Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin. 06. Häuserschacher und Baustellenwucher.

Die unaufhörliche Steigerung der Mietspreise nötigte einen großen Teil der Bevölkerung zur Auswanderung.
Autor: Glagau, Otto (1834-1892) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller., Erscheinungsjahr: 1875
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Wohnungsfrage in Berlin, Beginn der Schwindelperide, Werk der Börsianer, Ein Heer von, repräsentieren und genießen
Die „Wohnungsfrage“ steht in Berlin schon lange auf der Tagesordnung, aber die allgemeine „Wohnungsnot“ begann erst nach dem deutsch-französischen Kriege, zugleich mit der Schwindelperiode, und sie ist zum großen Teil das Werk der Börsianer und Gründer.

1867 standen hier Wohnungen leer circa 8600
1868 standen hier Wohnungen leer circa 6100
1869 standen hier Wohnungen leer circa 3500
1870 standen hier Wohnungen leer circa 1800
1871 standen hier Wohnungen leer circa 2000
1872 standen hier Wohnungen leer circa 1100

Diese 1100 im Jahre 1872 leeren Wohnungen waren jedoch entweder aus Ursachen eines Neu- oder Umbaues gar nicht zu vermieten, oder aber es wurden dafür zu übertriebene Preise verlangt und sie gehörten fast ausschließlich zu den größeren Mietsgelassen, von drei und mehr Zimmern. Tatsächlich fehlte es am 1. April 1872 an circa 500 kleinen Wohnungen; hunderte von ordentlichen Familien, die bis dahin ihre Miete regelmäßig gezahlt hatten, lagen plötzlich obdachlos umher, kampierten vor den Thoren, auf freien Plätzen oder in Rohbauten, Ställen etc.

Bis zur Schwindelperiode erforderte in Berlin die Miete etwa ein Sechstel des Einkommens. Auch schon ein unverhältnismäßig hoher Prozentsatz, der von ungesunden Verhältnissen zeigt. Aber 1871, 1872, und auch noch 1873 stiegen die Mieten fast von Quartal zu Quartal, in zwei bis drei Jahren um das Doppelte und Dreifache. Der Mietzins verschlang jetzt durchschnittlich ein Viertel, ja nicht selten ein Drittel der Gesamteinnahme. Er nötigte die Familien zur größtmöglichsten Einschränkung auf allen anderen Gebieten und erzeugte namentlich unter den sogenannten gebildeten Ständen, die kein eigenes Vermögen besitzen, sondern nur von ihrem Gehalte oder Jahreseinkommen leben, ein heimliches Proletariat.

Mit dem Börsen- und Gründungsschwindel schmolz die Zahl der kleinen billigen Wohnungen zusehends, und es vermehrten sich erstaunlich die großen kostbaren Mietsräume. Quartiere im Preise von bis 2000 bis 5000 Talern jährlich waren bis dahin selten gewesen; jetzt wurden sie häufig. Eine Unmasse von Banken und Aktiengesellschaften etablierte sich und verschwendete in Lokalitäten, mit denen sie prahlten und lockten. Ein Heer von Direktoren und Verwaltungsräten, Bankiers und Maklern, Prokuristen und Agenten wuchs empor, die sich alle elegant oder gar luxuriös einrichteten. Den Gründern oder Börsianern war keine Wohnung zu teuer; sie überboten sich in den Preisen; sie verdrängten die bisherigen Insassen und trieben die Mieten systematisch in die Höhe. Sie hatten „es“ ja dazu; sie wollten repräsentieren und genießen, wollten glauben machen an den befruchtenden Segen der französischen Milliarden, an den allgemeinen Wohlstand, an die ungeheure Vermehrung des Nationalvermögens. Die Gründer und Börsianer setzten sich in den schönsten Straßen fest, nahmen die vornehmsten Quartiere in Beschlag; viele von diesen Leuten zahlten an Miete 6000 bis 20,000 Taler jährlich.

