Das Seebad Warnemünde
Bilder von der norddeutschen Küste
Autor: Wickede, Julius von (1819-1896) mecklenburger Offizier, Journalist und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1868
Themenbereiche
Reisen Mecklenburg-Vorpommern Seebäder, Kurbäder und Heilbäder Gesundheit, Medizin, Homöopathie Hansestadt Rostock
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Ostseeküste, Badeleben, Rostock-Warnemünde, Schiffahrt, Maritimes, Küstenbewohner, Reisen, Badeurlaub und Meer
Aus: Über Land und Meer. Allgemeine Illustrierte Zeitung. Herausgegeben von F. W. Hackländer. Juni 1868
Der freundliche Leser, der uns in unserm ersten Artikel nach dem Fischland gefolgt ist und dem die Eigentümlichkeiten der Sitten und Lebensweise der dortigen Bewohner vielleicht einiges Interesse einflößten, möge nun mit uns einen kleinen Abstecher nach dem unfern davon gelegenen Seebade Warnemünde unternehmen. Auch dies ist ein in seiner Art höchst eigentümlicher Ort; auch hier findet der Freund der See und des Seelebens Stoff zur mannigfachen Unterhaltung, Warnemünde ist nicht bloß ein Seebad, sondern zugleich auch der Hafen der durch ihre Reederei nächst Hamburg und Bremen den dritten Rang in ganz Deutschtand einnehmenden alten Hansestadt Rostock, und so ist ein reger Schiffsverkehr hier, und wer sein Auge an dem hübschen Anblick stattlicher, mit vollem Segelschmuck ein- oder auslaufender Seeschiffe ergötzen mag, der findet täglich hinreichende Gelegenheit dazu.
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Der freundliche Leser, der uns in unserm ersten Artikel nach dem Fischland gefolgt ist und dem die Eigentümlichkeiten der Sitten und Lebensweise der dortigen Bewohner vielleicht einiges Interesse einflößten, möge nun mit uns einen kleinen Abstecher nach dem unfern davon gelegenen Seebade Warnemünde unternehmen. Auch dies ist ein in seiner Art höchst eigentümlicher Ort; auch hier findet der Freund der See und des Seelebens Stoff zur mannigfachen Unterhaltung, Warnemünde ist nicht bloß ein Seebad, sondern zugleich auch der Hafen der durch ihre Reederei nächst Hamburg und Bremen den dritten Rang in ganz Deutschtand einnehmenden alten Hansestadt Rostock, und so ist ein reger Schiffsverkehr hier, und wer sein Auge an dem hübschen Anblick stattlicher, mit vollem Segelschmuck ein- oder auslaufender Seeschiffe ergötzen mag, der findet täglich hinreichende Gelegenheit dazu.
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Die alte vieltürmige Handelsstadt Rostock hat in äußerer Bauart, Sitten und Lebensweise ihrer Bewohner große Ähnlichkeit mit ihrer Schwesterstadt Lübeck, und zeichnet sich wie diese durch einen gewissen gediegenen Wohlstand ihrer Bewohner aus, bietet aber sonst für einen Fremden gerade nicht sonderlich viel Interessantes. Wer das Standbild Blüchers, der hier geboren ward, gesehen, dann vielleicht noch einen kurzen Spaziergang auf den teilweise schon in ganz freundliche Anlagen verwandelten Wall gemacht und sich an der regen Geschäftigkeit auf den großen Schiffswerften, auf denen stets an fünfzehn bis zwanzig Seeschiffe aller Größe im Bau liegen, ergötzt hat, der sah auch so ziemlich Alles, was Rostock dem Fremden bieten kann. Gut eingerichtete kleine Dampfer, die im Sommer während der Badezeit häufig am Tage gehen, führen aber auf der breiten Warnow in kaum einer Stunde nach Warnemünde, und ist das Wetter nur irgendwie dazu geeignet, so möchten wir einen Ausflug dahin empfehlen. Weht ein günstiger Wind zum Segeln, so raten wir Allen, die Freunde von einer raschen Segelfahrt sind, statt des oft überfüllten Dampfschiffes die Fahrt in einem Segelboot zu machen. Besonders um die Mittagsstunde liegen im Rostocker Hafen stets große, schwere Boote, die nach Warnemünde zurücksegeln und mit denen man die Fahrt für einige Groschen mitmachen kann. Wenn auch keine Männer, sondern nur Frauen im Boote sitzen, so braucht der Fremde sich deshalb nicht zu fürchten, denn eine Warnemünderin handhabt die schweren Schlagruder mit einer Kraft und Ausdauer, führt das Steuerruder oder stellt die Segel so sicher, dass dies der geübteste Bootsmann der Welt nicht besser tun könnte. Es sind überhaupt tüchtige Frauen, diese echten Warnemünderinnen, die an Fleiß, Ordnung, Rechtlichkeit, Reinlichkeit und dabei strenger Sittsamkeit mit den Tüchtigsten ihres Geschlechtes in ganz Deutschland wetteifern können. Wer die Fahrt mit ihnen unternehmen, Fische oder Sand kaufen, oder während der Badesaison eine kleine freundliche Wohnung mieten will, der kann zwar immerhin vorerst Einiges vom zuerst geforderten Preise herabhandeln, denn etwas vorzuschlagen und sich dann abhandeln zu lassen liebt man hier, ist aber das Geschäft erst abgemacht, dann kann man auch sicher vertrauen und ihnen unbedingt Geld oder Wertsachen zur Aufbewahrung geben; denn dass eine Warnemünderin betrogen, gestohlen oder auch nur einen unsittlichen Lebenswandel geführt hatte, ist ein Fall, der kaum jemals vorgekommen. Würde doch unauslöschliche Schande für immer dann an ihr kleben.
