Abschnitt 1

Ueber die Verhältnisse der Einwohner des jetzigen Fürstenthums Ratzeburg zu den früheren Landesherren, dem Bischofe und Capitel, enthalten die Urkunden nur vereinzelte Nachweisungen. Aus diesen ergiebt sich nun zuvörderst, daß nie eine Art der Hörigkeit statt fand. ain keinem Kaufbriefe über erlangte Dörfer oder Hufen werden die Bewohner als ein erkaufter Gegenstand bezeichnet; auch läßt sich ein Grund für die persönliche Freiheit derselben aus dem bekannten Umstand ableiten, daß die Mehrzahl der ältesten Bewohner des Bisthums Einwanderer aus Gegenden waren, wo keine Hörigkeit bestand. Daher finden wir denn auch förmliche Verhandlungen, wenn die Kirche wieder Güter einziehen wollte, welche sie zum Bebauen ausgethan hatte, so 1285 in Römnitz 1), und wo sie verpflichtet war, Häuser und Gartenmeliorationen nach dem Taxwerth zu vergüten; wir finden, daß Dorfschaften Grundstücke als Eigenthum erkauften, so 1320 in Mahlzow 2); oder daß ganze Höfe zu Bauerrecht gelegt und den Bauern eingethan wurden, so Rodenberg 1379 3); wir treffen ein Landgericht, wo die Unterthanen unter sich selbst das Urtheil finden 4) ; aus allen diesen Umständen, die sich leicht vermehren ließen, geht eine persönliche Freiheit unwiderleglich hervor, die übrigens auch nie angefochten ward und noch jetzt, wie die Bauern selbst es deuten, durch das Tragen eines Degens bei Vertrauungen angezeigt wird.

Unter welchem Rechtstitel nun die Bauern die von ihnen cultivirten Hufen besaßen, ist vielfältig in neueren Zeiten zur Sprache gekommen; durch eine rechtskräftig gewordene Wetzlarsche Entscheidung vom 23. Jun. 1797 steht jetzt fest, daß das bäuerliche Besitzrecht auf einem erblichen Colonat sich gründe, von einem wahren Eigenthum der Bauern also nicht die Rede sein könne. Wie die Deduction geführt ward, aus welcher diese Entscheidung herfloß, welche jetzt nur noch für die wenigen, nicht regulirten Dorfschaften von Belang ist, ist nicht bekannt. Die Richtigreit derselben zu bestätigen oder anzufechten ist hier nicht der Ort, jedoch drängt es sich auf, daß es natürlicher gewesen wäre, an ein ächt deutsches Erblehn zu denken, als an eine römische Emphyteusis, zumal da einzelne Fälle vorhanden sind, die ganz die Form des Lehnwesens an sich tragen, wie z. B. die Schlagsdorfer Kirche von einem Stücke Land auf dem Riepser Felde nur da n n eine Recognition erhielt, wenn der Besitzer der Stelle sich änderte 5).