Die unaufhörliche Steigerung, die völlige Verschiebung der Mietspreise ließ die Bevölkerung beständig umherziehen und nötigte einen großen Teil zur Auswanderung. Tausende von Arbeitern, Handwerkern, Beamten etc. konnten das Wohnen in Berlin nicht mehr erschwingen und ließen sich auf den Dörfern in meilenweitem Umkreise nieder. Auch die höhern Stände wurden weiter und weiter in die Vorstädte, bis an die Grenzen des Weichbildes und darüber hinaus gedrängt. Das sogenannte Geheimratsviertel führt seinen Namen nicht mehr mit Recht, der Geheimrat ist hier selten geworden, oder er findet ach nur drei Treppen hoch, und statt seiner sitzen in der Beletage – Bankiers und Börsianer. Ebenso ist es den Gelehrten, Künstlern und Schriftstellern ergangen die früher das „Westend“ vor dem Potsdamer Thor erfüllten. Auch sie haben sich vor den Herren von der Börse weiter und weiter, höher und höher zurückziehen müssen.

Selbstredend stieg mit den Mieten auch der Werth der Häuser und der Begehr nach ihnen. Ein Haus in Berlin war bis dahin ein ziemlich zweifelhafter Besitz. Gar viele Bauunternehmer und Bauspekulanten der vierziger, fünfziger und auch noch der sechziger Jahre hatten ihr menschenfreundliches Bemühen, die „Wohnungsfrage“ zu lösen, hart büßen müssen, indem sie ihre kurze Laufbahn gewöhnlich in „Möser’s Ruh“, in dem damaligen Schuldgefängnis, beschlossen. Auf allen Häusern lasteten große Hypotheken. Der Grundbesitz in Berlin war mit vier Fünftel des Werths verschuldet. Reiche und vornehme Familien pflegten lieber zur Miete zu wohnen. – Das änderte sich nun mit einem Schlage. Privat- und Geschäftsleute kauften plötzlich um die Wette Häuser, um der ewigen Mietssteigerung zu entgehen, um nicht etwa ausgemietet zu werden. Banken und Aktiengesellschaften, Bankiers und andere Geldleute erstanden in „bester“ Gegend die „feinsten“ Häuser. Seitdem befinden sich die stolzesten Paläste im Innern der Stadt und die herrlichsten Villen rings um den Tiergarten im Besitz der Kinder des auserwählten Volks, in den Händen der Börsianer und Gründer.

Sobald das eigene Bedürfnis befriedigt war, begann die Spekulation, der Schwindel. Man kaufte Häuser, nicht um sie zu behalten, sondern um sie so schnell wie möglich mit Profit wieder loszuschlagen. Ein und dasselbe Haus wechselte oft Tag für Tag den Besitzer, ein und dasselbe Haus wanderte an Einem Tage, an Einem Abend durch sämmtliche Stämme Israels, durch zwölf und mehr Hände, und jede „Hand“ verdiente dabei fünf-, zehn-, zwanzig- und auch wohl fünfzigtausend Taler. An und außerhalb der Börse wurden Grundstücke wie Effekten verhandelt, wurden die „Schlussscheine“ von Häusern mit immer höherem Aufgeld bezahlt. Die Preise erreichten eine fabelhafte Höhe, standen bald in keinem Verhältnis mehr zu dem Mietserträgnis und zu dem eigentlichen Werte der Baulichkeiten; jeder Maßstab ging verloren; ganz willkürliche Schätzungen gewannen die Oberhand – es blühte der Schacher. Jeder Hausbesitzer wurde belagert, mit Angeboten bestürmt – und wusste nicht mehr, was er fordern sollte. Manche erhöhten ihre Forderung von Tag zu Tag, und wenn die verwegenste Forderung endlich bewilligt oder, wie es auch vorkam, noch gar überboten wurde, wagten sie doch nicht loszuschlagen, aus Furcht, sie könnten sich übereilen, sich Schaden zufügen. Einer dieser Unglücklichen, der nacheinander 120,000, 150,000 und 200,000 Taler verlangt hatte, verkaufte schließlich für 250,000 Taler, wodurch ihm ein barer Gewinn von 180,000 Talern zufiel. Als aber vierzehn Tage später sein ehemaliges Haus von einer Bank für 300,000 Taler erstanden ward, übermannte ihn die Verzweiflung und er – knüpfte sich auf!

