Das literarische Leben in Schwerin im 19. Jahrhundert

Aus: Geschichte der Stadt Schwerin. Band 2. Das 19. Jahrhundert.
Autor: Wilhelm Jesse (03.07.1887 in Grabow – 11. 01.1971 in Braunschweig) deutscher Historiker, Numismatiker, Volkskundler, Archivar., Erscheinungsjahr: 1920

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Schwerin, Mecklenburg, Literatur, literarisches Leben, Schriftsteller, Verlage, Schriftstellerinnen,
Ebenso wenig wie die Wissenschaft hat das literarische Leben in Schwerin eine ausgesprochene Eigenart entfaltet oder um eine Person, Richtung oder Organisation einen Mittelpunkt gefunden. Die Mehrzahl der in Schwerin lebenden oder schreibenden Schriftsteller und Schriftstellerinnen waren es nicht von Beruf, sondern betrieben die Schriftstellerei als Nebenbeschäftigung, die sie auch, besonders in früherer Zeit, in den Augen der Gesellschaft nicht herabsetzte, während man dem Berufsliteraten nur zu leicht die gleiche Achtung versagte. Die Zeiten von 1848/49, wo Männer wie Hegel, Maßen, Eggers, Hobein, Rogge, Flemming u. a. eine Art literarischen Kreis um sich versammelt hatten (s. S. 416) oder wie die 60er Jahre, als sich um das Theater und seine dichterisch tätigen Intendanten v. Flotow, Putlitz und Wolzogen herum ein lebhaftes literarisches Leben zeigte (s. S. 480), sind nicht wiedergekommen.

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In die neuere Zeit hinüber leiten einige noch der ältesten Generation angehörende Dichter wie der ungemein vielseitige Eduard Hobein (seit 1845 Advokat in Schwerin, gest. 1882), der mehrere dramatische Dichtungen geliefert hat, sowie der schon genannte Leopold Günther (s. S. 480), zuletzt Oberregisseur des Schauspiels. Seine zahlreihen Lustspiele (1877—1886) haben vielfach ihren Weg auf die deutschen Bühnen gefunden. Noch fruchtbarer war auf dem gleichen Gebiet seine Tochter Maria Günther-Brauer, die seit 1895 ebenfalls in Schwerin lebte und unter ihren Lustspielen, Possen und Weihnachtsmärchen auch ein eigenes Schweriner Lokalbühnenstück, „Das Petermännchen oder Christian Ludwig und seine Hofkomödianten“ (1893) geschaffen hat, indem sie die Schönemannsche Truppe behandelt (s. S. 295f.). Im Weihnachtsmärchen, das immer zu den in Schwerin besonders beliebten Literaturgattungen gehört hat, haben sich ferner Johanna Willborn (1838—1908, „Reise ins Märchenland“ 1881) und Sophie Charlotte von Sell (geb. 1864, „Glocke von Helfenstein“ 1900) mit Erfolg versucht, während die kleinen religiösen dramatischen Dichtungen von Martha Martins (1868—1907) und Johanna Klemm (geb. 1856) wohl kaum Anspruch auf literarische Geltung beanspruchen. Ungleich stärker war die dramatische Begabung von Albert Schmidt (1836 bis 1912, seit 1879 Landgerichtsrat in Schwerin), dessen Schauspiel „Die Scharffensteiner“ 1890 seine Uraufführung im Hoftheater erlebte. Ein Lustspiel Schmidts „Unter der Maske“ erhielt 1878 den Laube-Preis. Eine nicht unerfreuliche literarische Erscheinung war auch Wilhelm Paul Graff (1845—1904) mit seinen Schauspielen „Die Babenberger“, „Michel Kohlhaas“ (1870), „Um die Krone“ (Uraufführung Schwerin 1885) und dem Text zu Max Bruchs „Odysseus“ (1873). In jüngerer Zeit haben Otto Metterhausen (geb. 1861) und Paul Fr. Evers (geb. 1870, seit 1902 Redakteur an den „Mecklenburger Nachrichten“) mit ihren gemeinsam verfassten Lustspielen „(Eheferien“ (1911) und „Fräulein Direktor“ (1913) großen Erfolg beim Publikum gehabt. Evers ist außerdem der Verfasser verschiedener anderer dramatischer Arbeiten, die zum Teil schon erfolgreich aufgeführt sind („Ahrgrafen“ 1912). Als eine phantasievolle Dichterin für Opern- und Oratorientexte hat sich Irmgard Spangenberg (geb. 1889 in Schwerin) seit 1918 schnell einen Namen zu machen gewusst. — Unendlich viel größer ist die Zahl der Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die