen in Damaskus. Diese religiöse Entweihung der Leichname Rechtgläubiger machte aus dem politischen einen Religionskampf.

Wir haben die Folgen gesehen. Die Moslems standen auf, wie einst zur Metzelei der Christen. Das uralte schöne Damaskus wurde von den Franzosen, diesen Zeterern über Reims, in gleicher Weise zertrümmert, wie einst von den barbarischen Tataren Tamerlans. Es ist möglich, dass der Aufstand in den vorderen Teilen Syriens, wo es Eisenbahnen, Heerstraßen und feste Orte gibt, niedergeworfen wird, nicht aber draußen in den Ödgebieten. Es ist bekannt, dass dort die fernen Garnisonen der Franzosen in Palmyra, Der ez Zor, Heseke, Ras el Ain vernichtet sind. Nie wird der Franzose über die flüchtigen Nomaden, die waffengeübten Halbbaueren und die Gebirgsscharfschützen Herr werden. Die Strafexpeditionen werden im Lande der Mühsal, Ziellosigkeit und Dürre nur Luftstöße ausführen, um schließlich selbst in Hinterhalte zu geraten. Mit Bombenflugzeugen und Tanks lässt sich die uralte Nomadenfreiheit nicht ausrotten, sowenig wie dies den assyrischen Großherren schon vor zweitausend und mehr Jahren mit ihren gefürchteten Streitwagen gelang.

Was soll Frankreich tun? Für England ist der Besitz Palästinas und Arabiens Selbstzweck: das Bollwerk Indiens gegen jeden europäischen Gegner, für Frankreich der Besitz Syriens nur Prestigesache. Das wilde, wenig ertragreiche Hinterland aufgeben: unmöglich! Das Land befrieden: ein erhebliches Opfer an Geld und Blut! Im Hintergrund die Drohung des Völkerbundes auf Mandatsentziehung.

Ein arabisches Sprichwort sagt: Ob der Stein auf den Topf, oder der Topf auf den Stein fällt, der Erfolg ist derselbe. Wir gönnen den Franzosen ihren schönen Erfolg des in Trümmer gegangenen syrischen Topfes.

Das wilde Djebel Drus, das Drusengebirge, der Herd der syrischen Freiheitsbewegung

Freie Beduinen vom Stamm der Schamar aus dem Grenzland des französischen Mandatgebiets und des Königreichs Irak

Die Mitglieder der drusischen Häuptlingsfamilie der Ibn Atrasch in Suwejda. Die Drusen tragen weißen Turban oder weiße Kopftücher

Bewohner der Gebiete des Zusammenstoßes an der türkisch-französisch-englischen Grenze in Mesopotamien bei Nisibin. Teufelsanbeter

Syrien, Bewohner der Gebiete des Zusammenstoßes an der türkisch-französisch

Syrien, Bewohner der Gebiete des Zusammenstoßes an der türkisch-französisch

Syrien, Das wilde Djebel Drus, das Drusengebirge, der Herd der syrischen Freiheitsbewegung

Syrien, Das wilde Djebel Drus, das Drusengebirge, der Herd der syrischen Freiheitsbewegung

Syrien, Die Mitglieder der drussischen Häüptlingsfamilie der Ibn Utrasch in Suwejda. Die Drusen tragen weißen Turban oder weiße Kopftücher

Syrien, Die Mitglieder der drussischen Häüptlingsfamilie der Ibn Utrasch in Suwejda. Die Drusen tragen weißen Turban oder weiße Kopftücher

Syrien, Freie Beduinen vom Stamm der Schamar aus dem Grenzland des französischen Mandatsgebiets und des Königreichs Irak

Syrien, Freie Beduinen vom Stamm der Schamar aus dem Grenzland des französischen Mandatsgebiets und des Königreichs Irak