Die Gerechtigkeit verlangt zu vermerken daß der Häuserschacher nicht ausschließlich von den Börsenrittern und Israeliten betrieben wurde, sondern auch von anderen Leuten, namentlich von Mitgliedern der Aristokratie, die ja überhaupt der Börse und den Gründern eine Reihe höchst gelehriger Schüler und sehr bereitwilliger Gehilfen lieferte. Verschiedene hochadelige Herren verschmähten es nicht, gleichfalls „in Häusern zu machen“. So meldete die „Neue Börsen-Zeitung“ unterm 2. Dezember 1871, ein bekannter schlesischer Magnat habe durch Häuserspekulationen in Berlin in wenigen Monaten an 300,000 Taler verdient. „Der genannte Herr“, hieß es, „der seine Operationen meist in Verbindung mit einer Dame von hocharistokratischem Namen unternimmt, hat außerdem eine Anzahl Grundstücke an sich gebracht, deren Verkauf mit Gewinnbeträgen in gleicher Höhe so gut wie gesichert ist.“

Aber nicht genug an dem tollen Häuserschacher: es begann nun auch noch der Wucher mit Baustellen. Aus den Speculanten wurden – Gründer, und ihre ersten Schöpfungen entsprachen anscheinend einem allgemein empfundenen Bedürfnisse. Die Gründer bemächtigten sich der Wohnungsfrage“; sie erklärten, der „Wohnungsnot“ abhelfen zu wollen und gründeten zu diesem Zwecke Aktiengesellschaften über Aktiengesellschaften. Sie kauften Häuser und Grundstücke in der Stadt und legten sie nieder; sie kauften öffentliche Gärten und Etablissements und verwandelten sie in Bauplätze; sie kauften die Kartoffeläcker und Gemüsefelder in den Vorstädten, die Wiesen, Sümpfe und Sandschollen vor den Thoren, die Weiden und Ländereien der benachbarten Dörfer und steckten überall Häuserzeilen und Straßenviertel ab. Aus den Gärtnern der Vorstädte, aus den Bauern der Umgegend wurden große Kapitalisten, die nicht recht wussten, was sie mit ihrem Gelde anfangen sollten, und es bald der Börse zutrugen. Im zweimeiligen Umkreise von Berlin gab es plötzlich keine Äcker und Felder mehr – nur Baustellen und Baugründe. Vor den Thoren wurde die Quadratrute mit 50 bis 500, in der Stadt mit 1000 bis 10,000 Talern bezahlt. Das aber bedeutete die ungeheuere Vermehrung des Nationalvermögens.

Die Menge der Bauvereine , Baugesellschaften und Baubanken war bald so groß, daß es an Namen für sie gebrach, daß selbst Börsenleute sich in dem Labyrinth dieser Namen nicht mehr zurechtfinden konnten. Man höre: Nord-End, Ost-End, Süd-End, West-End (Quistorp), Tiergarten, Tiergarten-Westend, Hofjäger, Unter den Linden, Passage, Zentralstraße, City, Königsstadt, Friedrichshain, Schönhausener, Nieder-Schönhausener, Tempelhofer, Belle-Alliance, Wilhelmshöhe, Landerwerb, Land- und Baugesellschaft Lichterfelde, Lichterfelder, Cottage, Charlottenburger, Berlin-Charlottenburger, Johannisthal, Woltersdorf, Potsdam, Westend-Potsdam, Berolina, Berliner Neustadt, Mittelwohnungen, Immobilien, Berlin-Hamburger Immobilien, Union, Berliner Bauvereinsbank (Wäsemann), Berlinische Bank für Bauten, Berliner Häuserbaugenossenschaft, Allgemeine Häuserbaugesellschaft, Gesellschaft für Bauausführungen, Deutscher Zentralbauverein (Quistorp), Deutsch-Holländischer Bauverein, Deutsche Baugesellschaft, Deutschlands Baubeförderungsverein, Preußische Baugesellschaft, Preußische Baubank, Märkische Baubank, Provinzial-Baubank, Provinzialbank für Bauten und Handel, Allgemeine Bau- und Handelsbank, Zentralbank für Bauten, Metropole, Immobilienbank, Hypothekar-Kredit- und Baubank, Nordbaubank, Residenz-Baubank, General-Baubank, Imperial-Baubank.

