Das Gregoriusfest in Mühlhausen

Aus: Deutsche Volksfeste im 19. Jahrhundert
Autor: Reimann, Friedrich August (?) Herausgeber, Erscheinungsjahr: 1839
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Thüringen, Prozession, Schulfest
Die Entstehung der Schulfeste, auch Gregoriusfeste genannt, fällt, so wie die der Deutschen Schaubühne, ungefähr in die Mitte des 15ten Jahrhunderts; die lächerlichen Aufzüge, welche die damalige Geistlichkeit meistens um die Fastenzeit in Kirchen und Klöstern vorstellte, gaben ohne Zweifel die erste Veranlassung dazu. Man ordnete gewisse Prozessionen an, bei denen gesungen wurde; so wurde, z. B., der erste Mai an mehreren Orten von der Schuljugend dadurch gefeiert, dass sie mit ihren Lehrern eine große Prozession um die Saatfelder machte und dabei geistliche Lieder sang. Man wollte, wie es scheint, dieses Vergnügen auch nützlich für die Stadt machen; denn was konnte nun den Saaten schaden! Nachher folgte ein festliches Mahl, womit die Obrigkeit der Stadt ihre Jugend erquickte und belohnte. Gewöhnlich wurde dabei die fromme Gutmütigkeit der Bürger und Zuschauer in Anspruch genommen und so ward aus dieser Feierlichkeit eine wahre Bettelei, welche an einigen Orten dem heiligen Gregorius, einem angeblichen großen Schulfreunde, zu Ehren, an dessen Namenstage (den 12. März), an andern Orten am Tage vor Nikolai gefeiert und mit einem, gemeiniglich auf öffentliche Kosten veranstalteten, Mahle beschlossen wurde.

In Mühlhausen in Thüringen wurde das Gregoriusfest ehemals sehr feierlich, aber dabei auf eine etwas sonderbare Weise begangen. Am Tage des Heiligen nämlich oder, wenn es das Wetter nicht erlaubte, auf einen andern Tag im Monat März zogen die sämtlichen Schulknaben in einer langen Prozession durch alle Straßen der Stadt. Sie waren in das Kostüm der meisten Professionen und Handwerker gekleidet, z. B., die Bäcker mit weißen, die Gerber mit lohgelben, die Tuchmacher mit grünen Schürzen, die Schuhmacher, Schmiede, Böttcher aber mit ledernen Schurzfellen. Jeder hatte sein Handwerksgeräte, das er in den Händen trug, mit buntfarbigen Bandschleifen geschmückt; die Knaben selbst aber waren mit goldenen und silbernen Spitzen, Kokarden an den Hüten, die Anführer hingegen mit seidenen Schärpen geziert. Nach dem langen Zuge der Handwerker folgten die Läufer mit langen, rot angemalten und mit vergoldeten Knöpfen versehenen Stäben. Ihre weiß-leinwandenen Hemden warm mit seidenen Bandschleifen geziert und ihre tafftenen Läuferschürzen mit Gold verbrämt. Gleich hinter diesen kamen die Pfaffen, ebenfalls Knaben, die sich in lange, weite Chorröcke gesteckt hatten. Neben dem Zuge her sprangen verkleidete Schäfer in arkadischer Tracht, die Säcke, mit Häcksel gefüllt, trugen. Hierauf folgten mehrere Heiducken und Türken und hinter diesen erschien der Bischof Gregorius in bischöflichem Ornate, unter einem Himmel, der von vier Trabanten über ihm getragen wurde. Nun folgte eine Compagnie Soldaten, ebenfalls Schulknaben. Diese machten den Schluss dieses grotesken Zugs, worauf die Chorschüler in ihren gewöhnlichen Kleidern folgten, die eigends dazu ausgewählte Lieder sangen.

In der Folge wurden mit den Figuranten diese, sonderbaren Aufzugs mehrere Veränderungen vorgenommen, z. B., dass der Bischof nicht mehr in Pontificalibus, sondern in bürgerlicher Kleidung, mit einem mit Tressen verbrämten Hut auf dem Kopf, auf einem Pferde sitzend erschien, das von einem Stadtsoldaten geführt wurde Acht Trabanten begleiteten ihn zu beiden Seiten.

Diese sonderbare Prozession, die immer eine zahlreiche Menge fremder und einheimischer Zuschauer herbeizog, wurde eine lange Reihe von Jahren hindurch auf obenerwähnte Art gehalten. Da es aber den Eltern der Kinder, die dabei figurierten, viele Kosten verursachte, ein solcher grotesker Maskenzug auch dem Geiste der Zeit nicht mehr angemessen schien, so wollte sich zuletzt niemand mehr dazu verstehen, und da die mutwilligen Jungen auch mit der geistlichen Kleidung allerlei Unfug getrieben hatten, so wurde den Küstern verboten, fürs Künftige ihnen die Chorröcke zu leihen, die daher nun aus dem Zuge wegblieben; auch durfte der Bischof Gregorius nicht mehr dabei erscheinen, was schon der Prozession viel von ihrem Glanze benahm. Im Jahre 1750 wurde endlich durch einen Ratsbefehl dieser alte Gebrauch, als dem Zeitgeiste nicht mehr entsprechend, gänzlich abgeschafft und das Geld, was die Chorschüler bei dieser Gelegenheit erhalten hatten, wurde von den Kirchen-Aerarien ersetzt.

Gregor I. mit Benedikt von Nursa, Laurentius von Rom und Joh. d. Täufer (Andrea Mantegna 1459)

Gregor I. mit Benedikt von Nursa, Laurentius von Rom und Joh. d. Täufer (Andrea Mantegna 1459)

Gregor I. beim Diktieren des gregorianischen Gesangs (aus dem Antiphonar des Hartker von St. Gallen, um 1000)

Gregor I. beim Diktieren des gregorianischen Gesangs (aus dem Antiphonar des Hartker von St. Gallen, um 1000)

Mühlhausen, Stadtmauer mit Frauentor

Mühlhausen, Stadtmauer mit Frauentor

Mühlhausen, Frauentor

Mühlhausen, Frauentor

Mühlhausen, Marienkirche Innenraum

Mühlhausen, Marienkirche Innenraum

Mühlhausen, St. Marien

Mühlhausen, St. Marien

Mühlhausen, Marienkirche Turm

Mühlhausen, Marienkirche Turm