Besteigen wir hier die Jolle, in der eine alte Frau mit Silberhaar unter dem flachen Strohhut nebst ihrer jungen Tochter sitzt. Wir lernen zugleich dann auf der Fahrt manches von den Eigentümlichkeiten des Warnemünder Lebens kennen. Die Frau ist die Witwe eines Matrosen, der vor so und so viel Jahren im schwarzen Meere ertrank, hier ihre Tochter, die hübsche Blondine mit den blauen Augen, roten Backen, blondem Haar, dem schlanken Wuchs und der geraden, aus der Brust freien Haltung, die Braut eines Seemannes, der schon seit zwei Jahren in China abwesend ist, während ihre zwei Brüder ebenfalls auf ferner Fahrt begriffen sind. Mit ganz seltenen Ausnahmen treibt die gesamte männliche Bevölkerung von Warnemünde gleich wie auf dem Fischlande das Seemannsgewerbe und verbringt von der Wiege bis zum Grabe, als Schiffsjunge, Matrose und später als Fischer oder Lotse den weitaus größten Teil ihres Lebens auf den Wellen des Meeres. Auch die Frauen haben ihre meiste Tätigkeit auf dem Wasser; hier die alte Witwe zum Beispiel mit der wir fahren, ernährt sich seit dem Tode ihres Mannes schlecht und recht durch Holen von feinem weißen Sand aus der See, den sie dann in der Jolle, wie die Warnemünder ihre Boote nennen, nach Rostock fährt und dort an die Hausfrauen zum Stubenreinigen oder auch zum Bauen verkauft. Es ist ein schweres Geschäft, das eine harte Anstrengung der Frauen erfordert. Schon mit Tagesgrauen, mag es noch so stark stürmen oder regnen oder dicker Nebel auf dem Wasser liegen, müssen Mutter und Tochter in das so schwer mit Sand beladene Boot, dass es kaum fünf bis sechs Zoll Bord aus dem Wasser hat. Weht ein günstiger Segelwind, so dass die zwei Landmeilen, welche die Strecke auf der Warnow non Warnemünde bis nach Rostock beträgt, wenigstens größtenteils mit Segeln zurückgelegt werden können, so sind die Bootfahrerinnen hoch erfreut. Sie stellen mit großer Geschicklichkeit dann die verschiedenen Segel, so dass auch gewiss der kleinste Luftzug benutzt wird, und haben dann weiter nichts zu tun, als das Steuerruder so aufmerksam zu führen, dass bei dem dichten Nebel nicht am Ende gar ein herunterkommendes Seeschiff ihre Jolle in den Grund fährt, und auf die Segel zu achten, damit ein plötzlicher Sturmstoß nicht das Boot umwirft. Weht aber kein Wind oder gar ein ungünstiger, so ist es eine, die härteste Anstrengung erfordernde Arbeit das tief beladene Boot in zwei bis vier Stunden nach Rostock hinauf zu rudern. Trotz der kalten Witterung sind die Frauen dann oft wie im Schweiß gebadet und ihre Gesichter glühen rot vor Anstrengung. In Rostock angekommen, gibt es aber keine Zeit zum Ausruhen, sondern der Sand wird in Säcke gefüllt und nun auf dem Rücken in den Straßen zum Verkauf umhergetragen. Gegen elf bis zwölf Uhr sind die Warnemünderinnen damit fertig und fahren dann so schnell als möglich nach Warnemünde zurück. Zu Hause angekommen, wird das Boot sorgfältig gereinigt, dann schnell Kaffe mit Butterbrot als Mittagessen genossen und nun in die See gefahren, um das Fahrzeug von Neuem mit Sand für die Fahrt des kommenden Tages voll zu laden. Es ist dies ein mühsames Geschäft, wobei die Frauen oft bis an die Knie im Wasser mit den bloßen hoch aufgeschürzten Füßen waten müssen. Gegen fünf bis sechs Uhr Nachmittags kommen die Sandfahrerinnen nach Hause und haben dann erst Zeit, sich ein kräftiges Abendessen, gewöhnlich aus Seefischen und Kartoffeln bestehend, zu kochen, ihre häuslichen Geschäfte zu besorgen und bis auf das Äußerste ermüdet bald das Lager zu suchen. Ein Boot voll Sand wird gewöhnlich in Rostock mit einem Thaler bezahlt. Die Fischerfrauen, mit denen ganze Boote vollgefüllt sind, brauchen zwar in der Regel nicht so hart zu arbeiten als die Sandfahrerinnen, doch erfordert das Reinigen der großen Fischernetze von Seetang und Schlamm und das viele reparieren der zerrissenen Stellen, oder das Bestecken der Legangeln, dann der Verkauf der gefangenen Dorsche, Schollen, Aale und anderer Fische in den Straßen von Rostock eine unausgesetzte Tätigkeit vom frühen Morgen bis späten Abend. Dazu ist das Gewerbe eines Seefischers ein sehr unsicheres. Gar oft weht ein plötzlicher Sturm die großen, gewöhnlich eine deutsche Meile vom Strande ankern in die See gelassenen Fischernetze fort, was dann den armen Fischern einen Schaden von fünfzig bis hundert Thalern verursacht. Für die gemeinschaftliche Anschaffung und das Auswerfen eines solchen großen Fischnetzes vereinigen sich gewöhnlich drei Schiffer, welche dann die Arbeit und Kosten, aber auch den Gewinn miteinander teilen. Tiefe Seefischer sind in der Regel frühere Matrosen, die wegen ihres höheren Alters nicht mehr auf den Kauffahrteischiffen fahren mögen; denn ebenso wie der Fischländer kreuzt auch der Warnemünder gewöhnlich vom 15. bis 40. Lebensjahre als Seemann auf dem Meere umher, seine Kinder- und Greisenjahre aber verbringt er vielfach in der Jolle. Solch' ein Boot, das fest aus Eichenholz gezimmert mit Masten und Segel an 120 Thaler kostet, besitzt fast jede, selbst die ärmste Familie, und das erste Stück des Hausrates, welches sich ein Warnemünder, der heiraten will, anschafft, ist gewiss eine Jolle.
Die Frauen, die uns mit eben so viel Kraft als Geschicklichkeit im Boote fahren, tragen noch die alte Tracht der Warnemünderinnen. Diese ist ebenso zweckmäßig wie kleidsam und besteht in einem eigentümlich geformten Strohhut, inwendig mit rotem Kattun gefüttert, hinten mit langen schwarzen Bändern, einer kurzen Spencerjacke von grobem grünen Tuch, die beim Rudern oder sonstiger schwerer Arbeit häufig ausgezogen wird, und einem langen in Falten herunterwallenden Kleide von grobem dunkelblauem Wollenstoff, unten mit breiten Streifen von schwarzem Baumwollensamt besetzt, dazu dunkle Wollstrümpfe und kleine Pantoffeln. Es gibt alte Warnemünderinnen, die in ihrem ganzen Leben noch niemals einen Schuh, sondern stets nur Pantoffeln getragen haben. Diese Sitte der Pantoffeln stammt davon her, dass die Frauen beim Sandholen, Seetangsuchen oder auch, wenn Wasser in das Boot geschlagen hat und sie solches herausschöpfen müssen, häufig die Fußbekleidung ausziehen und mit nackten Füßen arbeiten, was bei Pantoffeln leichter als mit Schuhen geschieht. Seit den letzten zehn Jahren fangen übrigens viele Warnemünderinnen statt der Jacken und Röcke von festem, einfachem Wollenzeug lange Kleider von buntem, plundrigem Kattun zu tragen an, obgleich das für die Arbeit im Boote gar nicht passt und ihnen leicht ein unordentliches Aussehen verleiht, überhaupt will sich leider das jüngere weibliche Geschlecht an die einfache Lebensweise und die harte, unausgesetzte Arbeitsamkeit der Älteren teilweise gar nicht mehr recht gewöhnen. Gibt es doch jetzt selbst Warnemünder Jungen, die nach ihrer Konfirmation lieber ein Handwerk lernen, statt als Schiffsjunge hinaus auf die See gehen, was früher unerhört gewesen wäre.