in Prosa mit Romanen, Novellen, Erzählungen und Jugendschriften hervorgetreten sind. Obenan steht da Karl Beyer, der seit 1903 in Schwerin lebte, mit seinen Romanen aus der mecklenburgischen Geschichte. Auch von Johanna Willborn, Elisabeth Freiin von Maltzahn und Gotthilf Sellin (geb. 1844, Oberlehrer am Gymnasium) haben wir historische Romane. Dietrich v. Oertzen (1887—1895 an den „Mecklbg. Nachrichten“), Dora Strempel (1837—1919, seit 1906 wieder in Schwerin), David Assur (1810—1869, s. S. 416), der vielseitige und auch als Kriegsberichterstatter tätige Offizier Julius v. Wickede (1895—1896 in Schwerin), Lulu v. Sell (Schriften für das Schweriner Anna-Hospital), Johanna Klemm, Marianne Mewis (geb. 1866) u. a. haben in Romanen, Erzählungen, Volks- und Jugendschriften vielfach rein lokaler oder auch christlicher Färbung ihre mehr oder minder bescheidenen Talente bewiesen. Eine interessante Erscheinung war Charlotte Regenstein (geb. 1835), deren erster 1875 im „Daheim“ veröffentlichter Roman „Unter dem Purpur“ offensichtlich auf mecklenburgische Verhältnisse Bezug nahm und der Verfasserin die Entlassung aus dem Dienst als Kammerfrau der Großherzogin Alexandrine eintrug. Auf den verschiedensten Gebieten der Dichtung, in Liedern, Novellen und Publizistik hat sich Dorothea Böttcher (geb. 1852 in Schwerin) bewegt, die lange Jahre als deutsche Journalistin in Amerika tätig war und seit 1905 wieder in ihrer Heimatstadt lebt. Dass die bekannte Romanschriftstellerin Nataly v. Eschstruth (geb. 1860) als vermählte Frau v. Knobelsdorff-Brenkenhoff seit 1893 einige Jahre in Schwerin gewohnt und die später als Sozialistin und Schriftstellerin nicht unbedeutende Lily Braun (geb. 1865) als Tochter des Generals v. Kretschman in Schwerin erste dichterische Versuche gemacht hat (Prolog zur Einweihung des Interimtheaters 1882), sei nur angemerkt. — Während die Gruppe der Prosaschriftsteller und Prosaschriftstellerinnen noch am meisten Einheitlichkeit zeigt in der Bevorzugung einer historischen, religiös-moralischen oder patriotischen, auf Volks- und Jugenderziehung Hinzielenden Richtung, so entbehrt die große Zahl der Dichtungen in gebundener Sprache vollkommen eines bestimmten Charakters. Freilich nimmt auch in der Lyrik das religiöse, vaterländische und lokalpatriotische Gedicht bis herab zur Gelegenheitsdichtung und zum schlimmsten Dilettantismus einen breiten Raum ein. Zu den bescheidensten Vertretern dieser Art gehören Carl W. Denzmer (1821 bis 1907), Karl Schultz (1835—1907), A. Hermann (Hymnus auf Schwerin in „Frühlingsblumen“ 1855), Fr. Latendorf (1860—1893 Oberlehrer am Gymnasium), Alexandra Freiin von Stenglin (Hofdame seit 1873), Margarete Sachse, Ludwig Flügge (Lied auf Schwerin) oder endlich, nicht mehr den Namen „Dichtung“ verdienend, Johannes Behrbohm (1886—1906 Porzellanmaler in Schwerin, „Auf den Schweriner See“, „Das Petermännden“) und Agnes Sommer (1858—1908, „Erinnerung an Schwerin“). Wesentlich höher stehen die Gedichte von Hobein, Helene Brauer (geb. 1889 in Schwerin—1925) und namentlich die Lieder und Balladen von Sophie Kloerss (geb. 1866—1927) sowie die Lyrik von Editha Leontine von Budka. Ein Fremdling auf deutschem Boden und in Schwerin war Olga von Geritfeldt, die feinsinnige Gattin des Museumsdirektors Steinmann. — Verhältnismäßig klein ist die Zahl der Schriftsteller, die sich auf das Gebiet der plattdeutschen Dialektdichtung gewagt haben; selbständiges ist jedenfalls nach Reuter und Brinkmann nicht geleistet worden. Die Lyrik ist durch Hobein, Losehand (gest. 1890), Karl Schöning (geb. 1858) und vor allem Ernst Hamann (geb. 1862—1952, Oberlehrer am Gymnasium) vertreten, das „Läuschen“ durch Denzmer, Metterhausen und Rudolf Tarnow (geb. 1867—1933). Eine dramatische plattdeutsche Dichtung hat Beyer 1904 mit „Ut de Preußentid“ geschaffen 263).

