Das unterirdische Berlin. Keller und Vergnügungslokale

Aus: Die Gartenlaube, Illustriertes Familienblatt. Nr. 1. 1864. – Herausgeber Erst Keil.
Autor: Redaktion: Die Gartenlaube. U. K., Erscheinungsjahr: 1863

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Berlin, Gebäude, Bauwerke, Keller, Wohnungen, Speisekeller, Wohnkeller, Frühstückskeller, Bumskeller, Verbrecherkeller, Delikatessenkeller, Verbrecher, Sicherheitspolizei, Spelunke, Hausvoigtei, Vergnügungslokale, Gauner,
In früherer Zeit waren die Keller in Berlin nichts weiter als Räume zur Aufbewahrung verschiedener Lebensmittel und angenehmer Getränke. Die zunehmende Bevölkerung hat ihnen eine andere und höhere Stellung angewiesen, indem sich die Keller allmählich in Wohnungen für Tausende von Menschen verwandelten. Andere erbeben sich sogar zu dem Range von beliebten Vergnügungslokalen und Frühstücksstuben. Die Keller emanzipierten sich und wurden ein gesuchter Artikel von großer sozialer Bedeutung. Freilich ist zwischen Keller und Keller noch immer ein großer Unterschied, wie zwischen einem strahlenden Brillanten und gemeinen Kieselstein. Auch hier berühren sich die äußersten Gegensätze der Gesellschaft, die jammervollste Armut und der glänzendste Luxus. Es gibt in Berlin Kellerwohnungen, bei deren Anblick den Menschenfreund ein tiefer Schauder erfasst, elende feuchte Löcher ohne Luft und Licht, von deren Wänden das Wasser herniederläuft, deren Boden mit Pilz und Schimmel bedeckt ist, bewohnt von traurigen, hinfälligen Gestalten, von scrophulösen Kindern, blödsinnigen Greisen, oder der Hefe des Lasters. Hier herrscht Jahr aus Jahr ein Not, Hunger und Krankheit, der grässliche Typhus und das Heer der epidemischen Krankheiten. Einige Stufen höher steht der Keller des armen Handwerkers, der eine bessere Wohnung noch nicht bezahlen kann. Vorzugsweise liebt der poetische Flickschuster die unterirdischen Räume, aber auch andere Gewerbe haben eine besondere Neigung für Kellerwohnungen, wie die Barbiere und Fleischwarenhändler, unter denen Einzelne in den bescheidenen Räumen ein nicht unbedeutendes Vermögen mit der Zeit zusammensparen. Ebenfalls zu dem Geschlecht der Kellerwürmer gehört der „Budiker" oder Viktualienhändler, der meist ein glänzendes Geschäft mit den ersten Lebensbedürfnissen macht und öfters aus seinem Keller in die erste Etage emporsteigt, um als Rentier sein Leben zu beschließen. Gewöhnlich aber zieht er es vor, bis zu seinem Ende Käse, Butter und Heringe zu verkaufen, seine Kunden zu bedienen, trotzdem er Hauseigentümer geworden ist und sein Geld auf sichere Hypotheken ausleiht. —

Zahllos ist das Heer der Frühstücks- und Speisekeller in ihren verschiedenen Abstufungen und Schattierungen. Die niedrigste Stellung nimmt hier der sogenannte „Bumskeller" ein, der von den Arbeitern, Tagelöhnern und Bummlern fast ausschließlich besucht wird. Man findet daselbst wunderbare Getränke von zweifelhaftem Geschmack und Farbe, die unter dem Namen Kaffee oder Schokolade für 6 Pfennige die Tasse verabreicht werden, Diners zu 2 ½ Silbergroschen, Koteletten und Beefsteaks von höchst verdächtiger Natur und als Kompott jene riesigen sauren Gurke, deren bloßer Anblick schon hinreicht, gelinde Anfälle von Cholera hervorzurufen. Die Hauptsache ist jedoch weniger das Essen als das Trinken, worin von einzelnen Stammgästen in der Tat das Außerordentlichste geleistet wird. Die ganze Atmosphäre duftet nach saurem Weißbier, dem Berliner Nektar, und nach Nordhäuser Korn, der zur besseren Verdauung des Weißbiers nicht immer mäßig genossen wird. Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, wenn sich die Gemüter leicht erhitzen und Handgreiflichkeiten vorkommen, die meist mit der Herausbeförderung des Ruhestörers zu enden pflegen. Dieser hat dabei den Vorteil, die Kellertreppe statt hin untergeworfen heraufgeworfen zu werden.

