Bildung Essays
Was ist Bildung? Was ist Kultur?
Autor: Hermann Bahr (1863-1934) österreichischer Schriftsteller, Dramatiker sowie Theater- und Literaturkritiker https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Bahr, Erscheinungsjahr: 1900
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Bildung, Kultur, Theater, Wissen, Wesen, Charakter, Taten, Augenblicke, Kenntnisse, Helden, Fassade, Künstler, Fragmente
Was ist Bildung? Eine Zeit hat man gemeint, sie sei Wissen. Es ist aber vorgekommen, dass Menschen bei hohen Kenntnissen roh gefunden wurden, indem diese nur wie Schnörkel oder Verzierungen ihre Fassade bedeckten, ohne die innere Form zu erfüllen. Dann gaben Tätige die Losung aus, dass sie Können sei: die Kraft eines Menschen, das Gefühl schönster Augenblicke so zu verdichten, dass es freundliche Gestalt annimmt und in dieser, der Tat des Helden oder dem Werke des Künstlers, auch nachdem jene Erregungen und Verzückungen entschwunden sind, noch lange fort wirkend erhalten bleibt. Für gebildet wurde nun erachtet, wer über den Stoff der Welt so gebot, dass er sich in ihm von jedem Glücke erhabener oder inniger Momente ein Zeichen machen konnte. Wir aber, die jetzt erschienen sind, haben die Pausen zwischen solchen Momenten, aus welchen wir immer gleich wieder herabsinken, zu schmerzlich empfunden. Darüber sind wir durch kein Werk, durch keine Tat mehr zu trösten, sondern unserer Sehnsucht schwebt ein erlöstes Dasein vor, dem verliehen wäre, die Gnade jener seligen Augenblicke ins tägliche Leben einzuleiten. Werke, Taten sind Fragmente unserer großen Stunden; es macht uns aber zu traurig, sie nicht ganz zu besitzen.
*********************************************************
*********************************************************
Inhaltsverzeichnis
Wir wünschen leidenschaftlich, dass von ihnen nichts verloren gehe, sondern jeder Gedanke einer unruhigen Nacht, jedes Gefühl des stürmischen Frühlings oder zärtlichen Sommers, jedes Geschenk beglänzter Tage, sogleich von klarer und fester Form ergriffen, in unsere Existenz eingefügt, mit dieser verwachse. Und so haben wir den Plan einer Bildung entworfen, durch welche wir fähig werden könnten, das ganze Leben auf die Höhe unserer höchsten Momente zu bringen. Kein Wissen um Edles, kein großes Tun kann uns mehr genügen, sondern nur ein volles Dasein im Guten und Schönen selbst, dem jeder frohe Augenblick neue Flügel ansetzen wird. Dies, im Stillen lang gehegt, aber in die breite Welt verstreut, eilt nun auf Ihren Ruf, Hoheit, beglückt herbei. Es ist Ihr Entschluss, dass in Ihrem Hessen wahr werde, was an den anderen Orten bloß erträumt und gewünscht werden darf: Dort soll die Kunst nicht mehr ein äußerer Schmuck und bloßer Tand der Menschen sein, sondern die innere Uhr ihres ganzen Wesens. Jetzt brauchen wir mit unserer Hoffnung in keine Femen mehr zu schweifen: Dort oder nirgends wird unser Athen sein!
Sankt Veit, September 1900.
Sankt Veit, September 1900.