Mit dem schnell dahinrauschenden Boote, dessen Segel von günstigem Winde geschwellt sind, haben wir jetzt den breiten Auslauf der Warnow, der „Breitling“ genannt, durchschnitten und legen bald am Warnemünder Ufer an. Schon der erste Eindruck, den uns die lange Reihe der kleinen, zierlich aussehenden Häuser gewährt, die sich hinter einer grünen Baumreihe halb versteckt längs des Stromes bis ans Meer hinziehen, ist ein eigentümlicher. Mann könnte fast glauben, statt in Mecklenburg plötzlich in Holland zu sein, so abweichend von der gewöhnlichen Bauart der mecklenburgischen Häuser sehen die Warnemünder aus. Dass man sich in einem Hafenort befindet, zeigt alles, wie denn auch hart am Lande, so dass ihre Segel mitunter fast in die grünen Zweige der Bäume hineinzuragen scheinen, oft stolze Dreimaster, soeben erst aus China oder Westindien oder Konstantinopel heimgekehrt, liegen. Während der drei Sommermonate von Juli bis September ist Warnemünde ein vielbesuchter Seebadeort, der in günstigen Jahren an 2.000 Besucher zählt. Die Mehrzahl der Badegäste sind Mecklenburger, besonders aus Rostock, doch kommen auch in den letzten Jahren, besonders seit Rostock durch eine Eisenbahn mit der Hamburg-Berliner Bahn verbunden ist, mehr fremde Familien aus dem Innern von Deutschland hierher. Die Lebensweise hier im Bade ist einfach und ohne jeden Glanz und Prunk, aber ganz behaglich. Die Familien aus Mecklenburg selbst suchen gewöhnlich ein eigenes Häuslein zu mieten, dessen Preis oft schon in der besten Lage mit der Aussicht nach dem Meere, je nach Größe und Zeit bis zu 20 Thaler die Woche steigt, und kommen nun mit Betten, Küchengeschirr und Dienstboten hierher, um eine eigene Wirtschaft zu führen. Wer weiter her kommt, speist in einem der Gasthäuser, deren es zwei bis drei, die mäßigen Ansprüchen genügen, hier während der Badezeit gibt, oder lässt sich das Essen holen. Alle Preise in Warnemünde sind noch bescheiden, eine Badetaxe wird nicht gezahlt und auch die ziemlich bequem eingerichteten Seebäder sind äußerst wohlfeil. Freilich, besondern Komfort oder große Eleganz darf man nirgends hier beanspruchen wie denn Warnemünde überhaupt mehr ein Badeort für den gebildeten Mittelstand und dessen Börse allzu hohe Ausgaben für ziemlich überflüssigen Luxus scheut, als für die vornehmere, elegantere Welt ist und hoffentlich auch für immer bleiben wird. Letztere sucht mehr das zwei Meilen von hier entfernte Doberan auf, das mit seinen eleganten Konversationssälen, seinem Hoftheater und größeren Luxus aller Art ganz anderen Ansprüchen genügt, dafür aber auch die doppelten Preise hat. Übrigens ist in Warnemünde im letzten Dezennium schon sehr Vieles zur Verschönerung geschehen. Man hat mit großen Kosten und nicht ohne Geschmack verschiedene öffentliche Anlagen errichtet und fährt hierin mit einer Anstrengung fort, die man unbedingt loben muss. Besonders die Versuche, den bisher jeglicher Kultur spottenden Flugsand der Dünen längs des Meeresufers durch Anpflanzungen zu befestigen und so allmählich für die Anpflanzung von Nadelhölzern und anderen Gesträuchen geeignet zu machen, sind ungemein interessant und werden mit dem lobenswertesten Eifer, der teilweise auch schon die ersten Erfolge erzielt hat, fortgesetzt. Wo noch vor zehn Jahren ein Treibsand war, dass der müde Wanderer sich kaum durcharbeiten konnte, da ist jetzt schon fester Rasenboden, und kleine Nadelholzwaldungen oder Boskets von Ziersträuchern erfreuen die Wanderer. Die Stadt Rostock, der Warnemünde gehört, verwendet große Kosten zur Verschönerung des Ortes, und der Herr Kommissionsrat Wachtler, der alle diese Arbeiten mit dem unermüdlichen Eifer auf die uneigennützigste Weise leistet, erwirbt sich dadurch gerechten Anspruch auf den Dank aller Besucher des Bades.
Den meisten Reiz für alle Badegäste muss freilich der weite Spiegel des Meeres gewähren, dessen freie Fläche sich hier dem Auge sehr vorteilhaft darstellt. Ein weit hinaus in die See gebauter breiter Steindamm zum Schutz der Hafeneinfahrt, der an seinem äußeren Ende mehrere Reihen von Bänken hat, bildet den Hauptspaziergang aller Warnemünder Badegäste. Auf diesem Damm, „das Epiel“ genannt, kann man Seeluft in voller Frische schöpfen und sich an dem ewig schönen Anblick des Meeres so recht aus ganzer Seele erfreuen. Und welche Abwechslung bietet dieser Anblick, wie bleibt sich das Meer nie gleich und verändert halt stündlich sein Ansehen. Jetzt ist es spiegelglatt, das Wasser sieht hellgrau, klar, gleich flüssigem Kristall aus, und die Sonne spiegelt sich in Milliarden blitzender Funken auf der endlosen Fläche. Allmählich steigen dunkle Wolken am Horizont auf, der Himmel treibt sich und sein Widerschein lässt auch das Wasser in immer dunkleren und dunkleren Schattierungen erscheinen. Schon fangen die Wellen an sich mit weißem Schaum zu kräuseln, und die weite dunkle Fläche erscheint wie mit weißen beweglichen Flocken überschäumt. „Der Schäfer fängt an seine Herde auszutreiben,“ sagen die Warnemünder, wenn die See anfängt unruhig zu werden und weiße Schaumflocken überall sich kräuseln.