Einen glänzenden Kontrast zu dem Bumskeller bildet der feine Delikatessenkeller, in dem sich besonders nach dem Theater die bessere (?) Gesellschaft einzufinden pflegt. Derselbe ist stets höchst elegant, zuweilen luxuriös eingerichtet, mit Samttapeten, schwellenden Divans, Rokkoko-Spiegeln, Gemälden und strahlenden Kronleuchtern versehen. Außer dem gemeinschaftlichen Salon gibt es hier eine Reihe von einzelnen Kabinetten für besondere Gesellschaften, welche allein für sich bleiben wollen. Manche Mysterien werden hier gefeiert, mancher kleine Roman abgespielt, obgleich die Polizei die Geheimnisse der besonderen Kabinette nicht länger dulden wollte und zu diesem, Zwecke die Türen ausheben und durch leichte Vorhänge zum Leidwesen so mancher zärtlichen Paare ersetzen ließ. Dennoch fehlt es nicht an kleinen Abenteuern, heimlichen Rendezvous, und noch immer bieten die Delikatessenkeller in Berlin den, Novellisten einen reichen Stoff und manches pikante Kapitel für seine sozialen Studien. —

Den Schluss bilden die „Verbrecherkeller", von der Polizei geduldete Vergnügungslokale für notorische Diebe, Strolche, liederliche Dirnen und ähnliche gefährliche Individuen. In diesen unterirdischen Höhlen, von Fusel und mephitischen Ausdünstungen erfüllt, hält das Laster ungescheut seine Orgien. Bei den Klängen eines wüsten Leierkastens oder einer verstimmten Violine dreht sich im wilden Taumel der Auswurf der Gesellschaft, die Elite der Verbrecherwelt. Hier feiert der berüchtigte Gauner seine Triumphe und freut sich der Anerkennung seiner Standesgenossen, hier macht der junge Anfänger auf der Verbrecherbahn Bekanntschaften, die für sein ganzes Leben entscheiden, hier findet er Freunde, Helfer und die Geliebte, für die er stiehlt und im Notfall mordet. Es herrscht eine bacchantische Wildheit, eine unbeschreibliche rohe Lust und Ausgelassenheit in diesen Räumen, wüstes Geschrei, toller Lärm, dazwischen das Jauchzen der ausgelassenen Dirnen, der grölende Gesang der Männer, unterbrochen durch einen plötzlichen Streit, wobei die Messer blitzen und nicht selten schwere Verwundungen vorkommen. Mitten in dem höchsten Wirrwarr wird es plötzlich totenstill, die Musik verstummt, Alles flüchtet nach der Tür und zu den verborgenen Ausgängen, die jedoch von der Sicherheitspolizei besetzt sind. Es findet eine Razzia statt, um einige gefährliche Verbrecher aufzuheben. Dazu dienen diese Keller, wo man sicher ist, die ganze saubere Gesellschaft anzutreffen. Wenige Augenblicke später werden eine Anzahl von Dieben, die sich bisher allen Nachstellungen zu entziehen gewusst, unter bewaffneter Begleitung und mit den nötigen Handschellen versehen, aus dem Tanzlokal nach der Hausvoigtei abgeführt. In dem Verbrecherkeller ist es dunkel geworden, und nur in der Nähe sieht man noch einige verdächtige Schatten, die vor dem dämmernden Morgenlicht verschwinden und in ihre heimlichen Spelunken sich verbergen.

BB 048 Berlin, Aufriss zum Hause Behrenstraße 62, Friedrich Gilly

BB 048 Berlin, Aufriss zum Hause Behrenstraße 62, Friedrich Gilly

BB 047 Braunschweig, Peter Jos. Krahe, Aufriss zum v. Veltheimschen Hause um 1803

BB 047 Braunschweig, Peter Jos. Krahe, Aufriss zum v. Veltheimschen Hause um 1803

BB 046 Braunschweig, Krahe Peter Joseph, Aufriss zum Krauseschen Hause 1808

BB 046 Braunschweig, Krahe Peter Joseph, Aufriss zum Krauseschen Hause 1808

BB 039 Berlin, Die ehemalige Börse am Lustgarten von Becherer 1801

BB 039 Berlin, Die ehemalige Börse am Lustgarten von Becherer 1801

BB 027 Berlin, Oranienburger Tor von Gontard 1788 (abgebrochen)

BB 027 Berlin, Oranienburger Tor von Gontard 1788 (abgebrochen)

BB 044 Berlin, Haus Ziebingen von Hans Christian Genelli um 1800

BB 044 Berlin, Haus Ziebingen von Hans Christian Genelli um 1800

002. D. Chodowiecki (1726-1801), Putzmacherladen

002. D. Chodowiecki (1726-1801), Putzmacherladen

003. D. Chodowiecki (1726-1801), Gesellschaftsbild (2)

003. D. Chodowiecki (1726-1801), Gesellschaftsbild (2)

005. D. Chodowiecki (1726-1801), Gesellschaftsbild

005. D. Chodowiecki (1726-1801), Gesellschaftsbild