Das sind aber noch nicht alle. – Die „Neue freie Presse“ teilte kürzlich mit, daß in Wien 43 Bau- und Baumaterialien-Gesellschaften „domizilieren“, und die „National-Zeitung“ beeilte sich, die Notiz ihren Lesern wiederzugeben. Als ob diese Zahl in Berlin etwa nicht erreicht wäre! Nicht nur erreicht, sondern sehr übertroffen. In Berlin „domizilierten“ gut 80 solcher Gesellschaften, von denen sich heute eine Reihe in Liquidation oder in Konkurs befinden. Die Zahl der Bau- und Baumaterialiengesellschaften aber in Nord- und Mitteldeutschland, die zum größten Theil an der Berliner Börse gehandelt wurden, betrug weit über 100.

Hätten die Gründer ihre Bauprojekte durchgeführt, so wäre der Bedarf an Wohnungen für Zeit und Ewigkeit gedeckt gewesen. Der kürzlich verstorbene Statistiker Schwabe hat berechnet, daß die in Aussicht gestellten Neubauten für eine Bevölkerung von neun Millionen zureichen würden, und daß in Folge dessen Berlin zu einer Riesenstadt anwachsen müsste, noch dreimal größer als das heutige London. Aber von all den zahllosen Baugesellschaften bauten in Wirklichkeit nur wenige, äußerst wenige, und sie bauten Häuser und Villen für die wohlhabenden Klassen, oder sie machten aus kleinen Wohnungen lauter große. Erst mit den Baugesellschaften begann der Wohnungsjammer, namentlich für die unteren Stände. Dazu kam ein außerordentlich starker Zuzug, eine massenhafte Einwanderung. Die neue Freizügigkeit, der ihre Urheber, die Manchesterleute, alsbald gegenüberstanden wie der Zauberlehrling bei Goethe dem Zauberbesen, überflutete Berlin, und der Gründungsschwindel lockte Scharen von Leuten aus den Provinzen in die Hauptstadt, die alle hier ein Eldorado zu finden wähnten. Aber sie fanden häufig genug kein Obdach, oder sie machten Andere obdachlos und trieben sie hinaus.

Da trug sich etwas höchst Bedenkliches zu. Wie einst im alten Rom die Plebejer unter dem Drucke der Patrizier die Stadt verließen und sich auf dem heiligen Berge festsetzten, so zogen Hunderte von Handwerkern und Arbeitern aus Berlin und schlugen vor den Thoren, unter freiem Himmel ihr Lager auf. Auf dem Tempelhofer Felde entstand die Barackenstadt, und Viele hausten in alten Eisenbahnwagen, unter den Drehscheiben der Bahnhöfe und unter den Viadukten der Verbindungsbahn. Wie zu einem Schauspiele wallfahrteten die Berliner hinaus, und die Zeitungen schilderten die „Barackia“ in farbigen, launigen Feuilletons. Das aber geschah, während der Milliardenstrom sich über Deutschland ergoss, und die Gründer und ihre Helfershelfer den „allgemeinen Wohlstand“, die „ungeheure Vermehrung des Nationalvermögens“ predigten. Die Regierung empfand den bittern Hohn und hob die Baracken auf.

Weitaus die Mehrzahl der Baugesellschaften baute nicht und beabsichtigte auch gar nicht zu bauen. Sie entwarfen Baupläne, steckten Straßen, Straßenviertel und Marktplätze ab, chaussirten und legten Trottoirs, parzellierten und „schlachteten Baustellen aus“. Um Käufer anzulocken, hielt man „Baustellen mit Baugeld“ feil; das heißt, die Baugesellschaft, die häufig zugleich eine „Baubank“ war, schoss das Geld zum Bauen vor und stundete wohl auch noch die Kaufsumme für den Bauplatz teilweise oder gänzlich. Trotzdem blieben die Baulustigen vereinzelt, und die da bauten, fanden in der Regel nicht ihre Rechnung. Als im vorigen Sommer die Villenkolonie Lichterfelde ein gemeinsames Fest beging, erhob sich einer der Teilnehmer zu einer Tischrede. Eine klassische Reminiszenz aus Tertia überkam ihn, und er sprach die geflügelten Worte: „Als die verwitwete Frau Dido Karthago anlegte, zerschnitt sie bekanntlich das Fell eines Stiers in lauter dünne Riemen. Wenn aber heute eine Kolonie gegründet wird, so braucht man mehr als Einen Ochsen, so sind dazu viele Ochsen nöthig. Meine Herrschaften, ich bin einer der Ersten, die hier gebaut haben.“ –