Schon schlagen die Wellen der Brandung an die großen Felsblöcke, welche die Spitze des Dammes bilden, und einzelne Schaumflocken spritzen mitunter schon bis an die Bänke hinauf und netzen die Füße der dort Sitzenden. Mit hochaufgestellten Segeln vom Winde in flüchtiger Fahrt getrieben, eilen die Fischerboote, die draußen in der See waren, heimwärts, um den sicheren Hafen zu gewinnen, bevor der Sturm in seiner ganzen Gewalt daherbrauset. Es sieht ängstlich aus, wie die Wogen diese leichten Boote umherwerfen, und man müsste fast glauben, dass sie jeden Augenblick umgeworfen würden, so sehr schwanken sie hin und her, tauchen dann bald tief unter und sind plötzlich wieder hoch oben auf dem Kamm der Welle. Aber der alte verwetterte Fischer am Steuerruder passt fest auf, um mit dem scharfen Kiel des Bootes die Welle zu durchscheiden, sobald die richtige Sekunde dazu gekommen ist, und sein Weib hält den Strick des Segels mit kundiger Hand, um es sogleich loszulassen, wenn in plötzlicher Windstoß daherbraust.
Immer deftiger fängt der Sturm zu toben an, immer höher steigen die Wogen, immer weißer und gischtiger wir ihr Kamm. Schon können es die Zuschauer kaum mehr auf den Bänken des Steindammes aushalten, denn der Wind zerzaust ihnen die flatternden Gewänder, und das Wasser der Brandung schlägt mitunter über den ganzen Damm hinüber. Der Rückweg ist dann nicht licht, es erfordert die größte Kraft und Vorsicht, um von dem heulenden Wind nicht umgeworfen zu werden. Wer dem Sturm zu trotzen wagt, der eilt jetzt auf den freien Platz vor dem Leuchtturm, wo man die freieste Übersicht über das Meer hat. Der Anblick, den dieses jetzt darbietet, ist so unbeschreiblich großartig, dass man gerne Sturm und Unwetter trotzt, um ihn so ganz zu genießen.
So weit das Auge reicht, zeigt das Meer ein wildes Chaos von sich überstürzenden Wogen, deren tiefdunkle Färbung scharf von dem weißen Schaum oben an ihrem Kamme abbricht. Es ist ein wilder, schauriger Anblick, das Meer beim Sturm, und wer ihn einmal gesehen, dem prägt er sich durch seine Großartigkeit so fest in die Seele ein, dass solch ein Bild niemals wieder verbleichen wird. Unbekümmert um Sturm und Meeresgetobe hat ein Haufe alter Lotsen sich jetzt auf dem Platze vor dem Leuchtturme versammelt. Es sind von Wind und Wetter gehärtete Männer, den breiten Südwester von Ölleinwand tief auf das graue Haar gedrückt, eine dicke blaue Friesjacke, weite, kurze, kau bis an das Knie reichende Überziehhosen von grauer Segelleinwand und lange Wasserstiefel bilden ihren Anzug. Mit scharfen Blicken gleich dem Seeadler spähen sie auf die schäumende Fläche des Meeres. Ein Schiff mit stark gerefften Segeln wird vom Sturme arg umhergeworfen, hält aber dabei nicht in die See ab, sondern dem Lande zu, und das oft unglaublich scharfe Auge der Lotsen hat aus der Ferne schon erkannt, dass es ein schwedischer Schooner sei, der mit Brettern beladen in Warnemünde als Nothafen einlaufen wolle. Jetzt steckt das Schiff die Lotsenflagge auf, als Zeichen, dass es einen Lotsen an Bord heben wolle, um binnen zu laufen. Es ist ein äußerst schweres, ja selbst gefährliches Unternehmen, in solchem Sturme mit dem leichten Lotsenboot in See auszulaufen, aber schwieriger ist es noch, das Schiff in die schmale Hafeneinfahrt zwischen den beiden Steindämmen sicher hineinzusteuern und mancher alte Lotse schüttelt zweifelnd den Kopf. Doch der Lotsenkommander gibt den Befehl, dass die Lotsen hinaus sollen, und fünf erfahrene, verwetterte Seeleute besteigen das Lotsenboot. Ihre langen Schlagruder, von nerviger Faust geführt, treiben zuletzt das Boot sicher durch die Brandung obgleich sie wiederholt davon zurückgeworfen werden, und der Mann am Steuerruder weiß die Sturzwellen sicher zu durchschneiden, oft freilich hat es, vom Land aus gesehen, den Schein, als sei das Boot von den Wogen verschlungen, aber gleich dem Eisvogel taucht es von Neuem stets wieder auf und setzt unermüdlich seine schwierige Fahrt fort. Doch die Anstrengung der Männer bleibt dieses Mal eine vergebliche. Bevor die Lotsen an Bord des schwedischen Schooners zu gelangen vermögen, hat der Sturm ihn so weit ostwärts getrieben, dass er links von der Hafeneinfahrt auf eine Sandbank festzusitzen kommt und somit strandet. Die Mannschaft des gestrandeten Schooners wird zwar vom Lootsenboot gerettet, das Schiff aber sitzt fest und saugt sich so tief im Sande ein, dass es nicht wieder loszubringen ist. Es ist und bleibt ein Wrack und muss als solches bei ruhigem Seegang abgebrochen werden, um seine Balken und Planken als altes Holz zu benutzen. Der arme Kapitän hat vielleicht in dieser einzigen Stunde die Früchte der Ersparnisse mancher schweren Jahre verloren. Doch das ist des Seemanns Schicksal; er verliert oft kurz vor dem Hafen nicht allein sein Vermögen sondern auch sein Leben, und die tückischen Wellen des Meeres zerstören in wenigen Minuten, was er sich in langen Jahren mühsam aufbaute.