Die Bauerstellen erben, wie es die Constitution vom 30 Jul. 1776 bestimmte, welche alte Gewohnheit und den bisherigen Gerichtsgebrauch gemeinkündig machte, in absteigender Linie mit Ausschluß der Seitenverwandten fort und zwar so, daß vorzüglich auf den ältesten Sohn gesehen werden sollte, jedoch dem Vater die Freiheit zu lassen sei, denjenigen von seinen Söhnen zum Nachfolger im Gehöfte zu erwählen, dem er es, als einem tüchtigen Wirth, am liebsten gönnet, nur soll der Vater es der Amtsobrigreit gehörig anzeigen, und den Amtsconsens darüber erwarten. Tritt der Vater dem Sohne das Gehöft noch nicht ab, so bleibt dieser nebst seiner Frau, als Knecht und Magd, so lange der Vater lebt, bei den Eltern in Lohn und Kost, und muß sich nach des Vaters Tode mit der Mutter wegen des Altentheils, mit den Geschwistern wegen der landüblichen Abfindung vergleichen. Die Brüder bekamen gemeiniglich ein Ehrenkleid und ein Pferd und bei ihrer Verheirathung die halbe Hochzeit; die Schwestern eine Aussteuer, ein aufgemachtes Bette (ohne Bettgestelle), eine Lade mit Kleidung und Leinwand, 1 Kuh, Schafe, 2 Schweine und die halbe Hochzeit, dazu 2 Anzüge und ein weißes Halstuch mit Spitzen. Die unverheiratheten Geschwister pflegten gemeiniglich gegen den gewöhnlichen Dienstlohn, der meistens in Erzeugnissen der Landwirthschaft, in Leinwand, Kleidern und einigem Gelde bestand, bei der Stelle zu bleiben. Trat der Vater aber bei seinem Leben noch die Stelle dem Sohne ab und ging aufs Altentheil, so ward dieser nach Dorfgebrauch gerichtlich regulirt, die Eltern blieben am Tische des Hauswirths, erhielten Korn und einige Obstbäume und wurden demnächst von dem Bauern begraben, ohne daß die übrigen Kinder zu den Kosten beitrugen. Der neue Besitzer gelobte mittelst Handschlages: die Stelle als ein guter Hauswirth zu bewirthschaften, der Landesherrschaft und sonsten die schuldigen Leistungen abzutragen, alle Dienste unweigerlich zu beschaffen und sich als getreuer Unterthan zu beweisen. So ward ihm denn die Stelle überlassen, damit er solche nach Landesordnung und Gebrauch nutzen und genießen möge, auch ihm verheißen, daß er und seine ehelichen Leibeserben, wenn er alle Obliegenheiten getreulich erfülle, bei dem Genuß dieser Stelle ungestört erhalten werden, solle, auch ihm aller obrigkeitlicher Schutz zugesichert und ihm über dies Alles unter des Amtes Hand und Siegel ein Hausbrief ertheilt.

Auch die unmündigen Kinder schließen des Vaters Geschwister von der Erbfolge aus; der verwittweten Mutter aber steht es frei, sich zu verheirathen und mit ihrem Manne die Stelle bis zur Mündigkeit der Erben zu bewirthschaften; dann erhält sie und der Stiefvater, der Jahrenbewohner genannt wird, ein Altentheil, konnten aber eben so wenig als die Kinder der zweiten Ehe eine Ansprache an die Stelle machen, es sei denn, daß diese von der Mutter herrührte, denn die Töchter hatten, wenn keine rechtmäßigen Söhne da waren, Erbrecht an die Stelle und soll auch da vorzüglich auf die älteste Tochter Rücksicht genommen werden. Wären aber keine rechtmäßigen Söhne und Töchter vorhanden, so kann der Hauswirth zum Besten einiger Seitenverwandten nicht darüber schalten, sondern das Gehöft fällt, im Stande worin es war, frank und frei an die Landesherrschaft zurück, welche unbeschränkt darüber verfügen, es mit einem neuen Wirthe besetzen konnte, der es beweinkaufte 6) und wobei auf die nächsten Verwandten des abgegangenen Wirthes Rücksicht genommen werden sollte oder die Ländereien vereinzeln und anderen Stellen und Meiereien beilegen. Hinsichtlich der Allodialerbschaft aber, wozu Vieh und Fahrniß, aller Hausrath, auch die Bretter auf dem Balken, das eingeworbene Korn und die Saat auf dem Felde gehörte, traten ganz die Bestimmungen des gemeinen Rechtes ein.




1) S. Masch Geschichte des Bithums Ratzeburg S. 18.
2) Ebendaselbst S. 222. Die ungedruckte Urkunde, welche die Dorfschaft selbst besitzt, siehe in der Urkunden-Sammlung in den vermischten Urkunden.
3) Ebendaselbst S. 281.
4) S. Masch Geschichte des Bisthums Ratzeburg S. 730.
5) Ebendaselbst S. 580, Not. 8.
6) Eine altrethümliche Formel, wie der Weinkauf in den Aemtern Schönberg und Stove gehalten oder getrunken werden soll, hat sich erhalten. Nach ihr beginnt der Vorsprach: Ich frage, ob es wohl so ferne Tages sei, daß allhier ein öffentlicher Weinkauf über dies Erbe kann oder mag gehalten und bestätigt werden, und nach geschehener Bejahung erklärt er, daß er einen Weinkauf halte, verläßt dem Käufer das Erbe und trägt es ihm über, alles zu 3 Malen und wünscht 3 mal Glück und schließt mit den 3 mal wiederholten Worten: Soln Weinkauf Sol.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Der Bauer im Fürstenthume Ratzeburg