Um ihre Aktien unterzubringen, warfen die Baugesellschaften Bauzinsen aus – das ist wieder eine Art der famosen „Börsenzinsen“. „Während der Bauzeit“ sollten die Aktionäre vier, fünf oder gar sechs Prozent Zinsen erhalten, und viele Baugesellschaften zahlten jahrelang Bauzinsen – ohne je zu bauen. Selbstverständlich staken die „Bauzinsen“ schon in dem so hoch wie möglich gegriffenen Aktienkapitale, und die Aktionäre bezahlten sie tatsächlich wieder selber, aus der eigenen Tasche. Dieses Verfahren ist aber nicht nur eine Taschenspielerei, sondern auch gesetzwidrig. Das Aktiengesetz vom 11. Juni 1870 besagt in Artikel 217 ausdrücklich: „Zinsen von bestimmter Höhe dürfen für die Aktionäre nicht bedungen noch ausgezahlt werden“. „Bauzinsen“ sind im Grunde genommen „eine teilweise Zurückzahlung“ des Aktienkapitals, die Artikel 248 verbietet. Die Gründer aber rechtfertigten ihre Machinationen durch den Nachsatz zu Artikel 217, der allerdings so lautet: „Jedoch können für den im Gesellschaftsvertrage angegebenen Zeitraum, welchen die Vorbereitung des Unternehmens bis zum Anfange des vollen Betriebes erfordert, den Actionären Zinsen von bestimmter Höhe bedungen werden.“ Gestützt auf diesen Nachsatz, zahlten die Baugesellschaften, die nie bauten, Bauzinsen, und der Staatsanwalt scheint sich diesem Nachsatze gegenüber ohnmächtig gefühlt zu haben – ein Beweis von dem Werte des neuen Aktiengesetzes, ein Beweis von seiner flüchtigen Redaction, seiner mangelhaften zweideutigen Fassung, ein Beweis, wie dringend es auch jetzt noch, wo die Kinder freilich in den Brunnen gefallen sind, einer Revision bedarf.

Eine Reihe von Baugesellschaften und Baubanken verteilte auch Dividenden, und zwar so hohe Dividenden, daß man’s im Hinblicke auf den heutigen Kursstand kaum glauben möchte. Wir geben zur besseren Übersicht folgendes Tableau:

Ver- Gegen-
teilte an Einstiger wärtiger
Dividende Kurs Kurs
% ca. ca.
Centralbank für Bauten, gegründet von den Herren Eduard Mamroth, Heinrich Bergmann, Ferdinand Appenheim, Leo Wollenberg, Dr. Stort, Geh. Admiralitätsrath Wandel 43 420 45
Ostend, gegründet von den Herren Eduard Mamroth, Maurermstr. Siecke, Dr. Erich und Genossen 11 120 14
Südend, gegründet von den Herren Eduard Mamroth, Heinr. Bergmann, S. H. Ellom, Georg Neumaum, D. Tobias 15? 125 9
Landerwerb und Bauverein, gegründet von den Herren D. Born, Albert Kämpf, H. Simon, Baumeister Hähnel 40 200 23
Land- und Baugesellschaft Lichterfelde, gegründet von den Herren Karl Coppel, Gustav Markwald, J. A. W. Carstenn, General Freiherr Ed. v. Steinäcker, Landrath Leo van dem Knesebeck 25 155 25
Lichterfelder Bau-Verein, gegründet von den Herren D. Born, George Beer, M. Levy, Rechtsanwalt Winterfeld 9 120 15
Berliner Bauvereins-Bank, gegründet von den Herren Hermann Geber, R. A. Seelig, J. Ball., J. A. Gilka, Max Moßner, Gustav Thölde, Baurath Wäsemann, Baumeister Erdmann 11 110 30
Berlin-Charlottenburger Bau-Verein, gegründet von den Herren Richard Schweder, J. A. W. Carstenn, Paul Munk, Gustav Markwald und Genossen 125/9 115 25
Birkenwerder, gegründet van den Herren A. H. Heymanm, Gustav Markwald, Oscar Krause, Franz Pernet und Genossen 11 115 15
Thiergarten, gegründet von den Herren Paul Munk, George Beer, Hermann Reimann, Consul Schillow, Richard Schweder, Joseph Dorn, Dr. Emil Lehmann 20 140 9
Königstadt, gegründet von den Herren Rich. Schweder, George Beer, Kammerherr von Prillwitz und Genossen 12 115 25
Westend (Quistorp) 17 225 12
Deutscher Centralbauverein (Quistorp) 15 165 2
Nordend, gegründet von den Herren A. Lilienhain, Dr. Max Mattner, Karl Böhm, Karl Stiller, Rechtsanwalt Lorek 22 140 0