Doch hier der stattliche Dreimaster, der am anderen Tage, da der Sturm sich wieder gelegt, mit vollen Segeln in schneller sicherer Fahrt in den Hafen einläuft, scheint mehr Glück gehabt zu haben. Bunte Flaggen wehen von seinen Masten, mit lautem Hurrah und Mützengeschwenke begrüßen die Matrosen, die in den Strickleitern hängen, die Einfahrt. Ein lautes Echo findet ihr freudiger Gruß in den Herzen der Warnemünder jeglichen Alters und Geschlechtes, die in sonst bei ihnen ungewöhnlicher Neugierde auf dem Hafendamm zusammengelaufen sind, die einsegelnde Barke zu begrüßen, und selbst von den Badegästen schwenken Manche die Taschentücher; das Schiff ist ein mecklenburgisches, sein Kapitän wohnt in Rostock, die Mannschaft besteht größtenteils aus gebornen Warnemündern und Fischländern. Es sind schon über fünf Jahre her, da lief dieses Schiff von hier aus und fuhr seitdem gewöhnlich zwischen China und Südamerika, ohne die Heimat nur ein einziges mal zu sehen. Zuletzt aber drängte es doch den Kapitän und seine Mannschaft zu sehr, Frau und Kinder wieder nach so langer Frist begrüßen zu können, und da das Schiff ohnehin einer gründlichen Reparatur bedurfte, so nahm er von Rio de Janeiro Fracht nach England und fuhr von dort mit Kohlen nach Rostock. Kaum liegt das Fahrzeug fest am Bollwerk, so springt der Kapitän, ein stattlicher Mann in den dreißiger Jahren, mit energischem, von der südlichen Sonne tiefgebräuntem Gesicht, an das Land und umfängt mit kräftigen Armen eine hübsche, nur etwas bleich anstehende Frau die, zwei Knaben hinter sich, ihm entgegeneilt. Und wie er der treuen Gattin den längst entbehrten ersten Liebeskuss gegeben hat, da zieht er auch! bald den jüngsten Knaben, der etwa sechs Jahre zählen mag, zu sich in die Höhe und Tränen der freudigen Rührung glänzen in seinem Auge.
Als ich den Jungen zuletzt sah, da lag er noch als Säugling an der Mutterbrust, und jetzt ist es doch schon so ein derber Bengel, an dem man seine Freude haben muss.“ sagt der Kapitän, sich gleichsam wegen seiner Rührung entschuldigend, zu den Umstehenden.
Und das muntere „Ahoi – Ahoi“ der Matrosen, mit dem sie einen Anker aufwinden, tönt dazwischen. Ein anderes Schiff will so eben in die See gehen - wohin, ist ungewiss: ob nach dem Mittelmeer oder Amerika, hängt von den Frachten ab, die der Kapitän vielleicht in England oder Antwerpen erhält. Und die selbe warnemünder Mutter, die so eben den einen Sohn nach fünfjähriger Trennung wieder begrüßte, muss in derselben Stunde vielleicht dem andern Sohn auf eben so lange - mitunter auch für immer Lebewohl sagen.
Solche und ähnliche Bilder des Seelebens wechseln in Warnemünde unaufhörlich in buntester Reihenfolge. Wer daher ein Freund vom Meere, dessen Küstenbewohnern und ihrer seemännischen Tätigkeit ist und dabei ein einfaches, anspruchsloses Badeleben, fern von Glanz und Luxus, mit guten Seebädern und prächtiger Seeluft wünscht, dem raten wir, Warnemünde immerhin auf einige Wochen zu besuchen, und wir glauben, er dürfte es nicht bereuen, unseren Rat befolgt zu haben. Freilich, großartige Vergnügungen darf er hier nicht erwarten, denn sonst würde er bitter enttäuscht werden. [das gilt heute nicht mehr]
Besteigen wir hier die Jolle, in der eine alte Frau mit Silberhaar unter dem flachen Strohhut nebst ihrer jungen Tochter sitzt. Wir lernen zugleich dann auf der Fahrt manches von den Eigentümlichkeiten des Warnemünder Lebens kennen. Die Frau ist die Witwe eines Matrosen, der vor so und so viel Jahren im schwarzen Meere ertrank, hier ihre Tochter, die hübsche Blondine mit den blauen Augen, roten Backen, blondem Haar, dem schlanken Wuchs und der geraden, aus der Brust freien Haltung, die Braut eines Seemannes, der schon seit zwei Jahren in China abwesend ist, während ihre zwei Brüder ebenfalls auf ferner Fahrt begriffen sind. Mit ganz seltenen Ausnahmen treibt die gesamte männliche Bevölkerung von Warnemünde gleich wie auf dem Fischlande das Seemannsgewerbe und verbringt von der Wiege bis zum Grabe, als Schiffsjunge, Matrose und später als Fischer oder Lotse den weitaus größten Teil ihres Lebens auf den Wellen des Meeres. Auch die Frauen haben ihre meiste Tätigkeit auf dem Wasser; hier die alte Witwe zum Beispiel mit der wir fahren, ernährt sich seit dem Tode ihres Mannes schlecht und recht durch Holen von feinem weißen Sand aus der See, den sie dann in der Jolle, wie die Warnemünder ihre Boote nennen, nach Rostock fährt und dort an die Hausfrauen zum Stubenreinigen oder auch zum Bauen verkauft. Es ist ein schweres Geschäft, das eine harte Anstrengung der Frauen erfordert. Schon mit Tagesgrauen, mag es noch so stark stürmen oder regnen oder dicker Nebel auf dem Wasser liegen, müssen Mutter und Tochter in das so schwer mit Sand beladene Boot, dass es kaum fünf bis sechs Zoll Bord aus dem Wasser hat. Weht ein günstiger Segelwind, so dass die zwei Landmeilen, welche die Strecke auf der Warnow non Warnemünde bis nach Rostock beträgt, wenigstens größtenteils mit Segeln zurückgelegt werden können, so sind die Bootfahrerinnen hoch erfreut. Sie stellen mit großer Geschicklichkeit dann die verschiedenen Segel, so dass auch gewiss der kleinste Luftzug benutzt wird, und haben dann weiter nichts zu tun, als das Steuerruder so aufmerksam zu führen, dass bei dem dichten Nebel nicht am Ende gar ein herunterkommendes Seeschiff ihre Jolle in den Grund fährt, und auf die Segel zu achten, damit ein plötzlicher Sturmstoß nicht das Boot umwirft. Weht aber kein Wind oder gar ein ungünstiger, so ist es eine, die härteste Anstrengung erfordernde Arbeit das tief beladene Boot in zwei bis vier Stunden nach Rostock hinauf zu