Nur ein kleiner Teil der Werke der heimischen Schriftsteller beiderlei Geschlechts ist in Schwerin selbst erschienen. Das Verlagsgeschäft der Stadt ist ganz unbedeutend. Größeren Umfang angenommen hat nur der Verlag von Fr. Bahn, der in der Hauptsache Werke christlichen Charakters, Volks- und Jugendschriften verlegt. Die Buchhandlungen von Stiller und Davids betreiben ebenfalls einen Verlag und pflegen in der Hauptsache die lokale oder mecklenburgische Literaturgattung. Dabei wären die Druckereien wohl in der Lage gewesen, größere Aufgaben zu bewältigen. Ihre Zahl ist von 4 (1870) allmählich auf 11 (1917) gestiegen, doch haben gerade die älteren, wie die Bärensprungsche Hofbuchdruckerei, Herberger und Sandmeyer sich zu großen modernen Betrieben entwickelt, die im Buch- und Zeitungsdruck sowie im bildlichen Vervielfältigungsverfahren (Steindruck, Lichtdruck, Ätzverfahren, Farbendruck) das Beste geleistet haben. Der Buchhandel hat rein lokale Bedeutung gehabt, wenn auch die Zahl der Buchhandlungen sich seit 1870 (4) verdreifacht hat (1917 13). — Wenig Glück haben die meisten in der Stadt begründeten Zeitschriften gehabt; seit den 40er Jahren sind die vielfach auftauchenden Wochen- und Monatsschriften selten über ein oder zwei Jahrgänge hinausgekommen. (Eine Ausnahme machte der schon (S. 416) erwähnte „Sonntagsbote“ von H. Meier (1849) und „Mecklenburg“, eine Zeitschrift für Landeskunde und Geschichte (1863); ein „Archiv für Landeskunde“ (gegründet 1850 als „Gemeinnütziges Archiv“) erschien 1852—1870 bei Bärensprung. Längeren Bestand hat ferner das „Mecklenburgische Sonntagsblatt“ gehabt, das zuerst in Stavenhagen erschien, dann lange Zeit von Domprediger Weber redigiert wurde und später ganz nach Schwerin übergesiedelt ist. — Bleiben endlich noch die Tageszeitungen, die in dem raschlebigen Zeitalter in steigendem Maße an Wichtigkeit für das öffentliche Leben gewonnen haben und für viele Kreise fast den einzigen Lesestoff bilden. Mehr als zwei Zeitungen, eine liberaler und eine konservativer Richtung, haben sich aber in Schwerin auf die Dauer nie halten können. Die „Mecklenburgische Zeitung“ hat seit 1848 ihren Charakter nicht verändert und im neuen Reich die Ziele und politischen Anschauungen der national-liberalen Partei vertreten. Als ein für das flache Land bestimmter Ableger bestand daneben längere Zeit der „Mecklenburger Anzeiger“. Der konservative „Norddeutsche Korrespondent“ hatte in den 60er Jahren seinen Namen in „Mecklenburgische Anzeigen“ geändert und diente lange als behördliches Anzeigenblatt. Nachdem dann die gegen Ende der 70er Jahre von agrarischer Seite in Stavenhagen gegründeten „Mecklenburgischen Landesnachrichten“ bald nach Schwerin übergesiedelt und als „Mecklenburger Nachrichten“ 1883 in den Besitz von Herberger gelangt waren, gingen die „Anzeigen“ 1887 ein. Neue Versuche, eine dritte Tageszeitung zu gründen („Schweriner Zeitung“ 1897, „Wochenblatt“ 1907), sind jedes Mal gescheitert. An Fachzeitungen erscheint in Schwerin außer den amtlichen Blättern (Staatskalender, Regierungsblatt, Amtsblatt der Zolldirektion, Anzeigen der Domanialämter Schwerin und Crivitz, früher auch Postverordnungsblatt, Gewerbeblatt und Mecklenburgisches Kirchenblatt) das von 1838 gegründete Polizeiblatt „Der Wächter“, dessen langjähriger Redakteur August Ackermann (1851 — 1892) auch literarisch tätig war.