Wenn der Leser die Kurse von ehemals und heute vergleicht und bemerkt, daß die letzteren zum Teile tief unter den früher gezahlten Dividenden stehen, so wird er staunend ausrufen: Wie ist’s nur möglich?! – Den Gründern war eben Alles möglich. Sie machten künstlich Dividenden als Lockspeise, entweder um die meist noch unbegebenen Aktien an den Mann zu bringen, oder um das Aktienkapital zu vermehren und „junge Aktien“ zu emittieren. Befand sich das Gros der Aktien noch in den Händen der Gründer, so zahlten sie die Dividende einfach an sich selber – ein Scherzspiel, das ihnen wenig kostete. Oder aber sie schossen die Dividende aus dem Erlöse der verkauften Aktien zusammen; sie opferten einen Theil der Beute, um neue zu machen. Die ersten Käufer der ausgeschlachteten Baustellen waren in der Regel die Gründer selber, und sie blieben nicht selten die einzigen Käufer. Sie zahlten, ohne zu feilschen, die höchsten Preise; denn sie bezahlten im besten Falle mit den von ihnen fabrizierten Aktien.

In keinem Falle war die Dividende ernstlich verdient, und sie konnte es nicht sein. Auch wo es der Gesellschaft gelang, eine Reihe von Parzellen wirklich zu verkaufen, blieb sie doch immer im Besitze des allergrößten Teiles der Ländereien. Diese aber hatten schon die Gründer weit über ihren wahren Werth bezahlt, und noch weit höher standen sie zu Buch – noch weit mehr kosteten sie den Actionären. Eine Dividende durfte daher eigentlich nicht eher gegeben werden, bis der ganze Komplex veräußert worden, und die aus dem Erlöse weniger Parzellen konstruierten unnatürlich hohen Dividenden sind in Wahrheit wieder „eine teilweise Zurückzahlung“ des Kapitals, eine unerlaubte strafbare Manipulation. „Es darf nur dasjenige unter die Aktionäre verteilt werden, was sich als reiner Überschuss über die volle Einlage ergibt“ – heißt es in Artikel 217 des Aktiengesetzes. Wo aber konnte von einem „reinen Überschusse“ die Rede sein, wenn die Gesellschaften durchschnittlich etwa neun Zehntel der ausgeschlachteten Parzellen auf dem Halse behielten, und wenn diese Parzellen heute als Baustellen überhaupt unverkäuflich sind?

Die Thaten und Schicksale der zahllosen Baugesellschaften und die Wunden, die sie dem Publikum geschlagen, das Unheil, welches sie in finanzieller und volkswirtschaftlicher Hinsicht angerichtet haben, soll im nächsten Artikel geschildert werden. Hier sei nur noch bemerkt, daß mit dem Gründungsschwindel auch die „Wohnungsnot“ aufgehört hat. In Berlin, wie in Wien war die „Wohnungsnot“ nur ein künstliches Produkt. Seit dem „Krach“ fallen in beiden Städten die Mieten bedeutend, haben Wien und Berlin wieder Überfluss an Wohnungen, besonders an größeren und mittleren.