rudern. Trotz der kalten Witterung sind die Frauen dann oft wie im Schweiß gebadet und ihre Gesichter glühen rot vor Anstrengung. In Rostock angekommen, gibt es aber keine Zeit zum Ausruhen, sondern der Sand wird in Säcke gefüllt und nun auf dem Rücken in den Straßen zum Verkauf umhergetragen. Gegen elf bis zwölf Uhr sind die Warnemünderinnen damit fertig und fahren dann so schnell als möglich nach Warnemünde zurück. Zu Hause angekommen, wird das Boot sorgfältig gereinigt, dann schnell Kaffe mit Butterbrot als Mittagessen genossen und nun in die See gefahren, um das Fahrzeug von Neuem mit Sand für die Fahrt des kommenden Tages voll zu laden. Es ist dies ein mühsames Geschäft, wobei die Frauen oft bis an die Knie im Wasser mit den bloßen hoch aufgeschürzten Füßen waten müssen. Gegen fünf bis sechs Uhr Nachmittags kommen die Sandfahrerinnen nach Hause und haben dann erst Zeit, sich ein kräftiges Abendessen, gewöhnlich aus Seefischen und Kartoffeln bestehend, zu kochen, ihre häuslichen Geschäfte zu besorgen und bis auf das Äußerste ermüdet bald das Lager zu suchen. Ein Boot voll Sand wird gewöhnlich in Rostock mit einem Thaler bezahlt. Die Fischerfrauen, mit denen ganze Boote vollgefüllt sind, brauchen zwar in der Regel nicht so hart zu arbeiten als die Sandfahrerinnen, doch erfordert das Reinigen der großen Fischernetze von Seetang und Schlamm und das viele reparieren der zerrissenen Stellen, oder das Bestecken der Legangeln, dann der Verkauf der gefangenen Dorsche, Schollen, Aale und anderer Fische in den Straßen von Rostock eine unausgesetzte Tätigkeit vom frühen Morgen bis späten Abend. Dazu ist das Gewerbe eines Seefischers ein sehr unsicheres. Gar oft weht ein plötzlicher Sturm die großen, gewöhnlich eine deutsche Meile vom Strande ankern in die See gelassenen Fischernetze fort, was dann den armen Fischern einen Schaden von fünfzig bis hundert Thalern verursacht. Für die gemeinschaftliche Anschaffung und das Auswerfen eines solchen großen Fischnetzes vereinigen sich gewöhnlich drei Schiffer, welche dann die Arbeit und Kosten, aber auch den Gewinn miteinander teilen. Tiefe Seefischer sind in der Regel frühere Matrosen, die wegen ihres höheren Alters nicht mehr auf den Kauffahrteischiffen fahren mögen; denn ebenso wie der Fischländer kreuzt auch der Warnemünder gewöhnlich vom 15. bis 40. Lebensjahre als Seemann auf dem Meere umher, seine Kinder- und Greisenjahre aber verbringt er vielfach in der Jolle. Solch' ein Boot, das fest aus Eichenholz gezimmert mit Masten und Segel an 120 Thaler kostet, besitzt fast jede, selbst die ärmste Familie, und das erste Stück des Hausrates, welches sich ein Warnemünder, der heiraten will, anschafft, ist gewiss eine Jolle.
Die Frauen, die uns mit eben so viel Kraft als Geschicklichkeit im Boote fahren, tragen noch die alte Tracht der Warnemünderinnen. Diese ist ebenso zweckmäßig wie kleidsam und besteht in einem eigentümlich geformten Strohhut, inwendig mit rotem Kattun gefüttert, hinten mit langen schwarzen Bändern, einer kurzen Spencerjacke von grobem grünen Tuch, die beim Rudern oder sonstiger schwerer Arbeit häufig ausgezogen wird, und einem langen in Falten herunterwallenden Kleide von grobem dunkelblauem Wollenstoff, unten mit breiten Streifen von schwarzem Baumwollensamt besetzt, dazu dunkle Wollstrümpfe und kleine Pantoffeln. Es gibt alte Warnemünderinnen, die in ihrem ganzen Leben noch niemals einen Schuh, sondern stets nur Pantoffeln getragen haben. Diese Sitte der Pantoffeln stammt davon her, dass die Frauen beim Sandholen, Seetangsuchen oder auch, wenn Wasser in das Boot geschlagen hat und sie solches herausschöpfen müssen, häufig die Fußbekleidung ausziehen und mit nackten Füßen arbeiten, was bei Pantoffeln leichter als mit Schuhen geschieht. Seit den letzten zehn Jahren fangen übrigens viele Warnemünderinnen statt der Jacken und Röcke von festem, einfachem Wollenzeug lange Kleider von buntem, plundrigem Kattun zu tragen an, obgleich das für die Arbeit im Boote gar nicht passt und ihnen leicht ein unordentliches Aussehen verleiht, überhaupt will sich leider das jüngere weibliche Geschlecht an die einfache Lebensweise und die harte, unausgesetzte Arbeitsamkeit der Älteren teilweise gar nicht mehr recht gewöhnen. Gibt es doch jetzt selbst Warnemünder Jungen, die nach ihrer Konfirmation lieber ein Handwerk lernen, statt als Schiffsjunge hinaus auf die See gehen, was früher unerhört gewesen wäre.
Mit dem schnell dahinrauschenden Boote, dessen Segel von günstigem Winde geschwellt sind, haben wir jetzt den breiten Auslauf der Warnow, der „Breitling“ genannt, durchschnitten und legen bald am Warnemünder Ufer an. Schon der erste Eindruck, den uns die lange Reihe der kleinen, zierlich aussehenden Häuser gewährt, die sich hinter einer grünen Baumreihe halb versteckt längs des Stromes bis ans Meer hinziehen, ist ein eigentümlicher. Mann könnte fast glauben, statt in Mecklenburg plötzlich in Holland zu sein, so abweichend von der gewöhnlichen Bauart der mecklenburgischen Häuser sehen die Warnemünder aus. Dass man sich in einem Hafenort befindet, zeigt alles, wie denn auch hart am Lande, so dass ihre Segel mitunter fast in die grünen Zweige der Bäume hineinzuragen scheinen, oft stolze Dreimaster, soeben erst aus China oder Westindien oder Konstantinopel heimgekehrt, liegen. Während der drei Sommermonate von Juli bis September ist Warnemünde ein vielbesuchter Seebadeort, der in günstigen Jahren an 2.000 Besucher zählt. Die Mehrzahl der Badegäste sind Mecklenburger, besonders aus Rostock, doch kommen auch in den letzten Jahren, besonders seit Rostock durch eine Eisenbahn mit der Hamburg-Berliner Bahn verbunden ist, mehr fremde Familien aus dem Innern von Deutschland hierher. Die Lebensweise hier im Bade ist einfach und ohne jeden Glanz und Prunk, aber ganz behaglich. Die Familien aus Mecklenburg selbst suchen gewöhnlich ein eigenes Häuslein zu mieten, dessen Preis oft schon in der besten Lage mit der Aussicht nach dem Meere, je nach Größe und Zeit bis zu 20 Thaler die Woche steigt, und kommen nun mit Betten, Küchengeschirr und Dienstboten hierher, um eine eigene Wirtschaft zu führen. Wer weiter her kommt, speist in einem der Gasthäuser, deren es zwei bis drei, die mäßigen Ansprüchen genügen, hier während der Badezeit gibt, oder lässt sich das Essen holen. Alle Preise in Warnemünde sind noch bescheiden, eine Badetaxe wird nicht gezahlt und auch die ziemlich bequem eingerichteten Seebäder sind äußerst wohlfeil. Freilich, besondern Komfort oder große Eleganz darf man nirgends hier beanspruchen wie denn Warnemünde überhaupt mehr ein Badeort für den gebildeten Mittelstand und dessen Börse allzu hohe Ausgaben für ziemlich überflüssigen Luxus scheut, als für die vornehmere, elegantere Welt ist und hoffentlich auch für immer bleiben wird. Letztere sucht mehr das zwei Meilen von hier entfernte Doberan auf, das mit seinen eleganten Konversationssälen, seinem Hoftheater und größeren Luxus aller Art ganz anderen Ansprüchen genügt, dafür aber auch die doppelten Preise hat. Übrigens ist in Warnemünde im letzten Dezennium schon sehr Vieles zur Verschönerung geschehen. Man hat mit großen Kosten und nicht ohne Geschmack verschiedene öffentliche Anlagen errichtet und fährt hierin mit einer Anstrengung fort, die man unbedingt loben muss. Besonders die Versuche, den bisher jeglicher Kultur spottenden Flugsand der Dünen längs des Meeresufers durch Anpflanzungen zu befestigen und so allmählich für die Anpflanzung von Nadelhölzern und anderen Gesträuchen geeignet zu machen, sind ungemein interessant und werden mit dem lobenswertesten Eifer, der teilweise auch schon die ersten Erfolge erzielt hat, fortgesetzt. Wo noch vor zehn Jahren ein Treibsand war, dass der müde Wanderer sich kaum durcharbeiten konnte, da ist jetzt schon fester Rasenboden, und kleine Nadelholzwaldungen oder Boskets von Ziersträuchern erfreuen die Wanderer. Die Stadt Rostock, der Warnemünde gehört, verwendet große Kosten zur Verschönerung des Ortes, und der Herr Kommissionsrat Wachtler, der alle diese Arbeiten mit dem unermüdlichen Eifer auf die uneigennützigste Weise leistet, erwirbt sich dadurch gerechten Anspruch auf den Dank aller Besucher des Bades.
Den meisten Reiz für alle Badegäste muss freilich der weite Spiegel des Meeres gewähren, dessen freie Fläche sich hier dem Auge sehr vorteilhaft darstellt. Ein weit hinaus in die See gebauter breiter Steindamm zum Schutz der Hafeneinfahrt, der an seinem äußeren Ende mehrere Reihen von Bänken hat, bildet den Hauptspaziergang aller Warnemünder Badegäste. Auf diesem Damm, „das Epiel“ genannt, kann man Seeluft in voller Frische schöpfen und sich an dem ewig schönen Anblick des Meeres so recht aus ganzer Seele erfreuen. Und welche Abwechslung bietet dieser Anblick, wie bleibt sich das Meer nie gleich und verändert halt stündlich sein Ansehen. Jetzt ist es spiegelglatt, das Wasser sieht hellgrau, klar, gleich flüssigem Kristall aus, und die Sonne spiegelt sich in Milliarden blitzender Funken auf der endlosen Fläche. Allmählich steigen dunkle Wolken am Horizont auf, der Himmel treibt sich und sein Widerschein lässt auch das Wasser in immer dunkleren und dunkleren Schattierungen erscheinen. Schon fangen die Wellen an sich mit weißem Schaum zu kräuseln, und die weite dunkle Fläche erscheint wie mit weißen beweglichen Flocken überschäumt. „Der Schäfer fängt an seine Herde auszutreiben,“ sagen die Warnemünder, wenn die See anfängt unruhig zu werden und weiße Schaumflocken überall sich kräuseln.
Schon schlagen die Wellen der Brandung an die großen Felsblöcke, welche die Spitze des Dammes bilden, und einzelne Schaumflocken spritzen mitunter schon bis an die Bänke hinauf und netzen die Füße der dort Sitzenden. Mit hochaufgestellten Segeln vom Winde in flüchtiger Fahrt getrieben, eilen die Fischerboote, die draußen in der See waren, heimwärts, um den sicheren Hafen zu gewinnen, bevor der Sturm in seiner ganzen Gewalt daherbrauset. Es sieht ängstlich aus, wie die Wogen diese leichten Boote umherwerfen, und man müsste fast glauben, dass sie jeden Augenblick umgeworfen würden, so sehr schwanken sie hin und her, tauchen dann bald tief unter und sind plötzlich wieder hoch oben auf dem Kamm der Welle. Aber der alte verwetterte Fischer am Steuerruder passt fest auf, um mit dem scharfen Kiel des Bootes die Welle zu durchscheiden, sobald die richtige Sekunde dazu gekommen ist, und sein Weib hält den Strick des Segels mit kundiger Hand, um es sogleich loszulassen, wenn in plötzlicher Windstoß daherbraust.
Immer deftiger fängt der Sturm zu toben an, immer höher steigen die Wogen, immer weißer und gischtiger wir ihr Kamm. Schon können es die Zuschauer kaum mehr auf den Bänken des Steindammes aushalten, denn der Wind zerzaust ihnen die flatternden Gewänder, und das Wasser der Brandung schlägt mitunter über den ganzen Damm hinüber. Der Rückweg ist dann nicht licht, es erfordert die größte Kraft und Vorsicht, um von dem heulenden Wind nicht umgeworfen zu werden. Wer dem Sturm zu trotzen wagt, der eilt jetzt auf den freien Platz vor dem Leuchtturm, wo man die freieste Übersicht über das Meer hat. Der Anblick, den dieses jetzt darbietet, ist so unbeschreiblich großartig, dass man gerne Sturm und Unwetter trotzt, um ihn so ganz zu genießen.
So weit das Auge reicht, zeigt das Meer ein wildes Chaos von sich überstürzenden Wogen, deren tiefdunkle Färbung scharf von dem weißen Schaum oben an ihrem Kamme abbricht. Es ist ein wilder, schauriger Anblick, das Meer beim Sturm, und wer ihn einmal gesehen, dem prägt er sich durch seine Großartigkeit so fest in die Seele ein, dass solch ein Bild niemals wieder verbleichen wird. Unbekümmert um Sturm und Meeresgetobe hat ein Haufe alter Lotsen sich jetzt auf dem Platze vor dem Leuchtturme versammelt. Es sind von Wind und Wetter gehärtete Männer, den breiten Südwester von Ölleinwand tief auf das graue Haar gedrückt, eine dicke blaue Friesjacke, weite, kurze, kau bis an das Knie reichende Überziehhosen von grauer Segelleinwand und lange Wasserstiefel bilden ihren Anzug. Mit scharfen Blicken gleich dem Seeadler spähen sie auf die schäumende Fläche des Meeres. Ein Schiff mit stark gerefften Segeln wird vom Sturme arg umhergeworfen, hält aber dabei nicht in die See ab, sondern dem Lande zu, und das oft unglaublich scharfe Auge der Lotsen hat aus der Ferne schon erkannt, dass es ein schwedischer Schooner sei, der mit Brettern beladen in Warnemünde als Nothafen einlaufen wolle. Jetzt steckt das Schiff die Lotsenflagge auf, als Zeichen, dass es einen Lotsen an Bord heben wolle, um binnen zu laufen. Es ist ein äußerst schweres, ja selbst gefährliches Unternehmen, in solchem Sturme mit dem leichten Lotsenboot in See auszulaufen, aber schwieriger ist es noch, das Schiff in die schmale Hafeneinfahrt zwischen den beiden Steindämmen sicher hineinzusteuern und mancher alte Lotse schüttelt zweifelnd den Kopf. Doch der Lotsenkommander gibt den Befehl, dass die Lotsen hinaus sollen, und fünf erfahrene, verwetterte Seeleute besteigen das Lotsenboot. Ihre langen Schlagruder, von nerviger Faust geführt, treiben zuletzt das Boot sicher durch die Brandung obgleich sie wiederholt davon zurückgeworfen werden, und der Mann am Steuerruder weiß die Sturzwellen sicher zu durchschneiden, oft freilich hat es, vom Land aus gesehen, den Schein, als sei das Boot von den Wogen verschlungen, aber gleich dem Eisvogel taucht es von Neuem stets wieder auf und setzt unermüdlich seine schwierige Fahrt fort. Doch die Anstrengung der Männer bleibt dieses Mal eine vergebliche. Bevor die Lotsen an Bord des schwedischen Schooners zu gelangen vermögen, hat der Sturm ihn so weit ostwärts getrieben, dass er links von der Hafeneinfahrt auf eine Sandbank festzusitzen kommt und somit strandet. Die Mannschaft des gestrandeten Schooners wird zwar vom Lootsenboot gerettet, das Schiff aber sitzt fest und saugt sich so tief im Sande ein, dass es nicht wieder loszubringen ist. Es ist und bleibt ein Wrack und muss als solches bei ruhigem Seegang abgebrochen werden, um seine Balken und Planken als altes Holz zu benutzen. Der arme Kapitän hat vielleicht in dieser einzigen Stunde die Früchte der Ersparnisse mancher schweren Jahre verloren. Doch das ist des Seemanns Schicksal; er verliert oft kurz vor dem Hafen nicht allein sein Vermögen sondern auch sein Leben, und die tückischen Wellen des Meeres zerstören in wenigen Minuten, was er sich in langen Jahren mühsam aufbaute.
Doch hier der stattliche Dreimaster, der am anderen Tage, da der Sturm sich wieder gelegt, mit vollen Segeln in schneller sicherer Fahrt in den Hafen einläuft, scheint mehr Glück gehabt zu haben. Bunte Flaggen wehen von seinen Masten, mit lautem Hurrah und Mützengeschwenke begrüßen die Matrosen, die in den Strickleitern hängen, die Einfahrt. Ein lautes Echo findet ihr freudiger Gruß in den Herzen der Warnemünder jeglichen Alters und Geschlechtes, die in sonst bei ihnen ungewöhnlicher Neugierde auf dem Hafendamm zusammengelaufen sind, die einsegelnde Barke zu begrüßen, und selbst von den Badegästen schwenken Manche die Taschentücher; das Schiff ist ein mecklenburgisches, sein Kapitän wohnt in Rostock, die Mannschaft besteht größtenteils aus gebornen Warnemündern und Fischländern. Es sind schon über fünf Jahre her, da lief dieses Schiff von hier aus und fuhr seitdem gewöhnlich zwischen China und Südamerika, ohne die Heimat nur ein einziges mal zu sehen. Zuletzt aber drängte es doch den Kapitän und seine Mannschaft zu sehr, Frau und Kinder wieder nach so langer Frist begrüßen zu können, und da das Schiff ohnehin einer gründlichen Reparatur bedurfte, so nahm er von Rio de Janeiro Fracht nach England und fuhr von dort mit Kohlen nach Rostock. Kaum liegt das Fahrzeug fest am Bollwerk, so springt der Kapitän, ein stattlicher Mann in den dreißiger Jahren, mit energischem, von der südlichen Sonne tiefgebräuntem Gesicht, an das Land und umfängt mit kräftigen Armen eine hübsche, nur etwas bleich anstehende Frau die, zwei Knaben hinter sich, ihm entgegeneilt. Und wie er der treuen Gattin den längst entbehrten ersten Liebeskuss gegeben hat, da zieht er auch! bald den jüngsten Knaben, der etwa sechs Jahre zählen mag, zu sich in die Höhe und Tränen der freudigen Rührung glänzen in seinem Auge.
Als ich den Jungen zuletzt sah, da lag er noch als Säugling an der Mutterbrust, und jetzt ist es doch schon so ein derber Bengel, an dem man seine Freude haben muss.“ sagt der Kapitän, sich gleichsam wegen seiner Rührung entschuldigend, zu den Umstehenden.
Und das muntere „Ahoi – Ahoi“ der Matrosen, mit dem sie einen Anker aufwinden, tönt dazwischen. Ein anderes Schiff will so eben in die See gehen - wohin, ist ungewiss: ob nach dem Mittelmeer oder Amerika, hängt von den Frachten ab, die der Kapitän vielleicht in England oder Antwerpen erhält. Und die selbe warnemünder Mutter, die so eben den einen Sohn nach fünfjähriger Trennung wieder begrüßte, muss in derselben Stunde vielleicht dem andern Sohn auf eben so lange - mitunter auch für immer Lebewohl sagen.
Solche und ähnliche Bilder des Seelebens wechseln in Warnemünde unaufhörlich in buntester Reihenfolge. Wer daher ein Freund vom Meere, dessen Küstenbewohnern und ihrer seemännischen Tätigkeit ist und dabei ein einfaches, anspruchsloses Badeleben, fern von Glanz und Luxus, mit guten Seebädern und prächtiger Seeluft wünscht, dem raten wir, Warnemünde immerhin auf einige Wochen zu besuchen, und wir glauben, er dürfte es nicht bereuen, unseren Rat befolgt zu haben. Freilich, großartige Vergnügungen darf er hier nicht erwarten, denn sonst würde er bitter enttäuscht werden. [das gilt heute nicht mehr]